„Frieden in Kolumbien“, ein Slogan für das Ausland ‒ und dabei geht das Blutvergießen immer weiter

Wir, die Friedensgemeinde von San José de Apartadó, erheben erneut unsere Stimme, um auf die dauernde Bedrohung für die Bevölkerung unseres Umfelds und für uns selbst aufmerksam zu machen.

In den Tagen nach dem Verbrechen (der Mord an zwei Angehörigen der Friedensgemeinde, siehe weiter unten, Anm. d. Ü.)  kursierten Audios, in denen die Angreifer ihren Willen zum Ausdruck brachten, ihre Absichten auf dem Gebiet von Las Delicias mit Gewalt durchzusetzen. Einer von ihnen war Erien Tuberquia, Mitglied der Junta Comunal von La Esperanza (die Juntas der Acción Comunal sind in der kolumbianischen Verfassung verankerte Mitwirkungsgremien auf lokaler Ebene, die in der Praxis allerdings oft von den örtlichen Machthabern gekapert wurden und deren Interessen vertreten, Anm. d. Ü.). Er erklärte:

„Leute, ich habe euch von Anfang an gesagt, als wir uns zur Gegenwehr entschieden, ich weiß nicht, wie viele bereit sind, ins Gefängnis zu gehen, wie viele bereit sind, bis zum Ende zu kämpfen. Wenn wir uns den Gegebenheiten stellen wollen, damit die nationale Regierung auf uns hört, nun, Freunde, dann müssen wir leider Blut vergießen (…) wenn die anderen Dörfer sich nicht darum scheren, dann lasst uns kämpfen, um sie dorthin zu bringen, mit Blut und Feuer, wie sie dort sagen. Aber dann sagen uns alle: Lasst uns nichts tun, lasst uns nichts tun, lasst uns nichts tun und wir tun nichts. Das ist doch ganz einfach, Leute, nur wenn wir aufs Ganze gehen, wird die Regierung möglicherweise mit uns reden.“

Ein anderes Mitglied der Junta von La Esperanza, Benjamín Higuita, sagte:

„Wir haben Kettensägen und wir haben Personal, und wenn wir uns heute auf das stürzen, was getan werden muss (…), raus mit der Friedensgemeinde, raus mit der Friedensgemeinde, wir wollen sie nicht hier haben, wir wollen sie nicht, das ganze Dorf La Esperanza sagt; raus mit der Friedensgemeinde, raus“.

Fredy Sánchez ist ebenfalls Mitglied der Junta von La Unión und außerdem „firmante de paz“ (Anm. d. Ü.: wörtlich: Friedensunterzeichner; gemeint sind frühere Angehörige der Guerrilla, die sich dem 2016 geschlossenen Friedensvertrag zwischen der Regierung und der Guerrilla-Gruppe FARC angeschlossen haben. Unter welchem Druck sie oft stehen, beweist der Umstand, dass seit 2016 rund 400 dieser firmantes de paz umgebracht worden sind, so eine Pressemitteilung des kolumbianischen Senats. Der erwähnte Fredy Sánchez hat sich dem Druck offenbar gebeugt, indem er für die Feinde der Friedensgemeinde Partei ergreift.)  Er sagte:

„Diese Bastarde geben mir nichts, es ist mir egal, wenn sie nicht mit mir reden, ich sage, lasst uns zu einem Ende kommen hp (Das Kürzel im Text steht für „hijos de puta“, Hurensöhne, wird aber auch im Sinne von ‚verdammt‘ oder einem ähnlichen Schimpfwort verwendet, Anm. d. Ü.) und wenn wir wütend werden, (…) (hier folgen emotionale Äußerungen Anm. d. Ü.) (…) lasst uns aggressiv werden und wir werden sehen, wie weit wir kommen (…) das kann dazu führen, dass es sogar Tote gibt“. (Der Post enthält noch zwei weitere Wortmeldungen ähnlich bedrohlichen und ähnlich vulgären Inhalts, Anm. d. Ü.).

Am Dienstag, 19. März, (im Blog wurde dieser Tag aus verständlichen Gründen vorgezogen, ist also absichtlich nicht chronologisch, Anm. d. Ü.)  wurden gegen Mittag zwei Mitglieder unserer Friedensgemeinde, Nalleli Sepúlveda, 30 und Edinson David, 14, auf der Farm Las Delicias im Dorf La Esperanza ermordet. Nalleli war die Koordinatorin für Humanitäre Angelegenheiten (wörtlich espacio humanitario, Anm. d. Ü.) zusammen mit ihrem Partner Diego Ceballos. Edinson ist der Bruder von Diego und Mitglied des Teams, das für die Farm verantwortlich ist. Dieses Verbrechen ist der bisherige Höhepunkt eines ganzen Prozesses von zunehmend gewalttätigen Drohungen und Aggressionen, die bereits in unseren früheren Berichten angeprangert wurden.  Mit diesem Verbrechen erhöht sich erneut die Zahl der Morde an Mitgliedern unserer Friedensgemeinde. Wir haben bereits mehrere Hundert anzeigen müssen, ebenso über 1500 Vorfälle, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft wuren und die vor verschiedene internationale Gerichte gebracht wurden.

Kaum war der Mord an Nalleli und Edinson begangen, beeilten sich die staatlichen Institutionen, die Straffreiheit vorzubereiten. Zunächst wurden keine Ermittlungen aufgenommen ‒ erst neun Tage später begaben sich die Kriminaltechniker auf die Farm, um „Beweise zu sichern“ ‒ widersinnig, weil in der Zwischenzeit eventuelle Spuren hätten beseitigt werden können.

Gleichzeitig bedienten sich die Ermittlungsbehörden einer Friedensunterzeichnerin und ihrer Anschuldigungen, um ein kriminelles Komplott zu schmieden und ein „Verbrechen aus Leidenschaft“ zu fingieren, was nachträglich die Würde des Opfers besudelt.  Es wurde behauptet, dass weder Nalleli noch Edinson Mitglieder der Friedensgemeinschaft gewesen seien und dass Nallelis Mann sie beim Sex mit ihrem Schwager ertappt und deshalb beschlossen habe, sie zu töten. Der Versuch, den Mord als Verbrechen aus Leidenschaft darzustellen, scheitert schon deswegen, weil sich Nallelis Mann Diego zum Zeitpunkt der Tat um seinen Vater kümmerte, der in Apartadó im Krankenhaus lag. Wenn nicht einmal die elementarste Logik eines Komplotts die Täter entlastet, so trägt sie doch dazu bei, die enorme Perversität derjenigen zu enthüllen, die das Verbrechen geplant hatten.

