Verlogene Verfolgungsstrategien

Unsere Friedensgemeinschaft wendet sich erneut an die Öffentlichkeit, um auf neue Übergriffe auf die Zivilbevölkerung, auf unsere Umwelt und auf unsere Friedensgemeinde hinzuweisen.

(Vorbemerkung der Übersetzung: Diese Mitteilungen aus San José beginnen mit zwei Einträgen, die auf März und Mai datiert sind und deren Aktualitätsbezug uns nicht klar ist. Wir fassen beide Einträge, die sich mit juristischen Auseinandersetzungen der Friedensgemeinde befassen, unter Auslassung zahlreicher Details zusammen. Auch später datierte, aktuelle und sehr lange Einträge kürzen wir in der Hoffnung, damit zur Lesbarkeit beizutragen.)

Es geht uns dabei um die folgenden Tatsachen:

(Der auf den 11. März 2022 datierte Eintrag befasst sich mit den bis ins Jahr 2004 zurückreichenden juristischen Auseinandersetzungen zwischen dem Jesuitenpater Javier Giraldo, einem alten Mitstreiter der Friedensgemeinde, und der Armee. Der Pater hatte in früheren Jahren gegen den mittlerweile nicht mehr aktiven General Rito Alejo del Rio wegen zahlreicher Übergriffe seiner Truppen – angefangen von Korruption über Verschwindenlassen bis zu Versuchen, die Friedensgemeinde zu vernichten – zahlreiche Klagen geführt. Neuerdings jedoch ist gegen den Pater ein Prozess eröffnet worden, und zwar von den Organen der Sondergerichtsbarkeit JEP (Jurisdicción Especial por la Paz), die 2016 im Zuge des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und der Farc-Guerrilla eingerichtet wurde. Die JEP verspricht den Übeltätern beider Seiten, sofern sie gestehen, milde Strafen und soll so zur Befriedung Kolumbiens vor allem im ländlichen Raum beitragen. Dass die JEP nun gegen den Pater vorgeht, ist dem Verfasser des Blogs Beleg dafür, dass auch die JEP genauso korrupt ist wie die reguläre Justiz Kolumbiens, über die sich die Friedensgemeinde seit Jahren enttäuscht zeigt.

Auch der zweite, auf den 6. Mai datierte Eintrag befasst sich mit der Gerichtsbarkeit. Nach Ansicht des Blogs lässt sich die Justiz von den falschen Geständnissen früherer Täter – in diesem Fall geht es um Ex-Farc-Leute – hinters Licht führen und behandelt sie deshalb viel zu milde.)

März 2022
Der Verfasser schildert einen Fall in dem auf Anordnung der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (GEP) ein Verfahren gegen Pater JAVIER GIRALDO, S.J., der Friedensgemeinde eingeleitet wurde, der aber– wie der selbst versichert – unschuldig ist. Ihm wird Paramilitarismus und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Hintergrund ist, dass er den Kriegsdienst verweigert hat und Nachforschungen zum Thema Korruption im kolumbianischen Justizsystem angestellt hat. (Übersetzt und zusammengefasst, die Übers.)

Dieses Vorkommnis zeigt, dass das GEP, (eine Organisation, die ihren Ursprung im Friedensabkommen von 2016 hat und die Erwartungen an eine Verringerung der Straflosigkeit geweckt hatte d. Übers.), in das gleiche Schema wie immer geraten ist, da sie nachsichtig gegenüber Kriminellen und feindselig und verfolgend gegenüber Whistleblowern und Opfern war.

Freitag 6. Mai 2022
Auch an diesem Tag findet wieder ein Gerichtsprozess statt, der sich nach Angaben des Blog Verfassers von Unterstellungen und falschen Zeugnissen gegen unschuldige Angeklagte wendet. (Übersetzt und zusammengefasst, die Übers. )

Am Dienstag, 26. Juli sprach ein bekannter Paramilitär aus der Gegend ein Mitglied unserer Friedensgemeinde an und drohte, dass die Friedensgemeinde früher oder später ausgerottet werde. Diese Ankündigung wurde in den letzten 25 Jahren unzählige Male wiederholt: Zuerst von den Mitgliedern der Armee, die in unseren Dörfern Verbrechen begingen, dann auch von den paramilitärischen Gruppen, die sich in der Gegend vermehrten, und in jüngerer Zeit auch von einem Vertreter von Fedecacao (dem Verband der Kakao-Farmer, Anm. d. Ü.) in der Region. (Der Beitrag an diesem Tag enthält weitere Schilderungen von Verleumdungen, Diebstahl, Bedrohungen gegen Mitglieder der Friedensgemeinde, Anm. d. Ü.)

