Unter dem Schutz der staatlichen Institutionen schlägt die paramilitärische Herrschaft Wurzeln

Wieder einmal möchte unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó die nationale und internationale Gemeinschaft über die jüngsten Ereignisse, die das Leben der Zivilbevölkerung in unserem geografischen und sozialen Umfeld und die Existenz unserer Friedensgemeinschaft bedrohen, informieren.

Die Tür zur Freiheit in unserem Gebiet schließt sich immer mehr, denn die großen Gruppen der bewaffneten Paramilitärs spielen sich auf, als wären sie selbst Truppen der Armee. Das wird möglich durch die Duldsamkeit des Staates, der sich teilweise zum Komplizen der Paras macht. Keiner sagt etwas gegen die Paras, weil sie diejenigen sind, die jeden, der in die Gegend kommt oder dort lebt, kontrollieren und unterjochen.

Folgendes hat sich in den letzten Wochen ereignet:

Ende Juni 2023
Morddrohungen: Ein Anführer des Dorfes San José de Apartadó bekam eine Morddrohung über WhatsApp. Wenn er nicht aufhöre, die Misswirtschaft bei der Durchführung von Projekten des Bürgermeisteramtes von Apartadó anzuprangern, werde er getötet.

Juli 2023
Am Dienstag, den 11. Juli 2023, gegen 7 Uhr, begann die Georeferenzierungsprüfung durch die Landrückgabeeinheit auf unserem Privatgrundstück La Roncona, eine Mission, die im Voraus zwischen der URT (Land Restitution Unit) und unserer Friedensgemeinschaft vereinbart wurde. Unsere Friedensgemeinschaft wehrte sich
gegen die Anwesenheit des bekannten Paramilitärs WILLIAM MUÑOZ. Nicht nur dass er den Paramilitärs zugehörig ist, sondern er führte auch eine Invasion unseres Grundstücks von La Roncona am 11.9.2018 an und arbeitet Hand in Hand mit den Militärs.

Zusammenfassung (d. Ü)

Erwähnt werden ungebetene Besuche auf heimischem Territorium, Observation des Gebietes via Helikopter, ein fingierter Hilferuf per Telefon und insgesamt verunsichert die zunehmende Belagerung durch bewaffnete Paramilitärs die Bevölkerung der Friedensgemeinde zusehends.

Bei der Georeferenzierungsprüfung mit der Abteilung für Landrückgabe mischte sich offenbar ein ehemaliges Mitglied der FARC unter die Menge der Zeugen der Grenzen. Dieser Herr Nicolás de Jesús Montoya hatte 2014 im Fernsehen erklärt, die Gemeinschaft sei von der FARC geschaffen worden. Weiteren Morddrohungen gegen Mitglieder der Friedensgemeinde werden geschildert.

Weiter mit der Übersetzung des Blogs:

Die Fakten, die wir jeden Tag zu Protokoll geben, zeigen, dass sich die Situation der Unterdrückung und des Todes nicht geändert hat, und das Beunruhigendste ist, dass sich niemand traut, etwas zu sagen, weil er Angst hat.

Wir fragen uns: Bei wem kann man sich heute in Kolumbien beschweren, wenn der Justizapparat selbst, die 17. Brigade der Armee und das Bürgermeisteramt von Apartadó selbst keinerlei Unabhängigkeit, Unparteilichkeit oder Sicherheit garantieren, da sie oft Versammlungen mit den Bewohnern des Viertels abhalten, um Petitionen und Beschwerden entgegenzunehmen, und die konkrete Antwort, die die Menschen am nächsten Tag erhalten, sind Morddrohungen.

Wir werden mit unserem zivilen Widerstand nicht aufhören, dem Land und der Welt alles mitzuteilen, was in unserer Region weiterhin geschieht. Gleichzeitig danken wir den verschiedenen Menschen weltweit für ihre Ermutigung. Danke für all die moralische Kraft, die Sie uns geben und dafür, dass Sie an unseren Lebensprozess glauben.

Friedensgemeinschaft San José de Apartadó
Juli 2023

Der langsame Niedergang, den niemand verhindert

Unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó wendet sich erneut an die nationale und internationale Gemeinschaft. Auch die jüngsten Ereignisse bedrohen das Leben der Zivilbevölkerung in unserem Umfeld und gefährden die Existenz unserer Friedensgemeinschaft. Es wird immer schwieriger, in einem Gebiet zu leben, in dem die Paramilitärs diejenigen sind, die herrschen und ihre Regeln über alle stellen. Bestechung, Erpressung, Zwangsrekrutierung sind alltäglich, hinzu kommt, dass die Zivilbevölkerung paramilitärischen Informanten erlauben muss, mit in ihren Häusern zu leben und ihre Regeln zu akzeptieren.

Der lang ersehnte „totale Frieden“ (die Regierung des linken Präsidenten Gustavo Petro hat als politisches Ziel den „totalen Frieden“ – Paz Total – ausgerufen. Gemeint sind umfassende Verhandlungen mit allen nach wie vor aktiven bewaffneten Gruppen, begleitet von sozialreformerischen Programmen. Mit den strikt politisch motivierten,  wie die ELN-Guerilla sollte politisch verhandelt werden, die eher kriminell ausgerichteten, wie die Paramilitärs will die Regierung eher durch Strafnachlässe und Integrationsmaßnahmen zum Aufgeben bringen, Anm. d. Ü.) hat diese Region nicht erreicht, denn in diesem knappen Jahr der Regierung von Präsident Gustavo Petro gab es seitens der staatlichen Instanzen nicht das geringste Interesse daran, diesen Tätern entgegenzutreten. Die Paramilitäts üben weiter ihre Herrschaft aus, ohne von irgendjemandem behelligt zu werden.

Die Fakten, deren Einschätzung wir der Menschheit und der Geschichte überlassen, sind wie folgt:
(Wir erwähnen hier allerdings nur die u. M. n. besonders schwerwiegenden Belästigungen, Anm. d. Ü.)

In der ersten Juniwoche 2023 wurden Informationen zufolge einige Schüsse im Dorf Arenas Altas von Paramilitärs abgefeuert.

Des Weiteren kam es zu Zusammenstößen zwischen Paramilitärs, es wurde ein Rucksack mit Computern gestohlen (auf den Festplatten befanden sich offensichtlich Schriftstücke über ein Friedensthema), auch davon nahm die Polizei kaum Notiz.