(Anm. d. Ü.: Da die Friedensgemeinde seit Anfang des Jahres nichts gepostet hat, erwähnt sie im jetzigen Bericht eine Reihe von bedrohlichen Beobachtungen und Vorfällen, die zum Teil ein Vierteljahr zurückliegen und die wir hier zusammenfassen: Wie früher schon geht es um Paramilitärs, die in Camouflage-Uniform und mit Walkie-Talkies auf den Ländereien der Friedensgemeinde auftauchen, ähnlich wie reguläre Soldaten oder um Landvermesser der Unidad de Restitución de Tierras, einer Behörde, die im Konflikt illegal enteignetes Land identifizieren und restituieren soll und der die Friedensgemeinde misstrauisch gegenübersteht. Ferner um Versuche der Paras, Jugendliche auf ihre Seite zu ziehen, indem sie sie zu Marihuana-Konsum einladen. – Im März scheint der Druck auf die Friedensgemeinde und ihr Land jedoch plötzlich erheblich stärker geworden zu sein.)    

Am Donnerstag, 29. Februar, versuchte César Jaramillo, ein ehemaliger Beamter des Bürgermeisteramtes von Apartadó und des Kakaopflanzer-Verbandes Fedecacao, zusammen mit Leuten aus dem Dorf La Esperanza eine illegale Straße durch unsere Farm Las Delicias zu öffnen. Dazu beschädigten sie Tore und Zäune.

Am Samstag, 2. März, drangen Personen aus dem Dorf La Esperanza in unser Grundstück Las Delicias mit einem Fahrzeug ein. Sie durchschnitten und beschädigten die Drahtzäune. Wir wehren uns seit Langem gegen den Bau von Straßen, die durch unsere Grundstücke führen. Dafür haben wir viele Gründe, angefangen damit, dass sie keiner demokratischen Planung unterliegen, dass sie ferner anti-ökologischen, naturschädlichen Zwecken dienen, dass sie vom Paramilitarismus mit Unterstützung der Armee vorangetrieben werden und dass für die Vorhaben nicht einmal die elementarsten behördlichen Genehmigungen vorliegen.

Am Sonntag, 3. März, versuchte eine Gruppe von Personen unter der Führung von César Jaramillo und der Junta de Acción Comunal von La Esperanza, unsere Zäune und Tore auf unserem Privatgrundstück zu zerstören. Bei ihrem Versuch beschimpften sie unsere Gemeinde mit allen möglichen Beleidigungen und Verleumdungen, und sie kündigten an, dass sie ihr Vorhaben am nächsten Tag durchführen würden. Es folgten verbale und psychologische Aktionen und Aggressionen gegen unsere Gemeinde, während wir schwiegen.

Am Montag, 4. März, drangen eine nicht identifizierte Person und Mitglieder der Junta de Acción Comunal des Dorfes La Esperanza mit Motorrädern auf unser Privatgrundstück Las Delicias vor und schauten sich um, ohne sich auszuweisen.

Am gleichen Tag besuchten Vertreter der Defensoría del Pueblo (eine hoch angesiedelte Ombudsmann-Behörde auf nationaler Ebene, Anm. d. Ü.), des Bürgermeisters von Apartadó und weitere Beamte der nationalen Regierung das Dorf La Esperanza, um die Übergriffe gegen unsere Gemeinde zu stoppen. Trotzdem hat die Junta Comunal weiterhin unseren Grundbesitz unbefugt betreten und verletzt und erneut Tore zerstört, die nach fünf Tagen Gemeinschaftsarbeit wieder installiert wurden. Unsere Friedensgemeinde reagiert auf solche Gewalt niemals mit gewalttätigen Aktionen, und sie zeigt solche Vorfälle nie den staatlichen Institutionen an, weil die sowieso nie einem anderen Zweck gedient haben als dem, bestimmte politische Interessen zu begünstigen. Unsere Gemeinde hat jedes zerstörte Tor und jeden Zaun mühsam wieder aufgebaut.

Am Mittwoch, 6. März, betraten die Junta de Acción Comunal und die Vereinigte Pfingstkirche von Kolumbien des Dorfes La Esperanza unter Führung von César Jaramillo und anderen obskuren Kräften unseren Besitz „Las Delicias“, zerstörten unsere Tore, schnitten den Draht unserer Koppeln durch und ignorierten unsere Anweisung, keine Fahrzeuge durch unser Grundstück fahren zu lassen. Dies war das fünfte Mal in dieser Woche, dass wir Aggressionen auf unserem Grundstück ertragen mussten. Wir stellen klar, dass wir den Reitweg, der durch unseren Hof führt, nie blockiert haben, im Gegenteil, wir halten die Tore offen, die schon immer bestanden haben, um den freien Durchgang der Menschen und ihrer Tiere mit den Produkten des Feldes zu gewährleisten.

Wir sind nicht verantwortlich für irgendeine Art von Zwangsumsiedlung in der Zukunft, denn wir haben zu keinem Zeitpunkt jemanden dazu genötigt, wie unsere Gegner in den Medien und sozialen Netzwerken behauptet haben. Die Menschen bewegen sich ganz normal, sei es auf Motorrädern oder auf Pferden, ohne dass sie behindert werden (…). Wir erklären öffentlich, dass wir gegen die Durchfahrt von Fahrzeugen durch unsere Privatgrundstücke auf illegalen Wegen und gegen den Bau von Straßen sind, deren Bau sich den legalen und demokratischen Verfahren entziehen. (…)

Im Laufe der Zeit haben wir festgestellt, dass sich rund um die Junta de Acción Comunal des Dorfes La Esperanza, im Bündnis mit César Jaramillo und der 17. Heeresbrigade, eine Bewegung gebildet hat, die darauf hinarbeitet, dass wir als Friedensgemeinde verschwinden. Dabei geht es um Projekte, die zwar mit den Etiketten „Fortschritt“ und „Entwicklung“ versehen sind, aber in Wahrheit andere Ziele verfolgen. Dies führt uns zu der Annahme, dass dieses Bündnis dafür verantwortlich wäre, wenn einem Mitglied unserer Gemeinde etwas zustößt. (…)

Am Mittwoch, 6. März, verleumdete César Jaramillo in den sozialen Netzwerken die Friedensgemeinde und die Bauernvereinigung von San José de Apartadó ACASA schwer. Ihm zufolge wurden beide von der Guerrilla gegründet. Es ist die gleiche Sprache wie die des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe, der alle sozialen Organisationen verurteilte.