Am Freitag, 29. Juli, erfahren wir, dass ein bekannter Paramilitär-Führer der Region die Bevölkerung der Gemeinde La Unión unter Druck setzt, damit sie ihre Kinder in Schulen außerhalb der Friedensgemeinde schicken. Gleichzeitig werden die Erwachsenen aufgefordert, sich an den Juntas de Acción Comunal zu beteiligen (in der Verfassung vorgesehene Mitbestimmungsgremien auf lokaler Ebene, die jedoch in der Praxis oft von den örtlichen Machthabern kooptiert sind, weshalb die Friedensgemeinde nichts damit zu tun haben will, Anm. d. Ü.). Außerdem sind die Bauern verschiedener Dörfer der Gemeinde San José verzweifelt, weil die Paramilitärs ihnen verboten haben, Mais, Reis und andere Produkte anzubauen; bei Zuwiderhandlung drohen die Paras Geldbußen zwischen 5000 und 10 000 Pesos an (ein bzw. zwei Euro. Leider erwähnt der Blog die Hintergründe dieses Verbotes der Subsistenzlandwirtschaft nicht. Vermutlich sollen die Bauern cash crops, also vermarktungsfähige Produkte, anbauen und ihre Lebensmittel, statt sie selber anzubauen, kaufen; von beidem würden die Paras profitieren. Anm. d. Ü.).

An demselben Tag ist es im Dorf Alto Joaquín, in der Gemeinde Tierralta (Departement Córdoba) offenbar zu Kämpfen zwischen Truppen der Armee und Paramilitärs gekommen. Diese Konfrontation ereignete sich in der Nähe der Felder von Mitgliedern unserer Friedensgemeinschaft. Nach den Kampfhandlungen verboten das Militär und die Paramilitärs den umliegenden Bauernfamilien zwei Tage lang, ihre Häuser zu verlassen. Damit waren sie praktisch gefangen und konnten nicht auf den Feldern arbeiten, die einzige Lebensgrundlage der Familien.

Am Donnerstag, 4. August, haben wir erfahren, dass ein Mitglied des in unserer Gegend stationierten Minensuch-Bataillons immer wieder junge Mädchen aus dem Ortsteil La Unión zu verführen versucht. Der Soldat mit dem Spitznamen „Caballo“ (Pferd, Anm. d. Ü.) lockt die Heranwachsenden mit Geld oder Mobiltelefonen an und missbraucht sie.

Am Montag, 15. August, wurde der Leichnam von Cristobál Mesa mit Spuren schwerer Gewaltanwendung nahe dem Stadtzentrum von San José de Apartadó gefunden. Cristóbal, der unserer Friedensgemeinde nahestand, war zuvor schon häufig bedroht worden, sodass Schutz für ihn beantragt worden war. Die Stelle, an der er gefunden wurde, liegt in einer Gegend, die vollständig unter der Kontrolle der Paramilitärs steht, obwohl sich in der Nähe sowohl eine Militärbasis als auch eine Polizeiwache befindet. – Außerdem fällt auf, dass am selben Tag ein anderer junger Mann, Juan Camilo Higuita Usaga, ebenfalls aus dem Gebiet San José ertrunken aufgefunden wurde.
Am Samstag, 20. August, hat Staatspräsident Gustavo Petro (der im Juni als erster linker Politiker gewählt und Anfang August das höchste politische Amt Kolumbiens angetreten hatte, Anm. d. Ü.) formell das Kommando der Streitkräfte Kolumbiens übernommen. In seiner Antrittsrede kündigte Petro ein Bündnis zwischen den Streitkräften und der Bauernschaft an; die Armee könne beispielsweise Bewässerungssystem und Brücken bauen. Diese Idee löst allerdings in der Bevölkerung große Sorge aus, denn das würde eine ständige Präsenz der Streitkräfte auf dem Land bedeuten. Eine Allianz zwischen dem Militär und dem zivilen Sektor hat ja letztlich auch zum Paramilitarismus geführt, der laut den Abschlussberichten der Wahrheitskommission für 47% der Opfer des sozialen und bewaffneten Konflikts verantwortlich ist.

