Wieder einmal sieht sich unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó in der dringenden Notwendigkeit, vor dem Land und der Welt über neue Gräueltaten gegen uns und die Bevölkerung in unserer Nachbarschaft zu berichten.
Der soziale Protest hat sich in vielen Teilen Kolumbiens bemerkbar gemacht und er schlug sich auch im Wahlergebnis nieder, auch wenn Wahlen in Kolumbien stets von den Eliten manipuliert wurden. Dennoch ist die Stimme des Volkes bis zu einem gewissen Grad gehört worden (Anm. d. Ü.: Im Juni wurde Gustavo Petro, ein Wirtschaftswissenschaftler und früherer Guerrillero der 1990 aufgelösten M-19, zum ersten linken Präsidenten in der Geschichte Kolumbiens gewählt). Trotz dieser Entwicklungen ist die Region Urabá (in der San José liegt, Anm. d. Ü.) weiterhin der paramilitärischen Herrschaft unterworfen, die die Entscheidungsgewalt behält. Die Dörfer unseres Corregimiento (vergleichbar den deutschen Landkreisen, Anm. d. Ü.) sind weiterhin in dieser katastrophalen Situation, und zwar mit der Duldung und dem Einverständnis aller staatlichen Institutionen.
Die Fakten, die wir dem Land und der Welt zur Kenntnis bringen, sind folgende:
Am Samstag, 4. Juni 2022, erfuhr unsere Friedensgemeinschaft von der Ermordung des Paramilitärs Wilfer Higuita. Er war mit einer der Familien unserer Gemeinschaft verwandt und hat seit vielen Jahren mit der Armee zusammengearbeitet. Er hat sich für die schmutzigsten und verabscheuungswürdigsten Aufgaben hergegeben, die im Zusammenhang mit dem nie verhohlenen Ziel des Militärs standen, unsere Friedensgemeinschaft durch Aktionen des Völkermords auszurotten.
Wir können zum Beispiel nicht vergessen, dass Wilfer am 17. Januar 2009 von Oberst Germán Rojas Díaz, dem späteren Kommandeur der 17. Heeresbrigade, benutzt wurde, um Renato Areiza, damals Mitglied unserer Gemeinschaft, zu erpressen. Wilfer forderte ihn auf, ihm bei der Zerschlagung der Friedensgemeinschaft zu helfen, und drohte, wenn er nicht kooperiere, dann würde er entweder als Guerillakämpfer oder als Drogenhändler verfolgt werden, wofür der Oberst die notwendigen falschen Zeugen zur Verfügung hatte. In den folgenden Jahren koordinierte Wilfer die Übernahme vieler Gebiete der Gemeinde durch die Paramilitärs, darunter auch das Dorf La Unión, das offenbar sein letztes Kommandogebiet war. Wie bei vielen anderen jungen Männern, die ihre Seele für verabscheuungswürdige Aufgaben verkauft haben, vor allem, wenn ihr Lebenslauf für Justizbeamte, die ausnahmsweise das Recht anwenden wollen, unhaltbar geworden ist, wurde Wilfer sicherlich „entlassen“, damit er der Armee nicht weiterhin juristische Probleme bereitet. Leider werden die Menschen als Putzlappen benutzt, und wenn sie zu sehr verschmutzt sind, werden sie weggeworfen. Wir verurteilen aufs Schärfste diese kriminelle Praxis des kolumbianischen Staates, mit der er seine Auffassung von Menschenwürde unter Beweis stellt.
In der Woche vom 3. bis 9. Juli 2022 war die Anwesenheit eines schwer bewaffneten paramilitärischen Kontingents in dem Dorf Buenos Aires im Bezirk San José de Apartadó zu beobachten.
Am Sonntag, den 10. Juli 2022, kam es gegen 20 Uhr zu einem Schusswechsel in der Nähe des Weilers La Unión, der zum selben Dorf gehört. Der Vorfall ereignete sich in der Nähe eines Grundstücks, das unserer Friedensgemeinschaft gehört. Dort ist ein militärisches Kontingent stationiert. Die angebliche Belästigung dauerte mehr als 15 Minuten. Mehrere Dorfbewohner äußerten sich besorgt über die Auswirkungen, die solche Schikanen haben könnten, zumal die Zivilbevölkerung im Zentrum der Auseinandersetzungen steht und die schlimmsten Folgen des Krieges zu tragen hat.