Am Samstag, den 10. Juni 2023, wurde bei Tageslicht eine Person im Dorf La Balsa de San José de Apartadó tot aufgefunden. Nach Angaben der Menschen, die die Leiche fanden, wies sie mehrere Schusswunden auf.

In weiteren Berichten ist von Bedrohungen und einer versuchten Vergewaltigung die Rede. Die Präsenz von Paramilitärs in Tarnkleidung und mit Gewehren ausgestattet, beunruhigt die Zivilbevölkerung immer wieder.

Am Freitag, den 16. Juni 2023, wurde der leblose Körper des jungen EDWIN ANDRÉS CARVAJAL ÚSUGA in der Gemeinde Turbo gefunden. Dieser junge Mann aus dem Corregimiento von San José de Apartadó wurde von den Paramilitärs rekrutiert, die das Gebiet kontrollieren. Einige Tage zuvor, am Sonntag, den 11. Juni, kam es im Corregimiento von Nuevo Antioquia, Gemeinde Turbo, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen denselben Paramilitärs. Die ist ein Ort, der seit vielen Jahren von Militär- und Polizeipräsenz belastet ist. „El Médico“ begann, mehrere Paramilitärs und Zivilisten in Streit geraten. Als er Edwin hart traf, reagierte der heftig und tötete alias El Médico mit einer Schusswaffe, die ihm die Paramilitärs bei der Rekrutierung gegeben hatten. Die Paramilitärs nahmen Edwin und seinen Bruder gefangen und brachten sie gefesselt weg. Edwin wird getötet, als er in Currulao ankommt, sein Bruder wird mehrere Tage lang gefesselt gehalten und dann freigelassen. Sein Bruder, der Zivilist ist, musste das Gebiet verlassen, da er zur Zielscheibe der Paramilitärs wurde. Das gleiche Schicksal ereilte einen anderen jungen Mann, der sie begleitete und der ebenfalls ins Fadenkreuz der Paras geriet.

In der Region heißt es, die Paramilitärs hätten ihre Kommandostruktur geändert. Was die Rekrutierung junger Menschen, die Erhebung von Zwangs- und Bestechungsgeldern und die Unterwerfung der Bauern unter ihre neuen Richtlinien intensiviert. Darüber hinaus sollen die neuen Führer selbst erklärt haben: Wer einmal drin ist, kommt lebend nicht mehr raus.

Es ist schlimm, dass die Mainstream-Medien in Kolumbien den Paramilitarismus als ein Phänomen der Vergangenheit betrachten und wie sich alle staatlichen Institutionen auf die totale Toleranz des Paramilitarismus eingestellt haben. Weder die Öffentlichkeit noch die kommunalen Verwaltungen, noch die Geschäftswelt, noch die politischen Parteien, noch irgendjemand verurteilt die totale paramilitärische Herrschaft, in unserer Region oder anderen Regionen in denen es ähnlich zugeht.

Sie sind Herren über Leben und Tod. EDWIN ist eines der jüngsten Opfer. Sie kontrollieren alle Siedlungen und das wird von allen Behörden geduldet und unterstützt, sie kontrollieren die Wirtschaft mit ihren Schutzgeldern und der Durchsetzung ihrer absurden Pläne und „Entwicklungsmodelle“. Es ist ein akzeptiertes System der Sklaverei, das die derzeitige „Regierung des Wandels“ gar nicht im Blick hat. Wie schrecklich!

Aus unserer Friedensgemeinschaft senden wir eine Botschaft an das Land und die Welt, dass wir uns der Verteidigung eines Lebens ohne Krieg anschließen möchten. Der Krieg erstickt und lässt das menschenwürdige Leben der umliegenden Bevölkerung ausbluten. All dies zu ändern, scheint für diese Regierung keine Priorität zu haben, obwohl sie doch eigentlich den Wandel proklamiert.

Wir können uns nur bei allen Menschen und Gemeinschaften bedanken, die aus den vielen Teilen des Landes und der Welt an unseren Widerstand glauben und keinen Schritt weichen, sondern uns moralische Kraft gegeben haben, um in unserem Gebiet weiter Widerstand zu leisten. Ihnen allen, vielen Dank, dass Sie unsere Förderer einer echten Veränderung sind.

Comunidad de Paz San José de Apartadó
Juni 2023

Tag für Tag neue Formen der Unterdrückung

Die Vernichtungsstrategien gegen unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó setzen sich Schritt für Schritt fort, Tag für Tag entwickeln unsere Gegner neue Formen der Repression gegen unseren Gemeinschaftsprozess. Unentwegt kündigen sie den „finalen Schlag“ gegen unseren Lebensprozess an, ein „Schlag“, der von denen geplant wird, denen wir mit unserem Lebensprojekt im Weg stehen.

Folgende neue Vorfälle möchten wir der Öffentlichkeit zur Kenntnis geben:

Am Mittwoch, 29. März, wurde Jailer Stiven Góez ermordet, ein junger Einwohner des Dorfes San José. Offenbar hat er zu den Paramilitärs gehört. Unsere Gemeinschaft hatte bereits berichtet, dass immer wieder Minderjährige aus den Dörfern von San José de Apartadó von den Paramilitärs rekrutiert werden.

Am selben Tag wurde Liliana Roja, eines unserer Mitglieder, offenbar von einem Beamten der Staatsanwaltschaft von Urabá angerufen, der sich als Henry Mauricio Vásquez vorstellte. In Missachtung unseres grundsätzlichen Bruchs mit dem Justizapparat drängte dieser Beamte Liliana, ihn in der Siedlung unserer Gemeinschaft in San Josesito zu treffen oder eine Einladung zu einem Treffen an einem anderen Ort außerhalb der Gemeinschaft anzunehmen, alles mit dem Ziel, Informationen über den Tod von Jimmy Andrés Sepúlveda zu sammeln, der im September vergangenen Jahres ermordet wurde. Es ist empörend, dass versucht wird, Informationen über die Mörder ausgerechnet bei uns zu suchen. Als ob wir die Verbrecher verstecken würden – es ist doch allgemein bekannt, dass sie in der Stadt San José de Apartadó leben und ständig mit der Militär- und Polizeibehörde zusammenarbeiten. Sepúlveda wurde nur wenige Meter von der Polizeistation und dem Militärstützpunkt entfernt, wo sich die Täter Tag und Nacht herumtreiben. Es ist im Übrigen nicht die Aufgabe der Friedensgemeinschaft oder ihrer Mitglieder, nachrichtendienstliche Arbeit zu leisten, und schon gar nicht für ein so furchtbar korruptes Justizsystem, das Hunderte von Verbrechen, die uns betroffen haben, ungestraft gelassen hat und mit dem wir seit vielen Jahren aus Gewissensgründen nicht mehr zusammenarbeiten. (…)