Wir als Friedensgemeinde bitten den neuen Präsidenten, diese falsche Strategie zu überprüfen. Sie ist fatal für die Zukunft unseres Landes, und sie ist ein bedauerlicher Missgriff unter all den sozialen Veränderungen, die sich die neue Regierung vorgenommen hat. (Gekürzt, Anm. d. Ü.)

Montag 22.August 2022
In den letzten Tagen wurden 2 Mitglieder unserer Friedensgemeinde ausgeraubt. Gestohlen wurden Dinge des täglichen Bedarfs, Werkzeuge und private Utensilien. Die Paramilitärs zeigen in dieser Gegend zur Zeit eine hohe permanente Präsenz , fahren die Straßen entlang nähern sich den zivilen Häusern. Sie sind mit Funkgeräten und Handfeuerwaffen ausgestattet und hinterlassen die geplünderten Häuser.
Alle diese Aufzeichnungen sollen unser Leiden dokumentieren, aber gleichzeitig auch unsere Hoffnung zeigen, denn wir sind überzeugt, dass die Erinnerung an unsere Brüder und Schwestern, die als Märtyrer gestorben sind, uns stärkt und dass ihr Opfer nicht umsonst war.

Friedensgemeinde San José de Apartadó, 25. August 2022

Wir müssen Golgatha noch einmal erleben

In dieser Zeit, in der sich die christliche Welt an das Leiden Christi erinnert, pflegen wir als Friedensgemeinschaft eine Tradition, die bis in die ersten Jahre ihres Bestehens zurückreicht. Besonders am Karfreitag fühlen sich zahlreiche Mitglieder durch eigene Trauer um verstorbene Familienmitglieder und Freunde tief mit der Passion, dem Leiden und dem Tod Christi verbunden. In diesem Jahr stiegen wir vom ökologischen Dorf Rigoberto Guzmán ab, durch die Dörfer La Unión und El Cuchillo, bis wir unser Gemeindezentrum San Josecito erreichten. Wir erinnerten uns erneut an die Grausamkeit und Barbarei zu der unser kolumbianischer Staat fähig ist, an seine Foltermethoden und Lügen, die sich nicht von Pontius Pilatus und seinen römischen Soldaten oder den mörderischen Wachen des jüdischen Sanhedrin unterscheiden.

Auf unserem Weg des Leidens und des Schmerzes, den einige unserer Brüder durchmachten, fühlten wir, dass ihr Leben und ihr Vermächtnis in uns mit neuer Vitalität wiederbelebt wurden.

Wieder einmal wendet sich unsere Friedensgemeinschaft an die Menschheit mit den Schilderungen der Taten, die von Paramilitärs und der Armee begangen wurden:

Am Sonntag, den 3. April 2022, wurden im Stadtzentrum des Dorfes La Unión, im Corregimiento von San José de Apartadó, zwei lokale Kaufleute vom paramilitärischen Adolfo Guzmán bedroht. Dieser Paramilitär ist verantwortlich für die Versorgung von Jugendlichen und Minderjährigen mit psychoaktiven Substanzen und versucht Kinder aus der öffentlichen Schule des Dorfes, davon abhängig zu machen. Mehrmals hat er diese Substanzen in die Schule gebracht.

An mehreren Tagen (Dienstag, den 5. April 2022, Donnerstag, den 7. April 2022, Samstag, den 9. April 2022) wurden Menschen in typischer Militärkleidung in Verstecken entdeckt, die das Leben im Dorf beobachteten.

Am Freitag, den 8. April 2022, konnte ein Mitglied unserer Gemeinde im Dorf La Unión die Anwesenheit von Militärtruppen feststellen, die in einer Kakaoernte stationiert sind, die er derzeit verwaltet. Das Militär beschädigte nicht nur Kakaobäume, sondern zerstörte auch reife Kakaokolben.