An selben Tag mussten wir einen neuen Angriff verzeichnen, bereits den sechsten auf Las Delicias. Am Nachmittag zerstörte und verbrannte die Junta de Acción Comunal des Dorfes La Esperanza in unserer Anwesenheit erneut unsere Tore. Die Aggressoren kamen mit Kettensägen, Knüppeln und Benzin. Während sie die Tore zerstörten und verbrannten, erklärten sie, sie seien „friedlich“ gekommen. Danach versuchte César Jaramillo über lokale Radiosender der Öffentlichkeit das verzerrte Bild zu verkaufen, das er in seinem Hass gegen unsere Gemeinschaft und gegen die ehemalige Bürgermeisterin Gloria Cuartas und ihren technischen Berater Carlos Montoya aufgebaut hat. Er hat uns als „republiqueta“ (Verunglimpfung von Freiheitskämpfern, ehemals Kämpfer im Freiheitskampf in Bolivien Anm. d. Ü.) dargestellt, dass wir die Gesetze nicht anerkennen, dass wir den Bauern den Durchgang durch unseren Besitz erschweren, dass wir diejenigen, die uns nicht unterstützen, als paramilitärisch betrachten, dass wir uns Land und Rechte der lokalen Gemeinschaften aneignen. (…)

Am Freitag, 8.März, kurz vor Mitternacht haben Gruppen von Vandalen der Junta de Acción Comunal des Dorfes La Esperanza unsere Zäune und Tore umgestoßen und gestohlen. Es handelt sich um typische paramilitärische Taten, und die Verantwortlichen wurden als Mitglieder der Junta Comunal de La Esperanza identifiziert:  Benjamín Higuita, Aníbal Higuita, Daney Tuberquia, Eufranio Graciano, Erien Tuberquia und andere sowie César Jaramillo. (…)

Am Montag, 11. März, gab es wieder Verleumdungen von der Junta de Acción Comunal von La Esperanza, die behauptete, dass unsere Gemeinde eine Person auf dem Bauernhof mit Steinen beworfen habe. Wir haben keine Stöcke, Kettensägen oder Steine geworfen. Laut Zeugenaussagen sind die Betroffenen vom Motorrad gestürzt, weil die Straße im Regen glitschig war. (…)

Am Mittwoch, 20. März, beschloss die Gemeinde im Dorf La Esperanza nach mehr als 24 Stunden Wartezeit auf die entsprechenden Behörden, die Leichen von Nelleli und Edinson in Hängematten mehr als fünf Stunden lang durch die Bergkette Abibe zu tragen. Das geschah inmitten eines heftigen Regengusses und steigender Fluten, bis wir die Stadt San José erreichten, wo die Leichen schließlich von der kriminaltechnischen Untersuchungsbehörde der Staatsanwaltschaft entgegengenommen wurden. (…)

Am Freitag, 22. März, erwiesen wir unserem Bruder und unserer Schwester, unseren Kameraden, die letzte Ehre, die durch die verbrecherischen Hände der Paramilitärs ermordet wurden, was offensichtlich von den Institutionen toleriert wird. Lebt wohl, Nalleli und Edinson. Sie werden immer in unserem Gedächtnis bleiben.

Am Montag, 25. März, verschickten die Paramilitärs auf verschiedenen Wegen neue Drohbotschaften, in denen sie ankündigten, dass es ihr Ziel sei, die Familien auszulöschen, die die humanitären Räume der Friedensgemeinde in den Dörfern La Resbalosa, Mulatos und La Esperanza koordinieren. Damit bringen sie zentrale Orte unserer Gemeinschaft in Gefahr, als ob sie andeuten wollten, dass wir sie aufgeben sollten.

Am Mittwoch, 27. März, reiste eine Kommission, die sich aus verschiedenen nationalen Regierungsinstitutionen zusammensetzte, nach La Esperanza, wo eine große Vertretung unserer Friedensgemeinde auf sie wartete. Die Mitglieder der Kommission wollten nicht nur die Einzelheiten des Verbrechens aus erster Hand hören, sondern auch den Kontext, den die Gemeinde vor der kolumbianischen Gesellschaft und internationalen Gerichten anprangert. (…)

Am nächsten Tag morgens um neun Uhr wurde eine humanitäre Kommission unserer Gemeinde mit internationaler Begleitung, die sich auf dem Weg von La Esperanza zum Dorf Mulatos befand, auf der Straße, wenige Minuten vom Weiler La Esperanza entfernt, von fünf Paramilitärs überrascht, von denen zwei Waffen trugen.

Wir danken noch einmal allen Menschen und Gemeinschaften im Land und in der Welt, die sich mit unserem Weg solidarisch gezeigt haben und die, besonders in solch schmerzhaften und tragischen Momenten wie jetzt, zahlreiche Wege gesucht haben, um an unserer Seite zu stehen.

Friedensgemeinde San José de Apartadó, 30. März 2024

Nichts ist überwunden – die Unterdrückung geht genauso weiter wie vorher

Wieder einmal erheben wir unsere Stimme, um auf die Ereignisse aufmerksam zu machen, die die Bevölkerung unseres Umfelds und unsere Friedensgemeinde dauerhaft bedrohen.

Es beginnt ein weiteres Jahr, von dem wir gehofft hatten, dass sich in ihm neue Wege zum Leben und zum Frieden auftun würden. Davon kann jedoch keine Rede sein. Der Bevölkerung wird gesagt, die alten Herrschaftsverhältnisse seien nun überwunden. (Gemeint ist die Politik des „totalen Friedens“, die der linke Präsident Gustavo Petro angekündigt hat, Anm. d. Ü.) Aber in den wenigen Tagen, die das neue Jahr alt ist, hat sich schon gezeigt, dass eigentlich alles so wie bisher weitergeht. Es sind dieselben wie vorher, die das Sagen haben, die die Bevölkerung kontrollieren, die ihr Regeln aufzwingen, die in die Gemeinden eindringen, die die Zivilbevölkerung zusammentreiben, die weiterhin drohen und morden. Und die kolumbianische Regierung ist angesichts all dessen weiterhin blind und taub.

Folgende Fakten müssen wir berichten:

Am Samstag, 2. Dezember, wurde tagsüber eine Gruppe Paramilitärs in Tarnuniform gesehen, die sich im Dorf Mulatos den Fluss entlang bewegte.

Am Sonntag, 3. Dezember, wurde unsere Friedensgemeinde darüber informiert, dass unter anderem in den Dörfern El Mariano, Buenos Aires und La Linda die Armee nachts patrouilliert. Wonach sie suchte, ist unklar. Auszuschließen ist, dass sie hinter den paramilitärischen Gruppen her war, denn die kontrollieren die Gegend nach wie vor in aller Ruhe, ohne dass sie jemand belästigt.

Am Dienstag, 5. Dezember, sagten Ortsansässige, in den Dörfern von San José de Apartadó errichteten die Paramilitärs Wachposten. Einer davon, den alle Vorbeifahrenden wahrnehmen, wird an dem als Chontalito bekannten Punkt gebaut.

Gemeinde Tierralta im Departamento Córdoba gehört (Córdoba schließt sich östlich an Antipoquia an, dem Departamento, in dem San José liegt, Anm. d. Ü.). Dort arbeiten seit kurzem Armee und Paramilitärs eng zusammen, was sich in gewaltsamem Vorgehen gegen die bäuerliche Bevölkerung niederschlug und was nach den Klagen der Betroffenen mittlerweile nationalen und internationalen Widerhall gefunden hat.

