Rechtsverstöße und Bedrohung des Staatsgefüges

Wieder einmal müssen wir über die letzten Ereignisse, denen sich unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó ausgesetzt sah, berichten, wieder bedeuteten die Angriffe Gefahren für Leib und Leben unserer Mitbürger.

Wir befinden uns in einer Zeit sozialen Wandels im ganzen Land und in der Welt. In diesem Prozess versuchen die Mächtigen ihre Opfer immer weiter zu marginalisieren und zu beseitigen. Die Regierung kümmert sich weder um den Schutz der Bürger, noch um deren Rechte, wie z.B. das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Protest. Im Gegenteil zielen sämtliche „Sicherheits“- Reformen und Strategien darauf ab, die Bürger immer weiter auszugrenzen und ihnen die Lebensgrundlage zu entziehen, wenn sie den Interessen der Eliten entgegenstehen.

Während in der Stadt ein menschenwürdiges Leben gefordert wird, wird die Zivilbevölkerung auf dem Land immer wieder zum Schweigen gebracht, dafür nutzen die Paras ihre vom Staat tolerierten Waffen. Sie versuchen auch sie auf ihre Seite zu ziehen und gegen die eigenen Leute zu bewaffnen. So soll beispielsweise unsere Friedensgemeinde zerstört werden. In Zusammenarbeit mit den Beamten versuchen sie ihren Vernichtungskampf gegen uns auf legale Beine zu stellen. Wir verstehen nicht, wozu es zwar den Staatsschutz gibt, aber beispielsweise der Drogenkonsum toleriert wird.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung, und Demonstration wird in Kolumbien durch Schüsse bekämpft: Die Zahl der Toten und Verletzten bei den Demonstrationen ist erschreckend,  immer häufiger und in immer größerer Zahl werden unsere Meinungsführer eliminiert, zumal die Täter anonym und damit straffrei bleiben.

Nun noch ein kurzer Überblick über Vorkommnisse der letzten Wochen:

  • Am Dienstag, dem 4. Mai 2021, sollten die Kommunalen Aktionsräte (lokale Mitbestimmungsgremien, von der Verfassung vorgesehen, in der Praxis oft von den örtlichen Machthabern korrumpiert, Anm. d. Ü.) dazu gebracht werden, einen Auflösungspakt für unsere Friedensgemeinde zu unterzeichnen. Diejenigen, die nicht an dieser Sitzung teilgenommen hatten, wurden nochmal gesondert angesprochen, damit sie das Dokument des Vernichtungspaktes unterzeichnen.
  • Am Donnerstag, dem 6. Mai 2021, wurden wir darüber informiert, dass die Paramilitärs die Bewohner und Eigentümer von Land an strategisch wichtigen Orten bedrohten und Druck auf sie ausübten, ihre Grundstücke zu verkaufen. Die Paras wollten dieses Land kaufen, um dort ihre Einsatzzentren zu errichten.

Weitere Vorkommnisse im Zeitraum

7. bis 12. Mai 2021 die der Zermürbung der Bewohner in der Friedensgemeinde führen sollte (Anm. d. Ü.):
Zerstörung von Zäunen, Straßenvermessung ohne Information der Gemeinde, Bedrohung eines Gemeindemitglieds, Verteilung von Broschüren und Beschmieren der Häuser mit AGC (Autodefensas Gaitanistas de Colombia, einem paramilitärischen Drogen-Kartell), Hausfriedensbruch durch bewaffnete Paras.

Am Donnerstag, 13. Mai 2021, bekamen wir zahlreiche Anrufe und E-Mails, die uns darauf hinwiesen, dass das Verfassungsgericht in Bogotá mit knapper Mehrheit eine frühere Entscheidung bestätigt hat, die im Rechtsstreit zwischen uns und der 17. Heeresbrigade dem Militär recht gab. Danach sind unsere Berichte (und Anschuldigungen über Übergriffe der Heeresbrigade, Anm. d. Ü.) für die Militäreinheit rufschädigend. Unsere Berichte seien also rechtswidrig, jedenfalls solange, wie sie sich nicht auf Vorfälle bezögen, für die die Täter bereits juristisch zur Rechenschaft gezogen worden seien. Obwohl uns bisher weder der Entscheid noch die entsprechende Pressemeldung vorliegt, legt die Nachricht aus Bogotá bereits einen tiefen Verfall des Rechtsstaates bloß. In unserem Antrag, diese frühere Entscheidung zu revidieren, haben wir uns auf umfangreiche nationale und internationale Rechtsprechung gestützt, die der Freiheit der Meinung und des Ausdrucks höchsten Rang einräumt – höher jedenfalls als das Recht auf Wahrung des guten Rufes. Die Reputation eines staatlichen Organs  kommt nach allgemeiner Rechtsauffassung durch gutes, also angemessenes Verhalten zustande. Aber im Fall der bei uns stationierten 17. Heeresbrigade liegen einschlägige Urteile von nationalen und internationalen Gerichten vor, die die schweren Verbrechen, die Angehörige der Brigade verübt haben, festgestellt und geahndet haben. Folglich ist die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtes ein weiteres Steinchen in dem großen Mosaik der staatlicher Illegitimität und Verfalls des Rechtsstaates, das sich in Kolumbien gerade in diesen Zeiten der staatlichen Gewalt und des juristischen Chaos zusammenfügt.

  • Am Freitag, 14. Mai 2021, haben die Paramilitärs in Arenas Bajas den Bauern dort die Saat für die Subsistenzproduktion verboten.
  • Am Samstag, 15. Mai 2021, haben wir erfahren, dass der Kommunale Aktionsrat (siehe oben) des Dorfes La Unión beschlossen hat, den Gitterzaun um das Monument zu entfernen, das unsere Gemeinschaft in Erinnerung an das im Jahr 2000 von Soldaten und Paramilitärs angerichtete Massaker erbaut hat. Angeblich soll dort ein Spielplatz entstehen, den die Stadtverwaltung von Apartadó bereits genehmigt habe. Unsere Friedensgemeinde lehnt die Zerstörung dieses Erinnerungsortes entschieden ab. Wir werden, genauso wie in den vergangenen 24 Jahren, nicht schweigen angesichts der Barbarei, die die Paras mit Unterstützung der staatlichen Behörden anrichten, um ein Leben in Würde in unserer Region unmöglich zu machen.

In den heutigen Zeiten, in denen das ganze Land auf die Straße geht, um seine Rechte zu verteidigen und sich gegen Reformen zu wehren, die das Volk unterdrücken, die Kassen der Mächtigen füllen und Menschenleben kosten, verbarrikadieren sich die staatlichen Akteure in einem unterdrückerischen Staatsmodell,  das vom Volk  jeden Tag strikter abgelehnt wird.

Comunidad de Paz de San José de Apartadó, Mai 2021

 

Nichts ist trauriger und beschämender als Opfer, die für schändliche Interesse als Henker bestimmt wurden

Auch heute muss unsere Friedensgemeinde San José de Apartadó wieder dem Land und der Welt über die letzten Ereignisse berichten. Wir waren wieder Opfer des Paramilitarismus, der in unserer Region weiterhin auf breiter Ebene agiert, ohne von irgendeiner zuständigen Behörde gestört zu werden. Gestärkt durch wirtschaftliche und politische Unterstützung, versucht er immer wieder die Bauern seinen Plänen zu unterwerfen.

Der Lage in unserer Region wird immer dramatischer. Der Paramilitarismus erreicht immer mehr Kontrolle über das Gebiet und inzwischen glaubt auch niemand mehr den Entschuldigungen der Institutionen, wie „wir wussten davon nichts“, „wir hatten keine Truppen in dieser Zone“, „es hat sich niemand bei den zuständigen Behörden beschwert“. Alle glauben, dass es keine Gerechtigkeit gibt, dass es niemanden gibt, an den man sich wenden kann, die Zusammenarbeit der Paras mit dem Staat ist mehr als offensichtlich. Viele Bauern entscheiden sich nun wie in den schlimmsten Zeiten der 80er und 90er, ihr Land zu verkaufen und die Region zu verlassen. Die einzige Legalität, die noch gilt,  scheint die Illegalität der Paras zu sein. Aber mitten in diesem beschämenden Massensterben sollen wir jetzt Erklärungen gegen unseren Lebensprozess als Friedensgemeinschaft abgeben, indem wir den Slogan des Fedecacao-Beamten und Stadtrats und der Stadträte akzeptieren: „Ende der Friedensgemeinschaft“. Die Strategie kennen wir noch nicht, aber wir befürchten, dass sie wieder das Rechtssystem manipulieren werden, das 1997 das Morden und damit verbunden die Auslöschung eines großen Teils unserer Kollegen begleitet hat.

Im Juli / August 2021 gab es folgende Vorkommnisse:

In der ersten Juliwoche 2021 wurde unsere Friedensgemeinde über einige vermisste Personen in der Gegend informiert. Keiner weiß, wo sie sich befinden. Alles deutet darauf hin, dass sie nicht verhaftet oder entführt wurden. Viele Einwohner interpretieren dies als stille Entscheidung einiger Menschen, die Region zu verlassen, weil sie Schwierigkeiten mit den Paras haben und weil sie so nicht mehr ihre Abgaben bezahlen müssen.

Vom 11. bis 17. Juli 2021 wurde eine Gruppe von Paramilitärs mit Gewehren und Militärkleidung in der Nähe der Dörfer La Unión, Arenas Altas und El Porvenir gesehen, die alle zur Gemeinde von San José de Apartadó gehören.

Am Freitag, dem 16. Juli 2021, tagsüber erfuhren wir, dass die Paras einen jungen Mann unter dem Vorwand, er sei ein Dieb, ermorden wollten. Den Informationen zufolge wollte die Führung der Gemeindejunta nichts tun, um den Minderjährigen zu schützen und so machten sie den Paramilitärs den Weg frei ihn zu ermorden. Der junge Mann soll von Freunden und Familienangehörigen gerettet worden sein.

Am Mittwoch, dem 28. Juli 2021, erfahren wir tagsüber von nationale Zeitungen, dass die Armee im Norden des Cauca-Tals drei Menschen aus der Region San José de Apartadó ermordet haben soll, deren Leichen sich in der Leichenhalle von Pereira befanden. Ihre Namen: WILMAR DE JESÚS ÚSUGA CASTAÑO, bekannt als „JESUSITO“ oder „EL MEXICANO“, GILBERTO ÚSUGA QUINTERO, bekannt als „MOROCHO“ und LUIS ERNESTO MORENO. Bereits in mehreren öffentlichen Verlautbarungen hatte unsere Friedensgemeinschaft über die bedrohliche Anwesenheit eines sogenannten Jesusito oder Mexicano in dieser Gegend berichtet. Diese Figur, die zur ausgeschalteten FARC-EP in dieser Region gehörte, soll sich nach deren Demobilisierung dem Paramilitarismus angeschlossen haben. Sein Aufenthalt in dieser Region erleichterte es ihm, Menschen zu kontrollieren und zu rekrutieren, um sie dann in andere Regionen des Landes zu bringen und damit die Kontrolle auszuweiten. Leider werden unsere Berichte von den Behörden immer als „Fälschungen“ behandelt.