Am Freitag, dem 15. April 2022, während sich unsere Gemeinschaft darauf vorbereitete, die dritte Station des Kreuzweges in dem Gebiet durchzuführen, in dem am 17. Mai 1992 ein grausames Massaker von der Nationalarmee verübt wurde, war sie überrascht von der Anwesenheit von Militärpersonal, das genau den Raum besetzte, in dem das Verbrechen ausgeführt wurde. Die Militärtruppen lagerten genau dort, wo 3 unserer Bauern aus dem Dorf La Unión gefoltert, an die Bäume gefesselt, zerrissen und getötet wurden. Die Soldaten, die an diesem Karfreitag in diesem Erinnerungsraum anwesend waren, zuckten weder vor den Geschichten zurück, noch kam es ihnen in den Sinn, sich dafür zu schämen, Mitglieder eines so kriminellen Staates zu sein, der alle seine Verbrechen in absoluter Straflosigkeit verübt. Wir empfinden dies als einen weiteren Affront gegen unsere Würde und unser Gedächtnis.

Wann immer wir die Erinnerung an unsere Leiden erneuern, erneuern wir auch unsere Gefühle der Dankbarkeit gegenüber vielen Menschen und Gemeinschaften in Kolumbien und der Welt, die spirituell mit uns gehen und uns mit belastbarer Energie erfüllen.

Comunidad de Paz de San José de Apartadó, 18.April 2022

„Bewaffneter Ausstand“ – eine Schande für die Regierung

Erneut wendet sich unsere Friedensgemeinde an die Öffentlichkeit, um neue Tatsachen bekanntzugeben, die das gemeinsame Vorgehen von Paramilitärs und Staat beweisen.

Unsere Region befindet sich weiterhin in einem Teufelskreis, in dem das soziale und bäuerliche Leben unterdrückt wird, in dem bedroht, gefoltert und getötet wird. Es ist stets der Paramilitarismus, der sich durchsetzt und dem die gesamte Bevölkerung gehorchen muss – und wer das nicht tut, muss die bitteren Konsequenzen tragen.

Wie lange wird die Regierung noch zulassen, dass diejenigen, die das Land für einen bescheidenen Lebensunterhalt ihrer Familien bewirtschaften, weiterhin bespitzelt, bevormundet, beherrscht werden? – Es ist eine Schande, dass die Regierungen in Bogotá, während sie im Amt sind, hunderttausende von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht zulassen, darunter auch die Morde an Führungspersönlichkeiten in den letzten Monaten. Diese Haltung führt dazu, dass die Opfer dem Vergessen anheimgegeben werden, während die Täter in den Genuss absoluter Straflosigkeit kommen. Was für ein Schmerz!

Der Paramilitarismus ist nach wie vor die größte Macht, die stets bereit ist, die Drecksarbeit zu erledigen, die die staatlichen Institutionen nicht selbst machen können. Urabá (die an den Atlantik grenzende Region des Departements Antioquia, in der San José de Apartadó liegt, Anm. d. Ü.) ist ein Beispiel dafür, weil hier die 17. Heeresbrigade und die Polizei die Garanten und Verbündeten der Paramilitärs waren. Bei vielen Gelegenheiten operierten sie gemeinsam, um Massaker in Urabá und auf dem Land zu verüben, deren Opfer sich oft als „falsos positivos“ herausstellten (Die kolumbianische Armee hat, wie sich vor Jahren herausstellte, bewusst nichtkämpfende Zivilisten ermordet und die Leichen dann als die von getöteten Guerrilleros ausgegeben – ein Skandal, der unter dem Stichwort „falsos positivos“ in die kolumbianische Geschichte eingegangen ist, Anm. d. Ü.).

