Einmal mehr wendet sich unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó an die Menschheit und an die Geschichte, um die neuen und wiederholten Drohungen gegen unser solidarisches Leben zu dokumentieren. Wir aber versuchen nach wie vor, am ständigen Aufbau einer gerechteren Welt mitzuwirken.
Seit Langem versuchen die staatlichen Institutionen Kolumbiens, unterstützt von den Massenmedien, das Land und die Welt davon zu überzeugen, dass es in Kolumbien keine paramilitärischen Gruppen mehr gibt.
Diese bewaffneten Gruppen sind rechtlich nicht anerkannt, stimmen sich aber insgeheim mit dem gesamten institutionellen Rahmen ab. Ihre Aufgabe besteht darin, systematisch Verbrechen zu begehen, die die Menschheit mit größtem Entsetzen verabscheut, aber von der Justiz ungestraft bleiben. Sie zeigen sich dabei öffentlich als Gefährten und Schützlinge der Sicherheitskräfte, die schamlos ihre eigenen Uniformen, Räume und Bewegungen nutzen und von der Wirtschaft und den Massenmedien als Freunde angesehen werden.
Jedoch werden ihre Verbrechen von internationalen Gerichten als kriminell angesehen, ihre Beziehungen zum kolumbianischen Staat und zum Establishment waren nicht mehr zu verbergen, daher entwickelten sie einen anderen Modus Operandi. Jetzt werden die Beziehungen zu den Institutionen, zur Wirtschaft und zu den Massenmedien getarnt. Es besteht jetzt eine heimliche Finanzierung ihrer Akteure und Komplizen durch die Unterstützung der Drogenmafia und auf der Annahme der ANONYMITÄT als Methode zur Verschleierung ihrer Kriminalität. Innerhalb dieser Parameter war es möglich, dass zum Beispiel der CLAN DEL GOLFO, eine paramilitärische Struktur, die aus Urabá stammt, heute von einer Zivilbevölkerung und einer regionalen Institutionalität geschützt wird, die es ihr erlaubt Praktiken anzuwenden, die im Strafgesetzbuch als schwere Verbrechen gelten. Aber sie haben es geschafft, sie in routinemäßiger Toleranz als „normale Praktiken“ zu akklimatisieren, die niemand mehr infrage stellt und mit denen sich keine Kontrollinstanz, weder die Staatsanwaltschaft noch die Polizei noch die Armee noch die Generalstaatsanwaltschaft noch das Büro des Ombudsmanns zu befassen wagt.
Diese Gewöhnung an das Verbrechen hat dazu geführt, dass die alltägliche Ausübung der kriminellen Praktiken, die im Strafgesetzbuch klar beschrieben sind, „NORMAL“ geworden ist. Für jemanden, der die Gesetze und die Struktur der kolumbianischen Verfassungsordnung kennt, steht all dies im Widerspruch zur Rechtsordnung und zu den Gesetzen. Eine zivile Gruppe, die nicht durch ein verfassungsmäßiges Verfahren gewählt wurde, kann sich nicht die Macht anmaßen, auf diese Weise zu regieren, Regeln zu erfinden und durchzusetzen, Schutzgelder zu erpressen, Sanktionen zu verhängen, geschweige denn Strafen wie Verbannung und Tod, Land und Eigentum zu beschlagnahmen, Waffen zu benutzen, bewaffnete Patrouillen zu schicken, um ihren Willen durchzusetzen, und sogar so weit zu gehen, das Leben derer zu zerstören, die sich weigern zu gehorchen, nachdem sie auf alle möglichen Arten eingeschüchtert wurden.
Alles passiert im Namen einer elitären Ideologie oder einer „Ordnung“, die mit den Rechten und Garantien unvereinbar ist, die einst in einem Verfassungsrahmengesetz verankert waren. Obwohl dieses dutzende Male nach dem Willen einer wirtschaftlich privilegierten und korrupten Elite reformiert wurde, sind in ihm noch einige grundlegende Rechtsprinzipien verankert.
Wenn man immer wieder Zeugenaussagen von Landbewohnern oder Städtern hört, die die spezifischen Verbrechen beschreiben, die die tägliche Praxis der Paramilitärs ausmachen, ist man entsetzt, wenn man das Strafgesetzbuch aufschlägt und feststellt, dass mindestens 35 seiner Artikel die kriminellen Handlungen beschreiben, die den Alltag der Paramilitärs ausmachen. Die Justiz aber unternimmt nichts, um sie zu untersuchen, zu verfolgen und zu bestrafen. Auch die anderen staatlichen Institutionen unternehmen nichts dagegen, gebieten diesen Verbrechen keinen Einhalt, die die vielen Opfer in völliger Hilflosigkeit zurücklässt. Und was eigentlich noch schlimmer ist, diese Kriminalität wird durch riesige Geldsummen geschützt. Die Juntas de acción comunal (Anm. d. Ü.: Lokale Mitbestimmungsorgane, die die Verfassung vorsieht, die aber in der Praxis oft von den örtlich Mächtigen korrumpiert sind) werden durch hohe Bestechungsgelder dazu gebracht, zu schweigen und paramilitärische Projekte in ihrem Gebiet zu unterstützen.