Am Dienstag, den 12. Juli 2022, begab sich tagsüber eine Kommission unserer Friedensgemeinschaft an den Ort der Ereignisse vom Sonntag, den 10. Juli, und es wurde festgestellt, dass dort auf unserem Privatgrundstück das Militär der XVII. Brigade der Armee stationiert war, wir forderten sie auf, sich von unserem Grundstück zurückzuziehen und verlangten Respekt für die Gemeinschaftsräume, die als Privateigentum unserer Friedensgemeinschaft ausgewiesen sind, doch dieses Militärkontingent wollte sich nicht von unserem Privatgrundstück zurückziehen, gleichzeitig wurde festgestellt, dass sie bereits landwirtschaftliche Erzeugnisse, darunter Kakao, beschädigt hatten. Dieses Militärkontingent ist immer noch da.
Am Freitag, den 15. Juli 2022, wurden in den Morgenstunden mehrere Paramilitärs in der Nähe der Schule des Dorfes La Resbalosa gesehen.
Am Sonntag, den 17. Juli 2022, wurde unsere Friedensgemeinschaft über die Anwesenheit eines angeblichen Beamten der Fiscalía im Dorf La Unión informiert, dessen Arbeit darin bestand, Zeugenaussagen über die Art und Weise des Landerwerbs durch die Gemeinschaft zu sammeln. Er widmete sich auch dem Sammeln von Zeugenaussagen über mehrere Leichen, die auf dem Friedhof des Dorfes begraben sind und beschuldigte die Gemeinschaft, die Leichen von Guerillakämpfern illegal zu begraben. Eine Behauptung, die völlig unbegründet ist und die Empörung hervorruft, wenn man sie mit der systematischen Haltung der Staatsanwaltschaft und der Justiz im Allgemeinen kontrastiert, die sich nie für die mehr als tausend Verbrechen gegen die Menschlichkeit interessieren, die vom Staat und dem Parastaat gegen unsere Friedensgemeinschaft begangen wurden, und sie in absoluter Straflosigkeit belassen.
Am Dienstag, den 19. Juli 2022, waren nachmittags in dem Dorf La Antena, in dem seit mehreren Jahren ein Militärkontingent der XVII. Brigade der Armee stationiert ist, zahlreiche Gewehrschüsse zu hören.
Am Mittwoch, 20. Juli 2022, um 23.00 Uhr, waren im Zentrum von San José mehrere Schüsse zu hören.
Am selben Mittwoch, dem 20. Juni 2022, gaben in der Nacht mehrere Paramilitärs auf einem Motorrad zwischen San José und Apartadó mehrere Schüsse auf unser Privatgrundstück Finca La Roncona ab.
Am Sonntag, den 24. Juli 2022, wurden gegen 3.00 Uhr morgens im Dorf Salsipuesdes in der Gemeinde Apartadó fünf Menschen durch die Sicherheitskräfte getötet. Bei den Opfern handelt es sich offenbar um Mitglieder paramilitärischer Strukturen. Auch wenn es sich um Kriminelle handelt, vertritt unsere Friedensgemeinschaft kompromisslos die Auffassung, dass das Leben heilig ist und dass keine Justizpolitik es missachten darf. Es ist äußerst bedauerlich, dass Kolumbien seine Bürger weiterhin mit einer solchen Kaltblütigkeit ermordet und noch schlimmer, wenn es sie zuvor als
Instrumente seiner schmutzigen kriminellen Politik benutzt hat, die ihr Leben in den Abgründen der schlimmsten Kriminalität extrem erniedrigt hat.
Unser Dank gilt stets all jenen Menschen und Gemeinschaften, die uns aus entlegenen Teilen des Landes und der Welt mit ihrer Solidarität moralisch unterstützen
San José, 27. Juli 2022