Heute sieht es nicht so aus, als ob diese Allianzen ein Ende hätten. Denn die Paramilitärs, die sich AGC nennen, haben die absolute Kontrolle über das gesamte Gebiet. Sie koexistieren sogar mit den staatlichen Ordnungskräften in San José, Nuevo Antioquia, Piedras Blancas und anderen Dörfern in Urabá, und es besteht nicht das geringste Interesse, diese paramilitärischen Strukturen aufzulösen. (Die AGC – Autodefensas Gaitanistas de Colombia – sind eines der mächtigsten Drogenkartelle des Landes. Früher Los Urabeños und Clan Úsuga genannt, wird die Stärke der AGC auf 3000 Mann geschätzt. Die Gruppe, die auch Clan del Golfo genannt wird, weil der Golf von Urabá ihre ursprüngliche Heimat ist, spielt eine entscheidende Rolle im weltweiten Kokain-Geschäft; sie unterhält Handelsverbindungen mit der Organisierten Kriminalität in Mexiko ebenso wie mit der italienischen. Als im Oktober 2021 ihr Chef Dario Antonio Úsuga David, genannt Otoniel, festgenommen wurde, triumphierte Präsident Iván Duque, nun seien die Tage der AGC gezählt. Aber ob geschwächt oder nicht – für die Friedensgemeinde hat sich an der Vorherrschaft der AGC nichts geändert. Anm. d. Ü.)

Die Präsidentschaftswahlen stehen vor der Tür (erster Wahlgang am 29. Mai, Stichwahl am 19. Juni wahrscheinlich, Anm. d. Ü), und die verschiedenen gemeinsamen Aktionen der Akteure, die unser Land regiert, verkauft und ausgeblutet haben, sind offensichtlich. Sie suchen nach einer Möglichkeit, sich weiterhin an der Macht zu halten, und setzen dabei auf die Korruption in den bestehenden Kontrollorganen der verschiedenen staatlichen Institutionen. Hoffentlich setzen sich die guten Ideen für ein besseres Land durch, denn es ist Zeit für einen Wechsel dieser Diktatur, die das Land nur zerstört und ruiniert hat.

Die neusten Ereignisse bei uns:

Am Karfreitag, 15. April, fand im Dorf La Esperanza in der Gemeinde San José eine Veranstaltung statt, bei der als „El Cochero“ bekannte Paramilitär inmitten einer großen Menschenmenge seine Hochzeit feierte. Diese Figur kam vor einiger Zeit als Paramilitär in das Dorf El Porvenir, um dort die Kontrolle auszuüben.

Am Freitag, 22. April, fand im Dorf La Unión, im Corregimiento (Landkreis) von San José de Apartadó, ein Tag der kollektiven Arbeit zur Instandsetzung der nicht asphaltierten Straße statt, der von der örtlichen Junta de Acción Comunal (Mitbestimmungsgremium auf kommunaler Ebene, meist von den örtlichen Herrschenden kooptiert, Anm. d. Ü.)  gefördert wurde und an dem Mitglieder der 17. Heeresbrigade teilnahmen. Dabei verlas ein Vertreter der Armee die öffentliche Erklärung unserer Friedensgemeinde vom 18. April, in der wir die enge Zusammenarbeit von Paramilitärs und der Armee angeprangert und Beweise dafür vorgelegt hatten. Der Uniformierte sagte spöttisch, wir würden sicherlich auch diesen Tag der kollektiven Arbeit anprangern. Nebenbei stellte sich heraus, dass der Uniformierte unsere Berichte und Beschuldigungen schlicht zurückweist. Er sagte, er habe die Ladenbesitzer von La Unión nach Hinweisen auf den Paramilitär mit dem Aliasnamen Adolfo Guzmán befragt – aber wie kann man die Opfer in Anwesenheit des Täters befragen? – Denn Guzmán befand sich während der Befragung ganz in der Nähe der Militärs und der Händler, wie wir gesehen haben. Guzmán hatte am 3. April in La Unión Ladeninhaber bedroht (…) Guzmán wohnt in einem Haus neben den Einrichtungen der Armee, die dem Minensuch-Bataillon Nr. 6 angehören. Aber angeblich kennt ihn niemand – am wenigsten die Militärs. (…)

Am Sonntag, 24. April, als sich eine Kommission unserer Friedensgemeinschaft in das Dorf La Resbalosa begab, wurde festgestellt, dass dort mehrere bekannte Paramilitärs anwesend waren (…).

Ebenfalls am Sonntag, 24. April, wurde unsere Friedensgemeinde in dem Dorf La Resbalosa über Drohungen eines Paramilitärs gegen die Lehrerin des Dorfes informiert. Der Paramilitär sagte der Lehrerin, ihre Tage seien gezählt. Sie wurde mittlerweile an eine andere Schule versetzt.

