Wir leiden unter einem Staat, der unser Überleben nicht garantiert, sondern aufs Spiel setzt

Wieder einmal wendet sich unsere Friedensgemeinde an die Geschichte und an die Welt, um über Tatsachen zu berichten, die sich in der letzten Zeit massiv gegen unsere Zivilbevölkerung und gegen unser Lebensprojekt richtet.

Zunächst soll es um die Planungen der Landrückgabeeinheit (URT) gehen.

(Die Sonderverwaltungseinheit für die Verwaltung der Rückgabe von enteignetem Land (VAE-GRTD) oder einfach die Einheit für die Rückgabe von Land (URT) von Kolumbien ist eine Institution, die im Januar 2012 durch das Gesetz 1448 von 2011, allgemein bekannt als Gesetz über Opfer und Landrückgabe, geschaffen wurde, um die rechtliche und materielle Rückgabe von Land zu erreichen, das im Rahmen des bewaffneten Konflikts in Kolumbien enteignet wurde. Wikipedia/d. Ü.)

Die offiziellen oder inoffiziellen Erklärungen der zuständigen Beamten untergraben die Integrität der Verfahren auf administrativer und rechtlicher Ebene, indem sie den demokratischen Entscheidungsprozess umgehen. … Die URT-Funktionäre haben eine heftige Verfolgung gegen uns und unseren Besitz ausgelöst, den wir friedlich, frei, öffentlich und unter strikter Einhaltung der Verfassung und des Gesetzes erworben haben. Wir haben die Auseinandersetzung aufgenommen und auf diese Weise die Rechtmäßigkeit unserer Erwerbungen nachweisen können …

Die aktuellen Vorkommnisse der letzten Wochen, die wir hier zu eurer aller Information festhalten, sind die folgenden:

Am Dienstag, 1. August 2023 wurde ein weiterer militärischer Kontrollpunkt in der Nähe vom Stadtgebiet San José eingerichtet. Diese Kontrollpunkte und angeblichen Militär- und Polizeikontrollpunkte haben allerdings noch nie etwas genützt, denn der paramilitärische Flügel wird in San José de Apartadó seit Jahrzehnten unterstützt.

Samstag, 5. August 2023 erfuhren wir, dass ein Treffen zur Projektplanung eines absolut notwendigen Naturreservats in der Umgebung von San José de Apartadó durch Intervention der Zentralregierung gestört werden soll.

Am Dienstagmorgen 8. August 2023 fand ein Treffen zwischen einer Delegation unserer Friedensgemeinschaft und Beamten der URT, der territorialen Direktion von Apartadó und der zentralen Ebene von Bogotá statt.
Die URT und die Friedensgemeinschaft hatten Termine und Verfahren geplant, um mit dem zweiten Tag der Georeferenzierung auf einigen Grundstücken fortzufahren, die sich im Besitz unserer Gemeinschaft befinden und die im Rahmen der Landrückgabe gemäß dem Gesetz 1448 von 2011 von großen politischen und wirtschaftlichen Interessen, die sie motivieren, gefordert werden.

Der Blogger befürchtet auch hierbei wieder unfaire Methoden der Friedensgemeinde gegenüber. Weitere Grenzüberschreitungen auch von Paras in Uniform, verbale Respektlosigkeiten, schwere Körperverletzung an einem Landwirt aus La Hoz, mehrmals Androhung von Gewalt und Mord, zweifacher Mordversuch, Diebstahl von geschütztem Holz, üble Nachrede auch in den sozialen Netzwerken über die Friedengemeinde werden moniert. Betroffene Gebiete waren z.T. offiziell von der URT vor Übergriffen geschützt worden. Einige Male behaupteten Eindringlinge auch einfach von der URT die Erlaubnis erhalten zu haben. (d. Ü.)

Weiter mit dem Blog:

Die Anwesenheit dieser Eindringlinge in unseren Räumen schränkt unsere Freiheiten und unsere Ruhe ein.

Am Montag, 4. September 2023 wurde der junge DAYRON ANDRES OSORIO ARTEAGA durch Schusswunden getötet.
Es wird nichts über die Umstände oder den Verursacher geschrieben. (d. Ü.)

Am Samstag, den 9. September 2023, wurde ein junger Mann getötet, sein Bruder war am Sonntag, den 24. Januar 2021 von Paramilitärs ermordet worden.
Auch hier keine Angabe der Umstände. (d. Ü.)

Oft fragen wir uns, ob es sich lohnt, unsere Hoffnungen in einen Staat zu setzen, der eigentlich die Garantien für das Leben unter Einhaltung der Menschenrechte (freier übersetzt d. Ü.) als zentrale Verpflichtung eines Rechtsstaates bieten sollte. Aber wir sehen, dass diese Rechte von Interessen, die der Gerechtigkeit und der Vernunft entgegenstehen, verweigert und mit Füßen getreten werden.

Wir werden den Weg der Erinnerung mit Ehre weitergehen, indem wir all derer, die sich für den Aufbau einer gerechteren Welt eingesetzt haben und noch immer einsetzen gedenken, während wir all jenen danken, die aus verschiedenen Teilen der Welt uns unterstützen mit ihrer Zuneigung und Solidarität.

Friedensgemeinde San José de Apartadó
22. September 2023

Der langsame Niedergang, den niemand verhindert

Unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó wendet sich erneut an die nationale und internationale Gemeinschaft. Auch die jüngsten Ereignisse bedrohen das Leben der Zivilbevölkerung in unserem Umfeld und gefährden die Existenz unserer Friedensgemeinschaft. Es wird immer schwieriger, in einem Gebiet zu leben, in dem die Paramilitärs diejenigen sind, die herrschen und ihre Regeln über alle stellen. Bestechung, Erpressung, Zwangsrekrutierung sind alltäglich, hinzu kommt, dass die Zivilbevölkerung paramilitärischen Informanten erlauben muss, mit in ihren Häusern zu leben und ihre Regeln zu akzeptieren.

