Informationsabend: „Bienvenido Rovin Lourido“ am 04.11.

Friedensgemeinde San José de Apartadó Quelle: Fundación Musol.

Wir laden Sie herzlich zum Informationsabend ein:

Bienvenido Rovin Lourido

Seit 15 Jahren setzt sich Amnesty International Wiesbaden für die Friedensgemeinde  San José de Apartadó* im äußersten Norden von Kolumbien ein.

Die Region ist seit Jahrzehnten in einem blutigen Konflikt heiß umkämpft, an dem sowohl  illegale Akteure – rechtextreme Paramilitärs, Drogenkartelle und ehemals linke Guerilleros –  als auch das staatliche Militär beteiligt sind. Es geht um das Land, Bodenschätzer und Kokain. In diesem Milieu von Unterdrückung und Gewalt beharrt die Friedensgemeinde seit nun bald 30 Jahren auf strikter Neutralität und radikalem Pazifismus – eine Haltung, die schon viele  ihrer Mitglieder mit dem Leben bezahlen mussten.  Weiterlesen

Im Namen Kolumbiens um Verzeihung gebeten

Verzeihung – mit diesem Wort hatte sich Kolumbiens Präsident Gustavo Petro im Namen des Staates an uns gewandt. Er bezog sich auf unsere über 28-jährige Geschichte voller Schmerz und Tod, auf die Erinnerung an das vergossene Blut unserer Lieben, aber auch auf das Leben und auf den gewaltfreien Widerstand, mit dem wir in diesen 28 Jahren auch anderen Völkern und Kulturen ein Beispiel gegeben haben.

Dieser Akt der nationalen und internationalen Anerkennung, mit dem die Regierung von Präsident Petro am 5. Juni 2025 die Geschichte und das Wirken unserer Friedensgemeinde gewürdigt und dem Andenken an hunderte von zerstörten Menschenleben, dem in San José de Apartadó vergossenen Blut unserer Brüder und Schwestern Ehre erwiesen hat, liegt nun über einen Monat zurück. Aber wir stehen weiterhin unter Druck, unser Frieden, unser Besitz, unser Leben sind weiterhin bedroht. Wir informieren deshalb die Öffentlichkeit über die neuesten Ereignisse bei uns.

Am Montag, 5. Mai, folgte ein bekannter Paramilitär einem Mitglied unseres internen Rates mehrere Minuten lang, als dieser mit internationalen Begleitern im Dorf Mulato Medio unterwegs war.

Am Mittwoch, 7. Mai, drang ein Paramilitär am helllichten Tag auf unseren Besitz, die Aldea de Paz Rigoberto Guzmán ein. Er tat so, als wisse er nicht, dass er auf unserem Grund und Boden sei, blieb ein paar Minuten und verschwand dann.

Am Donnerstag, 8. Mai, feuerten Paramilitärs gegen zwei Uhr nachts in der Stadt San José de Apartadó Schüsse ab, obwohl es dort einen Militärstützpunkt und einen Bunker der Nationalpolizei gibt, die nicht eingriff. Am selben Tag brachten Paramilitärs ihre Wut über unseren damaligen Bericht der aktuellen Vorfälle zum Ausdruck: „Diese Scheiß-Friedensgemeinde muss hier weg“, weil sie ein Hindernis darstelle, hieß es.

Am Dienstag, 13. Mai, gab ein als Martín bekannter Paramilitär bekannt, er habe mehrere Personen auf der Liste, denen er per Mobiltelefon Bußgeldbescheide schicken werde, weil sie die von den Paramilitärs verkündeten Anweisungen und Anordnungen nicht Folge geleistet hätten, und er drohte, wer die Buße nicht zahle, müsse die Konsequenzen tragen.(…) Offenbar werden mindestens elf Personen bedroht und erpresst, weil sie sich den Anweisungen der Paras nicht fügten. Andere haben unter Morddrohungen das Gebiet verlassen.

Am Freitag, 16. Mai, ist eine bewaffnete Gruppe, die sich als Militär ausgab, auf unseren Grund und Boden in San Josesito vorgedrungen. Das Verteidigungsministerium bestritt, dass jemals eine derartige Aktion angeordnet oder bekannt geworden sei.

Am Montag, 19. Mai, fragte ein bekannter Paramilitär in Mulato Medio herum, um die Aktivitäten der Mitglieder der Gemeinschaft im Friedensdorf Luis Eduardo Guerra herauszufinden. Am selben Tag wurde ein Mitglied unseres internen Rats von Paras abgefangen und bedroht. (…)

Am Freitag, 23. Mai, fragte ein Para in Mulato Medio bei mehreren Bewohnern nach, ob sich ein weibliches Mitglied unserer Friedensgemeinschaft allein im Friedensdorf Luis Eduardo Guerra befand. Am selben Tag tauchten vier Paras dort auf.

Am Sonntag, 25. Mai, erfuhren wir von Morddrohungen gegen einen Bauern aus dem Dorf Mulato Medio.

Am Mittwoch, 4. Juni, fing ein allseits bekannter Paramilitär ein Mitglied unserer Gemeinde an der Straße ab und befragte ihn eindringlich, woher er komme, wann er zurückkehren oder an diesem Ort vorbeikommen werde.

Am Donnerstag, 5. Juni, erhielten wir Morddrohungen gegen José Roviro López, Mitglied des Internen Rates und Koordinator des Friedensdorfes Luis Eduardo Guerra. Es hieß, der Befehl laute, er solle sich nicht mehr in Mulato Medio sehen lassen. Am selben Tag erhielten wir die Information, nach der ein Bewohner der Gegend bedroht worden sei. Die Paramilitärs hätten ihm vorgeworfen, er informiere die Friedensgemeinde über die Aktivitäten der Paras, man werde seinen Fall den paramilitärischen Kommandeuren vorlegen, die „extreme Maßnahmen“ gegen ihn ergreifen würden.

Am Donnerstag, 5. Juni, fand der erwähnte Akt der Anerkennung unserer Friedensgemeinde unter Vorsitz des Staatspräsidenten Gustavo Petro statt. Im Namen des kolumbianischen Staates bat er um Verzeihung für die Barbarei der mehr als 1.810 Verbrechen gegen die Menschlichkeit, deren Opfer wir waren.  In seiner Rede brachte der Präsident seine Unzufriedenheit über die Abwesenheit seines Präsidialkabinetts bei der Veranstaltung zum Ausdruck und schlug uns vor, eine weitere Veranstaltung dieser Größenordnung in Anwesenheit von Vertretern der drei Gewalten einzuberufen. (Anm. d. Ü.: Es folgt eine an Präsident Petro gerichtete Aufzählung all der vergeblichen Versuche der Friedensgemeinde, hohe Vertreter der Judikative, der Legislative und auch der Exekutive unterhalb der Präsidentenebene zu der Veranstaltung einzuladen, ohne dass den Einladungen Folge geleistet oder auch nur abgesagt worden wäre.)