In den letzten März-Tagen haben uns mehrere Bauern darüber informiert, wie die Beamten der Landrückgabe-Einheit von Urabá die Landrückgabe-Anträge bearbeiten (Anm. d. Ü.: Die Landrückgabe-Einheiten – unidades de restitución de tierras – sind die Behörden, die einen der zentralen Punkte des Friedensabkommens zwischen Staat und Farc von 2016 umsetzen sollen: Die Rückgabe des Landes, das die im Laufe des Konfliktes Vertriebenen verlassen mussten und das sich dann andere, meist die Vertreiber, aneigneten. In der Praxis handelt es sich um die Klärung oft komplizierter, verworrener Besitzansprüche, bei der oft die Kleinbauern gegen örtlich Mächtigen den Kürzeren ziehen). Unsere Gemeinschaft konnte sich von der Art und Weise überzeugen, in der die Beamten über diese Grundstücke Informationen sammeln, die bruchstückhaft sind und den Interessen von Personen dienen, die mit den Opfern nichts zu tun haben, (…).

Am Freitag, 31. März, gegen 22.00 Uhr, wurden vor der Siedlung unserer Friedensgemeinschaft San Josesito, an der Straße, die von Apartadó nach San José führt, von Personen auf Motorrädern Schüsse abgefeuert. Das gleiche wiederholte sich am Abend danach.

Am Donnerstag, 13. April, führte ein Richter für Landrückgabe eine gerichtliche Inspektion des Landes durch, das der Bauernfamilie Jaime Garcia und Olga Carlosama gehört und nahe dem Stadtzentrum von San José de Apartadó liegt. Das Büro des Bürgerbeauftragten, das den Auftrag hat, über die Rechte der derzeitigen Eigentümer zu wachen, war bei dem Verfahren nicht anwesend. Es hatte den Rechtsanwalt Javier Vuelvas mit der Vertretung der Familie García Carlosama beauftragt. Aber der Anwalt blieb untätig – seine einzige Aktivität war der Ratschlag für die Familie García Carlosama, „alles Holz zu fällen, alles wegzuschaffen, was sie können und das Land zu verlassen, und wenn sie ein Familienmitglied oder einen Ort haben, wo sie hingehen können, sollten sie schnellstens gehen“. Wie kann so eine Karikatur eines hochgradig kooptierten Beamten in einer Institution geduldet werden, die angeblich ihre korrupten Verfahren ändern will?

In den letzten Tagen des April befuhren bekannte Paramilitärs und Pistoleros auf Motorrädern immer wieder die Straße von Apartadó nach San José.

Am Freitag, 28. April, betraten zwei dunkel gekleidete Personen kurz vor Mitternacht die Siedlung San Josesito. Nach einer Viertelstunde flüchteten sie auf der Straße nach Apartado. Vier Tage später kam erneut mitten in der Nacht derartiger unerwünschter Besuch, der nach kurzer Zeit verschwand.

Am Mittwoch, 3. Mai, haben wir hohe Staatsbeamte auf die betrügerische Art und Weise aufmerksam gemacht, mit der sich die Polizei das Grundstück der Polizeistation San José de Apartadó angeeignet hat. Das geschah zum einen durch gewaltsame Methoden unter Berufung auf einen Präsidialerlass nach dem schrecklichen Massaker vom 21. Februar 2005 an unserer Friedensgemeinschaft. Zum anderen wurden gefälschte Dokumente vorgelegt, unter anderem um ein Grundstück, für das bereits ein Besitztitel bestand, als „leeres Grundstück“ zu deklarieren (…).

Am Donnerstag, 4. Mai, erhielten wir die Information, dass erneut ein Plan zur Invasion eines der Gemeinschaftsgrundstücke der Friedensgemeinschaft, in diesem Fall des Grundstücks Las Delicias in La Esperanza, Gemeinde San José de Apartadó, in Arbeit ist. Es ist bekannt, dass sich die Verantwortlichen von La Esperanza und anderer Dörfer mit Paramilitärs getroffen haben, um die Invasion des Landstückes Las Delicias, das sie „Esperanza II“ genannt haben, zu erleichtern. Dieses Land ist aufgrund seiner geographischen Lage für die wirtschaftliche und soziale Macht in der Region von Interesse. Sie haben bereits viel unternommen, um uns dieses Land wegzunehmen. Man hat verschiedene Formen der Repression gegen unsere Friedensgemeinschaft eingesetzt, die Grenzen verletzt, Zäune zerstört und Straßenbaumaschinen eingesetzt, um gewaltsam eine Straße zu bauen. Gegen diese Straße wehren wir uns entschieden, weil sie von Paramilitärs betrieben wird, weil sie keine Umweltgenehmigung besitzt, weil die Bauernschaft nicht vorschriftsgemäß konsultiert wurde, weil sie das Recht auf Schutz und Achtung des Privateigentums missachtet, wie es in der kolumbianischen Verfassung festgelegt ist.

Am Freitag, 5. Mai, fand eine Anhörung vor dem Zivilrichter des Bezirks Apartadó statt, bei der es um das Grundstück Roncona ging, ein Grundstück, auf das unsere Friedensgemeinschaft seit mehr als 26 Jahren friedlicher Besetzung für die Subsistenzlandwirtschaft Anspruch erhoben hat. In diesem Prozess konnte nachgewiesen werden, dass wir den friedlichen, öffentlichen und ununterbrochenen Besitz viel länger als die gesetzlich vorgeschriebene Mindestzeit für die Verschreibung des Eigentums an dem Grundstück ausgeübt haben.

Am Dienstag, 9. Mai, wurden tagsüber in der Ortschaft Arenas Altas mehrere Paramilitärs gesehen, darunter ein bekannter Kommandant der Gegend, die dunkle Anzüge, Waffen und Funkgeräte trugen und in unseren gemeinschaftlichen Wohn- und Arbeitsbereich in Arenas Altas eindrangen.

