Der langsame Niedergang, den niemand verhindert

Unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó wendet sich erneut an die nationale und internationale Gemeinschaft. Auch die jüngsten Ereignisse bedrohen das Leben der Zivilbevölkerung in unserem Umfeld und gefährden die Existenz unserer Friedensgemeinschaft. Es wird immer schwieriger, in einem Gebiet zu leben, in dem die Paramilitärs diejenigen sind, die herrschen und ihre Regeln über alle stellen. Bestechung, Erpressung, Zwangsrekrutierung sind alltäglich, hinzu kommt, dass die Zivilbevölkerung paramilitärischen Informanten erlauben muss, mit in ihren Häusern zu leben und ihre Regeln zu akzeptieren.

Der lang ersehnte „totale Frieden“ (die Regierung des linken Präsidenten Gustavo Petro hat als politisches Ziel den „totalen Frieden“ – Paz Total – ausgerufen. Gemeint sind umfassende Verhandlungen mit allen nach wie vor aktiven bewaffneten Gruppen, begleitet von sozialreformerischen Programmen. Mit den strikt politisch motivierten,  wie die ELN-Guerilla sollte politisch verhandelt werden, die eher kriminell ausgerichteten, wie die Paramilitärs will die Regierung eher durch Strafnachlässe und Integrationsmaßnahmen zum Aufgeben bringen, Anm. d. Ü.) hat diese Region nicht erreicht, denn in diesem knappen Jahr der Regierung von Präsident Gustavo Petro gab es seitens der staatlichen Instanzen nicht das geringste Interesse daran, diesen Tätern entgegenzutreten. Die Paramilitäts üben weiter ihre Herrschaft aus, ohne von irgendjemandem behelligt zu werden.

Die Fakten, deren Einschätzung wir der Menschheit und der Geschichte überlassen, sind wie folgt:
(Wir erwähnen hier allerdings nur die u. M. n. besonders schwerwiegenden Belästigungen, Anm. d. Ü.)

In der ersten Juniwoche 2023 wurden Informationen zufolge einige Schüsse im Dorf Arenas Altas von Paramilitärs abgefeuert.

Des Weiteren kam es zu Zusammenstößen zwischen Paramilitärs, es wurde ein Rucksack mit Computern gestohlen (auf den Festplatten befanden sich offensichtlich Schriftstücke über ein Friedensthema), auch davon nahm die Polizei kaum Notiz.

Am Samstag, den 10. Juni 2023, wurde bei Tageslicht eine Person im Dorf La Balsa de San José de Apartadó tot aufgefunden. Nach Angaben der Menschen, die die Leiche fanden, wies sie mehrere Schusswunden auf.

In weiteren Berichten ist von Bedrohungen und einer versuchten Vergewaltigung die Rede. Die Präsenz von Paramilitärs in Tarnkleidung und mit Gewehren ausgestattet, beunruhigt die Zivilbevölkerung immer wieder.

Am Freitag, den 16. Juni 2023, wurde der leblose Körper des jungen EDWIN ANDRÉS CARVAJAL ÚSUGA in der Gemeinde Turbo gefunden. Dieser junge Mann aus dem Corregimiento von San José de Apartadó wurde von den Paramilitärs rekrutiert, die das Gebiet kontrollieren. Einige Tage zuvor, am Sonntag, den 11. Juni, kam es im Corregimiento von Nuevo Antioquia, Gemeinde Turbo, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen denselben Paramilitärs. Die ist ein Ort, der seit vielen Jahren von Militär- und Polizeipräsenz belastet ist. „El Médico“ begann, mehrere Paramilitärs und Zivilisten in Streit geraten. Als er Edwin hart traf, reagierte der heftig und tötete alias El Médico mit einer Schusswaffe, die ihm die Paramilitärs bei der Rekrutierung gegeben hatten. Die Paramilitärs nahmen Edwin und seinen Bruder gefangen und brachten sie gefesselt weg. Edwin wird getötet, als er in Currulao ankommt, sein Bruder wird mehrere Tage lang gefesselt gehalten und dann freigelassen. Sein Bruder, der Zivilist ist, musste das Gebiet verlassen, da er zur Zielscheibe der Paramilitärs wurde. Das gleiche Schicksal ereilte einen anderen jungen Mann, der sie begleitete und der ebenfalls ins Fadenkreuz der Paras geriet.

In der Region heißt es, die Paramilitärs hätten ihre Kommandostruktur geändert. Was die Rekrutierung junger Menschen, die Erhebung von Zwangs- und Bestechungsgeldern und die Unterwerfung der Bauern unter ihre neuen Richtlinien intensiviert. Darüber hinaus sollen die neuen Führer selbst erklärt haben: Wer einmal drin ist, kommt lebend nicht mehr raus.

Es ist schlimm, dass die Mainstream-Medien in Kolumbien den Paramilitarismus als ein Phänomen der Vergangenheit betrachten und wie sich alle staatlichen Institutionen auf die totale Toleranz des Paramilitarismus eingestellt haben. Weder die Öffentlichkeit noch die kommunalen Verwaltungen, noch die Geschäftswelt, noch die politischen Parteien, noch irgendjemand verurteilt die totale paramilitärische Herrschaft, in unserer Region oder anderen Regionen in denen es ähnlich zugeht.

Sie sind Herren über Leben und Tod. EDWIN ist eines der jüngsten Opfer. Sie kontrollieren alle Siedlungen und das wird von allen Behörden geduldet und unterstützt, sie kontrollieren die Wirtschaft mit ihren Schutzgeldern und der Durchsetzung ihrer absurden Pläne und „Entwicklungsmodelle“. Es ist ein akzeptiertes System der Sklaverei, das die derzeitige „Regierung des Wandels“ gar nicht im Blick hat. Wie schrecklich!

Aus unserer Friedensgemeinschaft senden wir eine Botschaft an das Land und die Welt, dass wir uns der Verteidigung eines Lebens ohne Krieg anschließen möchten. Der Krieg erstickt und lässt das menschenwürdige Leben der umliegenden Bevölkerung ausbluten. All dies zu ändern, scheint für diese Regierung keine Priorität zu haben, obwohl sie doch eigentlich den Wandel proklamiert.

Wir können uns nur bei allen Menschen und Gemeinschaften bedanken, die aus den vielen Teilen des Landes und der Welt an unseren Widerstand glauben und keinen Schritt weichen, sondern uns moralische Kraft gegeben haben, um in unserem Gebiet weiter Widerstand zu leisten. Ihnen allen, vielen Dank, dass Sie unsere Förderer einer echten Veränderung sind.

Comunidad de Paz San José de Apartadó
Juni 2023