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Wir möchten heute über folgende Sachverhalte berichten:
Am Montag, den 6. Januar 2025, Morddrohung gegen einige Anführer unserer Friedensgemeinschaft
Am Montag, den 13. Januar 2025, wurde unsere Gemeinde über einen Aufruf zu einer Versammlung für die Einwohner der Region am 15. Januar in der Ortschaft La Esperanza, in unserem Dorf San José de Apartadó, informiert. Das zentrale Thema wäre, erneut die Notwendigkeit des Baus einer Straße über das Gebiet von Esperanza, unser Privateigentum. Unsere Opposition gegen den Bau dieser Straße hatte bereits in der Vergangenheit zu Blutvergießen und im März 2024 zu außergerichtlichen Hinrichtungen geführt.
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Am Freitag, den 24. Januar 2025, wurden einige Einwohner der Gemeinde zu einer Versammlung vorgeladen. Hier erhielten sie folgende Vorschriften:
Sie dürfen nicht mehr als einen Hektar Land für den Anbau zur Selbstversorgung nutzen. Außerdem muss jedes Dorf zwischen 10 und 30 Millionen Pesos (€ 2.300 bis € 6.900) für den Bau der Straße beisteuern. Die Zivilbevölkerung muss den Treibstoff für die Maschinen liefern. Die Paramilitärs teilten einigen Zivilisten mit, dass im Falle der Friedensgemeinschaft der Befehl lautet: „Kein Zivilist sollte sich mit dieser HP (hijo de puta – Hurensohn d.Ü.) Gemeinschaft anlegen, denn sie haben bereits alles in die Wege geleitet, um sie auszurotten und vom Planeten zu tilgen“.
(….)
Am Freitag, den 14. Februar 2025, hielten die Paramilitärs in der Gegend von San José de Apartadó, eine Versammlung ab, es ging wieder um die Straße, die durch unser Eigentum führen würde. Dieses Projekt hatte ja bereits mehreren Protestierenden unserer Friedensgemeinschaft das Leben gekostet. Sie widersetzten sich dem Bau illegaler Straßen, die die Umwelt zerstören, im Dienste der multinationalen Bergbaukonzerne geplant werden, mit erpresserischen und illegalen „Steuern“ gebaut und mit militärischer Maschinerie in enger Zusammenarbeit mit Plänen durchgeführt werden, die von der dem Paramilitarismus unterworfenen Bevölkerung ohne jegliche demokratische Beteiligung festgelegt wurden.
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(Anm. d. Ü.: Andere ständige Bedrohungen, Belästigungen, Einschränkungen fassen wir im Folgenden zusammen.)
Vor allem in sozialen Netzwerken werden falsche Nachrichten verbreitet, etwa die Einladung an die Zivilbevölkerung, unser Privateigentum zu betreten, weil auf diese Art betont werden könne, wie wichtig die Straße sei. (siehe 13. 1. 2025, d. Ü.) Dass dabei Drähte, Tore und Zäune niedergerissen werden, wurde in Kauf genommen.
Auch wurden Anwohner mit einem Plan der Paras bedroht, anonym eine der Siedlungen aus der Gemeinde niederzubrennen.
Einige paramilitärische Siedler kehrten die Bedrohungslage um, indem sie behaupteten, von der Friedensgemeinde bedroht zu werden.
Eines Tages wurden für alle Autos und Motorräder, die zwischen Apartadó und San José unterwegs waren, eine überhöhte Maut für die angebliche Reparatur einer vom Rathaus aufgegebenen Straße gefordert.
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Zusammen mit unseren Unterstützern gedenken wir heute des 11. Jahrestages des letzten Massakers, das unsere Friedensgemeinschaft erlitten hat. Wir sind nach wie vor empört über die Straflosigkeit, die weiterhin herrscht.
Für unsere Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen gibt es für uns keine Mindestbedingungen, insbesondere wenn Hunderte und Aberhunderte von schrecklichen Verbrechen ohne jegliche Gerechtigkeit oder Aufklärung bleiben.
Sie mögen unser Leben beenden, aber niemals unsere Stimmen, die inmitten eines Meeres der Straflosigkeit nach der Wahrheit schreien.
Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó
19. Februar 2025