Als am Freitag, 6. Juni, unsere Delegation von dem Akt der Anerkennung aus Bogotá zurückkam, wurden ihre Mitglieder von mehreren Subjekten auf dem Flughafen von Apartadó umschlichen, die nicht verheimlichten, dass sie die Mitglieder kennen und quasi als Ziele identifiziert haben. Ein bekannter Paramilitär aus dem Dorf Adolfo Guzmán kommentierte eine Presseveröffentlichung über die Veranstaltung mit Petro am Tag zuvor mit den Worten „Petro ist genauso ein Guerillero wie der, den er umarmt“, gemünzt auf unseren juristischen Berater German Graciano, der in der Publikation mit Petro abgebildet war.

Am Samstag, 7. Juni, drangen Bagger auf unseren Grund und Boden in La Roncona vor, um Schwemmlandmaterial abzugraben. (…) Drei Tage später, am 10. Juni, kommen erneut ein Kipper und Bagger nach Resbaldosa, um das Schwemmmaterial abzutragen. Wir erklären wie schon früher oft, dass es unser Land und folglich unser Material sei, und die Leute auf den Maschinen entgegnen, sie hätten die Erlaubnis von denen, die hier in der Gegend das Sagen hätten.

Am Mittwoch, 11. Juni, versuchte Darwin Usuga, ein Mitglied der Friedensgemeinde, das außerhalb wohnt, mit einem der Führer unserer Gemeinde in Kontakt zu treten. Er kündigt an, dass er Informationen über die Mörder von Nalleli Sepúlveda und Edinson David habe (Anm. d, Ü.: Nalleli und ihr jüngerer Bruder wurden am 19. März 2024 in der Ortschaft La Esperanza ermordet. Nallelis Mann, ein aktives Mitglied der Friedensgemeinschaft, war zur Tatzeit mit seinem Vater in einem Hospital; dennoch wurde er als verdächtig, die Tat als Liebesdrama dargestellt.) Acht Tage später, am 19. Juni, wurde Darwin Usuga an seinem Wohnort Argelia, Antioquia, ermordet aufgefunden (Anm. d. Ü.: Argelia liegt Luftlinie 300, auf der Straße knapp 500 Kilometer von Apartadó entfernt).  Darwin war der Sohn von Gilma Rosa Graciano, die 2002 von Paramilitärs gefoltert und ermordet worden war. Er war mehrfach mit dem Tod bedroht worden und deshalb aus San José de Apartadó weggezogen.

Am Mittwoch, 25. Juni, verkündeten Paramilitärs, dass sie die Anwesenheit von Beamten der Agencia Nacional de Tierras in unserer Region nicht tolerieren würden. Begründung: Die ANT sei in Begleitung von Agenten der militärischen Aufklärung. (Anm. d. Ü.: Die ANT wurde im Zuge des Friedensvertrages vor zehn Jahren geschaffen. Sie soll die Besitzverhältnisse auf dem Land nach den Jahrzehnten der Vertreibungen neu ordnen).

(…)

Am Donnerstag, 3. Juli, wandten sich einige Bewohner der Region an die Friedensgemeinde und beklagten sich über die Regeln, die ihnen der Paramilitarismus aufzwingen. Vor allem die Vorschrift, sie dürften nur höchstens zwei Hektar zum Anbau nutzen, während die Paras ganze Wälder fällen, um das Land als Viehweide zu nutzen, trifft auf Ablehnung.

Am Dienstag, 8. Juli, hielt sich eine Kommission unter Leitung des Parlamentariers Pedro Baracutao García in unserer Gegend auf, was ausführlich in den sozialen Netzwerken dargestellt wurde. Demnach hat Baracutao dabei staatliche Investitionen unter anderem für den Bau von Ortsverbindungsstraßen gefordert, mit der Begründung, damit könnten die Bauern ihre Produkte besser vermarkten. Baracutao, ist Ihnen denn nicht bekannt, dass die Paramilitärs an der Spitze des Bezirks San José die Bauernschaft daran hindern, auf Flächen größer als zwei Hektar Landwirtschaft zu betreiben? Setzen Sie sich für den Bau illegaler Straßen im Bezirk San José ein, der zum Schutzgebiet von hoher ökologischer Bedeutung  erklärt wurde? Glauben Sie wirklich, dass der Bau einer Straße die Probleme und Bedürfnisse von San José de Apartadó löst? – Missbrauchen Sie diese angebliche Notwendigkeit, um von den wahren Bedürfnissen der Bevölkerung in den verschiedenen Dörfern der Gemeinde abzulenken? (Anm. d. Ü.: Jenseits der sachlichen Argumentation gegen die Erschließung von Straßen in einer ökologischen Schutzzone, in der die Paras die Macht beanspruchen – dass die Verfasserin oder der Verfasser des Blogs diesen Ton anschlägt, um Baracutao zu kritisieren, mag auch daran liegen, dass Baracutao früher die 34. Front der FARC kommandiert hat. Deren Operationsgebiet war Antioquia, sie ist unter anderem für die Ermordung von Politikern verantwortlich und war auch an dem  Massaker von Bojayá 2002 beteiligt, bei dem bei einer Explosion in einer Kirche 119 Zivilisten starben).

(…)

Am Freitag, 11. Juli, erhielten wir neue Todes- und Vernichtungsdrohungen, besonders gegen unseren juristischen Beistand Germán Graciano Posso und andere Mitglieder des Internen Rates.

Am 6. Juli haben wir uns von Ricardo Quintero verabschiedet, Gründungsmitglied unserer Friedensgemeinde, der nach schwerer Krankheit verstorben ist. Sein Herzschlag mag für immer stillstehen, aber seine Träume und seine Worte werden uns immer begleiten. Dank Dir, Ricardo, Du hast uns so viel vorgelebt, in Deinen Überzeugungen warst Du unerschütterlich bis zum Ende.

