„Der Tod bleibt der effektivste Weg, um jeden loszuwerden, der sich nicht unterwirft.“

CdP de San José de Apartadó – Bericht vom 7.3.2020
Übersetzung 14.4.2020/bfk/wk

Schon wieder ist es notwendig, dass sich unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó an das Land und die Welt wendet um die aktuellen Aktionen der Paramilitärs zu dokumentieren denen wir ausgesetzt waren und die immer wieder ihre zunehmende Dominanz in unserer Region zeigt.

Vor 23 Jahren haben wir uns als Friedensgemeinschaft niedergelassen, wir wollten uns nicht in den bewaffneten Konflikt verwickeln lassen und weigerten uns selbst Waffen einzusetzen oder in irgendeiner Weise mit irgendeiner Art von bewaffnetem Gruppen zusammenzuarbeiten. Seitdem sind die Angriffe im Gange, bestehend aus Morden, Verschwindenlassen, Folter, illegaler Inhaftierung, Bombenanschlägen, Vertreibung, Verleumdungskampagnen, Verleumdungen, Plünderungen, Zerstörung von Häusern und Kulturen, Raubüberfällen und bewaffneten Angriffen, bewaffneten Überfällen auf unsere Räume, Drohungen, Vergewaltigungen, Schändung von Leichen und Gedenkstätten, Invasionen, paramilitärische Kontrollen und Stigmatisierungen aller Art, durch die Macht legaler und illegaler Waffen. Monat für Monat haben wir alle Aggressionen gegen uns, die Komplizenschaft der Regierung und der Institutionen des Staates protokollieren all diese Barbarei gegen denjenigen, der in unserer Region und im Rest des Landes anders denkt.

Der Tod bleibt der effektivste Weg, um jeden loszuwerden, der sich nicht unterwirft.

In den letzten zwei Jahren hat das paramilitärische System, das System das für die Regierung die Drecksarbeit erledigt, Listen erstellt mit Namen von Menschen die getötet werden sollen, zusätzlich zu den Hunderten von Menschenleben, die bereits beseitigt wurden. Listen für Tötungen, die auch tatsächlich ausgeführt werden. Die Kontrollorgane, also die Justiz und die Exekutive, angeführt vom Staatspräsidenten, der der Verfassung zufolge der oberste Hüter der Menschenrechte sein müsste, tolerieren dieses Geschehen, obwohl sie doch Grundlagen wie das Recht auf Leben, Integrität und grundlegende individuelle und kollektive Freiheiten garantieren müssten.

In den letzten Tagen waren wir wieder mit der Zerstörung eines zivilen Lebens durch die Paramilitärs konfrontiert und mit der routinemäßigen Reaktion des Staates: Sie können nicht einmal zur Beseitigung der Leiche gehen, weil „es keine Sicherheitsbedingungen für die Staatsbediensteten gibt.“

Wir fragen uns, über welche Art von Unsicherheit gesprochen wird, wenn Armee, Polizei und andere offizielle Institutionen täglich in der kleinen Stadt San José mit den Mitgliedern und dem Kommando des Paramilitarismus leben, einer Struktur, die für dieses jüngste Verbrechen verantwortlich ist und die Todeslisten erstellen.

Daher hat unsere Gemeinschaft keinen Zweifel, dass die verschiedenen staatlichen Kräfte, die bei uns präsent sind, verantwortlich sind für die gegenwärtige Lage. Die 17. Heeresbrigade und die Polizei von Urabá räumen zwar ein, dass sie unsere Aufzeichnungen über die Paramilitärs zur Kenntnis nehmen: Wo sie sich bewegen, welche Gewalttaten sie verüben, welche Alias- und oft auch welche echten Namen sie tragen, welche Nummern die Handys haben, von denen aus sie uns bedrohen und von denen aus sie sogar Videos verschicken, auf denen ihre illegalen bewaffneten und uniformierten Truppen zu sehen sind, die sie auf Fincas der Region zusammenziehen. Aber: nie passiert etwas, alles geht genauso oder noch schlimmer weiter.

