Zustand der Para – Staat die angebliche und die reale Situation

Wiederum muss sich unsere Friedensgemeinde San José de Apartadó an die Welt wenden mit Beschwerden über mehrere Übergriffe von Seiten derer, die unsere Zerstörung zum Ziel haben.

Das Jahr 2021 begann mit einem Mord an einem einfachen Bauern, Bewohner des Dorfes La Pedroza. Die Behörden kündigten wie immer umfassende Untersuchungen und militärische Operationen an,  aber wieder einmal führten sie zu keinen Ergebnissen. Noch nie haben sie zu irgendetwas geführt. Die ganze Welt sieht, dass die Täter nie belangt werden, dass es weiterhin Tote und Bedrohungen gibt, dass die Erpressungen immer schlimmer werden. In dieser Gegend zählt nur die Macht der Waffen. Es wird nichts unternommen, um den Paramilitarismus zu kontrollieren. Die Paras bewegen sich bewaffnet inmitten von Truppen und der Polizei und alles geht weiterhin seinen Gang. Der Paramilitarismus genießt derartige Freiheiten, dass er problemlos viele Leute rekrutieren kann,  darunter auch viele Minderjährige. In den letzten Wochen wurden wir darüber informiert, dass diejenigen, die rekrutiert worden waren,  in andere Zonen zum militärischen Training geschickt wurden. Viele Personen haben in den sozialen Netzwerken dagegen protestiert, dass den Jugendlichen in dieser Region die Freiheit verloren geht. Aber keine Behörde stellt ernsthafte Untersuchungen an.

Wir berichten nun wieder über die jüngsten Ereignisse in unserer Region.

  • Am Donnerstag, 24. Dezember 2020, erhielten wir folgende Informationen: der Para Wilfer Higuita, derzeit wohnhaft in einer Siedlung von La Unión, hatte in der Nacht zuvor eine Jugendliche aus dem Dorf betrunken gemacht und sexuell missbraucht.
  • In der Woche um den 24. Dezember 2020 herum hat derselbe Wilfer Higuita mehrere Frauen bedroht und sie beschuldigt, unsere Friedensgemeinschaft über die Aktionen von Paramilitärs informiert zu haben. Er ist schon viele Jahre in die Strukturen der Paras eingebunden und hilft sogar hohen Offizieren der 17. Heeres-Brigade, die jetzt im Stadtgebiet von La Unión stationiert ist. Als Friedensgemeinde erklären wir, dass wir alle Informationen, die uns erreichen und die wir in unsere Berichte einfließen lassen, dem öffentlichen Auftreten der Paramilitärs entnehmen. Wir brauchen gar nicht Informationen zu suchen, denn die Paras machen ihre Aktionen öffentlich zugänglich.
  • In der letzten Dezemberwoche 2020 ließen die Paras die zivile Bevölkerung zusammenkommen im Dorf Naín der Gemeinde Tierralta, Córdoba und beschuldigten die Leiter der kommunalen Gremien, angeblich immer wieder Geld aus der kommunalen Kasse zu stehlen.
  • Am Freitag 1. Januar 2021, reparierten mehrere Mitglieder unserer Friedensgemeinde den Maschendrahtzaun, der unser Denkmal für unsere durch die Paras am 8. Juli 2000 in La Unión getöteten Führer schützt. Ein betrunkener Bewohner des Dorfes, Adolfo Guzmán, der behauptete,  Mitspracherecht im  Gemeindevorstand zu haben,  näherte sich ihnen und beleidigte sie. Zudem behauptete er,  das Monument störe Jugendliche beim Fußball spielen, und das Areal sei ja als Erholungspark gedacht gewesen. Er verunglimpfte das Gedenken an die Märtyrer, die Toten seien nun mal tot, und es sei dumm,  immer wieder daran zu erinnern.
    Außerdem behauptete er, der Bürgermeister von Apartadó habe die Zerstörung des Monuments genehmigt um den öffentlichen Erholungsraum wieder herzustellen.