Friedensgemeinde San José de Apartadó, 14. Juli 2025

Der Terror als soziale Entwicklung verkappt

Unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó hat in den letzten Monaten eine ganz besondere Erfahrung gemacht. Seit letztem Jahr (2024) haben wir zugestimmt, in einen Verhandlungsprozess über eine einvernehmliche Lösung mit dem Staat einzutreten, unter Vermittlung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, ohne jedoch den Bruch mit dem Staat zu leugnen, da die Gründe und Motive für diese Entscheidung nach wie vor da sind, auch wenn sie 20 Jahre zurückliegen.

Die derzeitige Regierung von Präsident Petro hat es geschafft, einige Institutionen zu ändern, darunter die staatliche Rechtsverteidigungsagentur, die nicht mehr in erster Linie damit beschäftigt ist, jegliche Verantwortung von Staatsbediensteten bei Verbrechen zu leugnen, sondern diese in vorzeigbaren Fällen wie dem unserer Friedensgemeinschaft anerkennt.
Daher haben wir Wiedergutmachung für monumentale und konkrete Schäden gefordert, die von Staatsbediensteten begangen wurden, sofern sie nicht unmöglich zu reparieren sind, wie die Hunderte von Toten und Verschwundenen.
Wir haben aber nicht versucht, alle Schäden in Geldwerte umzurechnen, da die meisten unserer Werte keinen merkantilen Charakter haben und nicht in Geld ausgedrückt werden können.
Wir haben eine Überprüfung der schockierenden Handlungen der falschen und verdorbenen „Justiz“ gefordert, die seit Jahrzehnten in der Region tätig ist;

Wir haben die Wiederherstellung unseres guten Namens gefordert, der von den Massenmedien und dem verrotteten Justizapparat mit Füßen getreten wurde; wir haben die Anerkennung unserer Rechtstitel auf unser kollektives Land gefordert; wir haben gefordert, dass der Staat darauf verzichtet, uns, die Opfer, für die Verbrechen der Enteignung, der Vertreibung und der Massaker anzuklagen, die ja seine Agenten begangen haben, indem sie unsere verlassenen Ländereien mit Steuern in Millionenhöhe belegen.
Doch während der Prozess der gütlichen Einigung zufriedenstellend verläuft, werden wir von der anderen Seite des Staates weiterhin unerbittlich und schamlos verletzt.
Der Clan del Golfo, eine paramilitärische Struktur, die heute das Land, die Region Urabá und fast alle Dörfer von San José de Apartadó beherrscht, als eine echte De-facto-Regierung, mit der Duldung fast aller Institutionen (u.a. Armee, Polizei, Generalstaatsanwaltschaft), die sich gegenseitig heuchlerisch unterstützen, um diesen perversen Apparat aufrechtzuerhalten. ….  Der Clan del Golfo verfügt über Kämpfer, deren Anhänger mit hohen Geldbeträgen bezahlt werden, was es ihnen ermöglicht hat, große Teile der demobilisierten ehemaligen FARC-Mitglieder, Teile der Gesellschaft, Politiker, Geschäftsleute und andere zu erobern. …

Die Komplizenschaft der Sicherheitskräfte mit der Herrschaft des Clans ist offensichtlich. Im März 2024 erklärte der Kommandeur der 17. Brigade gegenüber internationalen Besuchern ganz offen, dass sie sich nicht an die Anweisung von Präsident Petro halten würden, sich bei unserer Friedensgemeinschaft für die zahlreichen an uns begangenen Verbrechen zu entschuldigen. Doch im Februar 2025 sind sie zu weit gegangen, indem der Kommandeur der 17. Brigade, Oberst Luis Enrique Camargo Rodríguez, eine Tutela-Klage gegen eine hochrangige Beamtin der Regierung Petro, Dr. Gloria Cuartas, Leiterin der Abteilung für die Umsetzung des Friedensabkommens, einreichte. Es ging um ihre Äußerungen in ihrem sozialen Netzwerk X am 19. Februar 2025, die den guten Ruf und die Ehre des Militärs verletzt hätten.

Dr. Cuartas hatte sich wie folgt geäußert: „Herr Präsident, ich hoffe, dass der neue Verteidigungsminister uns bei dem Problem mit der komplexen Beziehung, zwischen der 17. Brigade und der Polizei von Urabá gegen das autonome Friedensprojekt, dem ethischen Vorbild für die Welt, helfen wird. Ohne sie funktioniert der Clan del Golfo nicht

Die Richterin von Carepa, Ruth I. Betancur Henao, akzeptierte die tutela-Klage und dies, ohne überhaupt zu untersuchen, ob es wirklich eine komplexe Beziehung zwischen der 17. Brigade und dem Paramilitarismus in Urabá gab. Sie entschied zugunsten der Militärs und wies Dr. Cuartas an, ihre Aussagen innerhalb von 48 Stunden zu widerrufen. Allerdings blieb es nicht bei diesem Urteil, denn es wurde festgehalten, dass Dr. Gloria Cuartas nur ihre Pflichten erfüllte.

*Es folgt ein Rückblick auf Gerichtsverfahren, in denen es vor allem darum geht, den guten Namen und die Ehre des Militärs über deren Vergehen zu stellen und sie infolgedessen nicht öffentlich thematisieren zu dürfen.

Vom 12. Februar bis zum 8. April 2025 wurden die Mitglieder der Friedensgemeinde wieder durch verschiedene Aktionen der Nationalen Polizei, der Generalstaatsanwaltschaft und den Paras in Atem gehalten. Die Forderung nach Schutzgeldern durch die Paras mit entsprechender Gewaltandrohung verursacht Angst. Eine weitere Drohung bestand darin, alle Mitglieder der Friedensgemeinde zu ermorden – es gehe ihnen wie Nally und Edinson (ermordet am19. März 2024 d.Ü.), wenn sie im Friedensdorf Luis Eduardo Guerra in Mulato Medio übernachten. Hausfriedensbruch und unerlaubtes Betreten von Privatgrundstücken der Gemeinde sind weitere Mittel die Bevölkerung zu beunruhigen auch mit Vergewaltigung der Einwohnerinnen wird gedroht.
Aber positiv war, dass am 8. April mehrere internationale Organisationen in einer Geste der Solidarität mit der Bevölkerung, der Umwelt und der Gemeinschaft einen Appell an Präsident Petro richteten, um die Menschenrechtsverletzungen zu beenden, die sich systematisch wiederholen.

Am 15. April 2025 wird die Umsetzung eines Protokolls namens: „Zahlungen für Umweltdienstleistungen“ bekannt, das von der JEP (Jurisdiccion para la Paz, verantwortlich für die juristische Aufarbeitung der im Konflikt begangenen Verbrechen und für die Verurteilung und Bestrafung direkt oder indirekt beteiligter Akteure) und anderen Einrichtungen gefördert wird. In diesem Zusammenhang wird allerdings bedauert, dass zwar soziale Projekte durchgeführt aber Wahrheit und Gerechtigkeit auf der Strecke gelassen und mit Füßen getreten werden.