Der lang ersehnte „totale Frieden“ (die Regierung des linken Präsidenten Gustavo Petro hat als politisches Ziel den „totalen Frieden“ – Paz Total – ausgerufen. Gemeint sind umfassende Verhandlungen mit allen nach wie vor aktiven bewaffneten Gruppen, begleitet von sozialreformerischen Programmen. Mit den strikt politisch motivierten,  wie die ELN-Guerilla sollte politisch verhandelt werden, die eher kriminell ausgerichteten, wie die Paramilitärs will die Regierung eher durch Strafnachlässe und Integrationsmaßnahmen zum Aufgeben bringen, Anm. d. Ü.) hat diese Region nicht erreicht, denn in diesem knappen Jahr der Regierung von Präsident Gustavo Petro gab es seitens der staatlichen Instanzen nicht das geringste Interesse daran, diesen Tätern entgegenzutreten. Die Paramilitäts üben weiter ihre Herrschaft aus, ohne von irgendjemandem behelligt zu werden.

Die Fakten, deren Einschätzung wir der Menschheit und der Geschichte überlassen, sind wie folgt:
(Wir erwähnen hier allerdings nur die u. M. n. besonders schwerwiegenden Belästigungen, Anm. d. Ü.)

In der ersten Juniwoche 2023 wurden Informationen zufolge einige Schüsse im Dorf Arenas Altas von Paramilitärs abgefeuert.

Des Weiteren kam es zu Zusammenstößen zwischen Paramilitärs, es wurde ein Rucksack mit Computern gestohlen (auf den Festplatten befanden sich offensichtlich Schriftstücke über ein Friedensthema), auch davon nahm die Polizei kaum Notiz.

Am Samstag, den 10. Juni 2023, wurde bei Tageslicht eine Person im Dorf La Balsa de San José de Apartadó tot aufgefunden. Nach Angaben der Menschen, die die Leiche fanden, wies sie mehrere Schusswunden auf.

In weiteren Berichten ist von Bedrohungen und einer versuchten Vergewaltigung die Rede. Die Präsenz von Paramilitärs in Tarnkleidung und mit Gewehren ausgestattet, beunruhigt die Zivilbevölkerung immer wieder.

Am Freitag, den 16. Juni 2023, wurde der leblose Körper des jungen EDWIN ANDRÉS CARVAJAL ÚSUGA in der Gemeinde Turbo gefunden. Dieser junge Mann aus dem Corregimiento von San José de Apartadó wurde von den Paramilitärs rekrutiert, die das Gebiet kontrollieren. Einige Tage zuvor, am Sonntag, den 11. Juni, kam es im Corregimiento von Nuevo Antioquia, Gemeinde Turbo, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen denselben Paramilitärs. Die ist ein Ort, der seit vielen Jahren von Militär- und Polizeipräsenz belastet ist. „El Médico“ begann, mehrere Paramilitärs und Zivilisten in Streit geraten. Als er Edwin hart traf, reagierte der heftig und tötete alias El Médico mit einer Schusswaffe, die ihm die Paramilitärs bei der Rekrutierung gegeben hatten. Die Paramilitärs nahmen Edwin und seinen Bruder gefangen und brachten sie gefesselt weg. Edwin wird getötet, als er in Currulao ankommt, sein Bruder wird mehrere Tage lang gefesselt gehalten und dann freigelassen. Sein Bruder, der Zivilist ist, musste das Gebiet verlassen, da er zur Zielscheibe der Paramilitärs wurde. Das gleiche Schicksal ereilte einen anderen jungen Mann, der sie begleitete und der ebenfalls ins Fadenkreuz der Paras geriet.

In der Region heißt es, die Paramilitärs hätten ihre Kommandostruktur geändert. Was die Rekrutierung junger Menschen, die Erhebung von Zwangs- und Bestechungsgeldern und die Unterwerfung der Bauern unter ihre neuen Richtlinien intensiviert. Darüber hinaus sollen die neuen Führer selbst erklärt haben: Wer einmal drin ist, kommt lebend nicht mehr raus.

Es ist schlimm, dass die Mainstream-Medien in Kolumbien den Paramilitarismus als ein Phänomen der Vergangenheit betrachten und wie sich alle staatlichen Institutionen auf die totale Toleranz des Paramilitarismus eingestellt haben. Weder die Öffentlichkeit noch die kommunalen Verwaltungen, noch die Geschäftswelt, noch die politischen Parteien, noch irgendjemand verurteilt die totale paramilitärische Herrschaft, in unserer Region oder anderen Regionen in denen es ähnlich zugeht.

Sie sind Herren über Leben und Tod. EDWIN ist eines der jüngsten Opfer. Sie kontrollieren alle Siedlungen und das wird von allen Behörden geduldet und unterstützt, sie kontrollieren die Wirtschaft mit ihren Schutzgeldern und der Durchsetzung ihrer absurden Pläne und „Entwicklungsmodelle“. Es ist ein akzeptiertes System der Sklaverei, das die derzeitige „Regierung des Wandels“ gar nicht im Blick hat. Wie schrecklich!

Aus unserer Friedensgemeinschaft senden wir eine Botschaft an das Land und die Welt, dass wir uns der Verteidigung eines Lebens ohne Krieg anschließen möchten. Der Krieg erstickt und lässt das menschenwürdige Leben der umliegenden Bevölkerung ausbluten. All dies zu ändern, scheint für diese Regierung keine Priorität zu haben, obwohl sie doch eigentlich den Wandel proklamiert.

Wir können uns nur bei allen Menschen und Gemeinschaften bedanken, die aus den vielen Teilen des Landes und der Welt an unseren Widerstand glauben und keinen Schritt weichen, sondern uns moralische Kraft gegeben haben, um in unserem Gebiet weiter Widerstand zu leisten. Ihnen allen, vielen Dank, dass Sie unsere Förderer einer echten Veränderung sind.

Comunidad de Paz San José de Apartadó
Juni 2023

Tag für Tag neue Formen der Unterdrückung

Die Vernichtungsstrategien gegen unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó setzen sich Schritt für Schritt fort, Tag für Tag entwickeln unsere Gegner neue Formen der Repression gegen unseren Gemeinschaftsprozess. Unentwegt kündigen sie den „finalen Schlag“ gegen unseren Lebensprozess an, ein „Schlag“, der von denen geplant wird, denen wir mit unserem Lebensprojekt im Weg stehen.

Folgende neue Vorfälle möchten wir der Öffentlichkeit zur Kenntnis geben:

Am Mittwoch, 29. März, wurde Jailer Stiven Góez ermordet, ein junger Einwohner des Dorfes San José. Offenbar hat er zu den Paramilitärs gehört. Unsere Gemeinschaft hatte bereits berichtet, dass immer wieder Minderjährige aus den Dörfern von San José de Apartadó von den Paramilitärs rekrutiert werden.

