CdP de San José de Apartadó – Bericht vom 30.3.2020
Übersetzung 10.5.2020/bfk/wk
Am Montag, 23. März, haben wir unseren Gründungstag gefeiert: Genau vor 23 Jahren hat sich unsere Gemeinde zur Friedensgemeinde San José de Apartadó proklamiert. Wir entstanden inmitten eines wahren Blutbades, das das kolumbianische Heer und sein paramilitärischer Arm damals angerichtet hatten, und zwar ganz sicher nicht, um die anderen Bewaffneten zu bekämpfen, sondern mit dem festen Vorsatz, alle sozialen Bewegungen auszurotten, die sich nicht ihrer Politik unterwerfen wollten. In unserem Fall hatten sich die offiziellen Streitkräfte zur Aufgabe gemacht, alle die zu eliminieren, die sich nicht an einem bewaffneten Konflikt beteiligen wollen, in den gemäß der importierten Militärdoktrin die gesamte zivile Bevölkerung, egal ob aktiv oder passiv, einbezogen werden muss.
Heute, 23 Jahre später, liegen uns die gerichtlichen Aussagen von früheren Paramilitärs vor, nach denen der damalige Staatspräsident Álvaro Uribe Vélez ihnen eingeredet hatte, dass unsere Friedensgemeinde in Wahrheit ein Guerrilla-Nest sei. Aus diesem Grund waren sie ihren Aussagen zufolge bereit, möglichst viele von denen umzubringen, die an unserem Friedensprozess mitmachten. Aber Jahre später wurde ihnen klar, dass das alles gefälscht war und dass man sie genötigt hatte, Unschuldige zu töten und fürchterliche Verbrechen zu begehen, die sie bis heute bereuen.
Wegen der sozialen Distanzierung, die zurzeit in Kolumbien und weltweit geboten ist, war unser Gedenken an den Gründungstag hauptsächlich virtuell. 22 Schwestergemeinden und –organisationen aus vielen Ländern traten via Internet mit uns in Kontakt. Sie priesen in ihren wunderbaren Botschaften der Solidarität und der Brüderlichkeit den Weg des Widerstandes und der Würde, die unsere Gemeinde eingeschlagen hat und auf dem sie uns alle mit ihrer moralischen Unterstützung begleitet haben.
Aber da die Angriffe und die Verbrechen der staatlichen Akteure nicht enden, müssen wir erneut von einer Reihe von bedrohlichen Situationen und Übergriffen berichten.
Am Samstag, 14. März, erhielt einer der Einwohner von San José de Apartadó den Anruf eines als „Nicolás“ bekannten Anführers der paramilitärischen Gruppe „Clan del Golfo“. Vom Mobiltelefon mit der Nummer 312-4320960 aus forderte Nicolás eine Kuh als finanziellen Beitrag zu den paramilitärischen Aktivitäten in San José. Als sich der Einwohner weigerte, drohte der Anrufer ihm an, dass einer seiner nächsten Verwandten bald getötet werde.
Am Sonntag, 15. März, wurden wir informiert über die Todesdrohungen, die die Familie von Amado Torres erhielt, der am 29. Februar dieses Jahres im Dorf La Miranda ermordet worden war. Nach seinem gewaltsamen Tod weigerten sich die zuständigen staatlichen Stellen, die Leiche abzuholen. Die Familie musste sie bis nach Caracoli bringen, das zum Dorf La Victoria gehört. Es ist bekannt, dass an dem Verbrechen die Paramilitärs mit den Tarnnamen Alfredo und René beteiligt waren, letzterer als Befehlshaber in der Region. Die Familie von Amado Torres sah sich gezwungen, ihre Farm zu verlassen, nachdem die Paras praktisch die Kontrolle über das Land der Familie übernommen haben. Über die Nachbarschaft ließen die Paras verbreiten, dass „jetzt noch andere Familienmitglieder an der Reihe sind zu sterben“. Einer der Arbeiter des ermordeten Farmers steht offenbar auch im Fadenkreuz der Verbrecher.
Zu dieser Bedrohungslage kommt noch hinzu, dass die Staatsanwaltschaft absolut nichts zur Aufklärung des Verbrechens unternimmt. Schlimmer noch, der zuständige Staatsanwalt hat das Mobiltelefon von einem der Söhne des Opfers eingezogen, was sich in die perverse Tradition der Justiz von Urabá einfügt, gegen die Opfer und nie gegen die Täter zu ermitteln. Es ist dagegen völlig unverständlich, warum die Staatsanwaltschaft nicht die Handys jener Paras beschlagnahmt hat, die für das Verbrechen verantwortlich sind – es handelt sich schließlich um eine in der Gegend bestens bekannte Gruppe.
