Kein Ende der Todesdrohungen

Unsere Friedensgemeinde San José de Apartadó hat vom 18. bis 22. Februar einen humanitären und ökologischen „Fußmarsch für das Leben“ organisiert, bei dem wir von einer großen Gruppe von Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt begleitet wurden. Diese Wanderung führte durch verschiedene Dörfer im Bezirk San José de Apartadó, darunter: Buenos Aires, La Unión, Las Nieves, El Porvenir, La Esperanza, Playa Larga, Mulatos und La Resbalosa. Dabei haben wir uns nicht nur von der starken paramilitärischen Präsenz und Kontrolle in mehreren Gebieten von San José überzeugen müssen, sondern auch vom illegalen Bau von Straßen, noch dazu ohne Genehmigung der Grundstückseigentümer. So zum Beispiel die Straße, die von Nuevo Antioquia aus in das Dorf La Esperanza angelegt werden soll, wodurch die in der Verfassung verankerten Rechte auf Autonomie, Ruhe und Privateigentum verletzt würden. Durch den Bau von Straßen wollten sie (gemeint sind offenbar die Paramilitärs, Anm. d. Ü.) sich einen Teil von Las Delicias aneignen, ein Landbesitz, der unserer Friedensgemeinde im Dorf La Esperanza gehört.
Während dieser Reise waren wir besonders berührt, als wir des 18. Jahrestages des schrecklichen Massakers gedachten, das der kolumbianische Staat am 21. Februar 2005 durch sein Militär und die Paramilitärs an unserer Friedensgemeinschaft verübte. Damals wurden acht Menschen, darunter ein 18 Monate altes Kind, auf grausame Weise getötet.

Herausragende Juristen haben es zwar in den Jahren danach geschafft, die in erster und zweiter Instanz verkündeten Freisprüche für die Täter zu Fall zu bringen, sodass zehn Soldaten am Ende für dieses schreckliche Verbrechen verurteilt wurden aber diese Verbrecher haben die JEP  ausgenutzt, die ihnen auf unrechtmäßige und beschämende Art und Weise Straffreiheit gesichert hat, die nun schon 18 Jahre andauert. (Anm. d. Ü.: Die JEP, Justicia Especial para la Paz, ist eine Sonder-Gerichtsbarkeit, die vor sieben Jahren im Friedensabkommen zwischen Regierung und Farc-Guerilla etabliert wurde. Sie soll den Opfern des Konfliktes Gerechtigkeit widerfahren lassen, zur Wahrheitsfindung beitragen, Straffreiheit für die Täter verhindern, den Beteiligten am Konflikt langfristig Rechtssicherheit geben und generell zur Befriedung Kolumbiens hinwirken. Politisch sollte den Farc-Kämpfern der Übergang ins zivile Leben ermöglicht werden. In der Praxis allerdings, so die weitverbreitete Kritik vor allem von Opfern, würden viel zu viele Untaten amnestiert, was ja auch der Tenor des Blogs ist.  Die Formulierung im Blog – „la JEP la cual, de manera ilegítima y vergonzosa ha protegido su impunidad prolongada ya por 18 años“
– zeigt unserer Ansicht nach , dass die zehn Soldaten nicht bestraft wurden. Erneut wendet sich unsere Friedensgemeinde an die Menschheit und die Geschichte, um neue Tatsachen festzuhalten, die uns und die Bevölkerung unseres geographischen und sozialen Umfelds bedrohen.

Im Folgenden sind die neuen Tatsachen:

In der Woche vom 2. bis 7. Januar drangen Straßenbautrupps mit Maschinen ohne Zustimmung in unser Privateigentum auf der Farm Las Delicias im Dorf La Esperanza ein. Unsere Gemeinde verlangte Respekt vor dem Eigentum, aber die Täter wiesen uns in arrogantem Ton ab und arbeiteten weiter
Zwischen dem 6. und 10. Januar stellte eine Delegation unserer Gemeinschaft, die die Dörfer Buenos Aires, Mulatos und La Resbalosa besuchte, die starke Präsenz der Paramilitärs in diesen Dörfern fest. Sie trugen Waffen und Funkgeräte und liefen frei herum.

Am Freitag, 27. Januar, wurde in den sozialen Netzwerken ein Video verbreitet, in dem Ruber Mario García, der Präsident der Junta de Acción Comunal der Stadt San José, auftritt (Anm. d. Ü.: Diese Juntas, abgekürzt JAC, sind in der Verfassung vorgesehene Mitbestimmungsorgane auf kommunaler Ebene, die in der Praxis allerdings oft von den lokalen Mächtigen kooptiert und unterwandert sind). In diesem Video bietet er eines unserer Gemeinschaftsgrundstücke namens Santa Isabel im Dorf El Cuchillo zum Verkauf an, und zwar, wie er sagt, im Auftrag einer Frau namens Nubia, die behauptet, Eigentümerin des Grundstücks zu sein. In Wahrheit ist unsere Friedensgemeinde seit mehr als 25 Jahren im Besitz dieses Grundstücks.