Wir lehnen den Tod, die Macht der Waffen und das Fehlen staatlicher Garantien für die Jugend und die vertriebene Gesellschaft entschieden ab. Der Paramilitarismus hat sich entwickelt und die Region beherrscht, weil der Staat selbst mit seinen militärischen Institutionen dies ermöglicht und gefördert hat. Aber wir lehnen auch den Tod dieser Menschen ab, die bedingungslos dem Staat dienen, obwohl sie normalerweise untergetaucht sind. Wenn sie allerdings zu „schmutzigen und gefährlichen Lumpen“ werden, dann lässt der Staat sie fallen und lässt so den fundamentalen Respekt vor dem Leben – auch dem des Täters – vermissen. Wir widersetzen uns mit größter Energie und Offenheit und verurteilen einen schrecklichen Mangel an Moral. Der Tod ist nicht die einzige Lösung für dieses ernste Problem, denn die Regierung selbst ist in erster Linie dafür verantwortlich, dass diese Strukturen entstehen konnten.

Einige Gerüchte zirkulieren seit einiger Zeit, dass es eine Auseinandersetzung vor Gericht gegen unsere Friedensgemeinde geben solle. Die Strategie ist nicht neu und kann folgendermaßen zusammengefasst werden:
Die Friedensgemeinde soll so lange geschwächt werden, bis sie durch einen Richterbeschluss aufgehoben wird oder aus Angst oder Unfähigkeit, sich zu wehren, zerfällt. Eine andere Strategie hat das Ziel, das Land und die Welt davon zu überzeugen, dass die Friedensgemeinschaft eine Fassade der FARC-Guerilla ist.

Die bevorzugten Methoden traten nach und nach ans Licht: falsche Zeugen, gegen Bezahlung oder Bedrohung ihres Leib und Lebens. In der (in Apartadó stationierten, Anm. d. Ü.) 17. Heeresbrigade und ihren Bataillonen werden zahllose falsche Zeugnisse vorbereitet, wobei willkürlich Bauern herausgesucht werden, die fälschlicherweise des Aufstands beschuldigt werden. Sie müssen Beleidigungen unterzeichnen, oft ohne dass ihnen erlaubt wird zu lesen, was sie unterschrieben haben. Unter dem Versprechen wirtschaftlicher Vorteile werden Justizbeamten gezwungen, über alle Grundsätze des ordnungsgemäßen Verfahrens hinwegzugehen. (hier werden jetzt im Detail Verstöße benannt … Anm. d. Ü.)

Als unsere Kommission den Vertretern der Justiz diese Methode vorgehalten und anonym alle korrupten Beamten benannt hatte, machten sie geltend, dass es nicht in ihrer Macht stehe, alle Fälle von Korruption wieder aufzurollen und betroffene Beamte vor Gericht zu stellen. Wir hoffen nun, dass der Internationale Strafgerichtshof früher oder später die Fälle untersucht und Gerechtigkeit wiederherstellt.

Das Schlimmste aber war, dass mit all dieser falschen Gerechtigkeit und Desinformation all die Vergehen gegen die Gesellschaft (mehr als 300 Morde, Massaker, Verschwindenlassen, Attentate, Vertreibungen, Bombenangriffe, Drohungen und Verletzungen aller Arten von Rechten) als die gerechte Beseitigung einer Reihe von Kriminellen begründet wird.

Vor den Institutionen des Integralen Systems für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Garantien der Nicht-Wiederholung (eine Art Sondergerichtsbarkeit, die im Zuge des 2016 geschlossenen  Friedensabkommens zwischen der Regierung und der Farc eingerichtet wurde, Anm. d. Ü.) haben viele reuige Paramilitärs zugegeben, wie sie sich von Uribe (Álvaro Uribe Vélez, rechtsgerichteter Präsident Kolumbiens von 2002 bis 2010, Anm. d. Ü.) davon überzeugen ließen, die Friedensgemeinschaft als Guerilla zu sehen, um so eine Zahl unschuldiger Menschen töten zu können. Das lässt sie aber nun nicht mehr schlafen.

Die Friedensgemeinschaft hatte immer das Wohlergehen der Bevölkerung zum Ziel, die jahrzehntelang in dieser Region Opfer war und ist; Deshalb wollen wir, dass die Bevölkerung sich vereinigt, um diese paramilitärische Macht abzulehnen, die die Bevölkerung skrupellos kontrolliert und dominiert. Niemals werden wir uns an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligen.

Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass unser Widerstand der Gemeinschaft, dem Recht auf Leben und dem Leben auf unserem Territorium gilt. Es liegen mehr als 24 Jahre Gemeinschaftsarbeit hinter uns und all dies dank derer, die heute aus vielen Gründen nicht mehr hier sind. Heute mehr denn je halten wir diesen schönen Prozess lebendig und dem Tod überlegen, der uns täglich bedroht.

Comunidad de Paz de San José de Apartadó, 11. August 2021

In den Fängen des inhumanen „Fortschritts“

Wiederum muss unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó in der Öffentlichkeit des Landes und der ganzen Welt jüngsten Ereignisse anprangern. Es geht wieder um Opfer des Paramilitarismus. Nach wie vor handeln die Paras, ohne von einer zuständigen Behörde gestört zu werden, weil sie wirtschaftliche und politische Unterstützung haben, was sie für den Kampf gegen die Bauern und deren Projekte stark macht.

In den letzten Wochen wurde eine Menge illegaler Straßenbauarbeiten auf den Straßen von San José de Apartadó durchgeführt. Wir wissen, dass die größten Anstifter Paramilitärs sind,
weil sie bereits die Bewohner der verschiedenen Dörfer versammelt und ihnen hohe Geldsummen, die illegale Steuern sind, abgeknöpft haben. Das Geld (800000 Pesos, knapp €200 pro Einwohner) werde angeblich für den Brennstoff der Maschinen benutzt, die sie in der Armee (XVII. Brigade) brauchen.
Alles begann vor einer Weile mit einigen Straßenbauprojekten, die allesamt ohne behördliche Genehmigung durchgeführt wurden.  Bürgermeister und nationale und regionale Institutionen behaupteten, über alle diese Projekte von Paramilitärs nichts zu wissen.
Es ist öffentlich bekannt, dass jeder Siedler in der Gegend Geld für die Öffnung oder Verbesserung der Straßen beisteuern muss.

Als Gemeinschaft sind wir besorgt über die Doppelstrategie, die auf dem Spiel steht, um die natürlichen Ressourcen unserer Region zu nutzen. Das Beunruhigendste ist, dass sich die Bevölkerung der Umwelt bedient und sie ausbeutet.

Natürlich wird dieser ganze Plan unter dem Deckmantel „Fortschritt“ oder „Entwicklung“ der Region präsentiert. Er ist aber illegal, wie es in der Region immer üblich war. Erstens sind diese Wege nicht Teil eines Territorialplanungsplans und haben keine Umweltlizenzen. Es wird nicht mit den Gemeinden über das Vorhaben kommuniziert und man erpresst illegale Steuern mit Hilfe einer kriminellen Struktur, die die Region ausbluten lässt und von einem kriminellen Staat belohnt wird, der ihr absolute Straffreiheit für ihre Verbrechen garantiert.
Aber dabei –  vielleicht am perversesten – sind die Ziele dieses falschen „Fortschritts“ oder dieser „Entwicklung“ als Dienstleistung von transnationalen Bergbau-Ressourcengewinnungsunternehmen getarnt. So wird die Umwelt und die menschliche Gesundheit, die aufbaut auf einer wirtschaftlichen Transformation von der Land- zur Viehwirtschaft, insgesamt also die lebenserhaltende Nahrungsmittelproduktion zerstört Einige Regierungsbeamte versuchen sich nun aus der Affäre zu ziehen, indem sie behaupten, diese Straßen seien Teil der PDET (Programas de Desarrollo con Enfoque Territorial , Programme zur ländlichen Entwicklung),  die im Friedensabkommen zwischen der Regierung und der Farc-Guerrilla  von 2016 vorgesehen sind.
In Wirklichkeit handeln sie aber gegen das, was das Friedensabkommen über PDET festlegt.

Tatsächlich werden dort als vorrangige Ziele der PDET definiert: „Das Wohlergehen und das gute Leben der Menschen in ländlichen Gebieten – Kinder, Männer und Frauen –, indem sie ihre politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte wirksam machen und die Auswirkungen von Elend und Konflikten umkehren (…) und die Entwicklung der Bäuerlichen und Familienwirtschaft (Genossenschaft, Gegenseitigkeit, Gemeinschaft, Kleinstunternehmen und Solidaritätsverein) und der eigenen Formen der Gemeinschaftsproduktion

Glaubt die Regierung sich an das Friedensabkommen zu halten, wenn sie nicht die Bedürfnisse der Gemeinden erfragt? Indem sie die Paras handeln lässt und diese Bauern dazu verleiten, Familienwirtschaft zu zerstören, um sie gegen Strategien einzutauschen, die Böden ruinieren.
ihre Bewohner zu vertreiben? Das ist einfach pervers, denn die Regierung weiß es besser.
Es ist klar, dass diejenigen, die diese Pläne des „Fortschritts“ und der „Entwicklung“ koordinieren und kontrollieren, die Paramilitärs und diejenigen, die ihnen die Arbeit machen, also die Militärbrigaden,  sind. So haben es Leute wie César Jaramillo, der zum Kakaofarmer-Verband Fedecacao, gesagt: Es ist bereits eine Tatsache, dass diese Straßen gebaut und eröffnet werden, das Geld dafür gibt es bereits. Es ist das Geld, das die Paras von den Bauern erpressten.

Im folgenden werden wir nun über die jüngsten Ereignisse in unseren Gemeinden berichten.

Am Sonntag, den 28. März 2021, wurde tagsüber im Gemeindegebiet von Frasquillo in Tierralta, Córdoba, ein bekannter Politiker der Paramilitärs, die diese Region kontrollieren, gesehen.
Am Mittwoch, dem 31. März 2021, als sich eine humanitäre Kommission unserer Gemeinde im zur Gemeinde Tierralta gehörenden Dorf Baltazar aufhielt, sahen wir viele Paras, die mit Sprechfunkgeräten über unsere Aktivitäten berichteten.
Am Sonntag, dem 11. April 2021, erfuhr unsere Friedensgemeinschaft, dass weiterhin illegale Straßen im Gebiet von San José de Apartadó eröffnet würden.

Am Montag, dem 12. April 2021, erhielten wir Berichte, dass die Paramilitärs den Einwohnern illegale Steuern für den Straßenbau auferlegen würden. Die Tiefbauarbeiten werden mit Maschinen erledigt, die der Heeresbrigade gehören.

