Nichts ist trauriger und beschämender als Opfer, die für schändliche Interesse als Henker bestimmt wurden

Auch heute muss unsere Friedensgemeinde San José de Apartadó wieder dem Land und der Welt über die letzten Ereignisse berichten. Wir waren wieder Opfer des Paramilitarismus, der in unserer Region weiterhin auf breiter Ebene agiert, ohne von irgendeiner zuständigen Behörde gestört zu werden. Gestärkt durch wirtschaftliche und politische Unterstützung, versucht er immer wieder die Bauern seinen Plänen zu unterwerfen.

Der Lage in unserer Region wird immer dramatischer. Der Paramilitarismus erreicht immer mehr Kontrolle über das Gebiet und inzwischen glaubt auch niemand mehr den Entschuldigungen der Institutionen, wie „wir wussten davon nichts“, „wir hatten keine Truppen in dieser Zone“, „es hat sich niemand bei den zuständigen Behörden beschwert“. Alle glauben, dass es keine Gerechtigkeit gibt, dass es niemanden gibt, an den man sich wenden kann, die Zusammenarbeit der Paras mit dem Staat ist mehr als offensichtlich. Viele Bauern entscheiden sich nun wie in den schlimmsten Zeiten der 80er und 90er, ihr Land zu verkaufen und die Region zu verlassen. Die einzige Legalität, die noch gilt,  scheint die Illegalität der Paras zu sein. Aber mitten in diesem beschämenden Massensterben sollen wir jetzt Erklärungen gegen unseren Lebensprozess als Friedensgemeinschaft abgeben, indem wir den Slogan des Fedecacao-Beamten und Stadtrats und der Stadträte akzeptieren: „Ende der Friedensgemeinschaft“. Die Strategie kennen wir noch nicht, aber wir befürchten, dass sie wieder das Rechtssystem manipulieren werden, das 1997 das Morden und damit verbunden die Auslöschung eines großen Teils unserer Kollegen begleitet hat.

Im Juli / August 2021 gab es folgende Vorkommnisse:

In der ersten Juliwoche 2021 wurde unsere Friedensgemeinde über einige vermisste Personen in der Gegend informiert. Keiner weiß, wo sie sich befinden. Alles deutet darauf hin, dass sie nicht verhaftet oder entführt wurden. Viele Einwohner interpretieren dies als stille Entscheidung einiger Menschen, die Region zu verlassen, weil sie Schwierigkeiten mit den Paras haben und weil sie so nicht mehr ihre Abgaben bezahlen müssen.

Vom 11. bis 17. Juli 2021 wurde eine Gruppe von Paramilitärs mit Gewehren und Militärkleidung in der Nähe der Dörfer La Unión, Arenas Altas und El Porvenir gesehen, die alle zur Gemeinde von San José de Apartadó gehören.

Am Freitag, dem 16. Juli 2021, tagsüber erfuhren wir, dass die Paras einen jungen Mann unter dem Vorwand, er sei ein Dieb, ermorden wollten. Den Informationen zufolge wollte die Führung der Gemeindejunta nichts tun, um den Minderjährigen zu schützen und so machten sie den Paramilitärs den Weg frei ihn zu ermorden. Der junge Mann soll von Freunden und Familienangehörigen gerettet worden sein.

Am Mittwoch, dem 28. Juli 2021, erfahren wir tagsüber von nationale Zeitungen, dass die Armee im Norden des Cauca-Tals drei Menschen aus der Region San José de Apartadó ermordet haben soll, deren Leichen sich in der Leichenhalle von Pereira befanden. Ihre Namen: WILMAR DE JESÚS ÚSUGA CASTAÑO, bekannt als „JESUSITO“ oder „EL MEXICANO“, GILBERTO ÚSUGA QUINTERO, bekannt als „MOROCHO“ und LUIS ERNESTO MORENO. Bereits in mehreren öffentlichen Verlautbarungen hatte unsere Friedensgemeinschaft über die bedrohliche Anwesenheit eines sogenannten Jesusito oder Mexicano in dieser Gegend berichtet. Diese Figur, die zur ausgeschalteten FARC-EP in dieser Region gehörte, soll sich nach deren Demobilisierung dem Paramilitarismus angeschlossen haben. Sein Aufenthalt in dieser Region erleichterte es ihm, Menschen zu kontrollieren und zu rekrutieren, um sie dann in andere Regionen des Landes zu bringen und damit die Kontrolle auszuweiten. Leider werden unsere Berichte von den Behörden immer als „Fälschungen“ behandelt.