Die Fakten, die wir wie immer aufgezeichnet haben, sind dieses Mal wie folgt:

In den Tagen vor dem 21. Februar 2020 (15.Jahrestag des schrecklichen Massakers von Mulatos und La Resbalosa bei dem Paramilitärs und reguläre Soldaten fünf Erwachsene und drei Kinder, darunter ein 21 Monate altes Baby, abschlachteten) hätten die Paramilitärs nach Angaben der örtlichen Bevölkerung ein Treffen mit der Zivilbevölkerung auf dem Mulatos-Hügel abgehalten.

Am Sonntag, den 23. Februar 2020, stieß ein junger Paramilitär, der in der Region als „KALET“ bekannt ist, Drohungen gegen unsere Friedensgemeinschaft aus. Kalet erklärte: er werde „nicht ruhen, bis ich nach La Holandita gehe und das Blut dieser verdammten Gemeinde fließen sehe“.

Am selben Sonntag, dem 23. Februar 2020, hatte die Armee nach Informationen von Dorfbewohnern ein Treffen in der Gemeinde Nuevo Antioquia, die zu Turbo gehört, offenbar um über die neue Straße Nuevo Antioquia/Playa Larga, Rodoxali/La Esperanza/Mulatos zu sprechen, für die bereits eine Trasse geschlagen wird. ohne dass irgendeine offizielle Genehmigung dafür erteilt worden ist. Unseren Informationen zufolge empfahl das Militär der Zivilbevölkerung, die Trasse weiterhin heimlich zu öffnen, und zwar mithilfe von Maschinen der Brigade, um Tatsachen zu schaffen, denn dann bleibe der Regierung nichts anderes übrig, als die Straße nachträglich zu genehmigen. Genauso äußerten sich letztes Jahr die Paramilitärs in verschiedenen zu San José de Apartadó und Tierralta Córdoba gehörenden Dörfern. Sie forderten deren Bewohner auf, ihnen bei der illegalen Verlegung von Stromleitungen zu helfen, die der offizielle Energieversorger EPM dann nachträglich genehmigen müsse, weil sie nun schon mal vorhanden seien.

Am Mittwoch, den 26. Februar 2020, befand sich eine Gruppe von Paramilitärs in Zivil und mit Handfeuerwaffen in einer Wohnung, etwa 180 Meter vor der Stadt San José am Fluss Cuchillo, wo sie Alkohol konsumierten und mit ihren Waffen die Passanten einschüchterten.

Mittwoch, den 26. Februar 2020, wurde in der Nähe von Mulatos Altos Medio de San José de Apartadó eine hohe Präsenz von Paramilitärs mit militärischer Kleidung und Gewehren festgestellt.

Am Donnerstag, den 27. Februar 2020, durchquerten zwei Paramilitärs, die privaten Räume unserer Friedensgemeinschaft in der Gemeinde Mulatos Medio, unser Friedensdorf „Luis Eduardo Guerra“ mit Handfeuerwaffen und Funkgeräten um sie auszuspionieren.

Am Freitag, den 28. Februar 2020, wurde unsere Friedensgemeinschaft über eine Gruppe von vermummten Paramilitärs, die sich zwischen den Dörfern El Salto, El Guineo und El Gas, von San José de Apartadó aufhielten informiert. Nach Angaben von Dorfbewohnern bedrohten diese Paramilitärs dort eine Familie, die auf ihrem eigenen Land arbeiten wollten, sodass sie sich aus Todesangst zurückzogen.

Am Samstag, den 29. Februar 2020, zwischen 6:00 und 7:00 Uhr wurde Herr Amado Torres auf dem Weg La Miranda, San José de Apartadó in der Nähe seines Hauses getötet. Er war ein Siedler dieses Gebiets und ein Mitglied der Junta de Accién Comunal. Mehreren Berichten zufolge erreichten Uniformierte sein Haus, zogen ihn heraus und töteten ihn mit mehreren Schüssen in den Kopf.