Am Dienstag, dem13. April 2021, wurde tagsüber eine starke paramilitärische Präsenz in La Unión, das zu San José de Apartadó gehört, festgestellt.
Am selben Tag befahl  eine Gruppe von Paramilitärs Familien, die gerade in  Las Nieves ihr Feld bestellten, die Arbeit einzustellen, sonst müssten sie die Region ganz verlassen.

Am Donnerstag, dem 15. April 2021,  wurde uns mitgeteilt, dass die Junta de Acción Comunal (eines der lokale Mitbestimmungsgremien, von der Verfassung vorgesehen, in der Parxis oft von lokalen Machteliten korrumpiert, Anm. d. Ü) des Dorfes La Esperanza  sich mit anderen kommunalen Gremien getroffen habe, um eine mögliche Enteignung unseres Privateigentums zu organisieren. Unsere Friedensgemeinschaft habe ihnen nicht erlaubt, eine bestimmte Straße zu passieren. Hierbei geht es wieder um nicht genehmigte Bauvorhaben, die wiederum durch illegale von den Bauern erpresste Steuern (angeblich für den Treibstoff der militärischen Maschinen) finanziert werden soll.

Am Samstag, den 17. April 2021, wurden tagsüber im Dorf El Porvenir zwei Gruppen von mit Gewehren bewaffneten Paramilitärs in Tarnunoiform gesehen. Jede dieser Gruppen hatte etwa 15 Mann und teilte sich auf, um zu patrouillieren und das Gebiet zu kontrollieren.

Auch am Mittwoch, den 21. April 2021,wurde in Arenas Altas, ganz in der Nähe unserer Friedensgemeinschaft eine Gruppe schwer bewaffneter Paramilitärs gesehen.

Am Donnerstag, 22. April 2021, um 13 Uhr, versammelte sich mehr als drei Stunden lang in dem Dorf La Cristalina eine Gruppe von Paramilitärs Bei diesem Treffen wurde die Drohung der Paramilitärs wiederholt, dass jeder die von ihnen auferlegte Gebühr für den Straßenbau zahlen müsse. Wer nicht zahle, müsse Konsequenzen tragen.

In den letzten Tagen kursierten Fotos in den sozialen Medien von Treffen und Vereinbarungen zwischen Bewohnern des ländlichen Gebietes  von San José  mit Mitarbeitern der XVII. Heeresbrigade für den Bau von Straßen in San José de Apartadó. Klar ist, dass auf der einen Seite das Militär mit seinem schweren Gerät neue Wege öffnet, während die Paramilitärs die Bauern erpressen und zwingen, sich an diesem Projekt zu beteiligen.

Die Paras unterstützen wirtschaftliche Interessen. Das geht bis dahin, dass sogar die Bearbeitung des Landes verboten ist, als eine Strategie, um den Bauern zu enteignen, denn er kann sein Land nicht ohne Ertrag halten, er muss es  am Ende verkaufen, und zwar an den gleichen Unternehmer, der die Paramilitärs anheuert.

Der Wunsch, unsere Friedensgemeinschaft zu vernichten, besteht fort und dafür ermutigen der Staat und die Paramilitärs die Bevölkerung, gegen unsere Gemeinschaft vorzugehen. Ihr Versprechen ist,  illegale Straßen zu bauen und damit bessere Verbindungswege. Leider sind sie nicht an den Bauern interessiert, sondern an ihrer Zerstörung. Und die Bauern selbst, die sich darauf einlassen, arbeiten auch an ihrer eigenen Zerstörung.

Wir danken nochmals den Menschen und Gemeinschaften, die uns an verschiedenen Orten des Landes und der Welt aus innigsten Überzeugungen in diesen mehr als 24 Jahren der Friedensgemeinschaft begleitet haben und die trotz der Isolation durch die Pandemie die kolumbianische Regierung weiterhin jeden Tag unter Druck setzen, damit sie nicht weiterhin unser Leben oder unser Erbe zerstört. Wir danken aufrichtig dafür, dass sie diesen Prozess der Verteidigung des Lebens verfolgt haben und uns auch moralisch ermutigen, unsere Grundsätze weiter zu verteidigen.

Friedensgemeinschaft San José de Apartadó, 23. April 2021

Das Ende der Friedensgemeinschaft – davon träumen die Mächtigen

Erneut sehen wir uns, wie schon bei vielen anderen Gelegenheiten, in der Pflicht, Kolumbien und der Welt Zeugnis von den jüngsten Ereignissen abzulegen, die uns erneut zum Opfer einer mörderischen Gruppierung gemacht haben, deren Ziel unsere Auslöschung ist.

In unserem letzten Bericht haben wir bereits auf das Projekt verwiesen, das derzeit im Raum San José de Apartadó den Bau von Zufahrtsstraßen zu einigen Dörfern vorsieht. Wir haben uns dagegen ausgesprochen, dass einige dieser Wege über uns gehörendes Gelände im Dorf La Esperanza führen, und wir haben mehrfach darauf hingewiesen, dass es uns als nicht richtig erscheint, diese Wege unter Verstoß gegen die bestehenden Vorschriften zu bauen: Also ohne die vorgeschriebene vorherige Konsultationen mit den Gemeinden, ohne die nötigen Umweltgenehmigungen, ohne die Abstimmung des Baus mit dem  Territorialplanungsplan.

Diese neuen Verbindungswege sollen in erster Linie den Interessen transnationaler Unternehmen dienen, die ohne Rücksicht auf den Umweltschutz unsere natürlichen Ressourcen ausbeuten. Deren Management in der Region wurde den Paramilitärs anvertraut. Sie nutzen dabei  Maschinen und Militärpersonal der 17. Heeresbrigade, die seit jeher unsere Gegend mit Blut und Leid überzieht. Und sie erheben für den Bau bei allen Einwohnern illegale und erpresserische Steuern, mit deren Erlös angeblich die Kosten der Militär-Logistik bestritten werden. Dabei werden der Bevölkerung die Unregelmäßigkeiten (wie etwa der illegale Einsatz des Militärs, Anm. d. Ü.) verheimlicht. Wir, die wir darüber aufklären und die kommunalen Gremien auf ihre offensichtliche Manipulation durch korrupte Beamte und kriminelle Strukturen aufmerksam machen wollen, werden dafür bedroht.

Am Freitag, 30. April, gelangte uns ein vom 24. April datierter Text zur Kenntnis, der angeblich von Juntas de Acción Comunal (Mitbestimmungsgremien auf lokaler Ebene, von der Verfassung vorgeschrieben, in der Praxis oft von lokalen Herrschaftsstrukturen beherrscht, Anm. d. Ü.) der Region stammt. Das Papier stellte eine Antwort auf unsere Stellungnahme zum Wegebau vom 23. April dar. Sie behaupten in dem Dokument, sie förderten eine nachhaltige Entwicklung, was freilich in krassem Widerspruch zu den Tatsachen steht. Ferner behaupten sie, nur sie allein seien berechtigt, für die regionale Bauernschaft zu sprechen. Damit schließen sie sich der Politik der Knebelung der Opfer an, die die Heeresbrigade schon im September 2018 zu betreiben versuchte, als sie gerichtlich gegen uns vorging, um uns zum Schweigen zu bringen.  Damals wie heute sollten wir daran gehindert werden, die Missstände vor aller Öffentlichkeit anzuprangern. Es war ihnen egal, dass sie dadurch gegen die höchsten Prinzipien des internationalen Rechts verstoßen.

Sie behaupten auch, die staatlichen Sicherheitskräfte bekämpften die Paramilitärs, was weit entfernt ist von der bitteren Realität, die wir tagtäglich erleben und deren Aggressionen wir täglich ebenso verzeichnen wie die Informationen über die dafür verantwortlichen Offiziere und Soldaten. Ebenso wird die Anwesenheit der Paramilitärs schlankweg geleugnet, so wie es höhere Regierungsinstanzen ebenfalls tun und wie das vom Obersten Gericht und der internationalen Öffentlichkeit immer wieder beklagt wird.

Sie verleumden unsere Friedensgemeinde in völliger Unkenntnis dessen, wer wir sind und was wir wollen. Einige glauben, wir seien ein Unternehmen, das Arbeitskräfte anstelle und ihnen die Löhne vorenthalte, das Grundstücke besetze und deren Anwohner vertreibe. Mit anderen Worten, das Dokument ist voll von haarsträubenden Lügen, von unverzeihlicher Ignoranz, von Leugnungen der offensichtlichsten Tatsachen und von dem Anspruch, allein berechtigt zu sein, für alle Bürgerinnen und Bürger zu sprechen, was allen Grundsätzen des friedlichen Zusammenlebens zuwiderläuft.

Das Dokument enthält auch eine schmeichlerische Verteidigung von César Jaramillo, einem hohen Mitarbeiter der Fedecacao (Verband der Kakao-Farmer, Anm. d. Ü.), der die tatsächliche Führung der Juntas übernommen hat und der sich als Autor des Schriftstückes herausstellte, das er zusammen mit der Kommunalverwaltung von Apartadó verfasst hat. Denn am gleichen Tag machten wir im Internet eine interessante Entdeckung: Das Schreiben stammte aus dem Rathaus der Gemeinde Apartadó, es stützte sich auf eine frühere Version vom 6. Juli 2009 (im Original faksimiliert, Anm. d. Ü.). Damit ist für uns bewiesen, dass das angeblich von den Juntas de Acción Comunal verfasste Papier aus dem Rathaus stammt.

Das deutet darauf hin, dass die Kommunalverwaltung den Zwist zwischen verschiedenen Teilen der ortsansässigen Bevölkerung aktiv schürt. Sie bescheidet sich nicht damit, paramilitärische Strukturen zu tolerieren, zu erhalten und zu schützen. Sie ermöglicht es den Paramilitärs sogar, ihre absolute Kontrolle in den Dörfern und auf den Straßen aufrechtzuerhalten. Sie versucht, die Juntas de Acción Comunal gegen unsere Friedensgemeinde in Stellung zu bringen, die Juntas zum Hass anzustacheln und ihnen zu versprechen, dass sie Schluss machen werden mit uns.

Am Samstag, 1. Mai, trafen sich in La Esperanza de San José de Apartadó rund 24 Vorsitzende der Juntas de Acción Comunal aus den zu San José de Apartadó gehörenden Dörfern. Von César Jaramillo und Mitarbeitern des Bürgermeisters von Apartadó bekamen sie den Text vorgelegt, ferner eine Art Vertrag, in dem sie sich zur Auslöschung unserer Friedensgemeinde bekennen sollten. César Jaramillo fotografierte viele der Unterzeichner und postete die Bilder auf seiner Facebook-Seite, was bei einigen Unterzeichnern Empörung auslöste.