Wir wiederum können den Anschlag vom Dezember 2017 nicht vergessen, als fünf bewaffnete Paramilitärs auf Motorrädern ankamen und unsere gesetzlichen Vertreter Germán Graciano und José Roviro López sowie andere Mitglieder des Internen Rates töten wollten. Auch wenn die beiden nach wie vor Todesdrohungen erhalten, konnten wir damals Schlimmeres verhindern. Wir stellten die Angreifer, zwei hielten wir fest und übergaben sie den Behörden, während die anderen flohen und in das Dörfchen San José

Am Freitag, 8. Dezember, wurde nachmittags eine Gruppe Paramilitärs in Tarnuniform an der als „La Cañada de Pulgarín“ bekannten Stelle im Dorf Mulatos gesichtet.

Am Dienstag, 12. Dezember, wurden wir von Menschen, die gezwungen sind, direkt unter den Paramilitärs zu leben, darüber informiert, dass die Paras entschieden hätten, zwei Mitglieder des Internen Rates unserer Gemeinde zu eliminieren. Einer von ihnen ist unser gesetzlicher Vertreter und der andere der Koordinator unserer Siedlung im Dorf La Resbalosa. Ein großer Teil des Territoriums von La Resbalosa gehört zur zurückkehrten, wo sie bis heute leben und weiterhin mit Polizei und Militär freundschaftlichen Umgang haben. Wir möchten daran erinnern, dass in dieser Episode die Zusammenarbeit der öffentlichen Gewalt und des gesamten Justizapparats mit den Paramilitärs absolut offensichtlich wurde. Bis heute hat die sogenannte Justiz den Fall noch nicht untersucht. Die Beschuldigten sind in Freiheit.

Am Dienstag, 12. Dezember, erfuhren wir vom Tod des jungen Eimer Emilio Gómez David, der in den vergangenen Tagen verschwunden war und dann mit Anzeichen grausamer Folter tot aufgefunden wurde. Gómez David, gebürtig aus San José, war Mitglied unserer Friedensgemeinde, ebenso wie seine Familie, die sich allerdings vor einiger Zeit zurückgezogen hatte. Wir verurteilen aufs Schärfste, dass auf unserem Territorium solche brutalen und unmenschlichen Praktiken vorkommen, die typisch für Völker sind, denen es an der grundlegendsten menschlichen Sensibilität mangelt. Wir sprechen seiner Familie unser tiefstes Beileid aus.

Zwischen dem 18. und 21. Dezember besuchten Vertreter unserer Friedensgemeinde mehrere Dörfer in der Umgebung von San José de Apartadó, darunter Mulatos und Resbalosa, um auf Morddrohungen gegen Bewohner der Region und gegen Mitglieder unseres Internen Rates öffentlich aufmerksam zu machen. Während der Tour konnten wir die starke Präsenz und territoriale Kontrolle der Paramilitärs in der Gegend sowie die unterschiedlichen Bauweisen paramilitärischer Wachposten sehen, wie zum Beispiel den Standort Chontalito, wo die Paramilitärs seit 2018 sitzen, und ähnliche Posten. Es ist schon unglaublich, wie beharrlich sich das angeblich überwundene Herrschaftssystem der Paramilitärs behauptet und wie unbeeinträchtigt die Möglichkeiten der Paramilitärs sind, die Autonomie der Zivilbevölkerung zunichtezumachen. Am Donnerstag, 4. Januar, bat Ovídio Torres Areiza uns dringend um Schutz, nachdem er und seine Familie von den Paras mit dem Tod bedroht worden waren. Wir können allerdings nicht vergessen, (…) dass Ovidio 2006, als er sich uns angeblich anschließen wollte, uns offenbar im Auftrag von Militär und Paramilitärs einen Computer gestohlen hat. Die Armee hatte ihn dazu angestiftet, weil sie sich auf dem Gerät Hinweise auf Zusammenarbeit zwischen der Guerrilla und uns erhoffte; Zeugen zufolge soll das Militär „enttäuscht“ gewesen sein, als natürlich nichts zu finden war. – Ovidio gibt jetzt zwar zu, jahrelang für die Paras gearbeitet zu haben, sagt aber, er habe sich von ihnen längst abgewandt, und deswegen bedrohten sie ihn nun genauso wie seinen ältesten Sohn, den sie sogar gefangen und gefoltert hätten, um den Aufenthaltsort von Ovidio zu erfahren.  Unsere Gemeinschaft folgt einem ihrer Grundprinzipien, nämlich der Verteidigung des Lebens eines jeden Menschen, auch wenn der anders denkt als wir. Wir haben uns deshalb bereit erklärt, Ovidio zu schützen, bis er mit Hilfe humanitärer Organisationen das Gebiet verlassen könne – und so ist es mittlerweile geschehen.

Am Samstag, 6. Januar, zwangen in der Gegend bekannte Paramilitärs (es folgen die Klar- und Aliasnamen von dreien, Anm. d. Ü.) die Bewohner des Dorfes La Unión zu einer Versammlung auf dem Dorfplatz, wo sie alle ihre Mobiltelefone abgeben mussten. Der von Drohungen begleitete Befehl der Paramilitärs lautete, dass sich alle der Junta de Acción Comunal anschließen müssten, was beweist, dass die Paras die Junta als Kontrollinstrument nutzen können (die Juntas de Acción Comunal sind in der Verfassung vorgesehene Mitbestimmungsräte auf kommunaler Ebene, die in der Praxis allerdings oft von den jeweils Mächtigen kooptiert sind, Anm. d. Ü.). Bei der Versammlung gaben sie wirre und widersprüchliche Anweisungen zur Lösung von Landkonflikten, ein Bereich, für den sowieso ausschließlich die Justiz zuständig ist, deren Befugnisse sie sich anmaßten. – Die Versammlung fand in unmittelbarer Nähe des Militärs statt, was erneut beweist, wie eng Armee und Paras zusammenarbeiten.

Am Montag, 8. Januar, war sehr früh eine Gruppe schwer bewaffneter Soldaten im Zentrum von La Unión unterwegs und befragte die Zivilbevölkerung nach Informationen über die Paramilitärs. Dabei wissen Militär und Polizei sehr gut, wo sich die Paramilitärs aufhalten. Durch solche Befragungen wird die Zivilbevölkerung in einen gewaltsamen Konflikt einbezogen, an dem sie keinen Anteil hat.

Unsere Friedensgemeinschaft verurteilt jede Handlung, die das Leben oder die Integrität eines Menschen bedroht. Die Regierung in Bogotá ist am Ende dafür verantwortlich, wenn den Mitgliedern unserer Gemeinschaft und den Bewohnern der Region etwas zustößt. Denn der Paramilitarismus kann weiterhin frei schalten und walten.

Als Friedensgemeinde kräftigen wir unsere ethischen und moralischen Grundsätze. Wir danken allen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, die uns weiterhin mit ihrer moralischen Stärke unterstützen.

Friedensgemeinde San José de Apartadó
8. Januar 2024

Die Regierung will angeblich etwas ändern, dennoch sind die Paramilitärs außer Kontrolle

Einmal mehr erheben wir unsere Stimme, um auf die Tatsachen aufmerksam zu machen, die unsere Friedensgemeinde und die Bevölkerung unseres geografischen und sozialen Umfelds ständig bedrohen.
Wir befinden uns gefangen in einer Welt, in der nur die Macht gilt. Die will ihre Ziele erreichen, und da spielt es keine Rolle, wer unter ihr leidet.