Bis zum 6. Mai 2025 folgen wieder Morddrohungen konkret mit Namensnennung des möglichen Mordopfers, illegaler Straßenbau mit anschließender Forderung von Maut, eine Straße wurde auf einem privaten Grundstück der Friedensgemeinde verlegt, dafür wurden Kakaobäume des Besitzers gefällt.

Während wir uns einem Szenario nähern, in dem der Staat die Ursachen versteht, die zum Bruch mit dem Staatsapparat geführt haben, wird uns das Vernichtungsprojekt gegen unser Lebensprojekt mit voller Wucht offenbart.

Unsere unumstößliche Überzeugung für das Leben gibt uns jedoch die Kraft, unser eigenes Leben noch einmal und so oft wie nötig zu verteidigen.
Im ehrenden Gedenken an unsere gefallenen Brüder und Schwesternwerden wir den mit ihnen begonnenen Widerstand fortsetzen.

Friedensgemeinde San José der Apartadó 6. Mai 2025

* Kursiv geschriebenes stellt eine Zusammenfassung von Ereignissen durch d. Ü dar.

Die gegen uns gerichtete Vernichtungsstrategie übersteigt bereits jede Hemmschwelle

Einmal mehr wendet sich unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó an die Menschheit und an die Geschichte, um die neuen und wiederholten Drohungen gegen unser solidarisches Leben zu dokumentieren. Wir aber versuchen nach wie vor, am ständigen Aufbau einer gerechteren Welt mitzuwirken.

Seit Langem versuchen die staatlichen Institutionen Kolumbiens, unterstützt von den Massenmedien, das Land und die Welt davon zu überzeugen, dass es in Kolumbien keine paramilitärischen Gruppen mehr gibt.
Diese bewaffneten Gruppen sind rechtlich nicht anerkannt, stimmen sich aber insgeheim mit dem gesamten institutionellen Rahmen ab. Ihre Aufgabe besteht darin, systematisch Verbrechen zu begehen, die die Menschheit mit größtem Entsetzen verabscheut, aber von der Justiz ungestraft bleiben. Sie zeigen sich dabei öffentlich als Gefährten und Schützlinge der Sicherheitskräfte, die schamlos ihre eigenen Uniformen, Räume und Bewegungen nutzen und von der Wirtschaft und den Massenmedien als Freunde angesehen werden.
Jedoch werden ihre Verbrechen von internationalen Gerichten als kriminell angesehen, ihre Beziehungen zum kolumbianischen Staat und zum Establishment waren nicht mehr zu verbergen, daher entwickelten sie einen anderen Modus Operandi. Jetzt werden die Beziehungen zu den Institutionen, zur Wirtschaft und zu den Massenmedien getarnt. Es besteht jetzt eine heimliche Finanzierung ihrer Akteure und Komplizen durch die Unterstützung der Drogenmafia und auf der Annahme der ANONYMITÄT als Methode zur Verschleierung ihrer Kriminalität. Innerhalb dieser Parameter war es möglich, dass zum Beispiel der CLAN DEL GOLFO, eine paramilitärische Struktur, die aus Urabá stammt, heute von einer Zivilbevölkerung und einer regionalen Institutionalität geschützt wird, die es ihr erlaubt Praktiken anzuwenden, die im Strafgesetzbuch als schwere Verbrechen gelten. Aber sie haben es geschafft, sie in routinemäßiger Toleranz als „normale Praktiken“ zu akklimatisieren, die niemand mehr infrage stellt und mit denen sich keine Kontrollinstanz, weder die Staatsanwaltschaft noch die Polizei noch die Armee noch die Generalstaatsanwaltschaft noch das Büro des Ombudsmanns zu befassen wagt.
Diese Gewöhnung an das Verbrechen hat dazu geführt, dass die alltägliche Ausübung der kriminellen Praktiken, die im Strafgesetzbuch klar beschrieben sind, „NORMAL“ geworden ist. Für jemanden, der die Gesetze und die Struktur der kolumbianischen Verfassungsordnung kennt, steht all dies im Widerspruch zur Rechtsordnung und zu den Gesetzen. Eine zivile Gruppe, die nicht durch ein verfassungsmäßiges Verfahren gewählt wurde, kann sich nicht die Macht anmaßen, auf diese Weise zu regieren, Regeln zu erfinden und durchzusetzen, Schutzgelder zu erpressen, Sanktionen zu verhängen, geschweige denn Strafen wie Verbannung und Tod, Land und Eigentum zu beschlagnahmen, Waffen zu benutzen, bewaffnete Patrouillen zu schicken, um ihren Willen durchzusetzen, und sogar so weit zu gehen, das Leben derer zu zerstören, die sich weigern zu gehorchen, nachdem sie auf alle möglichen Arten eingeschüchtert wurden.
Alles passiert im Namen einer elitären Ideologie oder einer „Ordnung“, die mit den Rechten und Garantien unvereinbar ist, die einst in einem Verfassungsrahmengesetz verankert waren. Obwohl dieses dutzende Male nach dem Willen einer wirtschaftlich privilegierten und korrupten Elite reformiert wurde, sind in ihm noch einige grundlegende Rechtsprinzipien verankert.

Wenn man immer wieder Zeugenaussagen von Landbewohnern oder Städtern hört, die die spezifischen Verbrechen beschreiben, die die tägliche Praxis der Paramilitärs ausmachen, ist man entsetzt, wenn man das Strafgesetzbuch aufschlägt und feststellt, dass mindestens 35 seiner Artikel die kriminellen Handlungen beschreiben, die den Alltag der Paramilitärs ausmachen. Die Justiz aber unternimmt nichts, um sie zu untersuchen, zu verfolgen und zu bestrafen. Auch die anderen staatlichen Institutionen unternehmen nichts dagegen, gebieten diesen Verbrechen keinen Einhalt, die die vielen Opfer in völliger Hilflosigkeit zurücklässt. Und was eigentlich noch schlimmer ist, diese Kriminalität wird durch riesige Geldsummen geschützt. Die Juntas de acción comunal (Anm. d. Ü.: Lokale Mitbestimmungsorgane, die die Verfassung vorsieht, die aber in der Praxis oft von den örtlich Mächtigen korrumpiert sind) werden durch hohe Bestechungsgelder dazu gebracht, zu schweigen und paramilitärische Projekte in ihrem Gebiet zu unterstützen.
(…)

Wir möchten heute über folgende Sachverhalte berichten:

Am Montag, den 6. Januar 2025, Morddrohung gegen einige Anführer unserer Friedensgemeinschaft

Am Montag, den 13. Januar 2025, wurde unsere Gemeinde über einen Aufruf zu einer Versammlung für die Einwohner der Region am 15. Januar in der Ortschaft La Esperanza, in unserem Dorf San José de Apartadó, informiert. Das zentrale Thema wäre, erneut die Notwendigkeit des Baus einer Straße über das Gebiet von Esperanza, unser Privateigentum. Unsere Opposition gegen den Bau dieser Straße hatte bereits in der Vergangenheit zu Blutvergießen und im März 2024 zu außergerichtlichen Hinrichtungen geführt.