Paramilitärs, die in unserer Region kontrollieren, bedrohen, rekrutieren, erpressen und morden, hinterließen am selben Tag Flugblätter vor unserer Siedlung San Josesito und an verschiedenen Orten von San José de Apartadó.

Am Sonntag, 2. Mai, veröffentliche César Jaramillo auf seinem Facebook-Account „Cesa Jaramillo“ eine Reihe von Beiträgen, in denen er Fotos von Menschen, darunter einige der Junta-Vorsitzende, mit Sätzen der Aufstachelung zur Gewalt öffentlich macht, wie die folgenden: „Die Führer von San José de Apartadó treffen Entscheidungen angesichts der Übergriffe der Friedensgemeinde“ oder „Der Kampf geht weiter, wir befreien uns von der Friedensgemeinde“ oder „Die Friedensgemeinde kriegt es nun mit den Juntas de Acción zu tun“.

Das erinnert uns an den 29. Dezember 2017, als fünf bewaffnete Paramilitärs versuchten, unsere Leute zu ermorden und als die Täter kurz darauf von Luis Pérez, dem Gouverneur von Antioquia (Departement, zu dem Apartadó gehört, Anm. d. Ü.), und diesem Herrn Jaramillo verteidigt wurden: Die Täter seien keine Paramilitärs, sondern Kakaobauern oder Friseure aus derselben Gemeinde.

Am Sonntag, 2. Mai, richtete der Junta-Vorsitzende des Dorfes La Unión eine Ergebenheitsadresse an Jaramillo. Der Paramilitär Wilfer Higuita aus La Unión und Jaramillo benutzte die Äußerung, um verbal gegen unsere Friedensgemeinde vorzugehen, indem sie uns als „eine Herde von Hurensöhnen“ bezeichneten.

Am Montag, 3. Mai, gegen 15 Uhr bemerkten Mitglieder unserer Friedensgemeinschaft, als sie von San Josecito nach La Esperanza fuhren, zwei bekannte Paramilitärs in El Filo de las Nieves. „Higuita“ und „Richi“ hatten sich im Wald versteckt, um zu spionieren, wohin die Mitglieder der Gemeinde fuhren.

Am selben Tag gegen 17.40 Uhr schmissen Unbekannte Steine an den Zaun unserer Gemeinschaft am Tor von Esperanza. Auch Stockschläge waren zu hören, ebenso Freudenschreie über die Zerstörung unseres Schildes. .

Am Mittwoch, 5. Mai, erfuhren wir, dass César Jaramillo alle Junta-Vorsitzenden von San José zu einer Sitzung am 6. Juni einberufen hat, um einen Zusammenschluss der Juntas zu schaffen  und dass dabei über weiteres Vorgehen gegen die Friedensgemeinde beraten werden soll. Bei diesem Treffen dürfen nur die 31 Junta-Vorsitzenden teilnehmen, die den oben erwähnten Text gegen uns unterzeichnet haben.

Für unsere Friedensgemeinschaft ist diese neue Vernichtungskampagne kein Novum. Sowohl die Armee als auch alle staatlichen Stellen sowie Bürgermeister und Gouverneure haben sich vorgenommen, uns zu vernichten. Viele Jahre lang wiederholten die Soldaten, die bei uns aufkreuzten, die Drohung: „Entweder wir kriegen sie mit der Justiz weg, oder wir töten sie“, was einer Mord-Botschaft an unsere Adresse gleichkam: Ihr passt nicht in dieses Land.

Das Buch „En las entrañas del genocidio“ (etwa: Im Inneren des Völkermordes, Anm. d. Ü.), das die insgesamt 1462 Verbrechen gegen die Menschlichkeit auflistet, deren Ziel unsere Friedensgemeinde bis Mitte 2018 war und das heute zahlreichen internationalen Gerichten und Organisationen vorliegt, führt minutiös sieben Strategien der Auslöschung auf, die der Staat und die in Kolumbien herrschende Klasse anwenden, um uns kleinzukriegen. Das haben sie noch nicht geschafft. Vielleicht schaffen sie es noch – wir haben uns jedenfalls dafür entschieden, Widerstand zu leisten, ohne aufzugeben.

Es ist allgemein bekannt, dass César Jaramillo der Chef des Kakaofarmer-Verbandes Fedecacao ist und dass er jetzt de facto die Juntas de Acción Comunal lenkt, auf welcher juristischen Grundlage auch immer. Er selbst gibt zu, dass er eng mit dem Bürgermeister von Apartadó zusammenarbeitet, wie in seinem Facebook-Auftritt zu sehen ist.

Wir haben bereits früher unsere Besorgnis über das Bündnis zum Ausdruck gebracht, das im März letzten Jahres zwischen der Militärschule José Maria Cérdoba und dem Kakaofarmer-Verband besiegelt wurde, um Kakao produzierende Familien zu beraten. Nach unserer Erfahrung ist die Einmischung von Militärangehörigen in das Kakao-Geschäft fatal, so wie ganz allgemein die Anwesenheit bewaffneter Akteure in zivilen Angelegenheiten verheerende Auswirkungen hat.

Wir können die schreckliche Einmischung der Armee in unsere bescheidene und prekäre Vermarktung von Kakao nicht vergessen. Am 11. Juli 2001 stahlen vier Angreifer eine ganze Lieferung Kakao, die unsere Gemeinschaft nach Medellin geschickt hatte, einschließlich des Transporters, und zitierten unsere Führer an den Ort des Raubüberfalls, um sie zu töten. Dabei stellte sich heraus, dass Soldaten der 17. Heeresbrigade dabei waren, die abwechselnd an der Kontrollstelle von la Balsa Dienst schoben. Ähnliches wiederholte sich gut ein Jahr später. 2014 verbreitete Oberst Germán Rojas Díaz, der Kommandeur der Brigade, ein absolut verleumderisches Video voller Montagen, das uns illegale Kakaoexporte vorwarf. Es war also weder ehrenhaft noch legal, dass sich die Armee in den Kakaosektor eingemischt hart, sondern nur ein schmutziges Spiel. – Wir bedauern, dass die Juntas Comunales durch die Aktivitäten von César Jaramillo nun mit dem Kakaofarmer-Verband, der Armee und dem Rathaus zusammenarbeiten. Wir ahnen, dass bald nichts mehr transparent sein wird.

Wir unterstreichen nochmal, dass unsere Beschwerden immer darauf ausgerichtet waren, die Tätigkeit der Paramilitärs nachzuweisen, die durch staatliche Unternehmen und Institutionen gestärkt wurden. Wir ziehen nicht die Ehrlichkeit und den guten Ruf der Juntas in Zweifel, wir stehen ihnen nicht feindselig gegenüber.  Im Gegenteil, wir haben immer darauf gedrungen, dass alle Juntas autonom seien, dass sie sich gegen militärische Unterdrückung zur Wehr setzten, dass sie sich nicht von dem korrupten Verhalten der öffentlichen Bediensteten beeinflussen lassen, die nur vor ihren Chefs gut aussehen wollen. Wir sind außerordentlich traurig darüber, dass diese ehrenwerten Bauern, die wie wir diesen Krieg erlitten haben, heute jene Bauern sind, die die Zerstörung einer Vorgehensweise unterstützen, die  nur dem Überleben der Zivilbevölkerung in der Region gegolten hat.

Aber wir müssen klar sehen; Es ist nicht das erste Mal, dass Briefe gegen die Zivilbevölkerung unterzeichnet werden. Erinnern wir uns, wie 2017 beim Besuch von Vizepräsident General Oscar Naranjo in San José de Apartadó – wieder in Zusammenarbeit mit César Jaramillo – Dokumente einer angeblichen „Entwicklung“ unterzeichnet wurden, die bereits vorgefertigt waren und die die Mitglieder der Juntas de Acción Comunal unterschrieben, vermutlich ohne diese Dokumente vorher richtig studiert zu haben, und anschließend wurden diese Unterschriften dann gegen dieselbe Bevölkerung verwendet.

Seit 24 Jahren versuchen wir, mit kollektiven, legal erworbenen Landflächen unsere Friedensgemeinde zu festigen. Wir haben uns der Frage der Landrückgabe nie entzogen, wie das erwähnte Dokument behauptet. Im Gegenteil, wir beteiligen uns am juristischen Prozess der Formalisierung unserer Grundstücke, die mitunter Gegenstand von Klagen von ehemaligen Eigentümern sind, die uns freilich die Landtitel freiwillig und ohne Druck verkauft haben. Aber in juristischen Verfahren muss aufgrund von Beweismitteln herausgefunden werden, wer recht hat.

Wir schicken diesen Bericht in einer Zeit, in der Kolumbien der Schauplatz einer  wahren Tragödie ist. Die Proteste gegen die diskriminierende, unfaire, repressive  Politik der Regierung sind explosionsartig angewachsen, und die Regierung hat darauf mit Tötungen und Verunglimpfungen des Protestes reagiert. Die Zahl der Opfer ist riesig.

Gleichzeitig danken wir allen unseren Freundinnen und Freunden in aller Welt für ihre Solidarität mit unserer Gemeinde, die seit 24 Jahren in der Opferrolle ist. Wir sind außerordentlich dankbar für die Solidarität mit allen unseren kolumbianischen Brüdern und Schwestern, die in diesen Tagen zu Opfern eines wahrhaft faschistischen Staates geworden sind und die wegen ihrer Proteste so viel Schlimmes durchmachen müssen.

Friedensgemeinde San José de Apartadó, 6. Mai 2021

Die unvorstellbare Macht des Maulkorbs

Erneut wendet sich unsere Friedensgemeinde San José de Apartadó, gestützt auf ihre festen Überzeugungen, an Kolumbien und die Welt, um das zu mitzuteilen, was wir in unserem Alltag erleben. Wir tun das, weil unsere Klagen und Aufschreie schon seit Jahrzehnten von den staatlichen Institutionen nicht gehört werden, obwohl sie verpflichtet sind, uns zu schützen. Wir tun das,  weil die wichtigsten Grundsätze einer Demokratie das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf das Anprangern von Missständen sind, so wie es von allen Organen der Vereinten Nationen und der Organisation Amerikanischer Staaten erklärt wurde, deren Mission die Festlegung der Grundrechte des Menschen ist.