Am Freitag, 3. Februar, wurde im Stadtzentrum von San José ein sogenannter Sicherheitsrat abgehalten, den die 17. Heeresbrigade und die Polizei veranstaltet hatten. Die Mehrheit der Bevölkerung nahm an diesem Treffen nicht teil, da die Streitkräfte kein Interesse daran haben, Schutz zu gewähren und gegen die paramilitärischen Gruppen vorzugehen, die das Gebiet kontrollieren.

Am Samstag, 4. Februar, und Sonntag, 5. Februar, wurden auf dem Grundstück La Roncona, das unserer Friedensgemeinschaft gehört, die Anwesenheit von Kippern und gelben Baumaschinen beim Abbau von Erde für den Straßenbau festgestellt, obwohl Mitglieder unserer Gemeinschaft schnell vor Ort waren und auf das laufende Gerichtsverfahren in Bezug auf dieses Grundstück hinwiesen. Die Arbeiter ignorierten sie mit der Begründung, dass sie die Friedensgemeinde als Eigentümerin des Grundstücks nicht anerkennen. Sie behaupteten, sie kämen im Auftrag des Bürgermeisteramtes und könnten tun, was sie wollten.

Am Sonntag, 5. Februar, verbreiteten Paramilitärs sowohl als Flugblatt als auch in den sozialen Netzwerken eine Drohung. Das Pamphlet bringt den Namen Colombia Humana (so heißt die Partei des linken Staatspräsidenten Gustavo Petro, Anm. d. Ü.) in Verruf, was den Sicherheitskräften als Vorwand diente, um Kontrollen im Stadtgebiet von La Victoria und illegale und manipulierte Razzien im Dorf San José durchzuführen.

Ebenfalls am Sonntag, 5. Februar, wurde unsere Gemeinde über eine Reihe von Entführungen von Personen, darunter auch Minderjährige, durch Paramilitärs informiert. Den Angaben zufolge ereigneten sich die Fälle im Stadtzentrum von San José.

Am Mittwoch, 8. Februar, wurde unsere Gemeinde kurz vor dem auf 9 Uhr angesetzten Termin darüber informiert, dass die Anhörung zum Grundstück La Roncona erneut abgesagt sei, obwohl wir uns zuvor an das Sekretariat des Gerichts gewandt hatten, wo man uns mitteilte, dass die Anhörung noch stattfinde. Dies sind Verhaltensweisen, die weiterhin die Existenz einer falschen „Justiz“ beweisen, die die Menschenwürde in höchstem Maße missachtet.

Am Freitag, 10. Februar, drangen tagsüber sechs Paramilitärs in das Haus eines Mitglieds unserer Gemeinde ein, das auf dem uns gehörenden Bauernhof La Cabaña im Dorf La Resbalosa lebt. Die Paramilitärs umstellten das Haus und verbreiteten Panik und Angst.

Am Montag, 20. Februar, drangen in der Ortschaft Mulatos mehrere Rinder der Paramilitärs in das Landgut Cumbre ein, das unserer Gemeinschaft gehört. Die Tiere blieben bis zum 27. Februar und zerstörten die Ernten von Bohnen, Bananen, Zwiebeln u.a. Ähnliches wiederholte sich drei Tage später in La Resbalosa, wo die Paramilitärs ebenfalls Rinder auf unsere Farm La Cabaña trieben.

Am Samstag, 25. Februar, erfuhren wir, dass die Polizei in San José dem Eigentümer eines Grundstücks, das sich neben dem illegal errichteten Hauptquartier der Polizei befindet, verboten hat, ein Haus zu bauen. Die Polizei behauptete, das Gelände gehöre ihr.

Ebenfalls am Samstag, 25. Februar, befand sich in der Ortschaft La Unión eine Gruppe schwer bewaffneter Soldaten auf dem Grundstück einer Familie aus unserer Friedensgemeinde. Sie wurden aufgefordert, das Gelände sofort zu verlassen. Das taten sie zwar, aber nicht ohne vorher Gesten der Wut gegen unseren bäuerlichen Prozess zu zeigen.

Am Sonntag, 26. Februar, erfuhr unsere Gemeinde von dem 30-tägigen Waffenstillstand, den die Paramilitärs in der Region ausgerufen haben und der besagt, dass sie nach Ablauf dieses Zeitraums mit kriegerischen Mitteln gegen die Zivilbevölkerung vorgehen werden (Anm. d. Ü.: Was sich hinter dieser lapidaren Drohung verbirgt, erklärt der Blog leider nicht).

Wir möchten erneut allen Gemeinschaften und Menschen in Kolumbien und in der ganzen Welt danken, die mit ihrer Wachsamkeit, ihren Botschaften und ihrer Begleitung unseren Widerstand unterstützen.

Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó im Februar 2023