Am selben Tag wurde Liliana Roja, eines unserer Mitglieder, offenbar von einem Beamten der Staatsanwaltschaft von Urabá angerufen, der sich als Henry Mauricio Vásquez vorstellte. In Missachtung unseres grundsätzlichen Bruchs mit dem Justizapparat drängte dieser Beamte Liliana, ihn in der Siedlung unserer Gemeinschaft in San Josesito zu treffen oder eine Einladung zu einem Treffen an einem anderen Ort außerhalb der Gemeinschaft anzunehmen, alles mit dem Ziel, Informationen über den Tod von Jimmy Andrés Sepúlveda zu sammeln, der im September vergangenen Jahres ermordet wurde. Es ist empörend, dass versucht wird, Informationen über die Mörder ausgerechnet bei uns zu suchen. Als ob wir die Verbrecher verstecken würden – es ist doch allgemein bekannt, dass sie in der Stadt San José de Apartadó leben und ständig mit der Militär- und Polizeibehörde zusammenarbeiten. Sepúlveda wurde nur wenige Meter von der Polizeistation und dem Militärstützpunkt entfernt, wo sich die Täter Tag und Nacht herumtreiben. Es ist im Übrigen nicht die Aufgabe der Friedensgemeinschaft oder ihrer Mitglieder, nachrichtendienstliche Arbeit zu leisten, und schon gar nicht für ein so furchtbar korruptes Justizsystem, das Hunderte von Verbrechen, die uns betroffen haben, ungestraft gelassen hat und mit dem wir seit vielen Jahren aus Gewissensgründen nicht mehr zusammenarbeiten. (…)

In den letzten März-Tagen haben uns mehrere Bauern darüber informiert, wie die Beamten der Landrückgabe-Einheit von Urabá die Landrückgabe-Anträge bearbeiten (Anm. d. Ü.: Die Landrückgabe-Einheiten – unidades de restitución de tierras – sind die Behörden, die einen der zentralen Punkte des Friedensabkommens zwischen Staat und Farc von 2016 umsetzen sollen: Die Rückgabe des Landes, das die im Laufe des Konfliktes Vertriebenen verlassen mussten und das sich dann andere, meist die Vertreiber, aneigneten. In der Praxis handelt es sich um die Klärung oft komplizierter, verworrener Besitzansprüche, bei der oft die Kleinbauern gegen örtlich Mächtigen den Kürzeren ziehen). Unsere Gemeinschaft konnte sich von der Art und Weise überzeugen, in der die Beamten über diese Grundstücke Informationen sammeln, die bruchstückhaft sind und den Interessen von Personen dienen, die mit den Opfern nichts zu tun haben, (…).

Am Freitag, 31. März, gegen 22.00 Uhr, wurden vor der Siedlung unserer Friedensgemeinschaft San Josesito, an der Straße, die von Apartadó nach San José führt, von Personen auf Motorrädern Schüsse abgefeuert. Das gleiche wiederholte sich am Abend danach.

Am Donnerstag, 13. April, führte ein Richter für Landrückgabe eine gerichtliche Inspektion des Landes durch, das der Bauernfamilie Jaime Garcia und Olga Carlosama gehört und nahe dem Stadtzentrum von San José de Apartadó liegt. Das Büro des Bürgerbeauftragten, das den Auftrag hat, über die Rechte der derzeitigen Eigentümer zu wachen, war bei dem Verfahren nicht anwesend. Es hatte den Rechtsanwalt Javier Vuelvas mit der Vertretung der Familie García Carlosama beauftragt. Aber der Anwalt blieb untätig – seine einzige Aktivität war der Ratschlag für die Familie García Carlosama, „alles Holz zu fällen, alles wegzuschaffen, was sie können und das Land zu verlassen, und wenn sie ein Familienmitglied oder einen Ort haben, wo sie hingehen können, sollten sie schnellstens gehen“. Wie kann so eine Karikatur eines hochgradig kooptierten Beamten in einer Institution geduldet werden, die angeblich ihre korrupten Verfahren ändern will?

In den letzten Tagen des April befuhren bekannte Paramilitärs und Pistoleros auf Motorrädern immer wieder die Straße von Apartadó nach San José.

Am Freitag, 28. April, betraten zwei dunkel gekleidete Personen kurz vor Mitternacht die Siedlung San Josesito. Nach einer Viertelstunde flüchteten sie auf der Straße nach Apartado. Vier Tage später kam erneut mitten in der Nacht derartiger unerwünschter Besuch, der nach kurzer Zeit verschwand.

Am Mittwoch, 3. Mai, haben wir hohe Staatsbeamte auf die betrügerische Art und Weise aufmerksam gemacht, mit der sich die Polizei das Grundstück der Polizeistation San José de Apartadó angeeignet hat. Das geschah zum einen durch gewaltsame Methoden unter Berufung auf einen Präsidialerlass nach dem schrecklichen Massaker vom 21. Februar 2005 an unserer Friedensgemeinschaft. Zum anderen wurden gefälschte Dokumente vorgelegt, unter anderem um ein Grundstück, für das bereits ein Besitztitel bestand, als „leeres Grundstück“ zu deklarieren (…).

Am Donnerstag, 4. Mai, erhielten wir die Information, dass erneut ein Plan zur Invasion eines der Gemeinschaftsgrundstücke der Friedensgemeinschaft, in diesem Fall des Grundstücks Las Delicias in La Esperanza, Gemeinde San José de Apartadó, in Arbeit ist. Es ist bekannt, dass sich die Verantwortlichen von La Esperanza und anderer Dörfer mit Paramilitärs getroffen haben, um die Invasion des Landstückes Las Delicias, das sie „Esperanza II“ genannt haben, zu erleichtern. Dieses Land ist aufgrund seiner geographischen Lage für die wirtschaftliche und soziale Macht in der Region von Interesse. Sie haben bereits viel unternommen, um uns dieses Land wegzunehmen. Man hat verschiedene Formen der Repression gegen unsere Friedensgemeinschaft eingesetzt, die Grenzen verletzt, Zäune zerstört und Straßenbaumaschinen eingesetzt, um gewaltsam eine Straße zu bauen. Gegen diese Straße wehren wir uns entschieden, weil sie von Paramilitärs betrieben wird, weil sie keine Umweltgenehmigung besitzt, weil die Bauernschaft nicht vorschriftsgemäß konsultiert wurde, weil sie das Recht auf Schutz und Achtung des Privateigentums missachtet, wie es in der kolumbianischen Verfassung festgelegt ist.