Am Montag, 15. Mai, erhielten wir Informationen, nach denen die Streitkräfte mehrfach das Eigentum von Bauern im Dorf Arenas verletzt hat. Offenbar ist das Militär seit dem 29. April ohne Erlaubnis in die Häuser eingedrungen, wobei es zu Plünderungen gekommen ist.

Wir bekräftigen unsere tiefsten Überzeugungen zur Verteidigung des Lebens und des Territoriums, die uns immer wieder dazu drängen und herausfordern, diese ethischen und moralischen Prinzipien zu verteidigen, indem wir unser eigenes Leben an die zweite Stelle und den kollektiven und menschlichen Sinn des Lebens an die erste Stelle setzen.

San José de Apartadó, 15. Mai 2023

Brief an Präsident Gustavo Petro

Internationales Netzwerk der Solidarität mit der Friedensgemeinschaft.
San José de Apartadó 29. April 2023

Ihre Exzellenz
Gustavo Francisco Petro Urrego,
Presidente de la República de Colombia, Bogotá

Anlässlich des Jahrestages der Gründung der Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó wenden wir uns an Sie, Herr Präsident, um Ihnen einige Überlegungen vorzustellen zu dem ständigen Risiko, in dem die Mitglieder der Gemeinschaft nach 26 Jahren des Friedensaufbaus von unten, der Verteidigung des Lebens und des Territoriums immer noch leben müssen. Ebenso wäre es hilfreich, wenn die derzeitige Regierung die Wiederaufnahme der Beziehungen zur Gemeinschaft erleichterte, die, wie Sie wissen, im Jahr 2005 nach dem schrecklichen Massaker an acht ihrer Mitglieder durch staatliche Agenten den Bruch mit allen Institutionen des kolumbianischen Staates erklärt hat.

(Anm. d. Ü.: In einer Fußnote erläutert der Brief den historischen Hintergrund: „In den Archiven mehrerer internationaler Organisationen finden sich die Antworten der Regierung von Álvaro Uribe Vélez, in denen das Massaker (von 2005) der FARC zugeschrieben wurde, unterzeichnet vom damaligen Vizepräsidenten Francisco Santos, dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Luis Camilo Osorio und anderen, die gemeinsam versuchten, die Verantwortung des Staates zu verschleiern und stattdessen die Gemeinschaft mit den aufständischen Gruppen in Verbindung zu bringen – bis hin zu der Behauptung, der Grund für das Massaker sei das Interesse von Luis Eduardo Guerra gewesen, sich auf die Seite der Guerrilla zu schlagen.“ 2005 wurde Luis Eduardo Guerra, der Sprecher des Friedensdorfes, zusammen mit seiner Lebensgefährtin und dem elfjährigen Sohn ermordet.)

Wir, die Unterzeichnenden, sind europäische Institutionen und Organisationen, die die Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó seit vielen Jahren begleiten, und wir erkennen den immensen Wert und die Kohärenz dieser Gemeinschaft bei der fortgesetzten Verteidigung ihrer Prinzipien durch Gewaltlosigkeit an.

In den 26 Jahren ihres Bestehens hat sie die Ermordung von mehr als 300 Genossen in der Gemeinschaft durch verschiedene bewaffnete Gruppen (Paramilitärs, Nationale Armee und Guerilla) sowie ständige Aggressionen, Einschüchterungen, Demütigungen und die Nichtanerkennung der von den staatlichen Institutionen verursachten Verletzungen erlitten. Wie aus den Berichten hervorgeht, in denen die Gemeinschaft seit Jahren die Übergriffe gegen ihre Mitglieder und die umliegende Bevölkerung festhält, ist die Situation aufgrund der Paramilitarisierung der Bevölkerung und der regionalen und lokalen Institutionen, der Anwesenheit bewaffneter Gruppen auf ihrem Land und des ständigen Machtmissbrauchs durch die staatlichen Streitkräfte sowie – und das ist sehr wichtig – der wirtschaftlichen Interessen an ihrem Land und der ständigen Versuche, es ihnen wegzunehmen, äußerst ernst.

Eines der größten Probleme, das die Friedensgemeinschaft hat, ist die unsachgemäße Anwendung des Landrückgabegesetzes (Anm. d. Ü.: Gemeint ist das Gesetz 1448 von 2011, mit dessen Verabschiedung der Staat nicht nur formell die Existenz eines bewaffneten Konfliktes innerhalb seiner Landesgrenzen und folglich seine Schutzverantwortung gegenüber Millionen von Konfliktopfern anerkannte. Zugleich schuf er erstmals auch ein einheitliches Verfahren zur Entschädigung aller Gruppen von Opfern und Überlebenden des Konfliktes mitsamt einer eigenen, in großen Teilen völlig neuen Institutionenlandschaft.) Wie die Gemeinschaft immer wieder erfährt, konzentrieren sich die mit der Durchführung des Gesetzes befassten staatlichen Stellen darauf, Konflikte zwischen den Opfern selbst zu schaffen und arme und ungeschützte Familien mit Rückgabeforderungen zu konfrontieren, während die großen Fälle, an denen Unternehmen, multinationale Unternehmen, Politiker und andere beteiligt sind, nicht vorankommen. Die Gemeinschaft prangert an, dass das Landrückgabegesetz von großen wirtschaftlichen Interessen missbraucht wird, da sie dieses Gesetz nutzen, um den Verkauf von zurückerstattetem Land zu fördern und es so dem Markt zuzuführen. Die Friedensgemeinschaft beklagt, dass das juristische Instrument des Gesetzes eingesetzt wird, um sie ihres Eigentums zu berauben, das sie nicht nur legal erworben, sondern auch über 20 Jahre lang gepflegt und verteidigt hat.

Ein Beispiel dafür ist die Situation der Finca La Roncona. Im Dezember 2018 wollte die Gemeinschaft mit einer Zivilrechtsklage ihren Anspruch auf das Eigentum an der Finca Roncona juristisch absichern. Aber die Verhandlung wurde bereits viermal verschoben, was mittlerweile als Rechtsbeugung bezeichnet werden kann. Der mit dem Fall befasste Richter, William González de la Hoz, war 2016 regionaler Ombudsmann in Urabá. In diesem Amt erklärte er damals, dass es im Dorf Rodoxalí keine paramilitärischen Gruppen gebe und dies, obwohl es Beschwerden über die Anwesenheit von Illegalen gab, die in Absprache mit den Streitkräften Bewohner vertrieben und sie zum Umsiedeln zwangen. Vor diesem Hintergrund steht seine Tätigkeit als der mit dem Fall La Roncona befasste Richter im Zwielicht.