Am Montag, 25. April, fanden Mitglieder unserer Friedensgemeinde bei der Ausbesserung der Gemeindestraße in dem schlammigen Gebiet des Dorfes Mulatos einen Sprengsatz, der neben der Straße angebracht war. Dem schlechten Zustand des Sprengsatzes nach zu urteilen, hatte er schon viele Jahre dort gelegen. Solche Minen werden angeblich vom Minenräumungs-Bataillon Nr. 6 entschärft. Offenbar sind Millionen von Dollar in diese Operationen investiert worden, ohne dass freilich bisher nennenswerte Fortschritte bei der Minenräumung erzielt wurden. Wir glauben, dass die Präsenz des Bataillons bei uns ganz anderen Interessen dient. Ihre soziale Integration ist eher ihr Ziel als die Suche nach Sprengkörpern.

Ebenfalls am Montag, 25. April, wurde unsere Friedensgemeinde im Dorf Mulatos (…) auf die ständige Anwesenheit des Paramilitärs alias Gripin bei Versammlungen und anderen Aktivitäten im Gemeinschaftshaus aufmerksam. Dieser Paramilitär, der in der Gegend den Ton angibt, wohnt in dem Haus im Dorf Mulatos Medio.

Am Donnerstag, 5. Mai, erhielten wir die Information, dass die Paramilitärs einen sogenannten bewaffneten Ausstand ausgerufen hatten, der vom 5. bis zum 10. Mai dauern sollte.  Am Nachmittag wurden der Handel und der Verkehr eingestellt.  Eine Gruppe von Schülern aus Arenas Altas, die sich mit anderen Schülern in La Unión treffen wollten, wurde von Paramilitärs abgefangen, die die jungen Leute aufforderten, in ihre Häuser zurückzukehren. Am Freitag, 6. Mai, zeigte sich, dass der von den Paramilitärs angeordnete Ausstand befolgt wurde. Einkaufszentren, Büros, der Verkehr und alle Aktivitäten im Allgemeinen waren auf Befehl der Paramilitärs lahmgelegt, Autos gingen in Flammen auf. (Die AGC hatte den „bewaffneten Ausstand“ landesweit aufgerufen, weil ihr im vergangenen Herbst festgesetzter Führer „Otoniel“, siehe oben, an die USA ausgeliefert wurde. In elf der 32 Departements wurden die Anordnungen der Paras mehr oder weniger strikt befolgt, sechs Menschen wurden getötet, 180 Autos wurden beschädigt, die meisten davon angezündet. – Dass die AGC die Macht hat, solche Aktionen anzuordnen und durchzusetzen, dementiert nach Meinung von Beobachtern die triumphierende Aussage von Präsident Duque, die AGC seien durch Otoniels Festnahme am Ende. Anm. d. Ü.)

Wir fragen uns: Wo sind die staatlichen Sicherheitskräfte? Was ist aus der Rechtsstaatlichkeit geworden? Ist das nicht der Beweis, dass der Staat von den Mafias und ihren politischen Helfershelfern gekapert ist? – Es ist offensichtlich, dass uns die Waffen nicht befreien, sondern im Gegenteil versklaven.

Am Freitag, 6. Mai, wurde bekannt, dass zwei Paramilitärs am Tag zuvor in La Unión den Händlern befahlen, ihre Geschäfte zu schließen, und die Bevölkerung aufforderten, den geplanten kommunalen Arbeitseinsätze abzusagen.  Auch persönlichen Aktivitäten außerhalb des Hauses, also etwa Feldarbeit, untersagten sie. Diese beiden Paramilitärs machen ungeniert ihre Runden im Stadtzentrum von La Unión und stießen ihre Verbote und Drohungen aus. Dabei gibt es in La Unión   eine starke Militärpräsenz. Die Armee hatte ja sogar die Gemeinschaftsarbeiten mit der Junta de Acción Comunal geplant. Aber sie zog es vor, sich der paramilitärischen Kontrolle zu beugen.