Sein 20-jähriger Sohn Carlos Andrés Torres war am 9. April 2013 auf dem Weg von Caracola von Soldaten der Nationalarmee getötet worden, als er nach Hause gehen wollte, nachdem er landwirtschaftliche Produkte zum Verkauf nach Caracola gebracht hatte. Alles zeigt, dass sein Vater, Don AMADO, bestraft werden sollte, weil er den Paramilitärs die Autonomie über seine Farm demonstrieren wollte und sich nicht ihren Forderungen unterwarf, ihnen die Ressourcen seines Betriebs zu geben und sich weigerte, ihnen die illegalen Steuern oder „Impfstoffe“ zu zahlen, die sie verlangten.
Die Justizbehörden weigerten sich, in das Gebiet zu gehen und die Exhumierung des Körpers durchzuführen. Sie führten ironischerweise „Sicherheitsgründe“ an, wo doch jedermann ihre Nähe und Komplizenschaft mit den Paramilitärs wahrnimmt und von der Garantie der überwältigenden Straflosigkeit, die hauptsächlich verantwortlich für die herrschende Kriminaliät in der Region ist, weiß. Zufälligerweise war Präsident Ivan Duque an einem Tag zusammen mit dem ehemaligen Präsidenten Alvaro Uribe in Apartadó, angeblich um workshops zu besuchen, die das Ziel „das Land aufbauen“ hätten. Als er von dem Verbrechen erfuhr, spielte er es mit der Begründung herunter, dass es viele gewalttätige Gruppen in der Gegend gebe. Statt ihre Aufgabe durch den Nationalen Polizeikommandanten General Óscar Atehortúa professionell erfüllen zu lassen, setzten Justizbehörden Belohnungen – 20 Millionen (€4660) – für zivile Informanten aus, wenn sie über die Täter Auskunft geben. So wird in Kolumbien die Aufgabe krimineller Ermittlungsorgane mit einer perversen Methode ersetzt. Diese Methode öffnet Manipulationen und Fehlinformationen Tor und Tür und greift die öffentliche Moral an. Die Menschen lernen so, dass Strafverfolgung eine lukrative Sache ist, so wächst der Nährboden für falsche Zeugenaussagen und das moralische Gewissen wird immer weiter zerstört.

Am Sonntag, den 01. März 2020, kam die Information an unsere Friedensgemeinschaft, dass Paramilitärs Fortschritte beim erzwungenen Verkauf von Land im Caraballo-Gebiet der Arenas Bajas, von San José de Apartadó machen. Es gibt bereits viele Grundstücke, die diese paramilitärische Gruppe durch die Bedrohung ihrer Besitzer erworben hat, die ihnen das Eigentum aus Angst vor dem Tod verkaufen.
An diesem Sonntag, dem 01. März 2020, in den Stunden der Nacht, wurde Herr JOSO POLICARPO CATANIO, im Weiler San José, von drei Männern, die angeblich Teil der Paramilitärs sind, mit dem Tode bedroht, sie sind in der Gegend bekannt. Es ist Dario Tuberquia, zuständig für Drogenhandel außerdem Jairo Borja und Yeison Osorno. Sie waren im Begriff, ihn mit Gewehren zu erschießen.

Am Montag, den 02. März 2020, erreichten unsere Friedensgemeinschaft Informationen über eine Liste, die wohl in San José unter den Paramilitärs zirkuliert. Diese Liste setzt die Liste, fort auf der die bereits Getöteten standen. Es sind: Deimer Usuga am 16. Januar 2019, Yeminson Borja am 7. Juli 2019, Weber Andrés am 18. August 2019 und Amado Torres am 29. Februar 2020 und es scheint, dass der Inhalt dieser Liste vervollständigt wird mit Namen von Einheimischen und Mitgliedern unserer Friedensgemeinschaft, deren Ermordung bereits vorbereitet wird.

Wir stellen ferner fest, dass wir am 19. Juni 2019 einen Rechtstitel in der Präsidentschaft der Republik (Rad: Ext 19-00060721) mit 86 Aufzeichnungen über Übergriffe haben, die zwischen dem 7. August 2018 und dem 23. Mai 2019 gegen unsere Friedensgemeinschaft begangen wurden, unter Berufung auf die Artikel 2,6,18 und 189 der Landesverfassung, die Artikel 7,11 und 20 des Verwaltungsgerichtsgesetzes (Gesetz 1437 von 2011) und das Urteil SU 1184/01 des Verfassungsgerichtshofs, Nr. 16-17. Präsident Duque leitete dieses Dokument an das Verteidigungsministerium weiter, entgegen dem allgemeinen Rechtsverständnis, nach dem die beschuldigte Institution nicht selbst über die gegen sie vorgebrachten Beschuldigungen befinden darf.

