24 Jahre Kampf um unsere Rechte

Nach dem Geburtstag unserer Friedensgemeinde am 23. März und nachdem wir das Ziel in diesen 24 Jahren erreicht haben,  ein Leben in Würde zu führen, sehen wir uns aber immer wieder moralisch verpflichtet, die Öffentlichkeit im Land und in der Welt über neue schlimme Fakten zu informieren. Diese Fakten betreffen uns und greifen uns und die ländliche Bevölkerung in unserer Gegend an. Dabei sind wir uns immer bewusst, dass wir es mit einem zutiefst korrupten Staat zu tun haben, der taub und blind systematischer Kriminalität gegenüber und zum Teil auch Mittäter ist.

Die neuen Fakten, auf die wir uns beziehen, sind die folgenden:

Am Samstag, 13. März 2021, erhielt unsere Gemeinschaft Informationen, denen  zufolge es einen von den Militärs entworfenen Plan  gebe,  in unsere Siedlung San Josesito einzudringen, um einige Mitglieder unserer Friedensgemeinde umzubringen. Es wurde berichtet, dass sie bereits professionelle Killer engagiert haben,  um diesen Plan umzusetzen.

Am Sonntag, 14. März 2021, veröffentlichte die Zeitung „Pacifista“ eine umfassende Untersuchung. Ein Brief in dem eine breite Unterstützung für den vor kurzem ernannten  Bürgerbeauftragten von Urabá und Darién, José Augusto Rendón, zum Ausdruck gebracht wurde (Anm. d. Ü.: Rendón ist der neue regionale Vertreter der Defensoría del Pueblo, eine Art Ombudsman-Behörde mit Verfassungsrang zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte) erreichte die Redaktion. Wie die Zeitung herausgefunden und öffentlich gemacht hat, wurde das Schreiben von Herrn Rendón und seinem Büro in die Wege geleitet. Die meisten Unterzeichner hatten teilweise keine Ahnung, was sie da unterschrieben. Andere Unterzeichner sind bekannt für Landraub in Bajo Atrato, einige sind sogar bereits von der kolumbianischen Justiz verurteilt. Das Bedauerlichste für unsere Gemeinschaft war aber festzustellen, dass der örtliche Vertreter der Defensoría, der uns viele Jahre begleitet hat, Jorge Mario Vélez, von seinem neuen Chef dazu gezwungen wurde, bei dieser Sache mitzumachen.

Am Montag, 15.März 2021, sagte ein in der Gegend bekannter Paramilitär öffentlich, dass Adolfo Guzmán, der Vizepräsident der Junta de Acción Comunal (Anm. d. Ü.: ein Gremium zur Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene, häufig von den lokalen Machtstrukturen korrumpiert) von La Unión, sowie eine weitere Person Teil der paramilitärischen Struktur seien. Sie planten, den größten Teil der Bevölkerung des Gebiets schrittweise in diese paramilitärische Struktur einzubinden.

Am selben Tag wurde die Zusammenarbeit zwischen Fedecacao (dem Kakaofarmer-Verband) und der juristischen Fakultät der Militärakademie General José María Córdoba bekannt. Dabei handelt es sich um eine Vereinbarung zur Beratung von Kakao produzierenden Familien, bei deren Beratungen oder bei der Suche nach alternativen Lösungen für Konflikte im sozialen,  arbeits- und strafrechtlichen Bereich, bei Problemen mit der Administration oder der Polizei.  So soll „das einzige Heer weltweit, das sich auf die Ausbildung von Rechtsanwälten spezialisiert hat“, künftig im ländlichen Raum wirken.

Unsere Friedensgemeinde hat sich immer gegen den Gebrauch von Waffen und gegen die Anwesenheit von Bewaffneten auf Gebieten und in Projekten ausgesprochen, die ausschließlich zivilen Charakter haben.  Wir können die schrecklichen Interventionen der Armee in unsere bescheidene Vermarktung von Kakao am 11.Juli 2001 nicht vergessen. Damals wurde eine Lieferung von Kakao und auch Geld gestohlen und unsere Führer mit ihren Pickups  beiseite genommen,  um sie zu töten, und dabei stellte sich eindeutig heraus, dass Soldaten der 17. Heeresbrigade beteiligt waren.  Das wiederholte sich nochmal am 10. Oktober 2002.
Im September 2014 hat Oberst  Germán Rojas Diaz, der Kommandant der 17. Heeresbrigade,  außerdem ein gefälschtes Video herstellen und verbreiten lassen, in dem wir beschuldigt wurden, illegal  Kakao zu exportieren.
Mit anderen Worten, wenn sich die Armee in der Vergangenheit  um das Kakao-Geschäft gekümmert hat, dann war das weder ehrenwert noch legal, sondern hatte stets einen schmutzigen Hintergrund. Wir können in diesem Zusammenhang die Familien, die nun beraten werden sollen, nur warnen vor dem Wolf im Schafspelz.

Am Dienstag, 16. März 2021, wurde ein Mitglied unserer Gemeinde von einem bekannten Paramilitär der Zone darauf angesprochen, dass er doch als Informant für sie arbeiten und dafür eine große Summe Geld erhalten könnte. Er sollte exakte Informationen und Bewegungsprofile von Vertretern unseres internen Rates weitergeben, mit denen die Paras „Rechnungen zu begleichen“ hätten, weil die Friedensgemeinde und der öffentliche Klagen sie zur Zeit daran hinderten, die ganze Gegend unter ihre Kontrolle zu bringen.