Die Regierung in Bogotá sagt, es gelinge ihr, mit den illegalen bewaffneten Gruppen zu verhandeln und so das Leben der Zivilbevölkerung in den Dörfern und Weilern des Landes zu sichern. Aber das sind nur Nachrichten in den Medien. In der Realität hat sich für die Bauern des Landes nichts geändert, denn in den Gebieten, die von den legalen oder illegalen bewaffneten Akteuren kontrolliert werden, ist das Leben noch schwieriger geworden. Auch in Gebieten wie San José de Apartadó kontrolliert und bestimmt der Paramilitarismus, wie sich die Bauern bewegen dürfen und arbeiten müssen.

In Urabá ist die Regierung des Wandels noch nicht angekommen, geschweige denn, dass sie die 17. Heeresbrigade selbst gründlich überprüft und gesäubert hätte, denn innerhalb dieser Brigade und der ihr unterstellten Einheiten herrscht ein hohes Maß an Komplizenschaft mit dem Paramilitarismus, wie die Ereignisse vom 12. September 2023 zeigen, als Soldaten und vermummte Paramilitärs gemeinsam die Zivilbevölkerung von Urabá einschüchterten.

Auch in den Dörfern von San José de Apartadó gibt es eine hohe Präsenz von Paramilitärs, die sich offen mit Uniformen und AGC-Abzeichen bewegen, schwer bewaffnet sind und sich unter dem vollen Schutz des Militärs und der Justiz bewegen.

(Anm. d. Ü.: AGC steht für Autodefensas Gaitanistas de Colombia, auch Clan del Golfo, Clan Úsuga oder Los Urabeños genannt. Die Gruppe gilt als das mächtigste Verbrechersyndikat Kolumbiens. Aus rechtsgerichteten Paramilitärs nach der Demobilisierung hervorgegangen, arbeitet die Gruppe mit dem mexikanischen Sinaloa-Kartell zusammen und ist gegenwärtig für die Hälfte des kolumbianischen Kokain-Exports verantwortlich. Der Golf-Clan benutzt als operative Basis die schwer zugängliche nordwestkolumbianische Subregion Urabá – daher auch der Name „Los Urabeños“. Die Bande ist vor allem in den Drogenschmuggel, illegalen Bergbau und der Schutzgelderpressung verwickelt. Zudem sind sie für zahlreiche Morde und Vertreibungen verantwortlich. Anfang 2023 schloss die Regierung unter Präsident Gustavo Petro einen Waffenstillstand mit dem Clan del Golfo, den sie nach kurzer Zeit am 19. März 2023 wieder kündigte. Grund war laut Petro ein Angriff auf Polizeikräfte durch den Clan.)

Das Schlimmste ist, dass die Paras die Zivilbevölkerung kontrollieren und zwingen, sie in ihren Dörfern und auf ihren Privatgrundstücken zu akzeptieren. Niemand kann etwas sagen oder anprangern aus Angst, getötet oder aus der Region vertrieben zu werden, wie es einigen Einwohnern ergangen ist, die weit weggehen mussten, um nicht getötet zu werden.

Hier die Ereignisse der letzten Wochen:

Am Sonntag, den 24. September, wurde in den Morgenstunden im Dorf Mulatos Medio ein Trupp Paramilitärs gesehen, der sich entlang des Flusses bewegte. Nach Angaben der Dorfbewohner waren die Männer schwer bewaffnet, getarnt und trugen Armbinden mit dem Abzeichen AGC.
Am selben Tag erfuhr unsere Friedensgemeinde, dass das paramilitärische Kommando in der Region von den Dörfern Resbalosa zum Dorf Frasquillo in der Gemeinde Tierralta Córdoba gewechselt hat. Gerüchteweise heißt es, das neue Kommando habe die Ermordung von Menschen ankündigt, um alle, die sich ihren Plänen nicht unterwerfen, aus der Gegend zu vertreiben.

Am Montag, den 25. September, erfuhr unsere Friedensgemeinde von einer Morddrohung gegen einen Bewohner des Dorfes San José de Apartadó durch die Paramilitärs, die dieses Gebiet kontrollieren. Um sein Leben zu schützen, zog es dieser Bewohner vor, aus dem Gebiet zu fliehen.

Am Dienstag, den 26. September, wurden gegen 20 Uhr Hubschrauberüberflüge in den Dörfern Resbalosa und Mulatos registriert.

Am Samstag, den 7. Oktober, wurde eine starke paramilitärische Präsenz an der Schule von Resbalosa festgestellt. Am selben Tag betraten einige der Paramilitärs unbefugt ein Privatgrundstück, das der Friedensgemeinde gehört.
Am selben Tag wurden wir vor der starken Präsenz einer Gruppe schwer bewaffneter Paramilitärs gewarnt, die auf einem Grundstück im Weiler Mulatos im Bezirk San José de Apartadó lagerten.

Am Samstag, den 4. November, wurde eine starke Präsenz von Paramilitärs in Uniform und mit Langwaffen beobachtet, die sich durch das Dorf Resbalosa bewegten und dann in Richtung Mulatos gingen.

Am Sonntag, den 5. November, wurde erneut eine starke Präsenz schwer bewaffneter Paramilitärs zwischen Mulatos und Resbalosa festgestellt. (….)

Am Dienstag, den 7. November, drangen zwei Paramilitärs in eines der Grundstücke ein, das der Friedensgemeinde gehört. (…)
Am selben Tag wurden in den Abendstunden in der Gegend von Baltazar, einem Ort östlich des Dorfes La Resbalosa, mehrere Schüsse aus Langwaffen abgefeuert. Die Motive oder das Schicksal der Zivilbevölkerung waren zunächst unbekannt.

Am Mittwoch, den 8. November, erfuhren wir, dass die Paramilitärs einem Bewohner eines der Dörfer von San José de Apartadó gedroht hatten, ihn zu töten, sollte er in das Dorf zurückkehren, in dem er seit langem lebt.
Am selben Tag riefen die Paramilitärs die Bewohner des Dorfes Resbalosa zu einer Versammlung in der Schule auf. Den Informationen zufolge kamen die paramilitärischen Kommandanten, die die Versammlung leiteten, aus dem Dorf Nuevo Antioquia in der Gemeinde Turbo. Bei dieser Versammlung unterstrichen sie die von ihnen auferlegten Verhaltensvorschriften für die Bewohner. Jeder, der sich nicht daranhalte, müsse das Dorf verlassen oder sterben.
Ebenfalls an diesem Mittwoch bemerkten wir abends Armeeangehörige, die sich Motorrädern in Richtung San José de Apartadó bewegte. Anscheinend führen sie diese Art von Ausfällen spät in der Nacht durch. Worum es dabei geht, ist unklar. Aber es ist sehr verdächtig, wenn man bedenkt, dass der Sektor eigentlich von den Paramilitärs kontrolliert wird.