So wird also das Gesetz in paramilitärisch kontrollierten Gebieten eingehalten:  Das Gesetz 1408 von 2010 bezeichnet in seinen Artikeln 12 und 13 all jene Orte  als Gedenkstätten, an denen auch nur vermutet wird, dass dort auch Überreste von Verschwundenen liegen könnten, und umso mehr die Orte, von denen man sicher weiß, dass dort ein Massaker verübt wurde. Mit der gleichen mangelnden Sensibilität missachtet man die Resolution 3 der interamerikanischen Kommission der Menschenrechte aus dem Jahre 2019, die Grundsätze der Erinnerungspolitik in Nord- und Südamerika festlegt. Sie lautet folgendermaßen: Als Gedenkstätten gelten alle solche Plätze,  an denen schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden oder wo Menschen litten oder sich gegen diese Verletzungen zur Wehr setzten oder wo aus anderen Gründen die Opfer oder die Gemeinde den Ort als Erinnerungsstätte  an solche Ereignisse betrachtet und der demnach beim Verarbeiten des Traumas helfen kann. Deshalb verfügt diese Resolution, die Staaten mögen umfassendes Gedenken gewährleisten,  verstanden als Verpflichtung,  die staatliche Politik des Gedenkens mit entsprechendem juristischen Vorgehen zu verbinden.

Die gleiche Resolution verpflichtet die Staaten dazu,  die Beteiligung  der Opfer an der Erinnerungsarbeit zu gewährleisten.

Es ist eine Schande, dass ein Bürgermeister, eine Armee, eine Regierung und ein kommunales Gremium solche Affronts gegenüber den Opfern ohne Scheu vor der internationalen Gemeinschaft tolerieren. Dass sie in die Welt ganz dreist hinausschreien, dass sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Erinnerung an ihre Gräueltaten beenden wollen.

  • Am Donnerstag, den 7. Januar 2021, hörte man tagsüber Schüsse in der Nähe des Stadtzentrums von La Unión. Es heißt, es handelte sich um die paramilitärische Ausbildung von kürzlich rekrutierten Personen.
  • Am Sonntag, den 10. Januar 2021, gab es Informationen, dass die Paras, die das Gebiet um San José de Apartadó kontrollieren, vier Jugendliche rekrutiert haben. Diese Jugendlichen wurden zum Training ins Dorf Playa Larga gebracht.
  • Am Mittwoch, den 20. Januar 2021, bedrohte der unter dem Namen Ramiro bekannte Paramilitär, Bruder von Samuel,  dem Kommandanten der Paras im Dorf La Unión, eine Frau in diesem Dorf mit der Waffe. Er beschuldigte sie,  Informantin unserer Friedensgemeinde zu sein, und er befahl ihr das zu beenden,  ansonsten könnte sie das ihr Leben kosten. In den letzten Tagen ist herausgekommen, dass derselbe Ramiro und auch Wilfer Higuita weiterhin diese Frau und ihren Begleiter bedrohen. Dies geschah auch mit Mitgliedern unserer Friedensgemeinde, die nicht weit von dort leben. Immer wird angegeben, sie seien Informanten. Dabei weiß jeder,  was die Paras hier machen. Es wird ja auch kein Wert auf Geheimhaltung gelegt.
  • Am Freitag, den 22. Januar 2021, wurde unsere Friedensgemeinde informiert, dass die Paras fünf Jugendliche rekrutiert haben,  unter ihnen auch eine Frau. Alle stammen aus der Stadt San José de Apartadó. Es wird gesagt, dass das Militär und die Polizei alles wissen, was hier vorgeht. Denn die Paras sind die Herren in San José und Umgebung, und es gibt offenbar keinerlei  Mittel,  gibt die es verhindern könnten, dass die Paras soviel Kontrolle ausüben.
    Die 17. Heeres-Brigade, befehligt von Oberst José Luis Bastidas Moreno, kündigt an, dass sie gegen jedweden kriminellen Plan vorgehen. Aber es passiert nichts, die Paras können sich immer freier in der Gegend bewegen und sie kontrollieren. Wir fragen uns,  was sind das denn für militärische Operationen?  Wenn die Paramilitärs, die bewaffnet im Stadtgebiet von San José patrouillieren, bisher nicht neutralisiert wurden,  wozu sind dann der Militärstützpunkt und der Bunker der Polizei mitsamt den vielen Soldaten und Polizisten gut? In Wahrheit sind es doch die Paramilitärs, die die totale Kontrolle ausüben.