Wir sind Zeugen der Rechtsverletzung durch diesen Richter, der die Anhörungen einfach verhindert hat. Der für den 26. Oktober letzten Jahres anberaumte Termin, an dem mehr als 40 Vertreter europäischer Institutionen und Organisationen als Beobachter teilnehmen sollten, fand nicht statt. Das Gericht informiert nicht einmal vorher über ihre Absage, desgleichen die Anhörung am 8. Februar dieses Jahres, wobei hier als Begründung ein Verfahrensfehler angegeben wurde. Wir sind hoffen, dass ein Eingreifen des Zentralstaates die Situation der Schutzlosigkeit, unter der die Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó leidet, beenden könnte (siehe beigefügtes Register der Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen 2022).

Wir möchten aber auch zum Ausdruck bringen, dass wir zum ersten Mal seit vielen Jahren bei den Mitgliedern der Friedensgemeinschaft eine gewisse Hoffnung im Hinblick auf die derzeitige Regierung sehen, und wir glauben daher, dass nun das Vertrauen der Friedensgemeinde in die staatlichen Institutionen verbessert oder sogar wiederhergestellt werden kann.

In der Vergangenheit hat die Gemeinschaft die staatlichen Behörden häufig um Zeichen des guten Willens und an Garantien für die Wiederaufnahme des Dialogs mit der Regierung gebeten.

In der Überzeugung, dass diese Zeichen mit Ihrer Haltung und Ihrem Regierungsprogramm übereinstimmen, legen wir sie Ihnen vor:

  1. Öffentliche Rücknahme der Verleumdung des kolumbianischen Staates gegen die Friedensgemeinschaft nach dem Massaker vom 21. Februar 2005 durch den Präsidenten;
  2. Überprüfung des Standorts des Polizei-Hauptquartiers und der Militärbasis im Stadtzentrum von San José de Apartadó;
  3. Einrichtung humanitärer Zonen in San José de Apartadó, Erklärung der Friedensgemeinde zu einem Friedenslabor;
  4. Einsetzung einer Kommission, die unter anderem untersuchen soll, warum es im Fall der Friedensgemeinde San José de Apartadó keine Gerechtigkeit gegeben hat.

Herr Präsident, die Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó ist ein weltweit anerkanntes Beispiel für Friedenskonsolidierung, für die Verteidigung von Leben und Territorium und die Aufrechterhaltung der Erinnerung, was durch zahlreiche internationale Anerkennungen bezeugt wird. (…)

Wir hoffen, dass die Regierung des Historischen Paktes die Hoffnung dieser Gemeinschaft teilt und konsequent handelt.

Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Kunath und Beate Francke-Kern

(Es folgen die Unterschriften von über 30 Politik- und Wissenschafts-Vertreterinnen und -Vertretern aus Spanien, Italien, Belgien, Österreich, Deutschland, England und Frankreich)

Die Wellen des Terrors, die unser Land stets von neuem überfluten

Erneut wendet sich unsere Friedensgemeinde an die nationale und internationale Gemeinschaft, um die jüngsten Ereignisse, die das Leben der Bevölkerung in unserem geografischen und sozialen Umfeld und die Existenz unserer Friedensgemeinschaft bedrohen, zu Protokoll zu geben.

Wir befinden uns in einer Zeit großer Unsicherheit im Land, da verschiedene Friedensprozesse mit verschiedenen illegalen bewaffneten Gruppen angekündigt wurden (Anm. d. Ü.: Zur Politik des totalen Friedens siehe Anmerkung weiter unten). Aber es ist klar, dass keine Fortschritte gemacht werden, da die Unterdrückung der Bevölkerung durch diese Gruppen immer stärker wird. Bei uns jedenfalls gibt es keine Anzeichen für eine Änderung der Politik des paramilitärischen Terrors, der über Jahre hinweg eindeutig im Schutz der Sicherheitskräfte und den verschiedenen staatlichen Institutionen ausgeübt wurde.

In den Dörfern der Gemeinde San José müssen wir weiterhin die Präsenz der Paramilitärs hinnehmen, ohne dass sie von irgendjemandem gestört werden. Es ist sehr deutlich zu beobachten, wie in diesen mehr als sieben Monaten der Regierung von Gustavo Petro immer noch nichts getan wird, um zu verhindern, dass die Bevölkerung unter der Kontrolle der Paramilitärs steht.

In letzter Zeit haben die Behörden eher Scheinoperationen in die Wege geleitet, die Situation, die wir erleiden, entweder irgendwie zu legalisieren oder zu bemänteln. In einigen Fällen, in denen es zu Festnahmen in der Stadt San José gekommen ist, haben sie in den sozialen Netzwerken Werbung gemacht und die Öffentlichkeit mit der Behauptung getäuscht, sie würden den Drogenhandel oder paramilitärische Strukturen zerschlagen. In Wirklichkeit haben sie unter irgendeinem Vorwand echte Paramilitärs gefangen genommen, die am nächsten Tag wieder freigelassen werden und in vielen Fällen in die Gegend zurückkehren, um weiter mit Drogen zu handeln und mit Terror gegen die Bevölkerung vorzugehen.

Es ist klar, dass der Neubau von Straßen auf dem Gebiet von  San José de Apartadó keine Initiative der Regierung selbst war, sondern von großen Unternehmen, die versuchen, die Zivilbevölkerung durch Paramilitärs zu kontrollieren, um ungestört die Bergbauvorkommen zu erschließen und auszubeuten. Sieben Abbau-Lizenzen haben sie sich bereits gesichert, mehr als ein halbes Dutzend weitere sind beantragt. (Anm. d. Ü.: Der Blog erwähnt leider nicht, auf welche Vorkommen sich die Bergbaulizenzen beziehen. Jedoch gehört das Departamento Antioquia, in dem San José liegt, laut Regierungsangaben zu den Hauptfördergebieten von Gold. Ähnliches gilt für Kohle, siehe weiter unten)

Die Ereignisse der letzten Zeit sind die folgenden:

Am Samstag, 11. Februar, berichteten die regionalen Medien, dass drei Bürger in der Ortschaft San José de Apartadó wegen Drogenhandels verhaftet worden seien. Diese jungen Leute wurden wenige Minuten nach der Meldung der Medien wieder freigelassen.