Am Donnerstag, den 9. November, brach in den Morgenstunden ein Paramilitär mit zwei Funkgeräten und einem Mobiltelefon in unser Privatgrundstück La Cabaña im Dorf La Resbalosa ein. Die internationale Begleitung unserer Gemeinde, die dort präsent ist, forderte den Eindringling sofort auf, das Gelände zu verlassen. Dieser Paramilitär widersetzte sich und zog erst einige Zeit später mit Gesten ab, die besagten, dass ihn das alles nichts angehe.

Am Freitag, den 10. November, wurde unsere Friedensgemeinde auf die Anwesenheit einer Gruppe von getarnten und schwer bewaffneten Paramilitärs an einem Ort aufmerksam, der als Pulgarín-Schlucht im Weiler Mulatos Medio von San José de Apartadó bekannt ist. Am selben Tag bemerkten wir morgens die Anwesenheit einer Gruppe von Soldaten, die illegal unser Privatgrundstück La Holandecita betreten hatten, auf dem sich unsere Siedlung San Josesito befindet.

Am Samstag, den 11. November, teilte uns ein Bewohner des Dorfes San José mit, dass die Paramilitärs mehreren Landwirten in einigen Dörfern von San José de Apartadó und Tierralta Córdoba ihre Bauernhöfe weggenommen haben. Die Paras hatten befohlen, die Bauern dürften keine Flächen für den Anbau von Grundnahrungsmitteln roden, und daran hatten sich die Bauern nicht gehalten. (…)

Am Dienstag, den 14. November, erfuhr unsere Gemeinschaft vom Tod eines Zivilisten in Murmullo, Tierralta, der unter dem Namen „El Paisa“ bekannt war. Paramilitärs hatten mehrere Kugeln auf ihn abgegeben.

Am Freitag, den 17. November, drangen gegen 16 Uhr fünf berittene Paramilitärs auf unser Privatgrundstück La Cabaña in der Ortschaft La Resbalosa ein, wo am 21. Februar 2005 das Massaker von Paramilitärs und der nationalen Armee verübt wurde. Die fünf Männer waren bewaffnet und hatten Funkgeräte dabei.

Am Montag, den 20. November, wurde unsere Gemeinde von einem Mann angerufen, der sich als Mitglied des Bauunternehmens Cooperativa de Trabajo Asociado Policonstructores vorstellte und sagte, dass er eine Lizenz für die Ausbeutung von Baumaterial aus dem Apartadó-Fluss besitze. Wenn sich die Gemeinde nicht mit ihm an einen Tisch setze, werde ein anderes Unternehmen kommen und die Dinge in die Hand nehmen. Unserer Ansicht nach ist das Ökosystem durch eine derartige Ausbeutung gefährdet.

Am Mittwoch, den 22. November, wurde gegen Mittag ein junger Mann in der Nähe des Weilers La Balsa an der Straße von San José nach Apartado von zwei Männern erschossen. Dies geschah, während wenige Minuten später eine Polizeikontrolle an der Ausfahrt von Apartadó nach San José eingerichtet wurde. Wie konnte es sein, dass die Paramilitärs zur gleichen Zeit zu der eine Polizeikontrolle eingerichtet wurde, einen neuen Mord begingen? Wie auch immer, klar ist, dass die Paramilitärs alles unter Kontrolle haben.
In den vergangenen Wochen haben die Paramilitärs ihre Regeln und Befehle angepasst und genauer gefasst. Sie haben den Händlern in San José de Apartadó eine illegale Kriegssteuer auferlegt, sie haben dem Fleischhandel genaue Anweisungen gegeben, sie überwachen und kontrollieren ihn ständig, und wer versucht, die Unterordnung zu brechen, muss die Konsequenzen tragen. Diese kriminellen Praktiken und die paramilitärische Kontrolle über den Handel und andere Aktivitäten in San José de Apartadó finden trotz einer starken Militär- und Polizeipräsenz statt, die jedoch angesichts der unkontrollierten Paramilitärs und einer Regierung, die angeblich den Wandel herbeiführen will, absolut nichts unternehmen.

Auch anderswo sind Menschen ist mörderischen menschlichen Maschinen ausgeliefert. In Israel werden Hunderte von wehrlosen Menschen getötet – aber gleichzeitig hat das, was in Gaza geschieht, längst die Grenzen zur Grausamkeit überschritten. Genug von dieser Barbarei, genug ist genug.

Unsere Friedensgemeinde verurteilt offen jede Aktion, die sich gegen das Leben oder die Unversehrtheit eines Menschen richtet, und gleichzeitig bekräftigen wir unsere ethischen und moralischen Grundsätze, um inmitten des Todes weiterhin Räume des Lebens zu schaffen.

Wir danken allen, die uns moralisch unterstützen, wo auch immer auf der Erde sie seien.

Friedensgemeinde San José de Apartadó,
30. November 2023

Wir leiden unter einem Staat, der unser Überleben nicht garantiert, sondern aufs Spiel setzt

Wieder einmal wendet sich unsere Friedensgemeinde an die Geschichte und an die Welt, um über Tatsachen zu berichten, die sich in der letzten Zeit massiv gegen unsere Zivilbevölkerung und gegen unser Lebensprojekt richtet.

Zunächst soll es um die Planungen der Landrückgabeeinheit (URT) gehen.

(Die Sonderverwaltungseinheit für die Verwaltung der Rückgabe von enteignetem Land (VAE-GRTD) oder einfach die Einheit für die Rückgabe von Land (URT) von Kolumbien ist eine Institution, die im Januar 2012 durch das Gesetz 1448 von 2011, allgemein bekannt als Gesetz über Opfer und Landrückgabe, geschaffen wurde, um die rechtliche und materielle Rückgabe von Land zu erreichen, das im Rahmen des bewaffneten Konflikts in Kolumbien enteignet wurde. Wikipedia/d. Ü.)

Die offiziellen oder inoffiziellen Erklärungen der zuständigen Beamten untergraben die Integrität der Verfahren auf administrativer und rechtlicher Ebene, indem sie den demokratischen Entscheidungsprozess umgehen. … Die URT-Funktionäre haben eine heftige Verfolgung gegen uns und unseren Besitz ausgelöst, den wir friedlich, frei, öffentlich und unter strikter Einhaltung der Verfassung und des Gesetzes erworben haben. Wir haben die Auseinandersetzung aufgenommen und auf diese Weise die Rechtmäßigkeit unserer Erwerbungen nachweisen können …

Die aktuellen Vorkommnisse der letzten Wochen, die wir hier zu eurer aller Information festhalten, sind die folgenden:

Am Dienstag, 1. August 2023 wurde ein weiterer militärischer Kontrollpunkt in der Nähe vom Stadtgebiet San José eingerichtet. Diese Kontrollpunkte und angeblichen Militär- und Polizeikontrollpunkte haben allerdings noch nie etwas genützt, denn der paramilitärische Flügel wird in San José de Apartadó seit Jahrzehnten unterstützt.