Verschiedene Morde sind in dieser Gegend passiert und was haben die Verantwortlichen getan? Was sind die Resultate? Als Friedensgemeinde sind wir nach wie vor überzeugt davon, dass die Macht der Waffen über ausreichende Bündnisse verfügt,  um die volle Kontrolle über die Zivilbevölkerung auszuüben.

  • In derselben Woche vom 22. Januar 2021 an hielten die Paramilitärs eine Versammlung im Dorf Mulatos-Cabecera von San José de Apartadó ab, in der sie über Verbote informierten, die sie,  ohne das Recht dazu zu haben, erlassen haben. Diese Verbote beziehen sich  zum einen auf den Anbau von Feldfrüchten für die eigene Verwendung und zum anderen auf die Verwendung von Mobiltelefonen.
    Während einer Versammlung zwangen sie alle Teilnehmer, ihre Handys auszuschalten, mit der Behauptung, es gebe viele Feinde in dieser Zone, die sie durch eingeschaltete Handys aufspüren könnten. Der die Versammlung leitende Para  betonte,  „der Politiker“ in dieser Struktur zu sein. Er sagte, alle Informationen, die er zusammentrage, würden an seine Chefs weitergegeben, die entsprechende Befehle erteilen würden.
  • Am Nachmittag des Sonntags, Januar 2021, wurde der junge Bauer Blas Humberto David Torres auf der Straße zwischen Apartadó und San José,  auf der Höhe des Dorfes La Balsa, ermordet. Blas Humberto fuhr auf seinem Motorrad  in Richtung Apartadó, als er von den Paramilitärs angegriffen wurde. Sie gaben einige Schüsse ab und töteten ihn. Blas Humberto war unabhängiger Landwirt und lebte im Dorf La Pedroza.

Schon im letzten Jahr am 29. Februar 2020 töteten dieselben Paras Amado Torres, Einwohner des Dorfes La Miranda nur ein paar Minuten von dem Dorf La Pedroza entfernt, weil er die mörderische Strategie der Paras  nicht akzeptierte. Gemäß uns vorliegenden Informationen   wurde Blas Humberto aus genau den selben Gründen getötet – weil er sich dieser Strategie der Paramilitärs nicht unterordnen wollte. Die von ihnen geforderten „Steuern“ oder  Schutzgelder war er nicht bereit zu bezahlen. Und das Schmerzhafteste dabei ist, dass es keine juristische Verfolgung dieses Falles und ähnlicher gibt. All das bestätigt uns, das die „Justiz“ weiterhin korrupt ist und korrupt bleiben wird, während selbst die übergeordneten  Gerichte sich weigern, Tausenden von Anzeigen nachzugehen,  in denen Bestechung und Bedrohung dokumentiert sind.

Selbst das kolumbianische Verfassungsgericht hat es aufgegeben (…), die vorgebliche „Justiz von Urabá zu maßregeln.  Und die Regierung in Bogotá zeichnet  sich dadurch aus, dass sie den Schrecknissen der weiterhin herrschenden staatlichen und para-staatlichen Gewalt mit  verschlossenen Augen und verschränkten Armen gegenübersteht

Das Verfassungsgericht setzte weiterhin auf die Maßnahmen wie im Beschluss 164 von 2012 festgeschrieben und zwar eine Kommission zur Evaluation der verfassungswidrigen Vorgänge und der falschen „Gerechtigkeit“ in Urabá zu gründen.
Die Verfolgung derer, die den Paramilitarismus nicht akzeptieren, hört nicht auf.  Alle die sich wehren,  werden entweder vertrieben oder getötet, genau wie Amado und Blas Huberto und so viele andere. Verantwortlich dafür,  was weiterhin mit den Menschen geschieht, ist die Regierung.

Wieder möchten wir den Personen und Gemeinschaften in verschiedenen Teilen des Landes und der Welt danken: Dass sie uns mit voller Überzeugung in diesen mehr als 23 Jahren seit Entstehen der Friedensgemeinde begleitet haben. Und dass trotz der Isolation durch die Pandemie weiterhin jeden Tag Druck auf die kolumbianische Regierung ausgeübt wird, damit unser Erbe und unser Vermächtnis nicht zerstört wird.
Wir sind aufrichtig dankbar, dass wir diesen Prozess der Verteidigung des Lebens weitergehen können und dass wir ermutigt sind unsere Grundsätze weiterhin zu verteidigen.

Comunidad de Paz de San José de Apartadó, Februar 2021