Am Freitag, 5. Mai, fand eine Anhörung vor dem Zivilrichter des Bezirks Apartadó statt, bei der es um das Grundstück Roncona ging, ein Grundstück, auf das unsere Friedensgemeinschaft seit mehr als 26 Jahren friedlicher Besetzung für die Subsistenzlandwirtschaft Anspruch erhoben hat. In diesem Prozess konnte nachgewiesen werden, dass wir den friedlichen, öffentlichen und ununterbrochenen Besitz viel länger als die gesetzlich vorgeschriebene Mindestzeit für die Verschreibung des Eigentums an dem Grundstück ausgeübt haben.

Am Dienstag, 9. Mai, wurden tagsüber in der Ortschaft Arenas Altas mehrere Paramilitärs gesehen, darunter ein bekannter Kommandant der Gegend, die dunkle Anzüge, Waffen und Funkgeräte trugen und in unseren gemeinschaftlichen Wohn- und Arbeitsbereich in Arenas Altas eindrangen.

Am Montag, 15. Mai, erhielten wir Informationen, nach denen die Streitkräfte mehrfach das Eigentum von Bauern im Dorf Arenas verletzt hat. Offenbar ist das Militär seit dem 29. April ohne Erlaubnis in die Häuser eingedrungen, wobei es zu Plünderungen gekommen ist.

Wir bekräftigen unsere tiefsten Überzeugungen zur Verteidigung des Lebens und des Territoriums, die uns immer wieder dazu drängen und herausfordern, diese ethischen und moralischen Prinzipien zu verteidigen, indem wir unser eigenes Leben an die zweite Stelle und den kollektiven und menschlichen Sinn des Lebens an die erste Stelle setzen.

San José de Apartadó, 15. Mai 2023

Brief an Präsident Gustavo Petro

Internationales Netzwerk der Solidarität mit der Friedensgemeinschaft.
San José de Apartadó 29. April 2023

Ihre Exzellenz
Gustavo Francisco Petro Urrego,
Presidente de la República de Colombia, Bogotá

Anlässlich des Jahrestages der Gründung der Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó wenden wir uns an Sie, Herr Präsident, um Ihnen einige Überlegungen vorzustellen zu dem ständigen Risiko, in dem die Mitglieder der Gemeinschaft nach 26 Jahren des Friedensaufbaus von unten, der Verteidigung des Lebens und des Territoriums immer noch leben müssen. Ebenso wäre es hilfreich, wenn die derzeitige Regierung die Wiederaufnahme der Beziehungen zur Gemeinschaft erleichterte, die, wie Sie wissen, im Jahr 2005 nach dem schrecklichen Massaker an acht ihrer Mitglieder durch staatliche Agenten den Bruch mit allen Institutionen des kolumbianischen Staates erklärt hat.

(Anm. d. Ü.: In einer Fußnote erläutert der Brief den historischen Hintergrund: „In den Archiven mehrerer internationaler Organisationen finden sich die Antworten der Regierung von Álvaro Uribe Vélez, in denen das Massaker (von 2005) der FARC zugeschrieben wurde, unterzeichnet vom damaligen Vizepräsidenten Francisco Santos, dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Luis Camilo Osorio und anderen, die gemeinsam versuchten, die Verantwortung des Staates zu verschleiern und stattdessen die Gemeinschaft mit den aufständischen Gruppen in Verbindung zu bringen – bis hin zu der Behauptung, der Grund für das Massaker sei das Interesse von Luis Eduardo Guerra gewesen, sich auf die Seite der Guerrilla zu schlagen.“ 2005 wurde Luis Eduardo Guerra, der Sprecher des Friedensdorfes, zusammen mit seiner Lebensgefährtin und dem elfjährigen Sohn ermordet.)

Wir, die Unterzeichnenden, sind europäische Institutionen und Organisationen, die die Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó seit vielen Jahren begleiten, und wir erkennen den immensen Wert und die Kohärenz dieser Gemeinschaft bei der fortgesetzten Verteidigung ihrer Prinzipien durch Gewaltlosigkeit an.

In den 26 Jahren ihres Bestehens hat sie die Ermordung von mehr als 300 Genossen in der Gemeinschaft durch verschiedene bewaffnete Gruppen (Paramilitärs, Nationale Armee und Guerilla) sowie ständige Aggressionen, Einschüchterungen, Demütigungen und die Nichtanerkennung der von den staatlichen Institutionen verursachten Verletzungen erlitten. Wie aus den Berichten hervorgeht, in denen die Gemeinschaft seit Jahren die Übergriffe gegen ihre Mitglieder und die umliegende Bevölkerung festhält, ist die Situation aufgrund der Paramilitarisierung der Bevölkerung und der regionalen und lokalen Institutionen, der Anwesenheit bewaffneter Gruppen auf ihrem Land und des ständigen Machtmissbrauchs durch die staatlichen Streitkräfte sowie – und das ist sehr wichtig – der wirtschaftlichen Interessen an ihrem Land und der ständigen Versuche, es ihnen wegzunehmen, äußerst ernst.

Eines der größten Probleme, das die Friedensgemeinschaft hat, ist die unsachgemäße Anwendung des Landrückgabegesetzes (Anm. d. Ü.: Gemeint ist das Gesetz 1448 von 2011, mit dessen Verabschiedung der Staat nicht nur formell die Existenz eines bewaffneten Konfliktes innerhalb seiner Landesgrenzen und folglich seine Schutzverantwortung gegenüber Millionen von Konfliktopfern anerkannte. Zugleich schuf er erstmals auch ein einheitliches Verfahren zur Entschädigung aller Gruppen von Opfern und Überlebenden des Konfliktes mitsamt einer eigenen, in großen Teilen völlig neuen Institutionenlandschaft.) Wie die Gemeinschaft immer wieder erfährt, konzentrieren sich die mit der Durchführung des Gesetzes befassten staatlichen Stellen darauf, Konflikte zwischen den Opfern selbst zu schaffen und arme und ungeschützte Familien mit Rückgabeforderungen zu konfrontieren, während die großen Fälle, an denen Unternehmen, multinationale Unternehmen, Politiker und andere beteiligt sind, nicht vorankommen. Die Gemeinschaft prangert an, dass das Landrückgabegesetz von großen wirtschaftlichen Interessen missbraucht wird, da sie dieses Gesetz nutzen, um den Verkauf von zurückerstattetem Land zu fördern und es so dem Markt zuzuführen. Die Friedensgemeinschaft beklagt, dass das juristische Instrument des Gesetzes eingesetzt wird, um sie ihres Eigentums zu berauben, das sie nicht nur legal erworben, sondern auch über 20 Jahre lang gepflegt und verteidigt hat.