In den vergangenen Wochen haben wir Folgendes erlebt und erfahren:

  • Am Sonntag, den 15. November 2020, kam es nach unseren Informationen in den Abendstunden zu einem Streit in einer öffentlichen Einrichtung im Stadtzentrum von San José, bei dem bewaffnete Paramilitärs beteiligt waren. Die Polizisten, die am Schauplatz eine Durchsuchung durchführten, sagten, dass sie Schreckschusswaffen vorgefunden hätten. Beobachter der Szene betonten jedoch, es habe sich um normale Schusswaffen der Paramilitärs gehandelt habe. Die Beobachter beteuerten, dass die Polizei die Waffen an zwei Personen namens Deiner und Sebastián zurückgegeben habe, bekannte Paramilitärs aus Nuevo Antioquia, einem Teil der Gemeinde Turbo. Ein Bauer wurde bei dem Vorfall verwundet.Das Beunruhigende ist, dass die Polizei immer wieder Waffen beschlagnahmt und sie oft, wie in diesem Fall, ihren Besitzern zurückgibt, ohne dass die festgenommen würden, was einmal mehr die Nähe und die Zusammenarbeit von Paramilitärs und Ordnungskräften bestätigt. Den Augenzeugen zufolge haben die Paramilitärs einige Tage später die Personen aufgesucht, die an dem nächtlichen Streit beteiligt waren, und ihnen Geldsummen, angeblich eine Million Pesos (etwa 240 Euro, d. Ü.) gegeben, offenbar, damit sie darüber schweigen, was in dieser Nacht dort geschehen war.
  • Am Mittwoch, den 18. November 2020, schickten uns befreundete Anwälte den Text des Urteils T-342/20 des Verfassungsgerichts. Die 17. Heeresbrigade hatte am 28. September 2018 gegen unsere Friedensgemeinschaft geklagt, weil unsere öffentliche Kritik an der Heeresbrigade (die nach den leidvollen Erfahrungen der Friedensgemeinde mit den Paramilitärs kooperiert, Anm. d. Ü.) den Tatbestand der üblen Nachrede erfülle. Die Kammer des Gerichtshofs, die sich aus den Richtern Alejandro Linares, Antonio José Lizarazo und Luis Guillermo Guerrero zusammensetzte – letzterer fungierte als Berichterstatter und gehört mittlerweile nicht mehr dem Gericht an -, urteilte, dass das Recht des Militärs auf seinen guten Namen durch unsere Beschwerden verletzt worden sei, da die Beschwerden nicht „durch eindeutige, rechtskräftige Verurteilungen“ untermauert gewesen seien.Das Urteil der Richter steht in krassem Widerspruch zu der Sichtweise der Verfassungsrichter, die in den vergangenen Jahren die Rechte unserer Friedensgemeinden in verschiedenen Urteilen bestätigt haben. Das jetzige Urteil  ignoriert auch die mehrfach bestätigte Rechtsprechung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ferner Erklärungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Das Urteil ignoriert auch das Schreiben, das der Berichterstatter der Vereinten Nationen für Meinungsfreiheit an die Kammer  geschickt hat und in dem er eindeutig erklärt: „Ein demokratisches und pluralistisches System verlangt, dass öffentliche Institutionen einem hohen Maß an Kontrolle unterliegen müssen. Daher sind die staatlichen Organe zu einer größeren Toleranz für diese Äußerungen verpflichtet, so schockierend, unangenehm oder beunruhigend sie auch sein mögen, und sie müssen diejenigen schützen, die solche Kritik äußern, statt ihnen Beschränkungen aufzuerlegen.“Eine eingehendere Analyse dieses Urteils macht deutlich, dass die Revisionskammer an vielen Stellen von der jahrelangen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts abgewichen ist. Das bezieht sich insbesondere auf den zentralen Punkt des jetzigen Urteils, das den Schutz vor Rufschädigung einer staatlichen Institution als höheres Rechtsgut ansieht als das Recht auf freie Meinungsäußerung der Opfer dieser Institution. Eine umfangreiche und ausführlich begründete Rechtsprechung des Verfassungsgerichts hat festgestellt, dass der gute Ruf (oder die Reputation) nur durch angemessene Amtsführung erlangt wird. Darauf fußt die Wertschätzung der Gesellschaft und nicht auf dem Amt an sich oder auf dessen rechtswirksamen oder abstrakten Entscheidungen. Daraus folgert das Verfassungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung, dass ein zu verteidigender Ruf gar nicht besteht, wenn diese auf einer bestimmten, angemessenen Amtsführung fußende gesellschaftliche Wertschätzung fehlt. Ein Recht auf etwas nicht Existierendes ist demnach also gar nicht einzuklagen.

    Und im Fall der 17. Heeresbrigade liegt eine ganze Kette von Beschwerden und Verurteilungen wegen Verletzung der Menschenrechte und der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, die bei den nationalen und internationalen Gerichten (auch in Strafurteilen des Obersten Gerichtshofs) aktenkundig sind und in denen die enge Beziehung zu paramilitärischen Gruppen als wiederkehrendes und dauerhaftes Verbrechen erscheint. Wegen alledem kann von einem guten Ruf nicht die Rede sein, und deshalb kann er auch nicht verteidigt werden.

    Dieses Urteil widerspricht außerdem der langjährigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts über die Prävalenz des Rechts auf freie Meinungsäußerung und über die juristischen Normen, die für den Schutz von Einzelpersonen oder für deren Rechte gegenüber juristischen oder staatlichen Einrichtungen gelten. (…) Deshalb ist das Urteil der Kammer als null und nichtig zu betrachten.(…)

    Unsere Friedensgemeinde hat das Urteil daher bereits angefochten und eine Nichtigkeitserklärung beantragt. Wir können nur die große Verschlechterung unserer Rechtsinstitutionen bedauern, die in den Augen der Opfer keine Glaubwürdigkeit mehr haben.

  • Am Samstag, den 21. November 2020 wurde Eliécer Morales nachts schwer verletzt auf der Straße gefunden, die von San José nach Apartadó führt, in der Nähe des Ortes Caracola in der Gemeinde La Victoria.
    Einige Darstellungen zufolge gehen die Verletzungen auf einen Sturz vom Maultier zurück, auf dem Morales unterwegs war. Aber andere Versionen sprechen von einem Angriff auf sein Leben. Morales starb einige Tage später im Krankenhaus.
  • Am Sonntag, den 22. November 2020, starb in der Gemeinde La Unión der Bauer Reinaldo Areiza David, als er in den Morgenstunden, offenbar nachdem er gepanschten Schnaps getrunken hatte, von seinem Reittier stürzte. Reinaldo gehörte unserer Friedensgemeinde seit ihrer Gründung 1997 an und gehörte jahrelang ihrer Führung an. In einem unserer schmerzlichsten Momente klagte er vor dem Repräsentantenhaus mutig das Massaker an unseren Führern und Kindern an, das sich am 21. Februar 2005 in Mulatos und Resbalosa ereignete. Damals wurde er von dem Abgeordneten Jaime Cabal, einem Ex-Militär, und mehreren Generälen der Militärführung heftig angegriffen und verleumdet. Im Januar 2009 kontaktierte ihn Oberst Germán Rojas Díaz, damals der Chef der 17. Heeresbrigade, über den Paramilitär Wilfer Higuita und forderte ihn auf, bei der Zerstörung unserer Friedensgemeinschaft mitzumachen. Der General ließ drohen, wenn Reinaldo nicht akzeptiere, würde er einem Strafverfahren mit falschen Zeugen überzogen und entweder als Guerillaführer oder als Drogenhändler angeklagt. Reinaldo wehrte sich gegen diese Erpressung und prangerte sie öffentlich an, worauf Militär und Paras ihn von da an verfolgten und sein Haus niederbrannten. Unter dem Druck all dieser Probleme wurde er zum Alkoholiker. Das zwang ihn dazu, sich aus der Friedensgemeinde zurückzuziehen, in der Alkoholgenuss untersagt ist. Er schaffte es nicht mehr,  sein Leben zu ändern. Die Friedensgemeinde San José de Apartadó  betrauert seinen Tod zutiefst.
  • Am Montag, den 23. November 2020, erhielten wir tagsüber die Information, dass die Paramilitärs in den Ortschaften El Porvenir y Las Nieves von San José de Apartadó von jeder Bauernfamilie eine Summe von 200.000 Pesos (etwa 48 Euro) verlangen, um die Kinder zu Weihnachten zu beschenken. Damit zeigt sich erneut, wie die Paramilitärs mit Waffengewalt die gesamte zivile Bevölkerung, ihr Eigentum und ihr Gemeinschaftsleben zu beherrschen und zu kontrollieren versuchen.
  • Am Freitag, den 27. November 2020, wurde tagsüber in La Despabiladora, Ortschaft La Resbalosa, eine Gruppe von schwer bewaffneten Paramilitärs gesehen, während in ihrer Nähe aus einem Hubschrauber der Firma EPM Strommasten und Elektro-Material entladen wurde (EPM, Empresas Públicas de Medellín, ist eines der großen, öffentlichen Versorgungsunternehmen Kolumbiens für Gas, Strom, Wasser und Telekommunikation, Anm.d.Ü.). Diese Paramilitärs hatten 2018 Teile der Gemeinden Resbalosa, Nain, La Resbalosita, Baltazar, Alto Joaquín und andere elektrifiziert, vor allem im Grenzgebiet zwischen den Departements Antioquia und Córdoba. Offenbar legalisiert EPM nun diese Stromanlagen, die die Paramilitärs damals mit dem Geld bauten, das sie von den Bauern der betroffenen Gegenden erpresst hatten.
  • Am Samstag, dem 28. November 2020, wurde an dem Ort La Máquina, Gemeinde Arenas Bajas von San Jose de Apartadó, eine Gruppe von mit Gewehren bewaffneten Paramilitärs gesichtet, die sich dort offenbar mehrere Tage lang aufhielten.
  • In der letzten Novemberwoche erhielten wir die Information, dass sich die Paramilitärs mit der Staatsanwaltschaft darüber abstimmen, um Informationen über die Bürger zu erhalten, die dort Beschwerden über die Paras einreichen. Außerdem sollen durch diese Koordinierung zwischen Staatsanwaltschaft und Paramilitärs diejenigen besser kontrolliert werden, die unserer Friedensgemeinde Informationen liefern. Dieses Szenario erinnert uns an Episoden aus früheren Jahren, in denen sich viele Opfer der Paras an die Staatsanwaltschaft wandten, und später kam heraus, dass diese Informationen an die Paramilitärs weitergegeben worden waren, die sich dann rächen konnten.Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang beispielsweise an den 22. September 2010, als vier Jugendliche, die bereits wegen derselben Beschuldigung angeklagt worden waren, erneut bei der Staatsanwaltschaft vorgeladen wurden, was gegen den Grundsatz verstößt, dass gegen niemanden wegen derselben Anschuldigung zwei oder mehr Verfahren angestrengt werden dürfen.  Der Bürgerbeauftragte (gemeint ist der örtliche Vertreter der „Defensoría del Pueblo“, eine landesweit agierende Behörde mit Verfassungsrang, die über die Achtung und Durchsetzung der Menschenrechte wachen soll, Anm. d. Ü.)  weigerte sich, die vier zu begleiten. Als die Beschuldigten bereits in der Nacht die Staatsanwaltschaft verließen und nach Hause gehen wollten, schossen Paramilitärs auf sie, wobei einer von ihnen, Alonso Valle, verwundet wurde. Im Krankenhaus wollte niemand Alonso Valle  die Kugel herausoperieren, er selber musste sie mit einem Messer entfernen. Andere, die mit demselben Prozess in Verbindung standen, wie John Kennedy Higuita und Bernardo Rios, wurden in den folgenden Monaten getötet. All das deutete auf eine Koordinierung zwischen der Staatsanwaltschaft, den Paramilitärs, dem Büro des Bürgerbeauftragten und dem Krankenhaus hin, um zum Tod dieser jungen Menschen beizutragen, in deren Verfahren die Strafprozessordnung vielfach missachtet wurde.
  • In der ersten Dezemberwoche kursierten Informationen, nach denen die Paramilitärs neue Pläne zur Rekrutierung von Mitgliedern hegen und dabei mit höheren Soldzahlungen locken. Die Paramilitärs mit den Alias-Namen René, Jesusito und Samuel (der früher als Chef in verschiedenen Gemeinden im Departement Córdoba aktiv war und später in das Gebiet von La Unión, El Porvenir, Las Nieves, La Esperanza, Arenas Bajas, Arenas Altas und der umliegenden Siedlungen versetzt wurde) versuchen diesen Informationen zufolge, durch wirtschaftliche Anreize jene Paramilitärs, die durch den Tod ihrer Kommandeure entmutigt sind, zu motivieren und zu neuen Taten anzuspornen.

