Einmal mehr wendet sich unsere Friedensgemeinschaft an das Land und die Welt, um die Tatsachen zu Protokoll zu geben, die die Menschen um uns herum und unsere Friedensgemeinde unentwegt bedrohen.
Seit vielen Jahren prangern wir die allgemein bekannte Präsenz der Paramilitärs in unserer Region an. Der Schrecken, den sie verbreiten, ist ein Phänomen, das eindeutig mit den Streitkräften zusammenhängt, an deren Seite sie zu operieren begannen, von denen sie ausgebildet, mit Waffen und Uniformen ausgestattet wurden und mit denen sie viele Jahre lang gemeinsam patrouillierten, bis der Aufschrei der internationalen Gemeinschaft sie zwang, ihre Beziehungen zur Armee diskreter zu gestalten. Aber dennoch erfüllten sie weiterhin die Aufgabe, die ihnen von Anfang an zugewiesen war: Die Gewalt auszuüben, die auszuüben den Sicherheitskräften durch das Gesetz verboten sind, ein Klima der Angst, des Schweigens und des Todes zu erzeugen, die Zivilbevölkerung daran zu hindern, ihre Grundrechte und -freiheiten wahrzunehmen.
Diese Situation führt nach wie vor zur Vertreibung von Menschen (…). Im vergangenen Jahr mussten mehrere Familien aus unserer Friedensgemeinde und anderen umliegenden Gemeinden ihre Häuser verlassen, um ihr Leben zu retten, und dabei ihren Besitz, ihre Tiere und ihre Lebensgrundlage zurücklassen.
Der Staat reagiert auf solche Ereignisse so gut wie gar nicht – Straflosigkeit und fehlende Gerechtigkeit sind die Kennzeichen seiner Passivität. Der Mord an Nalleli Sepúlveda und Edinson David am 19. März liegt nun schon fast sechs Monate zurück, ohne dass die Taten aufgeklärt oder die Verantwortlichen bestraft worden wären. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kommen nicht voran, sodass die Verantwortlichen auf freiem Fuß bleiben und die Zivilbevölkerung unterdrücken und kontrollieren. Die Sicherheitskräfte verbreiten sogar unter den Bewohnern der Dörfer die Version, die die Täter konstruiert haben: Dass es die Familie der Opfer und ihre Friedensgemeinde war, die Schuld tragen an den beiden Mordtaten. (…) Es ist offensichtlich, dass der Justizapparat nur die Opfer belasten will, wie es die allzu bekannte Tradition ist, nicht aber die wahren Täter.
Die neuen Fakten, die wir heute zu Protokoll geben, sind die folgenden:
Am Mittwoch, 26. Juni, wurde unsere Gemeinde tagsüber über eine Reihe von Partys informiert, die in der Gegend stattfinden und bei denen die Anwesenheit von Paramilitärs und die Präsentation von Pornografie im Mittelpunkt stehen sollten.
Am Freitag, 28. Juni, teilte uns ein Einwohner der Region mit, dass mehrere Bewohner des Dorfes La Esperanza, unter anderem Erien Tuberquia, Benjamín Higuita, Daney Tuberquia und Aníbal de Jesús Higuita, bei der Staatsanwaltschaft gegen unsere Friedensgemeinde ausgesagt haben. Sie hätten behauptet, dass die Friedensgemeinde der geistige und materielle Urheber der Morde vom 19. März 2024 gewesen sei. Durch Lügen und Betrug haben sie eine Kampagne des Hasses, der Verfolgung und des Todes gegen uns ins Leben gerufen. Man tötet uns und beschuldigt uns dann, dafür verantwortlich zu sein – die Dreistigkeit und Niedertracht kennen keine Grenzen.