Ein Beispiel dafür ist die Situation der Finca La Roncona. Im Dezember 2018 wollte die Gemeinschaft mit einer Zivilrechtsklage ihren Anspruch auf das Eigentum an der Finca Roncona juristisch absichern. Aber die Verhandlung wurde bereits viermal verschoben, was mittlerweile als Rechtsbeugung bezeichnet werden kann. Der mit dem Fall befasste Richter, William González de la Hoz, war 2016 regionaler Ombudsmann in Urabá. In diesem Amt erklärte er damals, dass es im Dorf Rodoxalí keine paramilitärischen Gruppen gebe und dies, obwohl es Beschwerden über die Anwesenheit von Illegalen gab, die in Absprache mit den Streitkräften Bewohner vertrieben und sie zum Umsiedeln zwangen. Vor diesem Hintergrund steht seine Tätigkeit als der mit dem Fall La Roncona befasste Richter im Zwielicht.

Wir sind Zeugen der Rechtsverletzung durch diesen Richter, der die Anhörungen einfach verhindert hat. Der für den 26. Oktober letzten Jahres anberaumte Termin, an dem mehr als 40 Vertreter europäischer Institutionen und Organisationen als Beobachter teilnehmen sollten, fand nicht statt. Das Gericht informiert nicht einmal vorher über ihre Absage, desgleichen die Anhörung am 8. Februar dieses Jahres, wobei hier als Begründung ein Verfahrensfehler angegeben wurde. Wir sind hoffen, dass ein Eingreifen des Zentralstaates die Situation der Schutzlosigkeit, unter der die Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó leidet, beenden könnte (siehe beigefügtes Register der Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen 2022).

Wir möchten aber auch zum Ausdruck bringen, dass wir zum ersten Mal seit vielen Jahren bei den Mitgliedern der Friedensgemeinschaft eine gewisse Hoffnung im Hinblick auf die derzeitige Regierung sehen, und wir glauben daher, dass nun das Vertrauen der Friedensgemeinde in die staatlichen Institutionen verbessert oder sogar wiederhergestellt werden kann.

In der Vergangenheit hat die Gemeinschaft die staatlichen Behörden häufig um Zeichen des guten Willens und an Garantien für die Wiederaufnahme des Dialogs mit der Regierung gebeten.

In der Überzeugung, dass diese Zeichen mit Ihrer Haltung und Ihrem Regierungsprogramm übereinstimmen, legen wir sie Ihnen vor:

  1. Öffentliche Rücknahme der Verleumdung des kolumbianischen Staates gegen die Friedensgemeinschaft nach dem Massaker vom 21. Februar 2005 durch den Präsidenten;
  2. Überprüfung des Standorts des Polizei-Hauptquartiers und der Militärbasis im Stadtzentrum von San José de Apartadó;
  3. Einrichtung humanitärer Zonen in San José de Apartadó, Erklärung der Friedensgemeinde zu einem Friedenslabor;
  4. Einsetzung einer Kommission, die unter anderem untersuchen soll, warum es im Fall der Friedensgemeinde San José de Apartadó keine Gerechtigkeit gegeben hat.

Herr Präsident, die Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó ist ein weltweit anerkanntes Beispiel für Friedenskonsolidierung, für die Verteidigung von Leben und Territorium und die Aufrechterhaltung der Erinnerung, was durch zahlreiche internationale Anerkennungen bezeugt wird. (…)

Wir hoffen, dass die Regierung des Historischen Paktes die Hoffnung dieser Gemeinschaft teilt und konsequent handelt.

Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Kunath und Beate Francke-Kern

(Es folgen die Unterschriften von über 30 Politik- und Wissenschafts-Vertreterinnen und -Vertretern aus Spanien, Italien, Belgien, Österreich, Deutschland, England und Frankreich)

Krieg und Frieden in der Sprache der Paramilitärs

CdP de San José de Apartadó – Bericht vom 12.10.2020
Übersetzung – 18.10.2020/BFK/WK

Wieder sieht sich unsere Friedensgemeinde genötigt, dem Land und der Welt über die letzten Vorkommnisse zu berichten. Wir leiden weiterhin unter den Machenschaften des Paramilitarismus, der weiterhin versucht, die Bauern zu unterwerfen. Dabei können die Paras fortfahren, ohne von einer staatlichen Autorität dabei gestört zu werden – im Gegenteil, sie erhalten sogar ökonomische und politische Unterstützung für ihre Projekte.

Seit dem 14. September gibt es eine verleumderische Kampagne, die unsere Friedensgemeinde diffamiert und uns empört. Seit jenem Tag zirkuliert per Whatsapp ein Pamphlet mit dem Titel: „Wir mögen die Friedensgemeinde nicht“, mit dem man versucht, die Bauern in unserem Gebiet gegen unsere Gemeinde aufzuhetzen. Wie dem Text zu entnehmen ist, stammt das Pamphlet von den Juntas de Acción Comunal der Dörfer Mulatos Medio und Mulatos Cabecera (Anm. d. Ü.: Die Juntas de Acción Comunal sind Mitbestimmungsgremien auf lokaler Ebene, die jedoch in der Praxis oft von den lokalen Machthabern kontrolliert werden), denn der oder die Verfasser laden Regierungsvertreter ein, diese Gemeinden zu besuchen.

Obwohl das Pamphlet angeblich von Bauern, nämlich Mitgliedern der örtlichen Gemeinde verfasst wurde, lässt der Inhalt keinen Zweifel an seiner paramilitärischen Herkunft. Seit einigen Jahren versuchen die Armee und andere staatliche Institutionen, die Juntas des Acción Comunal zu kooptieren, damit sie sich in der paramilitärischen Strategie zur Kontrolle der Region unterordnen.
Das wurde schon 2017 besonders deutlich, als unsere Friedensgemeinschaft 20 Jahre bestand, denn damals lud der Kommandant der 17. Heeresbrigade kooptierte Vertreter der Juntas ein, damit sie unsere Gemeinde gegenüber den internationalen Vertretern verleumden, die wegen des Jahrestages um einen Gesprächstermin mit der Heeresbrigade gebeten hatten.