(…)

Am Freitag, den 24. Januar 2025, wurden einige Einwohner der Gemeinde zu einer Versammlung vorgeladen. Hier erhielten sie folgende Vorschriften:
Sie dürfen nicht mehr als einen Hektar Land für den Anbau zur Selbstversorgung nutzen. Außerdem muss jedes Dorf zwischen 10 und 30 Millionen Pesos (€ 2.300 bis € 6.900) für den Bau der Straße beisteuern. Die Zivilbevölkerung muss den Treibstoff für die Maschinen liefern. Die Paramilitärs teilten einigen Zivilisten mit, dass im Falle der Friedensgemeinschaft der Befehl lautet: „Kein Zivilist sollte sich mit dieser HP (hijo de puta – Hurensohn d.Ü.) Gemeinschaft anlegen, denn sie haben bereits alles in die Wege geleitet, um sie auszurotten und vom Planeten zu tilgen“.

(….)

Am Freitag, den 14. Februar 2025, hielten die Paramilitärs in der Gegend von San José de Apartadó, eine Versammlung ab, es ging wieder um die Straße, die durch unser Eigentum führen würde. Dieses Projekt hatte ja bereits mehreren Protestierenden unserer Friedensgemeinschaft das Leben gekostet. Sie widersetzten sich dem Bau illegaler Straßen, die die Umwelt zerstören, im Dienste der multinationalen Bergbaukonzerne geplant werden, mit erpresserischen und illegalen „Steuern“ gebaut und mit militärischer Maschinerie in enger Zusammenarbeit mit Plänen durchgeführt werden, die von der dem Paramilitarismus unterworfenen Bevölkerung ohne jegliche demokratische Beteiligung festgelegt wurden.
(…)

(Anm. d. Ü.: Andere ständige Bedrohungen, Belästigungen, Einschränkungen fassen wir im Folgenden zusammen.)

Vor allem in sozialen Netzwerken werden falsche Nachrichten verbreitet, etwa die Einladung an die Zivilbevölkerung, unser Privateigentum zu betreten, weil auf diese Art betont werden könne, wie wichtig die Straße sei. (siehe 13. 1. 2025, d. Ü.) Dass dabei Drähte, Tore und Zäune niedergerissen werden, wurde in Kauf genommen.
Auch wurden Anwohner mit einem Plan der Paras bedroht, anonym eine der Siedlungen aus der Gemeinde niederzubrennen.

Einige paramilitärische Siedler kehrten die Bedrohungslage um, indem sie behaupteten, von der Friedensgemeinde bedroht zu werden.
Eines Tages wurden für alle Autos und Motorräder, die zwischen Apartadó und San José unterwegs waren, eine überhöhte Maut für die angebliche Reparatur einer vom Rathaus aufgegebenen Straße gefordert.

(…)

Zusammen mit unseren Unterstützern gedenken wir heute des 11. Jahrestages des letzten Massakers, das unsere Friedensgemeinschaft erlitten hat. Wir sind nach wie vor empört über die Straflosigkeit, die weiterhin herrscht.
Für unsere Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen gibt es für uns keine Mindestbedingungen, insbesondere wenn Hunderte und Aberhunderte von schrecklichen Verbrechen ohne jegliche Gerechtigkeit oder Aufklärung bleiben.

Sie mögen unser Leben beenden, aber niemals unsere Stimmen, die inmitten eines Meeres der Straflosigkeit nach der Wahrheit schreien.

Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó
19. Februar 2025

Nichts ist überwunden – die Unterdrückung geht genauso weiter wie vorher

Wieder einmal erheben wir unsere Stimme, um auf die Ereignisse aufmerksam zu machen, die die Bevölkerung unseres Umfelds und unsere Friedensgemeinde dauerhaft bedrohen.

Es beginnt ein weiteres Jahr, von dem wir gehofft hatten, dass sich in ihm neue Wege zum Leben und zum Frieden auftun würden. Davon kann jedoch keine Rede sein. Der Bevölkerung wird gesagt, die alten Herrschaftsverhältnisse seien nun überwunden. (Gemeint ist die Politik des „totalen Friedens“, die der linke Präsident Gustavo Petro angekündigt hat, Anm. d. Ü.) Aber in den wenigen Tagen, die das neue Jahr alt ist, hat sich schon gezeigt, dass eigentlich alles so wie bisher weitergeht. Es sind dieselben wie vorher, die das Sagen haben, die die Bevölkerung kontrollieren, die ihr Regeln aufzwingen, die in die Gemeinden eindringen, die die Zivilbevölkerung zusammentreiben, die weiterhin drohen und morden. Und die kolumbianische Regierung ist angesichts all dessen weiterhin blind und taub.

Folgende Fakten müssen wir berichten:

Am Samstag, 2. Dezember, wurde tagsüber eine Gruppe Paramilitärs in Tarnuniform gesehen, die sich im Dorf Mulatos den Fluss entlang bewegte.

Am Sonntag, 3. Dezember, wurde unsere Friedensgemeinde darüber informiert, dass unter anderem in den Dörfern El Mariano, Buenos Aires und La Linda die Armee nachts patrouilliert. Wonach sie suchte, ist unklar. Auszuschließen ist, dass sie hinter den paramilitärischen Gruppen her war, denn die kontrollieren die Gegend nach wie vor in aller Ruhe, ohne dass sie jemand belästigt.

Am Dienstag, 5. Dezember, sagten Ortsansässige, in den Dörfern von San José de Apartadó errichteten die Paramilitärs Wachposten. Einer davon, den alle Vorbeifahrenden wahrnehmen, wird an dem als Chontalito bekannten Punkt gebaut.