Am Dienstag, 2. Juli, erhielten wir die Information, dass einige Mitglieder der Junta de Acción Comunal des Dorfes La Esperanza angekündigt haben, dass sie mittels der Presse und der Justiz gegen unsere Gemeinde vorgehen würden. (Anm. d. Ü.: Die Juntas de Acción Comunal sind in der kolumbianischen Verfassung festgeschriebene Mitbestimmungsgremien auf lokaler Ebene, die in der Praxis oft von den örtlichen Machthabern kooptiert sind.) Sie behaupteten, Zeugenaussagen zu haben, die Diego Ceballos, den Ehemann der ermordeten Nalleli, und Germán Graciano, unser Rechtsbeistand, beschuldigen, für den Doppelmord verantwortlich zu sein. (…) Die Lügen und Verleumdungen dieser Gruppe von Dorfbewohnern, die von dem Fedecacao-Vertreter César Jaramillo angeführt wird, (…) dauern weiterhin an (Anm. d. Ü.: Fedecacao ist die mächtige Vereinigung der kolumbianischen Kakaopflanzer und -exporteure).
Am Donnerstag, 4. Juli, und dem darauffolgenden Montag kamen mehrere Dorfbewohner zu uns und prangerten die Behauptungen an, die die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf uns erhoben hat. Laut Zeugenaussagen haben mehrere Beamte der Staatsanwaltschaft von Apartadó den Bewohnern gesagt, dass sie vorgeladen wurden, um zu bezeugen, dass die Friedensgemeinde Kinder ausbildet, die dann zu den verschiedenen Guerilla-Fronten in der Region geschickt würden. Ein weiterer Teil eines Plans, unsere Gemeinde zu diskreditieren, der von den Militärs und den Paramilitärs gefördert wird.
In der ersten Juliwoche versuchten die Paramilitärs in einem der Dörfer von San Jose de Apartadó drei Minderjährige zu rekrutieren.
Am Dienstag, 9. Juli, befanden sich ein Beamter der JEP und ehemalige FARC-Kämpfer in den Weilern La Linda und Mariano in der Gemeinde San José de Apartadó, um Leichen zu exhumieren (Anm. d. Ü.: Die Justicia Especial para la Paz, JEP, ist die Sondergerichtsbarkeit, die mit dem 2016 geschlossenen Friedensvertrag zwischen der Regierung und der Guerrillagruppe Farc installiert wurde).
Von Donnerstag, 18. Juli, bis Sonntag, 21. Juli, haben wir unter Begleitung nationaler Gruppen und verschiedener internationaler Organisationen einen Gedenkmarsch zu den Dörfern La Esperanza und Mulatos in San José de Apartadó unternommen, um an die abscheuliche Ermordung unserer Genossen Nalleli Sepúlveda und Edinson David zu erinnern (…). Während des Marsches waren an einigen Stellen entlang der Straße Paramilitärs in Zivil zu sehen – eine Atmosphäre der Todesgefahr, die von den Drohungen von César Jaramillo und den Paramilitärs ausgeht, deren Parole lautet „Schluss mit der Friedensgemeinde“. (…)
Am Freitag, 19. Juli, erhielten wir Besuch von einem jungen, offenbar erst kürzlich rekrutierten Paramilitär, der von seinen Chefs Morddrohungen erhalten hatte. Wie in diesem Fall gibt es in der Region viele Jugendliche, Minderjährige, die von den Paramilitärs verpflichtet werden, ohne dass die zuständigen Institutionen etwas dagegen unternehmen. Einige dieser jungen Menschen wurden bereits von Paramilitärs oder der Armee in anderen Teilen des Landes getötet. Unsere Friedensgemeinde hat immer wieder öffentlich auf diese Barbarei hingewiesen, aber die Institutionen sind blind und stumm angesichts dieser Realitäten.
