Tag für Tag neue Formen der Unterdrückung

Die Vernichtungsstrategien gegen unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó setzen sich Schritt für Schritt fort, Tag für Tag entwickeln unsere Gegner neue Formen der Repression gegen unseren Gemeinschaftsprozess. Unentwegt kündigen sie den „finalen Schlag“ gegen unseren Lebensprozess an, ein „Schlag“, der von denen geplant wird, denen wir mit unserem Lebensprojekt im Weg stehen.

Folgende neue Vorfälle möchten wir der Öffentlichkeit zur Kenntnis geben:

Am Mittwoch, 29. März, wurde Jailer Stiven Góez ermordet, ein junger Einwohner des Dorfes San José. Offenbar hat er zu den Paramilitärs gehört. Unsere Gemeinschaft hatte bereits berichtet, dass immer wieder Minderjährige aus den Dörfern von San José de Apartadó von den Paramilitärs rekrutiert werden.

Am selben Tag wurde Liliana Roja, eines unserer Mitglieder, offenbar von einem Beamten der Staatsanwaltschaft von Urabá angerufen, der sich als Henry Mauricio Vásquez vorstellte. In Missachtung unseres grundsätzlichen Bruchs mit dem Justizapparat drängte dieser Beamte Liliana, ihn in der Siedlung unserer Gemeinschaft in San Josesito zu treffen oder eine Einladung zu einem Treffen an einem anderen Ort außerhalb der Gemeinschaft anzunehmen, alles mit dem Ziel, Informationen über den Tod von Jimmy Andrés Sepúlveda zu sammeln, der im September vergangenen Jahres ermordet wurde. Es ist empörend, dass versucht wird, Informationen über die Mörder ausgerechnet bei uns zu suchen. Als ob wir die Verbrecher verstecken würden – es ist doch allgemein bekannt, dass sie in der Stadt San José de Apartadó leben und ständig mit der Militär- und Polizeibehörde zusammenarbeiten. Sepúlveda wurde nur wenige Meter von der Polizeistation und dem Militärstützpunkt entfernt, wo sich die Täter Tag und Nacht herumtreiben. Es ist im Übrigen nicht die Aufgabe der Friedensgemeinschaft oder ihrer Mitglieder, nachrichtendienstliche Arbeit zu leisten, und schon gar nicht für ein so furchtbar korruptes Justizsystem, das Hunderte von Verbrechen, die uns betroffen haben, ungestraft gelassen hat und mit dem wir seit vielen Jahren aus Gewissensgründen nicht mehr zusammenarbeiten. (…)

In den letzten März-Tagen haben uns mehrere Bauern darüber informiert, wie die Beamten der Landrückgabe-Einheit von Urabá die Landrückgabe-Anträge bearbeiten (Anm. d. Ü.: Die Landrückgabe-Einheiten – unidades de restitución de tierras – sind die Behörden, die einen der zentralen Punkte des Friedensabkommens zwischen Staat und Farc von 2016 umsetzen sollen: Die Rückgabe des Landes, das die im Laufe des Konfliktes Vertriebenen verlassen mussten und das sich dann andere, meist die Vertreiber, aneigneten. In der Praxis handelt es sich um die Klärung oft komplizierter, verworrener Besitzansprüche, bei der oft die Kleinbauern gegen örtlich Mächtigen den Kürzeren ziehen). Unsere Gemeinschaft konnte sich von der Art und Weise überzeugen, in der die Beamten über diese Grundstücke Informationen sammeln, die bruchstückhaft sind und den Interessen von Personen dienen, die mit den Opfern nichts zu tun haben, (…).

Am Freitag, 31. März, gegen 22.00 Uhr, wurden vor der Siedlung unserer Friedensgemeinschaft San Josesito, an der Straße, die von Apartadó nach San José führt, von Personen auf Motorrädern Schüsse abgefeuert. Das gleiche wiederholte sich am Abend danach.

Am Donnerstag, 13. April, führte ein Richter für Landrückgabe eine gerichtliche Inspektion des Landes durch, das der Bauernfamilie Jaime Garcia und Olga Carlosama gehört und nahe dem Stadtzentrum von San José de Apartadó liegt. Das Büro des Bürgerbeauftragten, das den Auftrag hat, über die Rechte der derzeitigen Eigentümer zu wachen, war bei dem Verfahren nicht anwesend. Es hatte den Rechtsanwalt Javier Vuelvas mit der Vertretung der Familie García Carlosama beauftragt. Aber der Anwalt blieb untätig – seine einzige Aktivität war der Ratschlag für die Familie García Carlosama, „alles Holz zu fällen, alles wegzuschaffen, was sie können und das Land zu verlassen, und wenn sie ein Familienmitglied oder einen Ort haben, wo sie hingehen können, sollten sie schnellstens gehen“. Wie kann so eine Karikatur eines hochgradig kooptierten Beamten in einer Institution geduldet werden, die angeblich ihre korrupten Verfahren ändern will?