Für den Samstag, 21. März, wurden in Nuevo Antioquia – das zum an San José de Apartadó angrenzenden Munizip Turbo gehört – verschiedene Abordnungen der Juntas de Acción Comunal zusammengerufen, die sich zur Ausbeutung eines riesigen Kohle-Vorkommens in der Region äußern sollen, die offenbar ein südkoreanischer Bergbaukonzern beabsichtigt (Anm. d. Ü.: Die Juntas de Acción Comunal sind gewählte Organe der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene, die in Kolumbien eine lange Tradition haben. Heute stehen sie oft unter Druck von mehreren Seiten. Einerseits versuchen die lokalen politischen Parteien, sie zu beherrschen, andererseits werden sie oft von den bewaffneten Gruppen, also Guerrilla und Paramilitärs, unter Druck gesetzt.) In diesem Zusammenhang denken wir an die Südkorea-Reise des früheren Präsidenten Juan Manuel Santos im Jahr 2013, bei der es den damaligen Medienberichten zufolge darum ging, mit den Südkoreanern Verträge zur Ausbeutung von Bodenschätzen, vor allem von Kohle, auszuhandeln.
Es ist allerdings sehr merkwürdig, dass die Nationale Bergbau-Agentur ausschließlich die kolumbianischen Unternehmen Argos und Carbones del Golfo als Inhaber von Schürflizenzen ausweist. Kennern der Materie zufolge findet eine Art unternehmerisches Outsourcing statt. Demnach agieren die nationalen Unternehmen als Strohmann für das multinationale Kapital. Uns beunruhigt außerordentlich, dass nun die Zustimmung der Juntas de Acción Comunal erforderlich sein soll. Denn die sind zum großen Teil von paramilitärischen Gruppen oder von klientilistischen Politikern manipuliert.
Das alles zeigt, dass man eine formelle Volksbefragung umgehen will, wie sie bei Projekten dieser Art und Größenordnung durch die Verfassung und die entsprechenden Ausführungsgesetze vorgeschrieben ist. Die Befragung der Juntas de Acción Comunal ist nichts weiter als eine illegale Nachahmung einer legalen Volksbefragung. Dahinter stecken egoistische, schändliche Interessen, die mit unverfrorener Bestechung durchgesetzt werden. So bietet man denen, die bei der Befragung mit Ja stimmen, unverhohlen Pick-ups, monatliche Zahlungen, Wohnungen in der Stadt und andere Pfründe an. Sogar der Bau eines Staudamms im Rio Mulatos wird versprochen, obwohl der mit Sicherheit nicht die Probleme lösen wird, die die Bevölkerung mit der Wasserversorgung hat, sondern dieser Staudamm würde am Ende in den Dienst der im Übrigen ökologisch verheerenden Kohlenförderung gestellt. Eine solche Ansammlung von Illegalität und Verderbtheit kann nur gedeihen im Wirkungsbereich paramilitärischer Kontrolle und in einem Gemeinwesen mit äußerst langer paramilitärischer Tradition, wie es Nuevo Antioquia ist.
Am Sonntag, 22. März, veranstalteten die Befehlshaber der Paras im Weiler La Unión eine Art Party mit Alkohol, Drogen und Gewalt, und das, obwohl an diesem Sonntag in Kolumbien bereits das Isolationsgebot in Kraft war, mit dem die Ausbreitung des Corona-Virus gebremst werden soll. Die Hauptfiguren bei diesen Ausschreitungen waren der Para-Chefs Wilmer de Jesús Úsuga, ferner die unter den Alias-Namen Jesusito, Ramiro und Samuel bekannten Paras, allesamt frühere Farc-Kämpfer. Wilmer oder Jesusito hatten bereits vorher, vom Weiler San José aus, eine Todesdrohung gegen Wilfer Higuita ausgesprochen, der in La Unión lebt. Higuito diente 2009 dem damaligen Kommandeur der 17. Brigade, Oberst Germán Rojas Díaz, als Unterhändler bei dem Versuch, ein Mitglied unserer Friedensgemeinde zu erpressen: Sollte sich unser Mann nicht an der Zerstörung der Friedensgemeinde beteiligen, würden falsche Zeugen gegen ihn vor Gericht aussagen. Als Wilfer nun nach La Unión floh, folgte ihm Jesusito dorthin und bedrohte ihn und andere Bewohner des Weilers, während die anderen Paras, die Brüder Samuel und Ramiro, Marihuana rauchten. Wir als Friedensgemeinde bedauern zutiefst, dass La Unión heute so tief gesunken ist, obwohl es zu anderen Zeiten der Schauplatz des heroischen Widerstandes und des Martyriums von hochgeschätzten Führungsfiguren und von beispielhafter Solidarität und des Gemeinsinnes war.
Am Montag, 23. März, beobachteten die Posten, die den Eingang des Warenschuppens der Friedensgemeinde bewachen, gegen 21 Uhr zwei unbekannte Personen auf einem Motorrad. Einer von ihnen stieg ab, stellte sich an den Weidezaun gegenüber, so als ob er urinieren würde, danach verschwanden die beiden wieder in Richtung Stadt. Unsere Wachleute vermuten, dass sie andere Absichten hatten, die sich jedoch nicht weiterverfolgten, als sie die Wachposten sahen.
Noch einmal wollen wir allen danken, die uns in unserem Widerstand begleiten und stärken. Ihre Botschaften und Glückwünsche waren uns gerade an unserem 23. Jahrestag außerordentlich wichtig.