Wir lehnen den Tod, die Macht der Waffen und das Fehlen staatlicher Garantien für die Jugend und die vertriebene Gesellschaft entschieden ab. Der Paramilitarismus hat sich entwickelt und die Region beherrscht, weil der Staat selbst mit seinen militärischen Institutionen dies ermöglicht und gefördert hat. Aber wir lehnen auch den Tod dieser Menschen ab, die bedingungslos dem Staat dienen, obwohl sie normalerweise untergetaucht sind. Wenn sie allerdings zu „schmutzigen und gefährlichen Lumpen“ werden, dann lässt der Staat sie fallen und lässt so den fundamentalen Respekt vor dem Leben – auch dem des Täters – vermissen. Wir widersetzen uns mit größter Energie und Offenheit und verurteilen einen schrecklichen Mangel an Moral. Der Tod ist nicht die einzige Lösung für dieses ernste Problem, denn die Regierung selbst ist in erster Linie dafür verantwortlich, dass diese Strukturen entstehen konnten.

Einige Gerüchte zirkulieren seit einiger Zeit, dass es eine Auseinandersetzung vor Gericht gegen unsere Friedensgemeinde geben solle. Die Strategie ist nicht neu und kann folgendermaßen zusammengefasst werden:
Die Friedensgemeinde soll so lange geschwächt werden, bis sie durch einen Richterbeschluss aufgehoben wird oder aus Angst oder Unfähigkeit, sich zu wehren, zerfällt. Eine andere Strategie hat das Ziel, das Land und die Welt davon zu überzeugen, dass die Friedensgemeinschaft eine Fassade der FARC-Guerilla ist.

Die bevorzugten Methoden traten nach und nach ans Licht: falsche Zeugen, gegen Bezahlung oder Bedrohung ihres Leib und Lebens. In der (in Apartadó stationierten, Anm. d. Ü.) 17. Heeresbrigade und ihren Bataillonen werden zahllose falsche Zeugnisse vorbereitet, wobei willkürlich Bauern herausgesucht werden, die fälschlicherweise des Aufstands beschuldigt werden. Sie müssen Beleidigungen unterzeichnen, oft ohne dass ihnen erlaubt wird zu lesen, was sie unterschrieben haben. Unter dem Versprechen wirtschaftlicher Vorteile werden Justizbeamten gezwungen, über alle Grundsätze des ordnungsgemäßen Verfahrens hinwegzugehen. (hier werden jetzt im Detail Verstöße benannt … Anm. d. Ü.)

Als unsere Kommission den Vertretern der Justiz diese Methode vorgehalten und anonym alle korrupten Beamten benannt hatte, machten sie geltend, dass es nicht in ihrer Macht stehe, alle Fälle von Korruption wieder aufzurollen und betroffene Beamte vor Gericht zu stellen. Wir hoffen nun, dass der Internationale Strafgerichtshof früher oder später die Fälle untersucht und Gerechtigkeit wiederherstellt.

Das Schlimmste aber war, dass mit all dieser falschen Gerechtigkeit und Desinformation all die Vergehen gegen die Gesellschaft (mehr als 300 Morde, Massaker, Verschwindenlassen, Attentate, Vertreibungen, Bombenangriffe, Drohungen und Verletzungen aller Arten von Rechten) als die gerechte Beseitigung einer Reihe von Kriminellen begründet wird.

Vor den Institutionen des Integralen Systems für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Garantien der Nicht-Wiederholung (eine Art Sondergerichtsbarkeit, die im Zuge des 2016 geschlossenen  Friedensabkommens zwischen der Regierung und der Farc eingerichtet wurde, Anm. d. Ü.) haben viele reuige Paramilitärs zugegeben, wie sie sich von Uribe (Álvaro Uribe Vélez, rechtsgerichteter Präsident Kolumbiens von 2002 bis 2010, Anm. d. Ü.) davon überzeugen ließen, die Friedensgemeinschaft als Guerilla zu sehen, um so eine Zahl unschuldiger Menschen töten zu können. Das lässt sie aber nun nicht mehr schlafen.

Die Friedensgemeinschaft hatte immer das Wohlergehen der Bevölkerung zum Ziel, die jahrzehntelang in dieser Region Opfer war und ist; Deshalb wollen wir, dass die Bevölkerung sich vereinigt, um diese paramilitärische Macht abzulehnen, die die Bevölkerung skrupellos kontrolliert und dominiert. Niemals werden wir uns an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligen.

Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass unser Widerstand der Gemeinschaft, dem Recht auf Leben und dem Leben auf unserem Territorium gilt. Es liegen mehr als 24 Jahre Gemeinschaftsarbeit hinter uns und all dies dank derer, die heute aus vielen Gründen nicht mehr hier sind. Heute mehr denn je halten wir diesen schönen Prozess lebendig und dem Tod überlegen, der uns täglich bedroht.

Comunidad de Paz de San José de Apartadó, 11. August 2021