Wieder einmal erheben wir unsere Stimme, um auf die Ereignisse aufmerksam zu machen, die die Bevölkerung unseres Umfelds und unsere Friedensgemeinde dauerhaft bedrohen.
Es beginnt ein weiteres Jahr, von dem wir gehofft hatten, dass sich in ihm neue Wege zum Leben und zum Frieden auftun würden. Davon kann jedoch keine Rede sein. Der Bevölkerung wird gesagt, die alten Herrschaftsverhältnisse seien nun überwunden. (Gemeint ist die Politik des „totalen Friedens“, die der linke Präsident Gustavo Petro angekündigt hat, Anm. d. Ü.) Aber in den wenigen Tagen, die das neue Jahr alt ist, hat sich schon gezeigt, dass eigentlich alles so wie bisher weitergeht. Es sind dieselben wie vorher, die das Sagen haben, die die Bevölkerung kontrollieren, die ihr Regeln aufzwingen, die in die Gemeinden eindringen, die die Zivilbevölkerung zusammentreiben, die weiterhin drohen und morden. Und die kolumbianische Regierung ist angesichts all dessen weiterhin blind und taub.
Folgende Fakten müssen wir berichten:
Am Samstag, 2. Dezember, wurde tagsüber eine Gruppe Paramilitärs in Tarnuniform gesehen, die sich im Dorf Mulatos den Fluss entlang bewegte.
Am Sonntag, 3. Dezember, wurde unsere Friedensgemeinde darüber informiert, dass unter anderem in den Dörfern El Mariano, Buenos Aires und La Linda die Armee nachts patrouilliert. Wonach sie suchte, ist unklar. Auszuschließen ist, dass sie hinter den paramilitärischen Gruppen her war, denn die kontrollieren die Gegend nach wie vor in aller Ruhe, ohne dass sie jemand belästigt.
Am Dienstag, 5. Dezember, sagten Ortsansässige, in den Dörfern von San José de Apartadó errichteten die Paramilitärs Wachposten. Einer davon, den alle Vorbeifahrenden wahrnehmen, wird an dem als Chontalito bekannten Punkt gebaut.
Gemeinde Tierralta im Departamento Córdoba gehört (Córdoba schließt sich östlich an Antipoquia an, dem Departamento, in dem San José liegt, Anm. d. Ü.). Dort arbeiten seit kurzem Armee und Paramilitärs eng zusammen, was sich in gewaltsamem Vorgehen gegen die bäuerliche Bevölkerung niederschlug und was nach den Klagen der Betroffenen mittlerweile nationalen und internationalen Widerhall gefunden hat.
Wir wiederum können den Anschlag vom Dezember 2017 nicht vergessen, als fünf bewaffnete Paramilitärs auf Motorrädern ankamen und unsere gesetzlichen Vertreter Germán Graciano und José Roviro López sowie andere Mitglieder des Internen Rates töten wollten. Auch wenn die beiden nach wie vor Todesdrohungen erhalten, konnten wir damals Schlimmeres verhindern. Wir stellten die Angreifer, zwei hielten wir fest und übergaben sie den Behörden, während die anderen flohen und in das Dörfchen San José
Am Freitag, 8. Dezember, wurde nachmittags eine Gruppe Paramilitärs in Tarnuniform an der als „La Cañada de Pulgarín“ bekannten Stelle im Dorf Mulatos gesichtet.
Am Dienstag, 12. Dezember, wurden wir von Menschen, die gezwungen sind, direkt unter den Paramilitärs zu leben, darüber informiert, dass die Paras entschieden hätten, zwei Mitglieder des Internen Rates unserer Gemeinde zu eliminieren. Einer von ihnen ist unser gesetzlicher Vertreter und der andere der Koordinator unserer Siedlung im Dorf La Resbalosa. Ein großer Teil des Territoriums von La Resbalosa gehört zur zurückkehrten, wo sie bis heute leben und weiterhin mit Polizei und Militär freundschaftlichen Umgang haben. Wir möchten daran erinnern, dass in dieser Episode die Zusammenarbeit der öffentlichen Gewalt und des gesamten Justizapparats mit den Paramilitärs absolut offensichtlich wurde. Bis heute hat die sogenannte Justiz den Fall noch nicht untersucht. Die Beschuldigten sind in Freiheit.
Am Dienstag, 12. Dezember, erfuhren wir vom Tod des jungen Eimer Emilio Gómez David, der in den vergangenen Tagen verschwunden war und dann mit Anzeichen grausamer Folter tot aufgefunden wurde. Gómez David, gebürtig aus San José, war Mitglied unserer Friedensgemeinde, ebenso wie seine Familie, die sich allerdings vor einiger Zeit zurückgezogen hatte. Wir verurteilen aufs Schärfste, dass auf unserem Territorium solche brutalen und unmenschlichen Praktiken vorkommen, die typisch für Völker sind, denen es an der grundlegendsten menschlichen Sensibilität mangelt. Wir sprechen seiner Familie unser tiefstes Beileid aus.
