Rechtsverstöße und Bedrohung des Staatsgefüges

Wieder einmal müssen wir über die letzten Ereignisse, denen sich unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó ausgesetzt sah, berichten, wieder bedeuteten die Angriffe Gefahren für Leib und Leben unserer Mitbürger.

Wir befinden uns in einer Zeit sozialen Wandels im ganzen Land und in der Welt. In diesem Prozess versuchen die Mächtigen ihre Opfer immer weiter zu marginalisieren und zu beseitigen. Die Regierung kümmert sich weder um den Schutz der Bürger, noch um deren Rechte, wie z.B. das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Protest. Im Gegenteil zielen sämtliche „Sicherheits“- Reformen und Strategien darauf ab, die Bürger immer weiter auszugrenzen und ihnen die Lebensgrundlage zu entziehen, wenn sie den Interessen der Eliten entgegenstehen.

Während in der Stadt ein menschenwürdiges Leben gefordert wird, wird die Zivilbevölkerung auf dem Land immer wieder zum Schweigen gebracht, dafür nutzen die Paras ihre vom Staat tolerierten Waffen. Sie versuchen auch sie auf ihre Seite zu ziehen und gegen die eigenen Leute zu bewaffnen. So soll beispielsweise unsere Friedensgemeinde zerstört werden. In Zusammenarbeit mit den Beamten versuchen sie ihren Vernichtungskampf gegen uns auf legale Beine zu stellen. Wir verstehen nicht, wozu es zwar den Staatsschutz gibt, aber beispielsweise der Drogenkonsum toleriert wird.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung, und Demonstration wird in Kolumbien durch Schüsse bekämpft: Die Zahl der Toten und Verletzten bei den Demonstrationen ist erschreckend,  immer häufiger und in immer größerer Zahl werden unsere Meinungsführer eliminiert, zumal die Täter anonym und damit straffrei bleiben.

Nun noch ein kurzer Überblick über Vorkommnisse der letzten Wochen:

  • Am Dienstag, dem 4. Mai 2021, sollten die Kommunalen Aktionsräte (lokale Mitbestimmungsgremien, von der Verfassung vorgesehen, in der Praxis oft von den örtlichen Machthabern korrumpiert, Anm. d. Ü.) dazu gebracht werden, einen Auflösungspakt für unsere Friedensgemeinde zu unterzeichnen. Diejenigen, die nicht an dieser Sitzung teilgenommen hatten, wurden nochmal gesondert angesprochen, damit sie das Dokument des Vernichtungspaktes unterzeichnen.
  • Am Donnerstag, dem 6. Mai 2021, wurden wir darüber informiert, dass die Paramilitärs die Bewohner und Eigentümer von Land an strategisch wichtigen Orten bedrohten und Druck auf sie ausübten, ihre Grundstücke zu verkaufen. Die Paras wollten dieses Land kaufen, um dort ihre Einsatzzentren zu errichten.

Weitere Vorkommnisse im Zeitraum

7. bis 12. Mai 2021 die der Zermürbung der Bewohner in der Friedensgemeinde führen sollte (Anm. d. Ü.):
Zerstörung von Zäunen, Straßenvermessung ohne Information der Gemeinde, Bedrohung eines Gemeindemitglieds, Verteilung von Broschüren und Beschmieren der Häuser mit AGC (Autodefensas Gaitanistas de Colombia, einem paramilitärischen Drogen-Kartell), Hausfriedensbruch durch bewaffnete Paras.

Am Donnerstag, 13. Mai 2021, bekamen wir zahlreiche Anrufe und E-Mails, die uns darauf hinwiesen, dass das Verfassungsgericht in Bogotá mit knapper Mehrheit eine frühere Entscheidung bestätigt hat, die im Rechtsstreit zwischen uns und der 17. Heeresbrigade dem Militär recht gab. Danach sind unsere Berichte (und Anschuldigungen über Übergriffe der Heeresbrigade, Anm. d. Ü.) für die Militäreinheit rufschädigend. Unsere Berichte seien also rechtswidrig, jedenfalls solange, wie sie sich nicht auf Vorfälle bezögen, für die die Täter bereits juristisch zur Rechenschaft gezogen worden seien. Obwohl uns bisher weder der Entscheid noch die entsprechende Pressemeldung vorliegt, legt die Nachricht aus Bogotá bereits einen tiefen Verfall des Rechtsstaates bloß. In unserem Antrag, diese frühere Entscheidung zu revidieren, haben wir uns auf umfangreiche nationale und internationale Rechtsprechung gestützt, die der Freiheit der Meinung und des Ausdrucks höchsten Rang einräumt – höher jedenfalls als das Recht auf Wahrung des guten Rufes. Die Reputation eines staatlichen Organs  kommt nach allgemeiner Rechtsauffassung durch gutes, also angemessenes Verhalten zustande. Aber im Fall der bei uns stationierten 17. Heeresbrigade liegen einschlägige Urteile von nationalen und internationalen Gerichten vor, die die schweren Verbrechen, die Angehörige der Brigade verübt haben, festgestellt und geahndet haben. Folglich ist die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtes ein weiteres Steinchen in dem großen Mosaik der staatlicher Illegitimität und Verfalls des Rechtsstaates, das sich in Kolumbien gerade in diesen Zeiten der staatlichen Gewalt und des juristischen Chaos zusammenfügt.

  • Am Freitag, 14. Mai 2021, haben die Paramilitärs in Arenas Bajas den Bauern dort die Saat für die Subsistenzproduktion verboten.
  • Am Samstag, 15. Mai 2021, haben wir erfahren, dass der Kommunale Aktionsrat (siehe oben) des Dorfes La Unión beschlossen hat, den Gitterzaun um das Monument zu entfernen, das unsere Gemeinschaft in Erinnerung an das im Jahr 2000 von Soldaten und Paramilitärs angerichtete Massaker erbaut hat. Angeblich soll dort ein Spielplatz entstehen, den die Stadtverwaltung von Apartadó bereits genehmigt habe. Unsere Friedensgemeinde lehnt die Zerstörung dieses Erinnerungsortes entschieden ab. Wir werden, genauso wie in den vergangenen 24 Jahren, nicht schweigen angesichts der Barbarei, die die Paras mit Unterstützung der staatlichen Behörden anrichten, um ein Leben in Würde in unserer Region unmöglich zu machen.

In den heutigen Zeiten, in denen das ganze Land auf die Straße geht, um seine Rechte zu verteidigen und sich gegen Reformen zu wehren, die das Volk unterdrücken, die Kassen der Mächtigen füllen und Menschenleben kosten, verbarrikadieren sich die staatlichen Akteure in einem unterdrückerischen Staatsmodell,  das vom Volk  jeden Tag strikter abgelehnt wird.

Comunidad de Paz de San José de Apartadó, Mai 2021