Samstag, 5. August 2023 erfuhren wir, dass ein Treffen zur Projektplanung eines absolut notwendigen Naturreservats in der Umgebung von San José de Apartadó durch Intervention der Zentralregierung gestört werden soll.

Am Dienstagmorgen 8. August 2023 fand ein Treffen zwischen einer Delegation unserer Friedensgemeinschaft und Beamten der URT, der territorialen Direktion von Apartadó und der zentralen Ebene von Bogotá statt.
Die URT und die Friedensgemeinschaft hatten Termine und Verfahren geplant, um mit dem zweiten Tag der Georeferenzierung auf einigen Grundstücken fortzufahren, die sich im Besitz unserer Gemeinschaft befinden und die im Rahmen der Landrückgabe gemäß dem Gesetz 1448 von 2011 von großen politischen und wirtschaftlichen Interessen, die sie motivieren, gefordert werden.

Der Blogger befürchtet auch hierbei wieder unfaire Methoden der Friedensgemeinde gegenüber. Weitere Grenzüberschreitungen auch von Paras in Uniform, verbale Respektlosigkeiten, schwere Körperverletzung an einem Landwirt aus La Hoz, mehrmals Androhung von Gewalt und Mord, zweifacher Mordversuch, Diebstahl von geschütztem Holz, üble Nachrede auch in den sozialen Netzwerken über die Friedengemeinde werden moniert. Betroffene Gebiete waren z.T. offiziell von der URT vor Übergriffen geschützt worden. Einige Male behaupteten Eindringlinge auch einfach von der URT die Erlaubnis erhalten zu haben. (d. Ü.)

Weiter mit dem Blog:

Die Anwesenheit dieser Eindringlinge in unseren Räumen schränkt unsere Freiheiten und unsere Ruhe ein.

Am Montag, 4. September 2023 wurde der junge DAYRON ANDRES OSORIO ARTEAGA durch Schusswunden getötet.
Es wird nichts über die Umstände oder den Verursacher geschrieben. (d. Ü.)

Am Samstag, den 9. September 2023, wurde ein junger Mann getötet, sein Bruder war am Sonntag, den 24. Januar 2021 von Paramilitärs ermordet worden.
Auch hier keine Angabe der Umstände. (d. Ü.)

Oft fragen wir uns, ob es sich lohnt, unsere Hoffnungen in einen Staat zu setzen, der eigentlich die Garantien für das Leben unter Einhaltung der Menschenrechte (freier übersetzt d. Ü.) als zentrale Verpflichtung eines Rechtsstaates bieten sollte. Aber wir sehen, dass diese Rechte von Interessen, die der Gerechtigkeit und der Vernunft entgegenstehen, verweigert und mit Füßen getreten werden.

Wir werden den Weg der Erinnerung mit Ehre weitergehen, indem wir all derer, die sich für den Aufbau einer gerechteren Welt eingesetzt haben und noch immer einsetzen gedenken, während wir all jenen danken, die aus verschiedenen Teilen der Welt uns unterstützen mit ihrer Zuneigung und Solidarität.

Friedensgemeinde San José de Apartadó
22. September 2023

Unter dem Schutz der staatlichen Institutionen schlägt die paramilitärische Herrschaft Wurzeln

Wieder einmal möchte unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó die nationale und internationale Gemeinschaft über die jüngsten Ereignisse, die das Leben der Zivilbevölkerung in unserem geografischen und sozialen Umfeld und die Existenz unserer Friedensgemeinschaft bedrohen, informieren.

Die Tür zur Freiheit in unserem Gebiet schließt sich immer mehr, denn die großen Gruppen der bewaffneten Paramilitärs spielen sich auf, als wären sie selbst Truppen der Armee. Das wird möglich durch die Duldsamkeit des Staates, der sich teilweise zum Komplizen der Paras macht. Keiner sagt etwas gegen die Paras, weil sie diejenigen sind, die jeden, der in die Gegend kommt oder dort lebt, kontrollieren und unterjochen.

Folgendes hat sich in den letzten Wochen ereignet:

Ende Juni 2023
Morddrohungen: Ein Anführer des Dorfes San José de Apartadó bekam eine Morddrohung über WhatsApp. Wenn er nicht aufhöre, die Misswirtschaft bei der Durchführung von Projekten des Bürgermeisteramtes von Apartadó anzuprangern, werde er getötet.

Juli 2023
Am Dienstag, den 11. Juli 2023, gegen 7 Uhr, begann die Georeferenzierungsprüfung durch die Landrückgabeeinheit auf unserem Privatgrundstück La Roncona, eine Mission, die im Voraus zwischen der URT (Land Restitution Unit) und unserer Friedensgemeinschaft vereinbart wurde. Unsere Friedensgemeinschaft wehrte sich
gegen die Anwesenheit des bekannten Paramilitärs WILLIAM MUÑOZ. Nicht nur dass er den Paramilitärs zugehörig ist, sondern er führte auch eine Invasion unseres Grundstücks von La Roncona am 11.9.2018 an und arbeitet Hand in Hand mit den Militärs.

Zusammenfassung (d. Ü)

Erwähnt werden ungebetene Besuche auf heimischem Territorium, Observation des Gebietes via Helikopter, ein fingierter Hilferuf per Telefon und insgesamt verunsichert die zunehmende Belagerung durch bewaffnete Paramilitärs die Bevölkerung der Friedensgemeinde zusehends.

Bei der Georeferenzierungsprüfung mit der Abteilung für Landrückgabe mischte sich offenbar ein ehemaliges Mitglied der FARC unter die Menge der Zeugen der Grenzen. Dieser Herr Nicolás de Jesús Montoya hatte 2014 im Fernsehen erklärt, die Gemeinschaft sei von der FARC geschaffen worden. Weiteren Morddrohungen gegen Mitglieder der Friedensgemeinde werden geschildert.

Weiter mit der Übersetzung des Blogs:

Die Fakten, die wir jeden Tag zu Protokoll geben, zeigen, dass sich die Situation der Unterdrückung und des Todes nicht geändert hat, und das Beunruhigendste ist, dass sich niemand traut, etwas zu sagen, weil er Angst hat.

Wir fragen uns: Bei wem kann man sich heute in Kolumbien beschweren, wenn der Justizapparat selbst, die 17. Brigade der Armee und das Bürgermeisteramt von Apartadó selbst keinerlei Unabhängigkeit, Unparteilichkeit oder Sicherheit garantieren, da sie oft Versammlungen mit den Bewohnern des Viertels abhalten, um Petitionen und Beschwerden entgegenzunehmen, und die konkrete Antwort, die die Menschen am nächsten Tag erhalten, sind Morddrohungen.