Angesichts dieses empörenden Versuchs zogen sich die internationalen Vertreter brüskiert von dem Treffen zurück. Danach wurde auch klar, dass die Paras das gesamte Gebiet kontrollieren wollten, nachdem die FARC demobilisiert war. Tatsächlich haben sie das ja auch mit ihren Spionage- und Kontrollpunkten erreicht, und dabei konnten sie immer mit der staatlichen Unterstützung rechnen.

Aber was noch mehr auf die paramilitärische/militärische Herkunft des Pamphlets schließen lässt, ist sein Inhalt. Der oder die Verfasser versuchen die Situation in der Region wie eine Insel des Friedens aussehen zu lassen. Dafür müssen sie das Bespitzelungsnetz verheimlichen, das sie zur umfassenden Kontrolle der Einwohner aufgebaut haben. Verhehlt werden müssen auch die bewaffneten Streifen auf ihren Motorrädern, die ständig auf der Straße nach San José patrouillieren, ebenso wie die illegalen Steuern, die sie kassieren. Verschwiegen werden auch die Vorschriften, die sie den Bewohnern in ihren Versammlungen machen, etwa jene, die den Anbau von Produkten zum Eigenverbrauch verbieten und ihnen stattdessen sogenannte Entwicklungs- oder Fortschrittsmodelle aufzwingt, die auf lange Sicht zu ihrem Ruin und ihrer anschließenden Vertreibung führen.

Nicht die Rede sein darf auch von der dauernden Bedrohung jener, die sich all dem nicht fügen wollen oder von den Todeslisten und den Morden, die sie schon auf dem Gewissen haben. Unerwähnt bleiben natürlich auch die Gruppen von Zivilisten in Tarnuniformen und mit Gewehren und Handfeuerwaffen, die durch die Dörfer patrouillieren, ebenso wie das dauerhafte und freundschaftliche Zusammenleben von
paramilitärischen Führern und den Offizieren des Militärs im Dorf San José.

Sie erwähnen auch die Ankunft ausländischer Unternehmen nicht, die nur an der schnellen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen interessiert sind und deren schwere Schädigungen der Umwelt mit rechtswidrigen Konsultationen der Bevölkerung bemäntelt werden. Die illegalen Erschließungsstraßen zu den Stätten der Ausbeutung werden mit dem Kapital und dem Maschinenpark gebaut, die die Paramilitärs zur Verfügung stellen.

So sieht die Insel des Friedens aus, die sie zeichnen und wo die demobilisierten ehemaligen FARC angeblich in absoluter Ruhe leben.
Dem Pamphlet nach ist die einzige Gruppe, die diesen „Frieden“ ablehnt, unsere Friedensgemeinde, die ihnen zufolge Krieg sät. Aber sie konkretisieren weder, was sie als Frieden, noch was sie als unseren Krieg bezeichnen. Im Pamphlet wird jedoch klar, dass es sie stört, dass unsere Gemeinschaft nicht mit den Paras kooperiert und zu ihren Verbrechen nicht einfach schweigt.

Daher ist es klar, dass wir ihrer Meinung nach „Krieg“ führen indem wir all ihre schlimmen und kriminellen Aktivitäten ablehnen, die sich sowohl gegen Menschen als auch gegen die Natur richten. (…) Wir werden nicht schweigen und immer wieder all diese Dinge an die Öffentlichkeit bringen – das ist für sie unser Krieg (…)

Sie wagen es nicht zuzugeben, dass sie uns bespitzelt und verfolgt haben und dabei zu dem Schluss gekommen sind, dass wir nicht einmal ein Messer haben, um uns zu verteidigen, und dass es daher leicht ist, uns zu töten. Stattdessen betraten sie am 29. Dezember 2017 bewaffnet unser privates Gebiet in Josesito, um uns zu ermorden und Gott sei Dank konnte durch eine schnelle waffenfreie Reaktion die Ermordung unserer Führer verhindert werden. Aber dennoch sind wir in dem Schriftstück diejenigen, die sich für „Krieg“ entscheiden und sie sind für „Frieden“.

Aber all diese Diffamierungen und unverschämten Angriffe sind ja nicht neu, sondern sind Teil einer Strategie, die schon seit Jahrzehnten verfolgt wird und die Vernichtung unserer Friedensgemeinde zum Ziel hat. Zuerst versuchten uns die Paramilitärs gemeinsam mit dem Militär physisch zu vernichten. Im Laufe der Jahre ermordeten sie in ihrem Rausch an Grausamkeiten mehr als 300 unserer Kameraden und Kameradinnen, darunter auch Kinder und Alte. Dieser einem Völkermord gleichende Vorgang wurde – mit rechtfertigender Wirkung – begleitet von einer kriminellen Stigmatisierungskampagne des Präsidenten der Republik.

Denn Paras, die vor den Instanzen des Friedensabkommens von ihren Taten aussagten, berichteten, wie Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez sie überzeugt hat, dass unsere Friedensgemeinde ein Guerrilla-Nest sei. Sie sollten daher mitleidslos unsere Leute töten, was sie heute bitter bereuen, weil sie verstanden haben, dass sie dadurch gezwungen wurden, Unschuldige zu töten. Uribe hat heute zahlreiche Strafverfahren eines Rechtssystems am Hals, das freilich zwischen Straflosigkeit und Gerechtigkeit hin- und herschwankt. Damals erfuhr diese Politik den starken publizistischen Rückhalt von Zeitungen wie „El Colombiano“ und „El Mundo de Medellín“ und von Rundfunkanstalten von Urabá. Sie verbreiteten Lügen und Verleumdungen und gingen ganz offensichtlich eine Komplizenschaft mit all diesen Verbrechen ein, für die sie nicht einen einzigen Tag im Gefängnis bezahlt haben, und sie haben den betroffenen Familien gegenüber auch nicht versprochen, diese Verbrechen nicht zu wiederholen.

Mehrere Jahre versuchte die Allianz aus Militärs und Paras, unsere Gemeinschaft durch Hunger auszurotten. Sie blockierten die Lebensmittelversorgung und scheuten sich nicht, dafür mehrere Chiveros-Fahrer (Anm.d.Ü.: die Chauffeure des informellen Nahverkehrs), alle Ladenbesitzer im Dorf und alle fliegenden Lebensmittel- und Getränkehändler an der Straße zwischen Apartadó und San José zu ermorden.