Am Mittwoch, 17. März 2021, sahen  Mitglieder unserer Friedensgemeinde einen mit Radioverbindung und Handy ausgerüsteten  paramilitärischen Kontrollposten, als sie durch das Dorf El Porvenir de San José de Apartadó gingen. Ebenfalls stellten wir fest, dass sich in der Nähe ein Trupp von Paras befindert. Dieses Dorf ist ein fester Standort der Paramilitärs in dieser Gegend. Offensichtlich treffen sie sich momentan dort.

Am Samstag, 20. März 2021,  erfuhren wir in der Friedensgemeinde von größeren Treffen der Paramilitärs mit Siedlern aus dem Dorf Pedroza und Nachbardörfern. Es wurde darüber gesprochen, dass der Bau einer Straße geplant sei und  dass deshalb eine wirtschaftliche Belastung in Höhe von 500.000 Pesos (ca. 115 Euro) auf die Bewohner zukomme. Alles andere werde durch die Paramilitärs mit den lokalen Behörden geregelt. Von Nuevo Antioquia aus bauten sie in Richtung La Esperanza weiter, ohne dass ihnen die Behörden Probleme bereiteten.
Unsere Gemeinschaft hat mehrfach angeprangert, dass sich diese illegale und betrügerische Form der Raumordnung unter der vollen Kontrolle des Paramilitarismus und im Dienste seiner Interessen und seiner schädlichen und unsozialen Vorschläge für die Verteilung und Nutzung von Land vollzieht. Aber  die örtlichen und nationalen Behörden drücken ein Auge zu und bekräftigen damit ihre Komplizenschaft mit den Kriminellen.
In den letzten Tagen des März haben wir eine große Präsenz der Paramilitärs zwischen dem Ort, der als Latifundio bekannt ist, und El Porvenir festgestellt.
Wir haben von den Angeboten gehört, die der Paramilitär Wilfer Higuita den Menschen unterbreitet hat, damit sie mit ihnen und nicht mehr mit der Friedensgemeinschaft zusammenarbeiten.

Am Montag, 22. März 2021, dem Vorabend des 24. Jahrestages unserer Gründung, hat unsere Gemeinde mehrere virtuelle Konferenzen mit vielen Mitgliedern von Gemeinschaften, die mit uns in verschiedenen Ländern der Welt zusammenarbeiten und mit Freunden, die unsere Lebensweise und damit den Schutz der Erde als wichtige Grundlage für das Überleben unserer Gemeinschaft unterstützen, abgehalten.

Wir haben auch dem Land und der Welt gezeigt, wie wichtig es ist, Ernährungssouveränität für die Existenzgrundlage unserer Familien zu haben. Dafür haben wir eine Ausstellung der Lebensmittel gemacht, die wir in unserer Gemeinschaft für die Ernährung von Familien produzieren. So soll die Bedeutung von kollektivem Anbau hervorgehoben werden. Zahlreiche Fotos zeigen die Bedeutung von Mais für unsere Gemeinde und die Region. Sie  wurden an diesem Tag in unseren sozialen Netzwerken veröffentlicht. Wir schützen die heimischen Sorten, die bedroht sind von der Firmen, die genverändertes Saatgut eingeführt haben. Am Nachmittag fand dazu eine Tauschbörse statt.

Am Dienstag, 23. März 2021,  feierte unsere Friedensgemeinde ihr 24jähriges Bestehen. An diesem Tag gab es einen Gedenkmarsch auf der Straße von Apartadó nach  San José zur Erinnerung an die Ermordeten unserer Gemeinde in den letzten 24 Jahren. An jeden,  der für die Verteidigung unseres Grund und Bodens das Leben lassen musste, gedachten wir mit einer Schweigeminute.

In diesen 24 Jahren des Lebens und auch in Zukunft bekräftigen wir unsere Grundsätze und schweigen nicht angesichts des Terrors der Regierung und des Paramilitarismus. Ein weiteres Jahr hat sich nichts an der Justiz geändert; weiterhin herrscht Straffreiheit in der Region. Wir marschieren, weil wir die Unterwerfung unter Paramilitärs, Armee, Polizei und Unternehmen ablehnen. Sie sind alle nur daran interessiert, das Gebiet zum Wohle des fremden Kapitals und zum Nachteil des Territoriums auszubeuten und die Umwelt radikal zu zerstören.
Dieser Jahrestag inmitten der paramilitärischen Unterdrückung wird gefeiert, weil wir im Krieg widerstandsfähig und neutral waren. Schon 24 Jahre kämpfen wir für das Leben und für die Verteidigung unseres Landes.
Da wir ein weiteres Jahr das Bestehen der Friedensgemeinschaft beschließen, können wir nicht umhin, eine Botschaft des aufrichtigen Dankes an diejenigen zu senden, die uns mit ihrer moralischen und brüderlichen Unterstützung geholfen haben. Wir können nicht genug danken angesichts einer solchen Großzügigkeit und Solidarität, die wir täglich von Menschen und Gemeinschaften in verschiedenen Teilen der Welt erhalten, die uns mit ihrer moralischen und unerschütterlichen Kraft unterstützen.
Wir widmen diese Jahre des Gedenkens und der Gemeinschaft all unseren Gefährten und Brüdern, die von mörderischen Händen getötet wurden.
Wir widmen diese Jahre der Gemeinschaft auch all jenen Menschen, Kollegen, Brüdern, Organisationen, Partnergemeinschaften, die uns gelesen, gehört, aus der Ferne gesehen oder unser Leben und unsere Vergangenheit geteilt haben. Allen von ihnen gilt meine große Umarmung.

DIE GEMEINDE WIRD WIDERSTAND LEISTEN.

Comunidad de Paz de San José de Apartadó, 26. März 2021