Am Mittwoch, 22. Februar, als eine Kommission unserer Friedensgemeinde von der Gedenkfeier zum 18. Jahrestag des Massakers an den Mulatos und Resbalosa in Richtung der Siedlung San Josesito zurückkehrte, wurden sie mehrere Minuten lang von vier Paramilitärs in dem als La Sucia bekannten Ort in der Nähe von San José verfolgt. Dort befinden sich ein Polizeiquartier und ein Militärstützpunkt.

Am Freitag, 3. März, wurde unsere Gemeinde erneut über einen Plan einiger Bewohner der Region und von bekannten Paramilitärs informiert, in unsere Ländereien einzudringen.

Am Sonntag, 5. März, traten mehrere Bewohner von San José de Apartadó an uns heran, um ihre Besorgnis über die Ankündigungen der Landrückgabeeinheit URT zum Ausdruck zu bringen, die ihnen in den kommenden Tagen ihre Grundstücke wegnehmen und sie an Landanwärter übergeben wolle (Anm. d. Ü.: Diese Behörden, Unidad de Restitución de Tierras – URT – wurden 2012 im Zuge des Friedensprozesses mit der Farc-Guerilla  ins Leben gerufen; sie sollen den Opfern des Konflikts, die von ihrem Land vertrieben oder enteignet wurden, zu ihren alten Rechten verhelfen). Es ist unerhört, dass in Prozessen, an denen Geschäftsleute, Politiker, Ölpalmen-Produzenten und andere reiche Sektoren der Region beteiligt sind, die mit dem Paramilitarismus verbündet sind und viel Blutvergießen verursachen, die Landrückgabe nicht vorankommt. In dem Bestreben, vorzeigbare Ergebnisse bei der Landrückgabe zu erzielen, bearbeitet die URT Fälle, bei denen es sich um einfache Bauern handelt, die unter den Schrecken der Gewalt gelitten und überlebt haben und die dann kleine Grundstücke aus den Händen anderer leidender Einwohner frei erworben haben. Nun will man ihnen dieses Land wegnehmen, was zu neuer Enteignung und Vertreibung führt, bloß dass die Täter in diesem Fall staatliche Institutionen wie die URT sind, die gegen die Bauern vorgehen und sie erneut zu Opfern machen, wie sich bereits in einigen anderen Fällen in der Region gezeigt hat. (…)

Am Mittwoch, 8. März, wurde unsere Friedensgemeinde auf die Anschuldigungen eines ehemaligen Paramilitärs namens Cristián hingewiesen, der im Dorf San José das Kommando hatte. Er behauptet, dass die meisten Einwohner des Dorfes eng mit den paramilitärischen Gruppen zusammenarbeiten und dass dies kein Geheimnis sei.

Am Freitag, 10. März, kam es gegen 22 Uhr in La Unión nahe dem Dorfzentrum zu einem etwa zehn Minuten langen Schusswechsel, offenbar von Angehörigen der 17. Heeresbrigade, die im Dorf anwesend waren. Mehrere Bewohner des Dorfes gaben an, dass die Schüsse ihnen Angst machten und sie in Gefahr brachten, da die Kugeln in Richtung des Dorfes gerichtet waren. Die Hintergründe des Schusswechsels sind unbekannt.

Am Samstag, 11. März, wurde ein Mitglied unserer Friedensgemeinde an einem Kontrollpunkt des Heeres zwischen unserer Siedlung San Josesito und dem Zentrum von San José de Apartadó abgefangen, beschimpft und gezwungen, aus dem Fahrzeug auszusteigen, mit dem er zu seiner Arbeitsstelle fuhr, angeblich um es zu durchsuchen.

Am Montag, 13. März, traten einige Verantwortliche der Junta de Acción Comunal des Dorfes La Esperanza an Mitglieder unserer Gemeinschaft heran, um anzukündigen, dass sie eine Straße auf dem Grundstück von Las Delicias, einem Privatgrundstück unserer Friedensgemeinde, roden würden (Anm. d. Ü.: Die Juntas de Acción Comunal sind lokale Mitbestimmungsgremien, die die Verfassung Kolumbiens vorsieht. In der Praxis sind diese Ortsbeiräte allerdings oft von den jeweils örtlich Mächtigen kooptiert.)

Am Mittwoch, 15. März, hat eine Gruppe von Bewohnern des Dorfes La Esperanza, die der Junta de Acción Comunal angehören, den Zaun des Landgutes Las Delicias, das sich in diesem Dorf befindet, angegriffen und entfernt. Die Eindringlinge erklärten, dass sie die Straße bauen, weil es ihr Recht sei, ohne sich darum zu kümmern, dass sie das Privateigentum unserer Gemeinde verletzen. Sie beschuldigten uns, Guerilleros zu sein.

Am Donnerstag, 16. März, wurden in der Ortschaft Buenos Aires fünf Paramilitärs gesehen, von denen einer eine Langwaffe trug.

Am Freitag, 17. März, gegen 11 Uhr, wurden mehrere Mitglieder unserer Friedensgemeinde im Dorf La Esperanza von Herrn Daney Tuberquia in Anwesenheit von internationalen Begleitern angesprochen, die verärgert behaupteten, dass wir mit unserer Weigerung, dem Bau einer Straße durch unser Grundstück zuzustimmen, ihre Rechte verletzten. Offenbar hat der Versuch, diese Straße zu bauen, keine rechtliche Grundlage, weil sie nicht einmal im entsprechenden Raumordnungsplan vorgesehen ist und weil sie außerdem das verfassungsgemäße Eigentumsrecht verletzen würde. Herr Daney wurde daran erinnert, dass es sich bei dieser Straße um ein Projekt handelt, das seit mehreren Jahren von den Paramilitärs gefördert, finanziert und koordiniert wird und dass in den letzten Monaten das Bürgermeisteramt von Apartadó und die Heeresbrigade an diesem von den Paramilitärs geförderten Projekt mitgearbeitet haben. Angesichts dieser Unverschämtheit wollen sie uns auch noch zwingen, dieses Straßenprojekt, ohne unsere Zustimmung zu bauen, das nur dem Kohleabbau im Abibe-Gebirge dient, den in den kommenden Jahren das Unternehmen Carbones del Golfo beginnen will.