In den letzten Tagen des April befuhren bekannte Paramilitärs und Pistoleros auf Motorrädern immer wieder die Straße von Apartadó nach San José.

Am Freitag, 28. April, betraten zwei dunkel gekleidete Personen kurz vor Mitternacht die Siedlung San Josesito. Nach einer Viertelstunde flüchteten sie auf der Straße nach Apartado. Vier Tage später kam erneut mitten in der Nacht derartiger unerwünschter Besuch, der nach kurzer Zeit verschwand.

Am Mittwoch, 3. Mai, haben wir hohe Staatsbeamte auf die betrügerische Art und Weise aufmerksam gemacht, mit der sich die Polizei das Grundstück der Polizeistation San José de Apartadó angeeignet hat. Das geschah zum einen durch gewaltsame Methoden unter Berufung auf einen Präsidialerlass nach dem schrecklichen Massaker vom 21. Februar 2005 an unserer Friedensgemeinschaft. Zum anderen wurden gefälschte Dokumente vorgelegt, unter anderem um ein Grundstück, für das bereits ein Besitztitel bestand, als „leeres Grundstück“ zu deklarieren (…).

Am Donnerstag, 4. Mai, erhielten wir die Information, dass erneut ein Plan zur Invasion eines der Gemeinschaftsgrundstücke der Friedensgemeinschaft, in diesem Fall des Grundstücks Las Delicias in La Esperanza, Gemeinde San José de Apartadó, in Arbeit ist. Es ist bekannt, dass sich die Verantwortlichen von La Esperanza und anderer Dörfer mit Paramilitärs getroffen haben, um die Invasion des Landstückes Las Delicias, das sie „Esperanza II“ genannt haben, zu erleichtern. Dieses Land ist aufgrund seiner geographischen Lage für die wirtschaftliche und soziale Macht in der Region von Interesse. Sie haben bereits viel unternommen, um uns dieses Land wegzunehmen. Man hat verschiedene Formen der Repression gegen unsere Friedensgemeinschaft eingesetzt, die Grenzen verletzt, Zäune zerstört und Straßenbaumaschinen eingesetzt, um gewaltsam eine Straße zu bauen. Gegen diese Straße wehren wir uns entschieden, weil sie von Paramilitärs betrieben wird, weil sie keine Umweltgenehmigung besitzt, weil die Bauernschaft nicht vorschriftsgemäß konsultiert wurde, weil sie das Recht auf Schutz und Achtung des Privateigentums missachtet, wie es in der kolumbianischen Verfassung festgelegt ist.

Am Freitag, 5. Mai, fand eine Anhörung vor dem Zivilrichter des Bezirks Apartadó statt, bei der es um das Grundstück Roncona ging, ein Grundstück, auf das unsere Friedensgemeinschaft seit mehr als 26 Jahren friedlicher Besetzung für die Subsistenzlandwirtschaft Anspruch erhoben hat. In diesem Prozess konnte nachgewiesen werden, dass wir den friedlichen, öffentlichen und ununterbrochenen Besitz viel länger als die gesetzlich vorgeschriebene Mindestzeit für die Verschreibung des Eigentums an dem Grundstück ausgeübt haben.

Am Dienstag, 9. Mai, wurden tagsüber in der Ortschaft Arenas Altas mehrere Paramilitärs gesehen, darunter ein bekannter Kommandant der Gegend, die dunkle Anzüge, Waffen und Funkgeräte trugen und in unseren gemeinschaftlichen Wohn- und Arbeitsbereich in Arenas Altas eindrangen.

Am Montag, 15. Mai, erhielten wir Informationen, nach denen die Streitkräfte mehrfach das Eigentum von Bauern im Dorf Arenas verletzt hat. Offenbar ist das Militär seit dem 29. April ohne Erlaubnis in die Häuser eingedrungen, wobei es zu Plünderungen gekommen ist.

Wir bekräftigen unsere tiefsten Überzeugungen zur Verteidigung des Lebens und des Territoriums, die uns immer wieder dazu drängen und herausfordern, diese ethischen und moralischen Prinzipien zu verteidigen, indem wir unser eigenes Leben an die zweite Stelle und den kollektiven und menschlichen Sinn des Lebens an die erste Stelle setzen.

San José de Apartadó, 15. Mai 2023