Wir danken erneut den Menschen und Gemeinschaften, die uns an verschiedenen Orten des Landes und der Welt aus tiefster Überzeugung in diesen mehr als 23 Jahren der Friedensgemeinschaft begleitet haben und die trotz der Isolation durch die Pandemie die kolumbianische Regierung weiterhin dazu drängen, unser Leben zu schützen und unser Vermächtnis zu bewahren. Wir danken aufrichtig dafür, dass sie alle diesen Prozess der Verteidigung des Lebens verfolgt haben. Das ermutigt uns, weiterhin zu unseren Grundsätzen zu stehen.

Friedensgemeinschaft San José de Apartadó, 13. Dezember 2020

Krieg und Frieden in der Sprache der Paramilitärs

CdP de San José de Apartadó – Bericht vom 12.10.2020
Übersetzung – 18.10.2020/BFK/WK

Wieder sieht sich unsere Friedensgemeinde genötigt, dem Land und der Welt über die letzten Vorkommnisse zu berichten. Wir leiden weiterhin unter den Machenschaften des Paramilitarismus, der weiterhin versucht, die Bauern zu unterwerfen. Dabei können die Paras fortfahren, ohne von einer staatlichen Autorität dabei gestört zu werden – im Gegenteil, sie erhalten sogar ökonomische und politische Unterstützung für ihre Projekte.

Seit dem 14. September gibt es eine verleumderische Kampagne, die unsere Friedensgemeinde diffamiert und uns empört. Seit jenem Tag zirkuliert per Whatsapp ein Pamphlet mit dem Titel: „Wir mögen die Friedensgemeinde nicht“, mit dem man versucht, die Bauern in unserem Gebiet gegen unsere Gemeinde aufzuhetzen. Wie dem Text zu entnehmen ist, stammt das Pamphlet von den Juntas de Acción Comunal der Dörfer Mulatos Medio und Mulatos Cabecera (Anm. d. Ü.: Die Juntas de Acción Comunal sind Mitbestimmungsgremien auf lokaler Ebene, die jedoch in der Praxis oft von den lokalen Machthabern kontrolliert werden), denn der oder die Verfasser laden Regierungsvertreter ein, diese Gemeinden zu besuchen.

Obwohl das Pamphlet angeblich von Bauern, nämlich Mitgliedern der örtlichen Gemeinde verfasst wurde, lässt der Inhalt keinen Zweifel an seiner paramilitärischen Herkunft. Seit einigen Jahren versuchen die Armee und andere staatliche Institutionen, die Juntas des Acción Comunal zu kooptieren, damit sie sich in der paramilitärischen Strategie zur Kontrolle der Region unterordnen.
Das wurde schon 2017 besonders deutlich, als unsere Friedensgemeinschaft 20 Jahre bestand, denn damals lud der Kommandant der 17. Heeresbrigade kooptierte Vertreter der Juntas ein, damit sie unsere Gemeinde gegenüber den internationalen Vertretern verleumden, die wegen des Jahrestages um einen Gesprächstermin mit der Heeresbrigade gebeten hatten.

Angesichts dieses empörenden Versuchs zogen sich die internationalen Vertreter brüskiert von dem Treffen zurück. Danach wurde auch klar, dass die Paras das gesamte Gebiet kontrollieren wollten, nachdem die FARC demobilisiert war. Tatsächlich haben sie das ja auch mit ihren Spionage- und Kontrollpunkten erreicht, und dabei konnten sie immer mit der staatlichen Unterstützung rechnen.

Aber was noch mehr auf die paramilitärische/militärische Herkunft des Pamphlets schließen lässt, ist sein Inhalt. Der oder die Verfasser versuchen die Situation in der Region wie eine Insel des Friedens aussehen zu lassen. Dafür müssen sie das Bespitzelungsnetz verheimlichen, das sie zur umfassenden Kontrolle der Einwohner aufgebaut haben. Verhehlt werden müssen auch die bewaffneten Streifen auf ihren Motorrädern, die ständig auf der Straße nach San José patrouillieren, ebenso wie die illegalen Steuern, die sie kassieren. Verschwiegen werden auch die Vorschriften, die sie den Bewohnern in ihren Versammlungen machen, etwa jene, die den Anbau von Produkten zum Eigenverbrauch verbieten und ihnen stattdessen sogenannte Entwicklungs- oder Fortschrittsmodelle aufzwingt, die auf lange Sicht zu ihrem Ruin und ihrer anschließenden Vertreibung führen.

Nicht die Rede sein darf auch von der dauernden Bedrohung jener, die sich all dem nicht fügen wollen oder von den Todeslisten und den Morden, die sie schon auf dem Gewissen haben. Unerwähnt bleiben natürlich auch die Gruppen von Zivilisten in Tarnuniformen und mit Gewehren und Handfeuerwaffen, die durch die Dörfer patrouillieren, ebenso wie das dauerhafte und freundschaftliche Zusammenleben von
paramilitärischen Führern und den Offizieren des Militärs im Dorf San José.

Sie erwähnen auch die Ankunft ausländischer Unternehmen nicht, die nur an der schnellen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen interessiert sind und deren schwere Schädigungen der Umwelt mit rechtswidrigen Konsultationen der Bevölkerung bemäntelt werden. Die illegalen Erschließungsstraßen zu den Stätten der Ausbeutung werden mit dem Kapital und dem Maschinenpark gebaut, die die Paramilitärs zur Verfügung stellen.

So sieht die Insel des Friedens aus, die sie zeichnen und wo die demobilisierten ehemaligen FARC angeblich in absoluter Ruhe leben.
Dem Pamphlet nach ist die einzige Gruppe, die diesen „Frieden“ ablehnt, unsere Friedensgemeinde, die ihnen zufolge Krieg sät. Aber sie konkretisieren weder, was sie als Frieden, noch was sie als unseren Krieg bezeichnen. Im Pamphlet wird jedoch klar, dass es sie stört, dass unsere Gemeinschaft nicht mit den Paras kooperiert und zu ihren Verbrechen nicht einfach schweigt.

Daher ist es klar, dass wir ihrer Meinung nach „Krieg“ führen indem wir all ihre schlimmen und kriminellen Aktivitäten ablehnen, die sich sowohl gegen Menschen als auch gegen die Natur richten. (…) Wir werden nicht schweigen und immer wieder all diese Dinge an die Öffentlichkeit bringen – das ist für sie unser Krieg (…)

Sie wagen es nicht zuzugeben, dass sie uns bespitzelt und verfolgt haben und dabei zu dem Schluss gekommen sind, dass wir nicht einmal ein Messer haben, um uns zu verteidigen, und dass es daher leicht ist, uns zu töten. Stattdessen betraten sie am 29. Dezember 2017 bewaffnet unser privates Gebiet in Josesito, um uns zu ermorden und Gott sei Dank konnte durch eine schnelle waffenfreie Reaktion die Ermordung unserer Führer verhindert werden. Aber dennoch sind wir in dem Schriftstück diejenigen, die sich für „Krieg“ entscheiden und sie sind für „Frieden“.

Aber all diese Diffamierungen und unverschämten Angriffe sind ja nicht neu, sondern sind Teil einer Strategie, die schon seit Jahrzehnten verfolgt wird und die Vernichtung unserer Friedensgemeinde zum Ziel hat. Zuerst versuchten uns die Paramilitärs gemeinsam mit dem Militär physisch zu vernichten. Im Laufe der Jahre ermordeten sie in ihrem Rausch an Grausamkeiten mehr als 300 unserer Kameraden und Kameradinnen, darunter auch Kinder und Alte. Dieser einem Völkermord gleichende Vorgang wurde – mit rechtfertigender Wirkung – begleitet von einer kriminellen Stigmatisierungskampagne des Präsidenten der Republik.

Denn Paras, die vor den Instanzen des Friedensabkommens von ihren Taten aussagten, berichteten, wie Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez sie überzeugt hat, dass unsere Friedensgemeinde ein Guerrilla-Nest sei. Sie sollten daher mitleidslos unsere Leute töten, was sie heute bitter bereuen, weil sie verstanden haben, dass sie dadurch gezwungen wurden, Unschuldige zu töten. Uribe hat heute zahlreiche Strafverfahren eines Rechtssystems am Hals, das freilich zwischen Straflosigkeit und Gerechtigkeit hin- und herschwankt. Damals erfuhr diese Politik den starken publizistischen Rückhalt von Zeitungen wie „El Colombiano“ und „El Mundo de Medellín“ und von Rundfunkanstalten von Urabá. Sie verbreiteten Lügen und Verleumdungen und gingen ganz offensichtlich eine Komplizenschaft mit all diesen Verbrechen ein, für die sie nicht einen einzigen Tag im Gefängnis bezahlt haben, und sie haben den betroffenen Familien gegenüber auch nicht versprochen, diese Verbrechen nicht zu wiederholen.

Mehrere Jahre versuchte die Allianz aus Militärs und Paras, unsere Gemeinschaft durch Hunger auszurotten. Sie blockierten die Lebensmittelversorgung und scheuten sich nicht, dafür mehrere Chiveros-Fahrer (Anm.d.Ü.: die Chauffeure des informellen Nahverkehrs), alle Ladenbesitzer im Dorf und alle fliegenden Lebensmittel- und Getränkehändler an der Straße zwischen Apartadó und San José zu ermorden.