Gemeinde Tierralta im Departamento Córdoba gehört (Córdoba schließt sich östlich an Antipoquia an, dem Departamento, in dem San José liegt, Anm. d. Ü.). Dort arbeiten seit kurzem Armee und Paramilitärs eng zusammen, was sich in gewaltsamem Vorgehen gegen die bäuerliche Bevölkerung niederschlug und was nach den Klagen der Betroffenen mittlerweile nationalen und internationalen Widerhall gefunden hat.

Wir wiederum können den Anschlag vom Dezember 2017 nicht vergessen, als fünf bewaffnete Paramilitärs auf Motorrädern ankamen und unsere gesetzlichen Vertreter Germán Graciano und José Roviro López sowie andere Mitglieder des Internen Rates töten wollten. Auch wenn die beiden nach wie vor Todesdrohungen erhalten, konnten wir damals Schlimmeres verhindern. Wir stellten die Angreifer, zwei hielten wir fest und übergaben sie den Behörden, während die anderen flohen und in das Dörfchen San José

Am Freitag, 8. Dezember, wurde nachmittags eine Gruppe Paramilitärs in Tarnuniform an der als „La Cañada de Pulgarín“ bekannten Stelle im Dorf Mulatos gesichtet.

Am Dienstag, 12. Dezember, wurden wir von Menschen, die gezwungen sind, direkt unter den Paramilitärs zu leben, darüber informiert, dass die Paras entschieden hätten, zwei Mitglieder des Internen Rates unserer Gemeinde zu eliminieren. Einer von ihnen ist unser gesetzlicher Vertreter und der andere der Koordinator unserer Siedlung im Dorf La Resbalosa. Ein großer Teil des Territoriums von La Resbalosa gehört zur zurückkehrten, wo sie bis heute leben und weiterhin mit Polizei und Militär freundschaftlichen Umgang haben. Wir möchten daran erinnern, dass in dieser Episode die Zusammenarbeit der öffentlichen Gewalt und des gesamten Justizapparats mit den Paramilitärs absolut offensichtlich wurde. Bis heute hat die sogenannte Justiz den Fall noch nicht untersucht. Die Beschuldigten sind in Freiheit.

Am Dienstag, 12. Dezember, erfuhren wir vom Tod des jungen Eimer Emilio Gómez David, der in den vergangenen Tagen verschwunden war und dann mit Anzeichen grausamer Folter tot aufgefunden wurde. Gómez David, gebürtig aus San José, war Mitglied unserer Friedensgemeinde, ebenso wie seine Familie, die sich allerdings vor einiger Zeit zurückgezogen hatte. Wir verurteilen aufs Schärfste, dass auf unserem Territorium solche brutalen und unmenschlichen Praktiken vorkommen, die typisch für Völker sind, denen es an der grundlegendsten menschlichen Sensibilität mangelt. Wir sprechen seiner Familie unser tiefstes Beileid aus.

Zwischen dem 18. und 21. Dezember besuchten Vertreter unserer Friedensgemeinde mehrere Dörfer in der Umgebung von San José de Apartadó, darunter Mulatos und Resbalosa, um auf Morddrohungen gegen Bewohner der Region und gegen Mitglieder unseres Internen Rates öffentlich aufmerksam zu machen. Während der Tour konnten wir die starke Präsenz und territoriale Kontrolle der Paramilitärs in der Gegend sowie die unterschiedlichen Bauweisen paramilitärischer Wachposten sehen, wie zum Beispiel den Standort Chontalito, wo die Paramilitärs seit 2018 sitzen, und ähnliche Posten. Es ist schon unglaublich, wie beharrlich sich das angeblich überwundene Herrschaftssystem der Paramilitärs behauptet und wie unbeeinträchtigt die Möglichkeiten der Paramilitärs sind, die Autonomie der Zivilbevölkerung zunichtezumachen. Am Donnerstag, 4. Januar, bat Ovídio Torres Areiza uns dringend um Schutz, nachdem er und seine Familie von den Paras mit dem Tod bedroht worden waren. Wir können allerdings nicht vergessen, (…) dass Ovidio 2006, als er sich uns angeblich anschließen wollte, uns offenbar im Auftrag von Militär und Paramilitärs einen Computer gestohlen hat. Die Armee hatte ihn dazu angestiftet, weil sie sich auf dem Gerät Hinweise auf Zusammenarbeit zwischen der Guerrilla und uns erhoffte; Zeugen zufolge soll das Militär „enttäuscht“ gewesen sein, als natürlich nichts zu finden war. – Ovidio gibt jetzt zwar zu, jahrelang für die Paras gearbeitet zu haben, sagt aber, er habe sich von ihnen längst abgewandt, und deswegen bedrohten sie ihn nun genauso wie seinen ältesten Sohn, den sie sogar gefangen und gefoltert hätten, um den Aufenthaltsort von Ovidio zu erfahren.  Unsere Gemeinschaft folgt einem ihrer Grundprinzipien, nämlich der Verteidigung des Lebens eines jeden Menschen, auch wenn der anders denkt als wir. Wir haben uns deshalb bereit erklärt, Ovidio zu schützen, bis er mit Hilfe humanitärer Organisationen das Gebiet verlassen könne – und so ist es mittlerweile geschehen.

Am Samstag, 6. Januar, zwangen in der Gegend bekannte Paramilitärs (es folgen die Klar- und Aliasnamen von dreien, Anm. d. Ü.) die Bewohner des Dorfes La Unión zu einer Versammlung auf dem Dorfplatz, wo sie alle ihre Mobiltelefone abgeben mussten. Der von Drohungen begleitete Befehl der Paramilitärs lautete, dass sich alle der Junta de Acción Comunal anschließen müssten, was beweist, dass die Paras die Junta als Kontrollinstrument nutzen können (die Juntas de Acción Comunal sind in der Verfassung vorgesehene Mitbestimmungsräte auf kommunaler Ebene, die in der Praxis allerdings oft von den jeweils Mächtigen kooptiert sind, Anm. d. Ü.). Bei der Versammlung gaben sie wirre und widersprüchliche Anweisungen zur Lösung von Landkonflikten, ein Bereich, für den sowieso ausschließlich die Justiz zuständig ist, deren Befugnisse sie sich anmaßten. – Die Versammlung fand in unmittelbarer Nähe des Militärs statt, was erneut beweist, wie eng Armee und Paras zusammenarbeiten.