Am Montag, 20. März, warnte uns ein Bewohner von San José vor einem geplanten Anschlag auf Germán Graciano Posso, den gesetzlichen Vertreter der Friedensgemeinde, und auf Arley Tuberquia, Mitglied unseres internen Rates. Paramilitärs verfolgen sie seit Monaten.

In letzter Zeit haben wir eine starke Bewegung von Paramilitärs, die Lang- und Kurzwaffen und Funkgeräte mit sich führten, in den Bauernhöfen, die ihnen gehören und in den verschiedenen Dörfern von San José de Apartadó festgestellt. Ende März hat die nationale Regierung angekündigt, den Waffenstillstand mit dem Golf-Clan, auch Autodefensas Gaitanistas de Colombia (AGC) genannt, aufzukündigen. (Anm. d. Ü.: Der linke Präsident Gustavo Petro hatte bei seinem Amtsantritt vergangenes Jahr eine Politik des totalen Friedens („paz total“) angekündigt. Danach will die Regierung nicht nur mit der Guerillagruppe ELN und den weiterkämpfenden Überbleibseln der Farc verhandeln, sondern auch mit den paramilitärischen Banden, von denen der Golf-Clan eine der einflussreichsten ist. Den Paras sollen, ähnlich wie der Guerilla, Strafnachlässe angeboten werden, wenn sie ihre Tätigkeit einstellen.

Während die Guerilla jedoch die Aussicht, ins zivile Leben zurückzukehren und sich in eine politische Kraft zu verwandeln, eventuell verlockend findet, ist so ein Angebot für die Paras gegenstandlos, weil sie keine sozialreformerischen Ziele verfolgen. So bleibt dem Staat nur, Strafnachlässe anzubieten. Das ist für den Golf-Clan aber nur von begrenztem Interesse. Nach einer kurzen Waffenruhe töteten der Golf-Clan in letzter Zeit allein in Antioquia 18 Menschen, worauf der Staat seine Zusagen fürs erste widerrief. Die Zeitschrift Semana beschreibt Anfang April die Hintergründe: Die intern zerstrittene AGC profitiere von der illegalen Goldproduktion derart, dass sie Strafnachlässe und Friedensschlüsse nicht interessierten.)

Als Friedensgemeinde sind wir uns bewusst, dass sich die Konfliktsituation unabhängig davon, ob es einen Friedensprozess gibt oder nicht, nicht wesentlich ändern wird. Denn wir hören, dass die Paramilitärs in der Region nach Möglichkeiten suchen, die Regierung in diesem Friedensprozess zu betrügen. Angesichts dieser Situation bleibt uns nichts anderes übrig, als an unseren ethischen und moralischen Überzeugungen festzuhalten, wohl wissend, wie schwierig es sein wird, sich dieser Maschinerie des Terrors entgegenzustellen. Von unserem geliebten Territorium aus können wir nur all den Stimmen der Ermutigung danken, die wir täglich aus dem Land und der Welt erhalten und die uns den Mut geben, unseren zivilen Widerstand als Friedensgemeinschaft fortzusetzen.

Friedensgemeinde San José de Apartadó, 22. März 2023

Kein Ende der Todesdrohungen

Unsere Friedensgemeinde San José de Apartadó hat vom 18. bis 22. Februar einen humanitären und ökologischen „Fußmarsch für das Leben“ organisiert, bei dem wir von einer großen Gruppe von Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt begleitet wurden. Diese Wanderung führte durch verschiedene Dörfer im Bezirk San José de Apartadó, darunter: Buenos Aires, La Unión, Las Nieves, El Porvenir, La Esperanza, Playa Larga, Mulatos und La Resbalosa. Dabei haben wir uns nicht nur von der starken paramilitärischen Präsenz und Kontrolle in mehreren Gebieten von San José überzeugen müssen, sondern auch vom illegalen Bau von Straßen, noch dazu ohne Genehmigung der Grundstückseigentümer. So zum Beispiel die Straße, die von Nuevo Antioquia aus in das Dorf La Esperanza angelegt werden soll, wodurch die in der Verfassung verankerten Rechte auf Autonomie, Ruhe und Privateigentum verletzt würden. Durch den Bau von Straßen wollten sie (gemeint sind offenbar die Paramilitärs, Anm. d. Ü.) sich einen Teil von Las Delicias aneignen, ein Landbesitz, der unserer Friedensgemeinde im Dorf La Esperanza gehört.
Während dieser Reise waren wir besonders berührt, als wir des 18. Jahrestages des schrecklichen Massakers gedachten, das der kolumbianische Staat am 21. Februar 2005 durch sein Militär und die Paramilitärs an unserer Friedensgemeinschaft verübte. Damals wurden acht Menschen, darunter ein 18 Monate altes Kind, auf grausame Weise getötet.

Herausragende Juristen haben es zwar in den Jahren danach geschafft, die in erster und zweiter Instanz verkündeten Freisprüche für die Täter zu Fall zu bringen, sodass zehn Soldaten am Ende für dieses schreckliche Verbrechen verurteilt wurden aber diese Verbrecher haben die JEP  ausgenutzt, die ihnen auf unrechtmäßige und beschämende Art und Weise Straffreiheit gesichert hat, die nun schon 18 Jahre andauert. (Anm. d. Ü.: Die JEP, Justicia Especial para la Paz, ist eine Sonder-Gerichtsbarkeit, die vor sieben Jahren im Friedensabkommen zwischen Regierung und Farc-Guerilla etabliert wurde. Sie soll den Opfern des Konfliktes Gerechtigkeit widerfahren lassen, zur Wahrheitsfindung beitragen, Straffreiheit für die Täter verhindern, den Beteiligten am Konflikt langfristig Rechtssicherheit geben und generell zur Befriedung Kolumbiens hinwirken. Politisch sollte den Farc-Kämpfern der Übergang ins zivile Leben ermöglicht werden. In der Praxis allerdings, so die weitverbreitete Kritik vor allem von Opfern, würden viel zu viele Untaten amnestiert, was ja auch der Tenor des Blogs ist.  Die Formulierung im Blog – „la JEP la cual, de manera ilegítima y vergonzosa ha protegido su impunidad prolongada ya por 18 años“
– zeigt unserer Ansicht nach , dass die zehn Soldaten nicht bestraft wurden. Erneut wendet sich unsere Friedensgemeinde an die Menschheit und die Geschichte, um neue Tatsachen festzuhalten, die uns und die Bevölkerung unseres geographischen und sozialen Umfelds bedrohen.