Dieser gesamte Vernichtungswahn wurde ergänzt durch die Arbeit des korrupten und kriminellen Justizapparates mit falschen Zeugen, Folter, willkürlicher Inhaftierung und Verletzung aller Prozessregeln. Auch als wir die obersten Gerichte anriefen und mit genauen Recherchen und Beweisen das Fehlverhalten von Staatsanwälten, Richtern, Polizeibeamten, Strafverteidigern aufzeigten, hatte das keinen Erfolg. Die Gerichte getrauten sich nicht zu handeln, sodass bis heute die korrupten und kriminellen Vertreter der sogenannten Gerechtigkeit in ihren Ämtern geblieben sind.

Nachdem nun unsere Gemeinschaft erfahren musste, dass sie nicht mit der Hilfe der Justiz rechnen konnte und ihrer verfassungsmäßigen Rechte beraubt werden, rekurrierte sie auf den Gewissensnotstand und wandte sich fortan nur noch an internationale Gerichte. Aber zugleich entschieden wir uns, weiterhin an das Gewissen und das Solidaritätsgefühl jener Menschen und Organisationen auf nationaler ebenso wie auf internationaler Ebene zu appellieren, die weiterhin an ethischen Prinzipien festhalten. Deshalb berichten wir weiterhin über die sozialen Netzwerke von den Angriffen gegen uns.

Auch dieser letzte Appell an die menschliche Solidarität der „Sauberen“ wurde von der 17. Brigade des Heeres blockiert. Am 28. September 2018 ging sie juristisch gegen uns mit dem Ziel vor, uns mundtot zu machen. Wir sollten gezwungen werden, alle unsere Auftritte in den sozialen Medien zu entfernen. Wir aber weigerten uns, diesen schurkischen Anweisungen Folge zu leisten. Die korrupte zuständige Richterin ließ sich dazu hinreißen, die in der Verfassung festgeschriebene Meinungsfreiheit zu verletzten, die die internationalen Normen des Verfassungsrechts als Wesensgehalt der Demokratie ansehen. Bisher hat das Verfassungsgericht solche absurden Urteile auf Eis gelegt, und zwar viel zu lang.

Kein Wunder also, dass die Herausgeber des hier erwähnten schmutzigen Pamphlets beklagen, dass ihr Verhalten kritisiert wird, aber gleichzeitig fordern sie die Regierung auf, sie bei einem der schwersten Verbrechen zu unterstützen: nämlich unsere Gemeinde zu vernichten (…).

Die Verfasser wollen außerdem, dass sie freien Zugang zu allen unserem Grund und Boden erhalten. Wir haben ja schon am
29. Dezember 2017 einschlägige Erfahrungen mit ihnen gemacht, als fünf Paramilitärs von denen, die in San José unentwegt mit den Ordnungskräften zusammen sind, in San Josesito mit dem Ziel eindrangen, unseren juristischen Vertreter und die Mitglieder unseres internen Rates zu ermorden. Sollen wir jetzt etwa alle Schlösser für sie öffnen, damit sie einfach hereinkommen und weiter töten können? Ist nicht dieses Verhalten typisch für kriminelle Banden?

In dem Pamphlet wird gefordert, den Vernichtungskrieg gegen uns „Frieden“ zu nennen. Entsprechend bezeichnen die Autoren die Beharrlichkeit, mit der wir angesichts ihrer Verbrechen, ihrer Gewalttaten, ihrer Drohungen und Übergriffe unsere Stimme erheben, als “Krieg”.

Basierend auf unseren festen Überzeugungen setzen wir hier den Bericht über die jüngsten Ereignisse fort:

  • Am Samstag, den 19. September 2020, wurde tagsüber eine Gruppe von Paramilitärs mit Gewehren auf der Straße gesehen, die vom Dorf Las Nieves nach La Esperanza führt, das zu San José de Apartadó gehört.
  • Am Dienstag, 29. September 2020, fuhr eine auffallende Gruppe von Männern, mit Pistolen bewaffnet, auf Motorrädern auf der Straße am Rande unserer Siedlung San Josesito. Am Nachmittag desselben Tages überquerte der als Alfredo bekannte Paramilitär diese Straße. Anscheinend koordinierten all diese Paramilitärs an diesem Tag die Verteilung von Flugblättern, die dann zwei Tage später in der gesamten Region und in vielen Gemeinden von Antioquia und dem Land gefunden wurden.
  • In der Nacht des Mittwochs, 30. September 2020, erreichten uns Informationen über einen angeblichen Vernichtungsplan, den die Paramilitärs zusammen mit einigen Siedlern dieser Zone ausgeheckt hätten. Ziel sollte unsere Friedensgemeinde sein. Es wird uns vorgeworfen, dass unsere Gemeinschaft keinen Fortschritt in der Gegend zulasse und dass wir die Anwesenheit der Paramilitärs im Dorf kritisierten, was ihnen schadet und verhindert, dass sie die Bevölkerung noch stärker kontrollieren.
  • Am Donnerstagmorgen, 1. Oktober 2020, fanden sich viele Pamphlete der Paramilitärs und eine Menge Graffiti an Bäumen und Häusern, die von den Autodefensas Gaitanistas de Colombia unterzeichnet waren, die unsere Region und viele andere in Kolumbien kontrolliert. (Anm.d.Ü: Die Autodefensas Gaitanistas de Colombia, AGC, gelten als die mächtigste und gefährlichste paramilitärischen Truppe des Landes. 2016 wurde geschätzt, dass die AGC, die zugleich eines der großen Drogen-Kartelle des Landes sind, rund 3000 Mann unter Waffen haben. Die AGC treten auch unter den Namen Clan del Golfo, Clan Úsuga oder Los Urabeños auf).
    Es scheint, dass diese Pamphlete nicht nur in San José de Apartadó und seinen Ortsteilen, sondern auch in vielen anderen Gemeinden des Landes verteilt wurden. In dieser Broschüre protestieren sie gegen die Brutalität der Nationalpolizei gegen Volksproteste und prangern gleichzeitig die Aktivitäten der Guerilla in der Region an. Es ist beunruhigend, dass eine staatlich tolerierte paramilitärische Struktur nun die Unterstützung der Bevölkerung gewinnen will, indem sie ihre eigene Schutzmacht in einer Angelegenheit anprangert, die auf nationaler Ebene so einhellig von der Bevölkerung abgelehnt wird, wie es das brutale Vorgehen der Polizei ist. Und dazu kommt noch, dass es keine Bestrebungen des Staates gibt, die Paras zu verfolgen, wie der Bischof von Apartadó vor einigen Monaten angeprangert hat.
  • An demselben Tag in den Morgenstunden marschierte ein Trupp von Soldaten der 16. Brigade (Anm.d.Ü. gemeint ist vermutlich die 17. Brigade), durch unser Friedensdorf und verletzten so unser Privateigentum. Ganz in der Nähe war unseren Informationen zufolge auch eine bewaffnete Gruppe von Paramilitärs in Zivil.
  • Tagsüber am 1. Oktober 2020 erhielt unsere Gemeinde Informationen, nach denen es die als Jesusito und Wilfer Higuita bekannten Paras waren, die die Pamphlete verteilt und Bäume und Häuserfronten beschmiert haben. Es ist bekannt, dass Wilfer Higuita als Teil der Paramilitärs 2009 in die 17. Heeresbrigade integriert wurde. Am 17. Januar 2009 wurde er Bote von Oberst Germán Rojas Díaz, dem Kommandanten der Brigade, sollte in dieser Funktion ein Mitglied der Friedensgemeinschaft erpressen und ihn auffordern, ihm bei der Zerstörung der Friedensgemeinschaft zu helfen, sonst würde er Strafverfahren wegen Drogenhandels oder Rebellion mit falschen Zeugen erfinden. Am 16. November 2009 machte Wilfer Higuita selbst am Rande von San José de Apartadé eine Liste von Ermordeten bekannt, von denen mehrere in den folgenden Tagen getötet wurden, wie Fabio Manco und Luis Arnelio Zapata. Laut Higuitas Ankündigung würden für jeden Tod sieben Millionen Pesos bezahlt. In diesen Jahren wurde er als Paramilitär mit Soldaten der 17. Brigade auf Patrouille gesehen.
  • Am Mittwoch, den 7. Oktober 2020, um 7 Uhr, betrat eine Gruppe von vier Soldaten der 17. Brigade ohne Genehmigung den inneren Bereich unseres Friedensdorfes. Etwas später um 11 Uhr betraten drei weitere Soldaten unerlaubt unseren Bereich, behaupteten einige Koordinaten zu überprüfen und gaben vor, sich verlaufen zu haben. Es sei darauf hingewiesen, dass das Friedensdorf ausreichend als Privatgebiet gekennzeichnet ist. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass Beamte des Staates den Schutz des Eigentums ignorieren. Klar ist, dass die Paras eine Möglichkeit suchen, unsere Lebensweise zu zerstören. Deshalb nutzen sie verschiedene Beobachtungspunkte, um sich dauerhaft einen Einblick in unsere Aktivitäten zu verschaffen. Angeblich kommt ein neuer paramilitärischer Kommandant in das Gebiet, der den bisherigen, „Pueblito“ oder „Pueblo“ genannten Para-Chef ersetzen wird, der von den Ordnungskräften getötet worden ist.

Die Bergbauunternehmen haben das größte Interesse an der Übernahme unserer Region. In den letzten Monaten hat es viele illegale Befragungen der Bevölkerung  gegeben, um mit dem Abbau der Bodenschätze zu beginnen. (Anm.d.Ü.: In Kolumbien sind bei Bergbauprojekten Konsultationen der Bevölkerung juristisch vorgeschrieben. Oft führen die Firmen jedoch eigene  – also illegale – Befragungen durch, auf deren manipulierte Ergebnisse sie sich später berufen können.) Die Befragungen wurden von den Paramilitärs durchgeführt, die die schmutzige Arbeit des Urabá-Unternehmers verrichten.

Leider fallen die Bauern oft auf das Spiel dieser Unternehmen herein, die nur ihre Devisenkassen füllen und dafür die Bauern um ihre ohnehin prekären Einkünfte bringen wollen, die am Ende ihr Land tatsächlich aufgeben. Danach werden sie von jenen vertrieben, die diese Art der Enteignung als Fortschritt und Entwicklung ausgeben.

Man muss sich nur anschauen, wie die anderen Regionen des Landes aussehen, in denen diese Unternehmen die Ressourcen ausgebeutet haben und wie die Menschen jetzt nur noch in Elend leben, mit der Angst vor Vertreibung und mit Schmerz und Wut, weil sie den falschen Versprechungen geglaubt haben, die diese Unternehmen verbreitet hatten.

Wir wissen, dass es ein großes Interesse der Bergbaufirmen und der staatlichen Institutionen gibt, unserer Friedensgemeinde die kollektiven Ländereien zu nehmen. Sie nutzen den Paramilitarismus und einen großen Teil der Zivilbevölkerung in der Region,  um das Ärgernis zu beenden, das wir in ihren Augen sind. Dann könnten sie die Bodenschätze und Ressourcen ausbeuten und dieser schönen Zone ein Ende bereiten. Dieser Art von „Fortschritt des Todes und der Vernichtung“ tritt unsere Friedensgemeinde entschieden entgegen.