Dieser gesamte Vernichtungswahn wurde ergänzt durch die Arbeit des korrupten und kriminellen Justizapparates mit falschen Zeugen, Folter, willkürlicher Inhaftierung und Verletzung aller Prozessregeln. Auch als wir die obersten Gerichte anriefen und mit genauen Recherchen und Beweisen das Fehlverhalten von Staatsanwälten, Richtern, Polizeibeamten, Strafverteidigern aufzeigten, hatte das keinen Erfolg. Die Gerichte getrauten sich nicht zu handeln, sodass bis heute die korrupten und kriminellen Vertreter der sogenannten Gerechtigkeit in ihren Ämtern geblieben sind.

Nachdem nun unsere Gemeinschaft erfahren musste, dass sie nicht mit der Hilfe der Justiz rechnen konnte und ihrer verfassungsmäßigen Rechte beraubt werden, rekurrierte sie auf den Gewissensnotstand und wandte sich fortan nur noch an internationale Gerichte. Aber zugleich entschieden wir uns, weiterhin an das Gewissen und das Solidaritätsgefühl jener Menschen und Organisationen auf nationaler ebenso wie auf internationaler Ebene zu appellieren, die weiterhin an ethischen Prinzipien festhalten. Deshalb berichten wir weiterhin über die sozialen Netzwerke von den Angriffen gegen uns.

Auch dieser letzte Appell an die menschliche Solidarität der „Sauberen“ wurde von der 17. Brigade des Heeres blockiert. Am 28. September 2018 ging sie juristisch gegen uns mit dem Ziel vor, uns mundtot zu machen. Wir sollten gezwungen werden, alle unsere Auftritte in den sozialen Medien zu entfernen. Wir aber weigerten uns, diesen schurkischen Anweisungen Folge zu leisten. Die korrupte zuständige Richterin ließ sich dazu hinreißen, die in der Verfassung festgeschriebene Meinungsfreiheit zu verletzten, die die internationalen Normen des Verfassungsrechts als Wesensgehalt der Demokratie ansehen. Bisher hat das Verfassungsgericht solche absurden Urteile auf Eis gelegt, und zwar viel zu lang.

Kein Wunder also, dass die Herausgeber des hier erwähnten schmutzigen Pamphlets beklagen, dass ihr Verhalten kritisiert wird, aber gleichzeitig fordern sie die Regierung auf, sie bei einem der schwersten Verbrechen zu unterstützen: nämlich unsere Gemeinde zu vernichten (…).

Die Verfasser wollen außerdem, dass sie freien Zugang zu allen unserem Grund und Boden erhalten. Wir haben ja schon am
29. Dezember 2017 einschlägige Erfahrungen mit ihnen gemacht, als fünf Paramilitärs von denen, die in San José unentwegt mit den Ordnungskräften zusammen sind, in San Josesito mit dem Ziel eindrangen, unseren juristischen Vertreter und die Mitglieder unseres internen Rates zu ermorden. Sollen wir jetzt etwa alle Schlösser für sie öffnen, damit sie einfach hereinkommen und weiter töten können? Ist nicht dieses Verhalten typisch für kriminelle Banden?

In dem Pamphlet wird gefordert, den Vernichtungskrieg gegen uns „Frieden“ zu nennen. Entsprechend bezeichnen die Autoren die Beharrlichkeit, mit der wir angesichts ihrer Verbrechen, ihrer Gewalttaten, ihrer Drohungen und Übergriffe unsere Stimme erheben, als “Krieg”.

Basierend auf unseren festen Überzeugungen setzen wir hier den Bericht über die jüngsten Ereignisse fort:

  • Am Samstag, den 19. September 2020, wurde tagsüber eine Gruppe von Paramilitärs mit Gewehren auf der Straße gesehen, die vom Dorf Las Nieves nach La Esperanza führt, das zu San José de Apartadó gehört.
  • Am Dienstag, 29. September 2020, fuhr eine auffallende Gruppe von Männern, mit Pistolen bewaffnet, auf Motorrädern auf der Straße am Rande unserer Siedlung San Josesito. Am Nachmittag desselben Tages überquerte der als Alfredo bekannte Paramilitär diese Straße. Anscheinend koordinierten all diese Paramilitärs an diesem Tag die Verteilung von Flugblättern, die dann zwei Tage später in der gesamten Region und in vielen Gemeinden von Antioquia und dem Land gefunden wurden.
  • In der Nacht des Mittwochs, 30. September 2020, erreichten uns Informationen über einen angeblichen Vernichtungsplan, den die Paramilitärs zusammen mit einigen Siedlern dieser Zone ausgeheckt hätten. Ziel sollte unsere Friedensgemeinde sein. Es wird uns vorgeworfen, dass unsere Gemeinschaft keinen Fortschritt in der Gegend zulasse und dass wir die Anwesenheit der Paramilitärs im Dorf kritisierten, was ihnen schadet und verhindert, dass sie die Bevölkerung noch stärker kontrollieren.
  • Am Donnerstagmorgen, 1. Oktober 2020, fanden sich viele Pamphlete der Paramilitärs und eine Menge Graffiti an Bäumen und Häusern, die von den Autodefensas Gaitanistas de Colombia unterzeichnet waren, die unsere Region und viele andere in Kolumbien kontrolliert. (Anm.d.Ü: Die Autodefensas Gaitanistas de Colombia, AGC, gelten als die mächtigste und gefährlichste paramilitärischen Truppe des Landes. 2016 wurde geschätzt, dass die AGC, die zugleich eines der großen Drogen-Kartelle des Landes sind, rund 3000 Mann unter Waffen haben. Die AGC treten auch unter den Namen Clan del Golfo, Clan Úsuga oder Los Urabeños auf).
    Es scheint, dass diese Pamphlete nicht nur in San José de Apartadó und seinen Ortsteilen, sondern auch in vielen anderen Gemeinden des Landes verteilt wurden. In dieser Broschüre protestieren sie gegen die Brutalität der Nationalpolizei gegen Volksproteste und prangern gleichzeitig die Aktivitäten der Guerilla in der Region an. Es ist beunruhigend, dass eine staatlich tolerierte paramilitärische Struktur nun die Unterstützung der Bevölkerung gewinnen will, indem sie ihre eigene Schutzmacht in einer Angelegenheit anprangert, die auf nationaler Ebene so einhellig von der Bevölkerung abgelehnt wird, wie es das brutale Vorgehen der Polizei ist. Und dazu kommt noch, dass es keine Bestrebungen des Staates gibt, die Paras zu verfolgen, wie der Bischof von Apartadó vor einigen Monaten angeprangert hat.
  • An demselben Tag in den Morgenstunden marschierte ein Trupp von Soldaten der 16. Brigade (Anm.d.Ü. gemeint ist vermutlich die 17. Brigade), durch unser Friedensdorf und verletzten so unser Privateigentum. Ganz in der Nähe war unseren Informationen zufolge auch eine bewaffnete Gruppe von Paramilitärs in Zivil.
  • Tagsüber am 1. Oktober 2020 erhielt unsere Gemeinde Informationen, nach denen es die als Jesusito und Wilfer Higuita bekannten Paras waren, die die Pamphlete verteilt und Bäume und Häuserfronten beschmiert haben. Es ist bekannt, dass Wilfer Higuita als Teil der Paramilitärs 2009 in die 17. Heeresbrigade integriert wurde. Am 17. Januar 2009 wurde er Bote von Oberst Germán Rojas Díaz, dem Kommandanten der Brigade, sollte in dieser Funktion ein Mitglied der Friedensgemeinschaft erpressen und ihn auffordern, ihm bei der Zerstörung der Friedensgemeinschaft zu helfen, sonst würde er Strafverfahren wegen Drogenhandels oder Rebellion mit falschen Zeugen erfinden. Am 16. November 2009 machte Wilfer Higuita selbst am Rande von San José de Apartadé eine Liste von Ermordeten bekannt, von denen mehrere in den folgenden Tagen getötet wurden, wie Fabio Manco und Luis Arnelio Zapata. Laut Higuitas Ankündigung würden für jeden Tod sieben Millionen Pesos bezahlt. In diesen Jahren wurde er als Paramilitär mit Soldaten der 17. Brigade auf Patrouille gesehen.
  • Am Mittwoch, den 7. Oktober 2020, um 7 Uhr, betrat eine Gruppe von vier Soldaten der 17. Brigade ohne Genehmigung den inneren Bereich unseres Friedensdorfes. Etwas später um 11 Uhr betraten drei weitere Soldaten unerlaubt unseren Bereich, behaupteten einige Koordinaten zu überprüfen und gaben vor, sich verlaufen zu haben. Es sei darauf hingewiesen, dass das Friedensdorf ausreichend als Privatgebiet gekennzeichnet ist. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass Beamte des Staates den Schutz des Eigentums ignorieren. Klar ist, dass die Paras eine Möglichkeit suchen, unsere Lebensweise zu zerstören. Deshalb nutzen sie verschiedene Beobachtungspunkte, um sich dauerhaft einen Einblick in unsere Aktivitäten zu verschaffen. Angeblich kommt ein neuer paramilitärischer Kommandant in das Gebiet, der den bisherigen, „Pueblito“ oder „Pueblo“ genannten Para-Chef ersetzen wird, der von den Ordnungskräften getötet worden ist.

Die Bergbauunternehmen haben das größte Interesse an der Übernahme unserer Region. In den letzten Monaten hat es viele illegale Befragungen der Bevölkerung  gegeben, um mit dem Abbau der Bodenschätze zu beginnen. (Anm.d.Ü.: In Kolumbien sind bei Bergbauprojekten Konsultationen der Bevölkerung juristisch vorgeschrieben. Oft führen die Firmen jedoch eigene  – also illegale – Befragungen durch, auf deren manipulierte Ergebnisse sie sich später berufen können.) Die Befragungen wurden von den Paramilitärs durchgeführt, die die schmutzige Arbeit des Urabá-Unternehmers verrichten.

Leider fallen die Bauern oft auf das Spiel dieser Unternehmen herein, die nur ihre Devisenkassen füllen und dafür die Bauern um ihre ohnehin prekären Einkünfte bringen wollen, die am Ende ihr Land tatsächlich aufgeben. Danach werden sie von jenen vertrieben, die diese Art der Enteignung als Fortschritt und Entwicklung ausgeben.

Man muss sich nur anschauen, wie die anderen Regionen des Landes aussehen, in denen diese Unternehmen die Ressourcen ausgebeutet haben und wie die Menschen jetzt nur noch in Elend leben, mit der Angst vor Vertreibung und mit Schmerz und Wut, weil sie den falschen Versprechungen geglaubt haben, die diese Unternehmen verbreitet hatten.

Wir wissen, dass es ein großes Interesse der Bergbaufirmen und der staatlichen Institutionen gibt, unserer Friedensgemeinde die kollektiven Ländereien zu nehmen. Sie nutzen den Paramilitarismus und einen großen Teil der Zivilbevölkerung in der Region,  um das Ärgernis zu beenden, das wir in ihren Augen sind. Dann könnten sie die Bodenschätze und Ressourcen ausbeuten und dieser schönen Zone ein Ende bereiten. Dieser Art von „Fortschritt des Todes und der Vernichtung“ tritt unsere Friedensgemeinde entschieden entgegen.

Wir möchten wieder den Personen und Gemeinden danken, die von unterschiedlichen Orten des Landes und der Welt aus uns diese fast 23 Jahre der Friedensgemeinde begleitet haben und die trotz der Isolation durch die Pandemie die kolumbianische Regierung weiterhin jeden Tag unter Druck setzt, unser Leben oder unser Erbe und unser Vermächtnis nicht zu zerstören. Wir danken aufrichtig dafür, dass Sie diesen Prozess der Verteidigung des Lebens unterstützt haben, und das ermutigt uns auch moralisch, unsere Grundsätze weiter zu verteidigen.

Comunidad de Paz de San José de Apartadó
12. Oktober 2020

Die Verschleierung des Mordens in Zeiten der Pandemie

CdP de San José de Apartadó – Bericht vom 22.6.2020
Eingesandt von cdpsanjose el Jue, Übersetzung 8.7.2020/bfk/wk

Unsere Friedensgemeinde San José de Apartadó wendet sich erneut an die Öffentlichkeit, um die neuen Ereignisse bekanntzumachen, die die verbrecherische Politik des kolumbianischen Staates und dessen Nachsicht und insgeheimes Einverständnis mit den kriminellen Vorgängen enthüllen, die in der Vergangenheit wurzeln. Weiterlesen