Zwischen dem 18. und 21. Dezember besuchten Vertreter unserer Friedensgemeinde mehrere Dörfer in der Umgebung von San José de Apartadó, darunter Mulatos und Resbalosa, um auf Morddrohungen gegen Bewohner der Region und gegen Mitglieder unseres Internen Rates öffentlich aufmerksam zu machen. Während der Tour konnten wir die starke Präsenz und territoriale Kontrolle der Paramilitärs in der Gegend sowie die unterschiedlichen Bauweisen paramilitärischer Wachposten sehen, wie zum Beispiel den Standort Chontalito, wo die Paramilitärs seit 2018 sitzen, und ähnliche Posten. Es ist schon unglaublich, wie beharrlich sich das angeblich überwundene Herrschaftssystem der Paramilitärs behauptet und wie unbeeinträchtigt die Möglichkeiten der Paramilitärs sind, die Autonomie der Zivilbevölkerung zunichtezumachen. Am Donnerstag, 4. Januar, bat Ovídio Torres Areiza uns dringend um Schutz, nachdem er und seine Familie von den Paras mit dem Tod bedroht worden waren. Wir können allerdings nicht vergessen, (…) dass Ovidio 2006, als er sich uns angeblich anschließen wollte, uns offenbar im Auftrag von Militär und Paramilitärs einen Computer gestohlen hat. Die Armee hatte ihn dazu angestiftet, weil sie sich auf dem Gerät Hinweise auf Zusammenarbeit zwischen der Guerrilla und uns erhoffte; Zeugen zufolge soll das Militär „enttäuscht“ gewesen sein, als natürlich nichts zu finden war. – Ovidio gibt jetzt zwar zu, jahrelang für die Paras gearbeitet zu haben, sagt aber, er habe sich von ihnen längst abgewandt, und deswegen bedrohten sie ihn nun genauso wie seinen ältesten Sohn, den sie sogar gefangen und gefoltert hätten, um den Aufenthaltsort von Ovidio zu erfahren. Unsere Gemeinschaft folgt einem ihrer Grundprinzipien, nämlich der Verteidigung des Lebens eines jeden Menschen, auch wenn der anders denkt als wir. Wir haben uns deshalb bereit erklärt, Ovidio zu schützen, bis er mit Hilfe humanitärer Organisationen das Gebiet verlassen könne – und so ist es mittlerweile geschehen.
Am Samstag, 6. Januar, zwangen in der Gegend bekannte Paramilitärs (es folgen die Klar- und Aliasnamen von dreien, Anm. d. Ü.) die Bewohner des Dorfes La Unión zu einer Versammlung auf dem Dorfplatz, wo sie alle ihre Mobiltelefone abgeben mussten. Der von Drohungen begleitete Befehl der Paramilitärs lautete, dass sich alle der Junta de Acción Comunal anschließen müssten, was beweist, dass die Paras die Junta als Kontrollinstrument nutzen können (die Juntas de Acción Comunal sind in der Verfassung vorgesehene Mitbestimmungsräte auf kommunaler Ebene, die in der Praxis allerdings oft von den jeweils Mächtigen kooptiert sind, Anm. d. Ü.). Bei der Versammlung gaben sie wirre und widersprüchliche Anweisungen zur Lösung von Landkonflikten, ein Bereich, für den sowieso ausschließlich die Justiz zuständig ist, deren Befugnisse sie sich anmaßten. – Die Versammlung fand in unmittelbarer Nähe des Militärs statt, was erneut beweist, wie eng Armee und Paras zusammenarbeiten.
Am Montag, 8. Januar, war sehr früh eine Gruppe schwer bewaffneter Soldaten im Zentrum von La Unión unterwegs und befragte die Zivilbevölkerung nach Informationen über die Paramilitärs. Dabei wissen Militär und Polizei sehr gut, wo sich die Paramilitärs aufhalten. Durch solche Befragungen wird die Zivilbevölkerung in einen gewaltsamen Konflikt einbezogen, an dem sie keinen Anteil hat.
Unsere Friedensgemeinschaft verurteilt jede Handlung, die das Leben oder die Integrität eines Menschen bedroht. Die Regierung in Bogotá ist am Ende dafür verantwortlich, wenn den Mitgliedern unserer Gemeinschaft und den Bewohnern der Region etwas zustößt. Denn der Paramilitarismus kann weiterhin frei schalten und walten.
Als Friedensgemeinde kräftigen wir unsere ethischen und moralischen Grundsätze. Wir danken allen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, die uns weiterhin mit ihrer moralischen Stärke unterstützen.
Friedensgemeinde San José de Apartadó
8. Januar 2024