Im Folgenden sind die neuen Tatsachen:

In der Woche vom 2. bis 7. Januar drangen Straßenbautrupps mit Maschinen ohne Zustimmung in unser Privateigentum auf der Farm Las Delicias im Dorf La Esperanza ein. Unsere Gemeinde verlangte Respekt vor dem Eigentum, aber die Täter wiesen uns in arrogantem Ton ab und arbeiteten weiter
Zwischen dem 6. und 10. Januar stellte eine Delegation unserer Gemeinschaft, die die Dörfer Buenos Aires, Mulatos und La Resbalosa besuchte, die starke Präsenz der Paramilitärs in diesen Dörfern fest. Sie trugen Waffen und Funkgeräte und liefen frei herum.

Am Freitag, 27. Januar, wurde in den sozialen Netzwerken ein Video verbreitet, in dem Ruber Mario García, der Präsident der Junta de Acción Comunal der Stadt San José, auftritt (Anm. d. Ü.: Diese Juntas, abgekürzt JAC, sind in der Verfassung vorgesehene Mitbestimmungsorgane auf kommunaler Ebene, die in der Praxis allerdings oft von den lokalen Mächtigen kooptiert und unterwandert sind). In diesem Video bietet er eines unserer Gemeinschaftsgrundstücke namens Santa Isabel im Dorf El Cuchillo zum Verkauf an, und zwar, wie er sagt, im Auftrag einer Frau namens Nubia, die behauptet, Eigentümerin des Grundstücks zu sein. In Wahrheit ist unsere Friedensgemeinde seit mehr als 25 Jahren im Besitz dieses Grundstücks.

Am Freitag, 3. Februar, wurde im Stadtzentrum von San José ein sogenannter Sicherheitsrat abgehalten, den die 17. Heeresbrigade und die Polizei veranstaltet hatten. Die Mehrheit der Bevölkerung nahm an diesem Treffen nicht teil, da die Streitkräfte kein Interesse daran haben, Schutz zu gewähren und gegen die paramilitärischen Gruppen vorzugehen, die das Gebiet kontrollieren.

Am Samstag, 4. Februar, und Sonntag, 5. Februar, wurden auf dem Grundstück La Roncona, das unserer Friedensgemeinschaft gehört, die Anwesenheit von Kippern und gelben Baumaschinen beim Abbau von Erde für den Straßenbau festgestellt, obwohl Mitglieder unserer Gemeinschaft schnell vor Ort waren und auf das laufende Gerichtsverfahren in Bezug auf dieses Grundstück hinwiesen. Die Arbeiter ignorierten sie mit der Begründung, dass sie die Friedensgemeinde als Eigentümerin des Grundstücks nicht anerkennen. Sie behaupteten, sie kämen im Auftrag des Bürgermeisteramtes und könnten tun, was sie wollten.

Am Sonntag, 5. Februar, verbreiteten Paramilitärs sowohl als Flugblatt als auch in den sozialen Netzwerken eine Drohung. Das Pamphlet bringt den Namen Colombia Humana (so heißt die Partei des linken Staatspräsidenten Gustavo Petro, Anm. d. Ü.) in Verruf, was den Sicherheitskräften als Vorwand diente, um Kontrollen im Stadtgebiet von La Victoria und illegale und manipulierte Razzien im Dorf San José durchzuführen.

Ebenfalls am Sonntag, 5. Februar, wurde unsere Gemeinde über eine Reihe von Entführungen von Personen, darunter auch Minderjährige, durch Paramilitärs informiert. Den Angaben zufolge ereigneten sich die Fälle im Stadtzentrum von San José.

Am Mittwoch, 8. Februar, wurde unsere Gemeinde kurz vor dem auf 9 Uhr angesetzten Termin darüber informiert, dass die Anhörung zum Grundstück La Roncona erneut abgesagt sei, obwohl wir uns zuvor an das Sekretariat des Gerichts gewandt hatten, wo man uns mitteilte, dass die Anhörung noch stattfinde. Dies sind Verhaltensweisen, die weiterhin die Existenz einer falschen „Justiz“ beweisen, die die Menschenwürde in höchstem Maße missachtet.

Am Freitag, 10. Februar, drangen tagsüber sechs Paramilitärs in das Haus eines Mitglieds unserer Gemeinde ein, das auf dem uns gehörenden Bauernhof La Cabaña im Dorf La Resbalosa lebt. Die Paramilitärs umstellten das Haus und verbreiteten Panik und Angst.

Am Montag, 20. Februar, drangen in der Ortschaft Mulatos mehrere Rinder der Paramilitärs in das Landgut Cumbre ein, das unserer Gemeinschaft gehört. Die Tiere blieben bis zum 27. Februar und zerstörten die Ernten von Bohnen, Bananen, Zwiebeln u.a. Ähnliches wiederholte sich drei Tage später in La Resbalosa, wo die Paramilitärs ebenfalls Rinder auf unsere Farm La Cabaña trieben.

Am Samstag, 25. Februar, erfuhren wir, dass die Polizei in San José dem Eigentümer eines Grundstücks, das sich neben dem illegal errichteten Hauptquartier der Polizei befindet, verboten hat, ein Haus zu bauen. Die Polizei behauptete, das Gelände gehöre ihr.

Ebenfalls am Samstag, 25. Februar, befand sich in der Ortschaft La Unión eine Gruppe schwer bewaffneter Soldaten auf dem Grundstück einer Familie aus unserer Friedensgemeinde. Sie wurden aufgefordert, das Gelände sofort zu verlassen. Das taten sie zwar, aber nicht ohne vorher Gesten der Wut gegen unseren bäuerlichen Prozess zu zeigen.

Am Sonntag, 26. Februar, erfuhr unsere Gemeinde von dem 30-tägigen Waffenstillstand, den die Paramilitärs in der Region ausgerufen haben und der besagt, dass sie nach Ablauf dieses Zeitraums mit kriegerischen Mitteln gegen die Zivilbevölkerung vorgehen werden (Anm. d. Ü.: Was sich hinter dieser lapidaren Drohung verbirgt, erklärt der Blog leider nicht).

Wir möchten erneut allen Gemeinschaften und Menschen in Kolumbien und in der ganzen Welt danken, die mit ihrer Wachsamkeit, ihren Botschaften und ihrer Begleitung unseren Widerstand unterstützen.

Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó im Februar 2023