Am Montag, 8. Januar, war sehr früh eine Gruppe schwer bewaffneter Soldaten im Zentrum von La Unión unterwegs und befragte die Zivilbevölkerung nach Informationen über die Paramilitärs. Dabei wissen Militär und Polizei sehr gut, wo sich die Paramilitärs aufhalten. Durch solche Befragungen wird die Zivilbevölkerung in einen gewaltsamen Konflikt einbezogen, an dem sie keinen Anteil hat.

Unsere Friedensgemeinschaft verurteilt jede Handlung, die das Leben oder die Integrität eines Menschen bedroht. Die Regierung in Bogotá ist am Ende dafür verantwortlich, wenn den Mitgliedern unserer Gemeinschaft und den Bewohnern der Region etwas zustößt. Denn der Paramilitarismus kann weiterhin frei schalten und walten.

Als Friedensgemeinde kräftigen wir unsere ethischen und moralischen Grundsätze. Wir danken allen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, die uns weiterhin mit ihrer moralischen Stärke unterstützen.

Friedensgemeinde San José de Apartadó
8. Januar 2024

Die Regierung will angeblich etwas ändern, dennoch sind die Paramilitärs außer Kontrolle

Einmal mehr erheben wir unsere Stimme, um auf die Tatsachen aufmerksam zu machen, die unsere Friedensgemeinde und die Bevölkerung unseres geografischen und sozialen Umfelds ständig bedrohen.
Wir befinden uns gefangen in einer Welt, in der nur die Macht gilt. Die will ihre Ziele erreichen, und da spielt es keine Rolle, wer unter ihr leidet.

Die Regierung in Bogotá sagt, es gelinge ihr, mit den illegalen bewaffneten Gruppen zu verhandeln und so das Leben der Zivilbevölkerung in den Dörfern und Weilern des Landes zu sichern. Aber das sind nur Nachrichten in den Medien. In der Realität hat sich für die Bauern des Landes nichts geändert, denn in den Gebieten, die von den legalen oder illegalen bewaffneten Akteuren kontrolliert werden, ist das Leben noch schwieriger geworden. Auch in Gebieten wie San José de Apartadó kontrolliert und bestimmt der Paramilitarismus, wie sich die Bauern bewegen dürfen und arbeiten müssen.

In Urabá ist die Regierung des Wandels noch nicht angekommen, geschweige denn, dass sie die 17. Heeresbrigade selbst gründlich überprüft und gesäubert hätte, denn innerhalb dieser Brigade und der ihr unterstellten Einheiten herrscht ein hohes Maß an Komplizenschaft mit dem Paramilitarismus, wie die Ereignisse vom 12. September 2023 zeigen, als Soldaten und vermummte Paramilitärs gemeinsam die Zivilbevölkerung von Urabá einschüchterten.

Auch in den Dörfern von San José de Apartadó gibt es eine hohe Präsenz von Paramilitärs, die sich offen mit Uniformen und AGC-Abzeichen bewegen, schwer bewaffnet sind und sich unter dem vollen Schutz des Militärs und der Justiz bewegen.

(Anm. d. Ü.: AGC steht für Autodefensas Gaitanistas de Colombia, auch Clan del Golfo, Clan Úsuga oder Los Urabeños genannt. Die Gruppe gilt als das mächtigste Verbrechersyndikat Kolumbiens. Aus rechtsgerichteten Paramilitärs nach der Demobilisierung hervorgegangen, arbeitet die Gruppe mit dem mexikanischen Sinaloa-Kartell zusammen und ist gegenwärtig für die Hälfte des kolumbianischen Kokain-Exports verantwortlich. Der Golf-Clan benutzt als operative Basis die schwer zugängliche nordwestkolumbianische Subregion Urabá – daher auch der Name „Los Urabeños“. Die Bande ist vor allem in den Drogenschmuggel, illegalen Bergbau und der Schutzgelderpressung verwickelt. Zudem sind sie für zahlreiche Morde und Vertreibungen verantwortlich. Anfang 2023 schloss die Regierung unter Präsident Gustavo Petro einen Waffenstillstand mit dem Clan del Golfo, den sie nach kurzer Zeit am 19. März 2023 wieder kündigte. Grund war laut Petro ein Angriff auf Polizeikräfte durch den Clan.)

Das Schlimmste ist, dass die Paras die Zivilbevölkerung kontrollieren und zwingen, sie in ihren Dörfern und auf ihren Privatgrundstücken zu akzeptieren. Niemand kann etwas sagen oder anprangern aus Angst, getötet oder aus der Region vertrieben zu werden, wie es einigen Einwohnern ergangen ist, die weit weggehen mussten, um nicht getötet zu werden.

Hier die Ereignisse der letzten Wochen:

Am Sonntag, den 24. September, wurde in den Morgenstunden im Dorf Mulatos Medio ein Trupp Paramilitärs gesehen, der sich entlang des Flusses bewegte. Nach Angaben der Dorfbewohner waren die Männer schwer bewaffnet, getarnt und trugen Armbinden mit dem Abzeichen AGC.
Am selben Tag erfuhr unsere Friedensgemeinde, dass das paramilitärische Kommando in der Region von den Dörfern Resbalosa zum Dorf Frasquillo in der Gemeinde Tierralta Córdoba gewechselt hat. Gerüchteweise heißt es, das neue Kommando habe die Ermordung von Menschen ankündigt, um alle, die sich ihren Plänen nicht unterwerfen, aus der Gegend zu vertreiben.

Am Montag, den 25. September, erfuhr unsere Friedensgemeinde von einer Morddrohung gegen einen Bewohner des Dorfes San José de Apartadó durch die Paramilitärs, die dieses Gebiet kontrollieren. Um sein Leben zu schützen, zog es dieser Bewohner vor, aus dem Gebiet zu fliehen.

Am Dienstag, den 26. September, wurden gegen 20 Uhr Hubschrauberüberflüge in den Dörfern Resbalosa und Mulatos registriert.

Am Samstag, den 7. Oktober, wurde eine starke paramilitärische Präsenz an der Schule von Resbalosa festgestellt. Am selben Tag betraten einige der Paramilitärs unbefugt ein Privatgrundstück, das der Friedensgemeinde gehört.
Am selben Tag wurden wir vor der starken Präsenz einer Gruppe schwer bewaffneter Paramilitärs gewarnt, die auf einem Grundstück im Weiler Mulatos im Bezirk San José de Apartadó lagerten.

Am Samstag, den 4. November, wurde eine starke Präsenz von Paramilitärs in Uniform und mit Langwaffen beobachtet, die sich durch das Dorf Resbalosa bewegten und dann in Richtung Mulatos gingen.

Am Sonntag, den 5. November, wurde erneut eine starke Präsenz schwer bewaffneter Paramilitärs zwischen Mulatos und Resbalosa festgestellt. (….)