Am 17. Dezember 2019 verschickte der Kommandeur der Siebten Division eine 32-seitige Antwort der Brigade XVII, die sich auf 81 der 86 Punkte bezog. Nur in einem einzigen Fall (13. März 2019) räumt er ein, dass es eine militärische Präsenz in Mulatos gab und dass die Armeetruppen, die sich in einer angeblichen Konfrontation mit einer anderen bewaffneten Gruppe befanden, Schüsse abgegeben haben.
In allen anderen Fällen heißt es, dass die Armeetruppen von den Orten der Ereignisse entfernt waren (zwischen 4 und 11 Kilometern). Es wird behauptet, dass die Meldungen über die Übergriffe der Paramilitärs so spät kamen, dass das Militär nicht mehr eingreifen konnte oder dass die Fakten nicht klar sondern konfus sind, mit prekären Informationen, obwohl alle Koordinaten von Zeit, Ort und fiktiven oder realen Namen der Opfer angegeben wurden und in mehreren Fällen die Handynummern der Bedrohenden.

Diese Reaktion der Regierung offenbart erneut, was wir als Friedensgemeinde seit 23 Jahren immer wieder erlebt haben: Paramilitärs bewegen sich frei im gesamten Gebiet, treiben die Bewohner der Gemeinde zusammen, zwingen ihnen Regeln auf, bedrohen sie und kassieren illegale Steuern von ihnen – aber nie ist das Militär in der Nähe!.
Alles scheint ganz genau koordiniert, so dass die Armee, wenn die Auseinandersetzungen stattfinden, 4 oder mehr Kilometer entfernt ist und somit erklären kann, dass sie die Tatsachen „nicht gewusst“ hat. Wenn dann die Anschuldigungen oder Beweise auftreten, beteuern sie stets, dass sie Geheimdienst- und Kontrolloperationen durchführen, um die Gemeinschaft zu schützen und zu versuchen, Mitglieder des „Golf-Clans“ zu herauszufiltern.

Diese Para-Truppe ist ihr virtueller und theoretischer Feind, denn sie treffen nie auf ihn. Aber sie halten die paramilitärische Struktur nicht für illegal, die hinter den konkreten Namen jener Männer steht, die die Friedensgemeinde in ihren Anzeigen benennt und mit denen die Armee ebenso wie die Polizei im Weiler San José auf vertrautem Fuß stehen.

Unsere Gemeinschaft versteht, dass die Sicherheitskräfte keine gerichtlichen Befugnisse hat und sich deshalb die Hände in Unschuld wäscht angesichts der absoluten Straflosigkeit aller Delikte. Der Präsident und die verschiedenen Institutionen des Staates wissen sehr wohl, dass unsere Gemeinschaft nicht vor Gericht geht, weil sie seit mehreren Jahrzehnten bis zum Überdruss erlebt hat, dass dieser Apparat nicht gerecht ist und nur Straflosigkeit und Korruption hervorbringt und außerdem verfolgt er Whistleblower und Zeugen. Es ist tragisch, dass sich die obersten juristischen Instanzen geweigert haben, unseren Beschuldigungen nachzugehen, die Korrupten zu bestrafen und sie im Gegenteil sogar im Amt zu belassen. Die Ethik und das Gewissen verbieten uns, mit so einem verfaulten System zusammenzuarbeiten.

Bei den Friedensverhandlungen in Havanna verpflichtete sich die Regierung, den Paramilitarismus zu beseitigen. In unserer Gegend ist seine Macht gerade nach dem Friedensabkommen noch gewachsen, und sie wächst täglich weiter, und dabei verspürt man nicht die geringste Anstrengung des Staates, dem Paramilitarismus die Grenzen aufzuzeigen oder ihn endlich auszuradieren. Wie die nationale und internationale Gemeinschaft dies jedoch zur Genüge weiß, hat die Regierung den Paramilitarismus erheblich gestärkt, anstatt ihn zu beseitigen. Es gibt also eine große Verantwortung der Regierung, sie sollte sich nicht hinter der Verantwortung der internationalen Gerichte verstecken.

Während wir Beweise für unsere Tragödie sammeln und sie mit der ethischen Welt teilen, wertschätzen wir zunehmend die moralische Unterstützung von Menschen und Gemeinschaften aus zahlreichen Räumen Kolumbiens und vielen anderen Ländern auf der ganzen Welt, die uns ihre mit ihrer Solidarität Mut machen. Ihnen allen möchten wir wieder einmal aufrichtig danken.