Wir möchten wieder den Personen und Gemeinden danken, die von unterschiedlichen Orten des Landes und der Welt aus uns diese fast 23 Jahre der Friedensgemeinde begleitet haben und die trotz der Isolation durch die Pandemie die kolumbianische Regierung weiterhin jeden Tag unter Druck setzt, unser Leben oder unser Erbe und unser Vermächtnis nicht zu zerstören. Wir danken aufrichtig dafür, dass Sie diesen Prozess der Verteidigung des Lebens unterstützt haben, und das ermutigt uns auch moralisch, unsere Grundsätze weiter zu verteidigen.

Comunidad de Paz de San José de Apartadó
12. Oktober 2020

Geburtstagsfest inmitten von tödlichen Viren

CdP de San José de Apartadó – Bericht vom 30.3.2020
Übersetzung 10.5.2020/bfk/wk

Am Montag, 23. März, haben wir unseren Gründungstag gefeiert: Genau vor 23 Jahren hat sich unsere Gemeinde zur Friedensgemeinde San José de Apartadó proklamiert. Wir entstanden inmitten eines wahren Blutbades, das das kolumbianische Heer und sein paramilitärischer Arm damals angerichtet hatten, und zwar ganz sicher nicht, um die anderen Bewaffneten zu bekämpfen, sondern mit dem festen Vorsatz, alle sozialen Bewegungen auszurotten, die sich nicht ihrer Politik unterwerfen wollten. In unserem Fall hatten sich die offiziellen Streitkräfte zur Aufgabe gemacht, alle die zu eliminieren, die sich nicht an einem bewaffneten Konflikt beteiligen wollen, in den gemäß der importierten Militärdoktrin die gesamte zivile Bevölkerung, egal ob aktiv oder passiv, einbezogen werden muss.

Heute, 23 Jahre später, liegen uns die gerichtlichen Aussagen von früheren Paramilitärs vor, nach denen der damalige Staatspräsident Álvaro Uribe Vélez ihnen eingeredet hatte, dass unsere Friedensgemeinde in Wahrheit ein Guerrilla-Nest sei. Aus diesem Grund waren sie ihren Aussagen zufolge bereit, möglichst viele von denen umzubringen, die an unserem Friedensprozess mitmachten. Aber Jahre später wurde ihnen klar, dass das alles gefälscht war und dass man sie genötigt hatte, Unschuldige zu töten und fürchterliche Verbrechen zu begehen, die sie bis heute bereuen.

Wegen der sozialen Distanzierung, die zurzeit in Kolumbien und weltweit geboten ist, war unser Gedenken an den Gründungstag hauptsächlich virtuell. 22 Schwestergemeinden und –organisationen aus vielen Ländern traten via Internet mit uns in Kontakt. Sie priesen in ihren wunderbaren Botschaften der Solidarität und der Brüderlichkeit den Weg des Widerstandes und der Würde, die unsere Gemeinde eingeschlagen hat und auf dem sie uns alle mit ihrer moralischen Unterstützung begleitet haben.

Aber da die Angriffe und die Verbrechen der staatlichen Akteure nicht enden, müssen wir erneut von einer Reihe von bedrohlichen Situationen und Übergriffen berichten.

Am Samstag, 14. März, erhielt einer der Einwohner von San José de Apartadó den Anruf eines als „Nicolás“ bekannten Anführers der paramilitärischen Gruppe „Clan del Golfo“. Vom Mobiltelefon mit der Nummer 312-4320960 aus forderte Nicolás eine Kuh als finanziellen Beitrag zu den paramilitärischen Aktivitäten in San José. Als sich der Einwohner weigerte, drohte der Anrufer ihm an, dass einer seiner nächsten Verwandten bald getötet werde.

Am Sonntag, 15. März, wurden wir informiert über die Todesdrohungen, die die Familie von Amado Torres erhielt, der am 29. Februar dieses Jahres im Dorf La Miranda ermordet worden war. Nach seinem gewaltsamen Tod weigerten sich die zuständigen staatlichen Stellen, die Leiche abzuholen. Die Familie musste sie bis nach Caracoli bringen, das zum Dorf La Victoria gehört. Es ist bekannt, dass an dem Verbrechen die Paramilitärs mit den Tarnnamen Alfredo und René beteiligt waren, letzterer als Befehlshaber in der Region. Die Familie von Amado Torres sah sich gezwungen, ihre Farm zu verlassen, nachdem die Paras praktisch die Kontrolle über das Land der Familie übernommen haben. Über die Nachbarschaft ließen die Paras verbreiten, dass „jetzt noch andere Familienmitglieder an der Reihe sind zu sterben“. Einer der Arbeiter des ermordeten Farmers steht offenbar auch im Fadenkreuz der Verbrecher.

Zu dieser Bedrohungslage kommt noch hinzu, dass die Staatsanwaltschaft absolut nichts zur Aufklärung des Verbrechens unternimmt. Schlimmer noch, der zuständige Staatsanwalt hat das Mobiltelefon von einem der Söhne des Opfers eingezogen, was sich in die perverse Tradition der Justiz von Urabá einfügt, gegen die Opfer und nie gegen die Täter zu ermitteln. Es ist dagegen völlig unverständlich, warum die Staatsanwaltschaft nicht die Handys jener Paras beschlagnahmt hat, die für das Verbrechen verantwortlich sind – es handelt sich schließlich um eine in der Gegend bestens bekannte Gruppe.

Für den Samstag, 21. März, wurden in Nuevo Antioquia – das zum an San José de Apartadó angrenzenden Munizip Turbo gehört – verschiedene Abordnungen der Juntas de Acción Comunal zusammengerufen, die sich zur Ausbeutung eines riesigen Kohle-Vorkommens in der Region äußern sollen, die offenbar ein südkoreanischer Bergbaukonzern beabsichtigt (Anm. d. Ü.: Die Juntas de Acción Comunal sind gewählte Organe der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene, die in Kolumbien eine lange Tradition haben. Heute stehen sie oft unter Druck von mehreren Seiten. Einerseits versuchen die lokalen politischen Parteien, sie zu beherrschen, andererseits werden sie oft von den bewaffneten Gruppen, also Guerrilla und Paramilitärs, unter Druck gesetzt.) In diesem Zusammenhang denken wir an die Südkorea-Reise des früheren Präsidenten Juan Manuel Santos im Jahr 2013, bei der es den damaligen Medienberichten zufolge darum ging, mit den Südkoreanern Verträge zur Ausbeutung von Bodenschätzen, vor allem von Kohle, auszuhandeln.

Es ist allerdings sehr merkwürdig, dass die Nationale Bergbau-Agentur ausschließlich die kolumbianischen Unternehmen Argos und Carbones del Golfo als Inhaber von Schürflizenzen ausweist. Kennern der Materie zufolge findet eine Art unternehmerisches Outsourcing statt. Demnach agieren die nationalen Unternehmen als Strohmann für das multinationale Kapital. Uns beunruhigt außerordentlich, dass nun die Zustimmung der Juntas de Acción Comunal erforderlich sein soll. Denn die sind zum großen Teil von paramilitärischen Gruppen oder von klientilistischen Politikern manipuliert.

Das alles zeigt, dass man eine formelle Volksbefragung umgehen will, wie sie bei Projekten dieser Art und Größenordnung durch die Verfassung und die entsprechenden Ausführungsgesetze vorgeschrieben ist. Die Befragung der Juntas de Acción Comunal ist nichts weiter als eine illegale Nachahmung einer legalen Volksbefragung. Dahinter stecken egoistische, schändliche Interessen, die mit unverfrorener Bestechung durchgesetzt werden. So bietet man denen, die bei der Befragung mit Ja stimmen, unverhohlen Pick-ups, monatliche Zahlungen, Wohnungen in der Stadt und andere Pfründe an. Sogar der Bau eines Staudamms im Rio Mulatos wird versprochen, obwohl der mit Sicherheit nicht die Probleme lösen wird, die die Bevölkerung mit der Wasserversorgung hat, sondern dieser Staudamm würde am Ende in den Dienst der im Übrigen ökologisch verheerenden Kohlenförderung gestellt. Eine solche Ansammlung von Illegalität und Verderbtheit kann nur gedeihen im Wirkungsbereich paramilitärischer Kontrolle und in einem Gemeinwesen mit äußerst langer paramilitärischer Tradition, wie es Nuevo Antioquia ist.

Am Sonntag, 22. März, veranstalteten die Befehlshaber der Paras im Weiler La Unión eine Art Party mit Alkohol, Drogen und Gewalt, und das, obwohl an diesem Sonntag in Kolumbien bereits das Isolationsgebot in Kraft war, mit dem die Ausbreitung des Corona-Virus gebremst werden soll. Die Hauptfiguren bei diesen Ausschreitungen waren der Para-Chefs Wilmer de Jesús Úsuga, ferner die unter den Alias-Namen Jesusito, Ramiro und Samuel bekannten Paras, allesamt frühere Farc-Kämpfer. Wilmer oder Jesusito hatten bereits vorher, vom Weiler San José aus, eine Todesdrohung gegen Wilfer Higuita ausgesprochen, der in La Unión lebt. Higuito diente 2009 dem damaligen Kommandeur der 17. Brigade, Oberst Germán Rojas Díaz, als Unterhändler bei dem Versuch, ein Mitglied unserer Friedensgemeinde zu erpressen: Sollte sich unser Mann nicht an der Zerstörung der Friedensgemeinde beteiligen, würden falsche Zeugen gegen ihn vor Gericht aussagen. Als Wilfer nun nach La Unión floh, folgte ihm Jesusito dorthin und bedrohte ihn und andere Bewohner des Weilers, während die anderen Paras, die Brüder Samuel und Ramiro, Marihuana rauchten. Wir als Friedensgemeinde bedauern zutiefst, dass La Unión heute so tief gesunken ist, obwohl es zu anderen Zeiten der Schauplatz des heroischen Widerstandes und des Martyriums von hochgeschätzten Führungsfiguren und von beispielhafter Solidarität und des Gemeinsinnes war.

Am Montag, 23. März, beobachteten die Posten, die den Eingang des Warenschuppens der Friedensgemeinde bewachen, gegen 21 Uhr zwei unbekannte Personen auf einem Motorrad. Einer von ihnen stieg ab, stellte sich an den Weidezaun gegenüber, so als ob er urinieren würde, danach verschwanden die beiden wieder in Richtung Stadt. Unsere Wachleute vermuten, dass sie andere Absichten hatten, die sich jedoch nicht weiterverfolgten, als sie die Wachposten sahen.

Noch einmal wollen wir allen danken, die uns in unserem Widerstand begleiten und stärken. Ihre Botschaften und Glückwünsche waren uns gerade an unserem 23. Jahrestag außerordentlich wichtig.