Am Samstag, 20. Juli, hieß es in den sozialen Netzwerken, die Friedensgemeinde habe im Dorf San José de Apartadó heimlich menschliche Überreste exhumiert, um dafür Geld zu erpressen. In Anbetracht dessen können wir nur unseren Grundsatz der Achtung der Menschenwürde bekräftigen, und genau daher würden wir niemals die sterblichen Überreste einer Person ohne die Zustimmung und Anwesenheit ihrer eigenen Angehörigen antasten. (…)
Am Freitag, 26. Juli, berichteten die lokalen Medien, dass die Armee mehrere Paramilitärs in einem Ort in der Nähe der Weiler Arenas Bajas und El Porvenir, in der Gemeinde San José de Apartadó, gefangengenommen und mit einem Hubschrauber abtransportiert habe. Nach Angaben der Bauern waren diese Personen damit beauftragt, in einigen Dörfern obligatorische Versammlungen mit den Bauern abzuhalten. Zwei Tage später erhielten wir den Anruf eines Anwohners, der uns warnte: Als Vergeltung für diese Festnahmen von Paramilitärs seien neue Repressalien gegen uns angekündigt worden. (…)
Am Sonntag, 4. August, als eine Delegation unserer Gemeinde durch den Ort Chontalito in der Gemeinde San José de Apartado fuhr, wurden sie von zwei Paramilitärs überrascht, die Waffen und Funkgeräte mit sich führten und die Frequenzen abfragten.
Am Samstag, 10. August, erhielten wir einen Hinweis, mehrere Personen seien in einem Lieferwagen ohne Nummernschilder auf der Straße von Apartadó nach San José unterwegs, und sie erkundigten nach den Spielplätzen der Kinder.
In der dritten Augustwoche fand ein von Paramilitärs einberufenes Treffen an einem Ort im Dorf La Unión statt, bei dem mehrere Paramilitärs in Uniform und mit Gewehren anwesend waren, zusammen mit einer Frau, die das Treffen mit den Bewohnern des Sektors koordinierte. Auch in einigen Bereichen von Mulato Medio wurden uniformierte Paras gesichtet. (…)
Am Mittwoch, 4. September, erfuhren wir von einer Morddrohung gegen einen Zivilisten aus der Region, offenbar haben die Paramilitärs den Fall an ihre Kommandeure weitergegeben, die die außergerichtliche Hinrichtung des Zivilisten beschließen werden.
Am Donnerstag, 5. September, wurde unsere Gemeinde über die paramilitärischen Drohungen gegen Roviro López, Mitglied des Internen Rates unserer Gemeinde, informiert, die paramilitärische Ankündigung lautete: „der kleine Affe, der auf der anderen Seite lebt, soll bloß aufpassen, wir werden diesen Hurensohn einer Kröte töten“.
Am Montag, 9. September, erfuhren wir von dem Plan, unsere Farm Roncona zu besetzen, ein Plan, der von Hugo Alberto Molina Torres befürwortet wird und der mit den Direktoren der Kooperative Cacao Vive (…) in Verbindung steht.
Unterwerfung, Kontrolle und Angst hören nicht auf. Unsere Region blutet, auch wenn unsere Friedensgemeinde und die umliegende Bevölkerung weiterhin für Gerechtigkeit und das Andenken an unsere ermordeten Kameraden kämpfen, ohne gehört zu werden. Trotz zahlloser Beschwerden herrschen in der Region weiterhin Straflosigkeit und die Kontrolle durch Unternehmen und Paramilitärs. Wirtschaftliche Interessen, die mit dem Paramilitarismus verbunden sind, erinnern uns ständig an die Gefahr, der wir Menschenrechtsverteidiger ausgesetzt sind. (…)
Unsere Friedensgemeinschaft ist nach wie vor Zielscheibe von Drohungen und Tötungen in einem Staatswesen, das Ungerechtigkeit und paramilitärische Gewalt rechtfertigt. Auch wenn die Zentralregierung in Bogotá eine andere Meinung vertritt, ist ihre Ohnmacht angesichts eines völlig verrotteten Justizsystems, das radikale Veränderungen erfordert, ebenso offensichtlich wie bedauerlich.
Wir danken von ganzem Herzen allen Menschen und Gemeinschaften in Kolumbien und der ganzen Welt für ihre Solidaritätsbekundungen und ihr Engagement angesichts der schwierigen Situation, in der wir uns befinden.
Friedensgemeinde San José de Apartadó, 11. September 2024