Wir werden mit unserem zivilen Widerstand nicht aufhören, dem Land und der Welt alles mitzuteilen, was in unserer Region weiterhin geschieht. Gleichzeitig danken wir den verschiedenen Menschen weltweit für ihre Ermutigung. Danke für all die moralische Kraft, die Sie uns geben und dafür, dass Sie an unseren Lebensprozess glauben.

Friedensgemeinschaft San José de Apartadó
Juli 2023

Der langsame Niedergang, den niemand verhindert

Unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó wendet sich erneut an die nationale und internationale Gemeinschaft. Auch die jüngsten Ereignisse bedrohen das Leben der Zivilbevölkerung in unserem Umfeld und gefährden die Existenz unserer Friedensgemeinschaft. Es wird immer schwieriger, in einem Gebiet zu leben, in dem die Paramilitärs diejenigen sind, die herrschen und ihre Regeln über alle stellen. Bestechung, Erpressung, Zwangsrekrutierung sind alltäglich, hinzu kommt, dass die Zivilbevölkerung paramilitärischen Informanten erlauben muss, mit in ihren Häusern zu leben und ihre Regeln zu akzeptieren.

Der lang ersehnte „totale Frieden“ (die Regierung des linken Präsidenten Gustavo Petro hat als politisches Ziel den „totalen Frieden“ – Paz Total – ausgerufen. Gemeint sind umfassende Verhandlungen mit allen nach wie vor aktiven bewaffneten Gruppen, begleitet von sozialreformerischen Programmen. Mit den strikt politisch motivierten,  wie die ELN-Guerilla sollte politisch verhandelt werden, die eher kriminell ausgerichteten, wie die Paramilitärs will die Regierung eher durch Strafnachlässe und Integrationsmaßnahmen zum Aufgeben bringen, Anm. d. Ü.) hat diese Region nicht erreicht, denn in diesem knappen Jahr der Regierung von Präsident Gustavo Petro gab es seitens der staatlichen Instanzen nicht das geringste Interesse daran, diesen Tätern entgegenzutreten. Die Paramilitäts üben weiter ihre Herrschaft aus, ohne von irgendjemandem behelligt zu werden.

Die Fakten, deren Einschätzung wir der Menschheit und der Geschichte überlassen, sind wie folgt:
(Wir erwähnen hier allerdings nur die u. M. n. besonders schwerwiegenden Belästigungen, Anm. d. Ü.)

In der ersten Juniwoche 2023 wurden Informationen zufolge einige Schüsse im Dorf Arenas Altas von Paramilitärs abgefeuert.

Des Weiteren kam es zu Zusammenstößen zwischen Paramilitärs, es wurde ein Rucksack mit Computern gestohlen (auf den Festplatten befanden sich offensichtlich Schriftstücke über ein Friedensthema), auch davon nahm die Polizei kaum Notiz.

Am Samstag, den 10. Juni 2023, wurde bei Tageslicht eine Person im Dorf La Balsa de San José de Apartadó tot aufgefunden. Nach Angaben der Menschen, die die Leiche fanden, wies sie mehrere Schusswunden auf.

In weiteren Berichten ist von Bedrohungen und einer versuchten Vergewaltigung die Rede. Die Präsenz von Paramilitärs in Tarnkleidung und mit Gewehren ausgestattet, beunruhigt die Zivilbevölkerung immer wieder.

Am Freitag, den 16. Juni 2023, wurde der leblose Körper des jungen EDWIN ANDRÉS CARVAJAL ÚSUGA in der Gemeinde Turbo gefunden. Dieser junge Mann aus dem Corregimiento von San José de Apartadó wurde von den Paramilitärs rekrutiert, die das Gebiet kontrollieren. Einige Tage zuvor, am Sonntag, den 11. Juni, kam es im Corregimiento von Nuevo Antioquia, Gemeinde Turbo, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen denselben Paramilitärs. Die ist ein Ort, der seit vielen Jahren von Militär- und Polizeipräsenz belastet ist. „El Médico“ begann, mehrere Paramilitärs und Zivilisten in Streit geraten. Als er Edwin hart traf, reagierte der heftig und tötete alias El Médico mit einer Schusswaffe, die ihm die Paramilitärs bei der Rekrutierung gegeben hatten. Die Paramilitärs nahmen Edwin und seinen Bruder gefangen und brachten sie gefesselt weg. Edwin wird getötet, als er in Currulao ankommt, sein Bruder wird mehrere Tage lang gefesselt gehalten und dann freigelassen. Sein Bruder, der Zivilist ist, musste das Gebiet verlassen, da er zur Zielscheibe der Paramilitärs wurde. Das gleiche Schicksal ereilte einen anderen jungen Mann, der sie begleitete und der ebenfalls ins Fadenkreuz der Paras geriet.

In der Region heißt es, die Paramilitärs hätten ihre Kommandostruktur geändert. Was die Rekrutierung junger Menschen, die Erhebung von Zwangs- und Bestechungsgeldern und die Unterwerfung der Bauern unter ihre neuen Richtlinien intensiviert. Darüber hinaus sollen die neuen Führer selbst erklärt haben: Wer einmal drin ist, kommt lebend nicht mehr raus.

Es ist schlimm, dass die Mainstream-Medien in Kolumbien den Paramilitarismus als ein Phänomen der Vergangenheit betrachten und wie sich alle staatlichen Institutionen auf die totale Toleranz des Paramilitarismus eingestellt haben. Weder die Öffentlichkeit noch die kommunalen Verwaltungen, noch die Geschäftswelt, noch die politischen Parteien, noch irgendjemand verurteilt die totale paramilitärische Herrschaft, in unserer Region oder anderen Regionen in denen es ähnlich zugeht.

Sie sind Herren über Leben und Tod. EDWIN ist eines der jüngsten Opfer. Sie kontrollieren alle Siedlungen und das wird von allen Behörden geduldet und unterstützt, sie kontrollieren die Wirtschaft mit ihren Schutzgeldern und der Durchsetzung ihrer absurden Pläne und „Entwicklungsmodelle“. Es ist ein akzeptiertes System der Sklaverei, das die derzeitige „Regierung des Wandels“ gar nicht im Blick hat. Wie schrecklich!

Aus unserer Friedensgemeinschaft senden wir eine Botschaft an das Land und die Welt, dass wir uns der Verteidigung eines Lebens ohne Krieg anschließen möchten. Der Krieg erstickt und lässt das menschenwürdige Leben der umliegenden Bevölkerung ausbluten. All dies zu ändern, scheint für diese Regierung keine Priorität zu haben, obwohl sie doch eigentlich den Wandel proklamiert.

Wir können uns nur bei allen Menschen und Gemeinschaften bedanken, die aus den vielen Teilen des Landes und der Welt an unseren Widerstand glauben und keinen Schritt weichen, sondern uns moralische Kraft gegeben haben, um in unserem Gebiet weiter Widerstand zu leisten. Ihnen allen, vielen Dank, dass Sie unsere Förderer einer echten Veränderung sind.

Comunidad de Paz San José de Apartadó
Juni 2023