Am Dienstag, den 7. November, drangen zwei Paramilitärs in eines der Grundstücke ein, das der Friedensgemeinde gehört. (…)
Am selben Tag wurden in den Abendstunden in der Gegend von Baltazar, einem Ort östlich des Dorfes La Resbalosa, mehrere Schüsse aus Langwaffen abgefeuert. Die Motive oder das Schicksal der Zivilbevölkerung waren zunächst unbekannt.

Am Mittwoch, den 8. November, erfuhren wir, dass die Paramilitärs einem Bewohner eines der Dörfer von San José de Apartadó gedroht hatten, ihn zu töten, sollte er in das Dorf zurückkehren, in dem er seit langem lebt.
Am selben Tag riefen die Paramilitärs die Bewohner des Dorfes Resbalosa zu einer Versammlung in der Schule auf. Den Informationen zufolge kamen die paramilitärischen Kommandanten, die die Versammlung leiteten, aus dem Dorf Nuevo Antioquia in der Gemeinde Turbo. Bei dieser Versammlung unterstrichen sie die von ihnen auferlegten Verhaltensvorschriften für die Bewohner. Jeder, der sich nicht daranhalte, müsse das Dorf verlassen oder sterben.
Ebenfalls an diesem Mittwoch bemerkten wir abends Armeeangehörige, die sich Motorrädern in Richtung San José de Apartadó bewegte. Anscheinend führen sie diese Art von Ausfällen spät in der Nacht durch. Worum es dabei geht, ist unklar. Aber es ist sehr verdächtig, wenn man bedenkt, dass der Sektor eigentlich von den Paramilitärs kontrolliert wird.

Am Donnerstag, den 9. November, brach in den Morgenstunden ein Paramilitär mit zwei Funkgeräten und einem Mobiltelefon in unser Privatgrundstück La Cabaña im Dorf La Resbalosa ein. Die internationale Begleitung unserer Gemeinde, die dort präsent ist, forderte den Eindringling sofort auf, das Gelände zu verlassen. Dieser Paramilitär widersetzte sich und zog erst einige Zeit später mit Gesten ab, die besagten, dass ihn das alles nichts angehe.

Am Freitag, den 10. November, wurde unsere Friedensgemeinde auf die Anwesenheit einer Gruppe von getarnten und schwer bewaffneten Paramilitärs an einem Ort aufmerksam, der als Pulgarín-Schlucht im Weiler Mulatos Medio von San José de Apartadó bekannt ist. Am selben Tag bemerkten wir morgens die Anwesenheit einer Gruppe von Soldaten, die illegal unser Privatgrundstück La Holandecita betreten hatten, auf dem sich unsere Siedlung San Josesito befindet.

Am Samstag, den 11. November, teilte uns ein Bewohner des Dorfes San José mit, dass die Paramilitärs mehreren Landwirten in einigen Dörfern von San José de Apartadó und Tierralta Córdoba ihre Bauernhöfe weggenommen haben. Die Paras hatten befohlen, die Bauern dürften keine Flächen für den Anbau von Grundnahrungsmitteln roden, und daran hatten sich die Bauern nicht gehalten. (…)

Am Dienstag, den 14. November, erfuhr unsere Gemeinschaft vom Tod eines Zivilisten in Murmullo, Tierralta, der unter dem Namen „El Paisa“ bekannt war. Paramilitärs hatten mehrere Kugeln auf ihn abgegeben.

Am Freitag, den 17. November, drangen gegen 16 Uhr fünf berittene Paramilitärs auf unser Privatgrundstück La Cabaña in der Ortschaft La Resbalosa ein, wo am 21. Februar 2005 das Massaker von Paramilitärs und der nationalen Armee verübt wurde. Die fünf Männer waren bewaffnet und hatten Funkgeräte dabei.

Am Montag, den 20. November, wurde unsere Gemeinde von einem Mann angerufen, der sich als Mitglied des Bauunternehmens Cooperativa de Trabajo Asociado Policonstructores vorstellte und sagte, dass er eine Lizenz für die Ausbeutung von Baumaterial aus dem Apartadó-Fluss besitze. Wenn sich die Gemeinde nicht mit ihm an einen Tisch setze, werde ein anderes Unternehmen kommen und die Dinge in die Hand nehmen. Unserer Ansicht nach ist das Ökosystem durch eine derartige Ausbeutung gefährdet.

Am Mittwoch, den 22. November, wurde gegen Mittag ein junger Mann in der Nähe des Weilers La Balsa an der Straße von San José nach Apartado von zwei Männern erschossen. Dies geschah, während wenige Minuten später eine Polizeikontrolle an der Ausfahrt von Apartadó nach San José eingerichtet wurde. Wie konnte es sein, dass die Paramilitärs zur gleichen Zeit zu der eine Polizeikontrolle eingerichtet wurde, einen neuen Mord begingen? Wie auch immer, klar ist, dass die Paramilitärs alles unter Kontrolle haben.
In den vergangenen Wochen haben die Paramilitärs ihre Regeln und Befehle angepasst und genauer gefasst. Sie haben den Händlern in San José de Apartadó eine illegale Kriegssteuer auferlegt, sie haben dem Fleischhandel genaue Anweisungen gegeben, sie überwachen und kontrollieren ihn ständig, und wer versucht, die Unterordnung zu brechen, muss die Konsequenzen tragen. Diese kriminellen Praktiken und die paramilitärische Kontrolle über den Handel und andere Aktivitäten in San José de Apartadó finden trotz einer starken Militär- und Polizeipräsenz statt, die jedoch angesichts der unkontrollierten Paramilitärs und einer Regierung, die angeblich den Wandel herbeiführen will, absolut nichts unternehmen.

Auch anderswo sind Menschen ist mörderischen menschlichen Maschinen ausgeliefert. In Israel werden Hunderte von wehrlosen Menschen getötet – aber gleichzeitig hat das, was in Gaza geschieht, längst die Grenzen zur Grausamkeit überschritten. Genug von dieser Barbarei, genug ist genug.

Unsere Friedensgemeinde verurteilt offen jede Aktion, die sich gegen das Leben oder die Unversehrtheit eines Menschen richtet, und gleichzeitig bekräftigen wir unsere ethischen und moralischen Grundsätze, um inmitten des Todes weiterhin Räume des Lebens zu schaffen.

Wir danken allen, die uns moralisch unterstützen, wo auch immer auf der Erde sie seien.

Friedensgemeinde San José de Apartadó,
30. November 2023