Am Freitag, 6. Mai, waren im Stadtgebiet von San José die Geschäfte geschlossen. Die Gemeinde war eine Geisterstadt, kein einziger Soldat, kein einziger Polizist war dort zu sehen, nicht einmal in den Militärgarnisonen. Die Soldaten und Polizisten sind eingesperrt.  Das alles beweist, wie nachsichtig die Regierung den Paramilitärs gegenüber ist. Die Regierung erlaubt ihnen einfach die Kontrolle und Unterwerfung der Zivilbevölkerung. Sodass San José und seine umliegenden Dörfer zu einem Tummelplatz für die Paramilitärs und die Sicherheitskräfte geworden sind, die ungestört und in aller Ruhe und Freiheit ihre Verbrechen verüben können.

Jedes Mal, wenn wir uns an unsere Leiden erinnern, erneuern wir auch unsere Dankbarkeit gegenüber den vielen Menschen und Gemeinschaften in Kolumbien und im Ausland, die im Geiste an unserer Seite stehen.

Friedensgemeinde San José de Apartadó, 6. Mai 2022

Die Zeit vergeht nicht, ohne Spuren zu hinterlassen

Einmal mehr hat unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó die ethische und moralische Verpflichtung, Zeugnis abzulegen von dem, was wir erleben und erleiden. In den letzten Tagen ist uns bewusst geworden, dass unser erstes Vierteljahrhundert als Friedensgemeinschaft vergangen ist. Das zwingt uns zurückzublicken, um die Irrungen und Wirrungen unseres Weges zu verstehen. Die Erschütterungen und Ängste hören nicht auf, aber wir streben nicht nur nach Ruhe, sondern vor allem nach Zusammenhalt und Aufrichtigkeit. Wir sind nach wie vor vom Paramilitarismus umgeben und bedroht, der sich immer mehr zu einer staatlichen Macht entwickelt. Die Paras handeln am helllichten Tag, bedrohen jeden und haben nichts zu befürchten, weil sie vom Staat geschützt werden. Wir können nicht schweigen, sondern müssen dies alles bekannt machen.

Heute wollen wir die folgenden Fakten festhalten:

Seit den letzten Februarwochen 2022 haben in der Region bekannte paramilitärische Kommandanten verstärkt einige frühere Kämpfer der ehemaligen FARC-EP verfolgt, die sich an die Friedensvereinbarungen (von 2016, zwischen der Regierung und der linksgerichtete FARC-Guerrilla, Anm. d. Ü.)  halten und nun als Zivilisten auf dem Land arbeiten, das sie vor Jahren verlassen haben, um sich einem Krieg anzuschließen, den sie nicht mehr fortsetzen wollten. Berichten zufolge geht es um die unter den Aliasnamen El Iguano, Deivis, René, El Viejo und John Jairo bekannten Paramilitärs, die allesamt früher in der Guerrilla gekämpft haben und später zum Paramilitarismus übergewechselt sind. Sie versuchen nun andere ehemalige Kämpfer der FARC-EP, die jedoch das Friedensabkommen achten und das Kämpfen satthaben, dazu zu zwingen, sich dem Paramilitarismus anzuschließen. Gleichzeitig rekrutieren die Paras intensiv Minderjährige in der Gegend.  Es heißt, dass einige dieser Paras, weil sie als FARC-Kämpfer demobilisiert wurden, von den Demobilisierungs-Vorteilen profitieren, obwohl sie insgeheim längst als Paramilitärs aktiv sind.

In der vierten Februarwoche 2022 wurde im Stadtzentrum von Apartadó ein Einwohner des Dorfes San José de Apartadó, das in der Nähe unserer Gemeinde liegt, von zwei in der Gegend bekannten Paramilitärs angesprochen. Der Mann wurde von den beiden gegen seinen Willen zu einem regionalen paramilitärischen Kommandeur gebracht, der ihn langwierigen Verhören über die Bewegungen und Aktivitäten der Anführer und der Friedensgemeinschaft unterzog. Später wurde er freigelassen, weil er keine Informationen offenbaren konnte, die für die Paras von Interesse waren.

Am Sonntag, den 27. Februar 2022, wurden im Haus von Familien unserer Gemeinde im Dorf Arenas Altas in der Gemeinde San José de Apartadó ein Sack Reis, ein Schlauch und andere Gegenstände und Lebensmittel gestohlen, als niemand im Haus war. Der Vorfall steht in einem besorgniserregenden Kontext, denn schon vorher hatten sich Paramilitärs den Höfen in der Absicht genähert, das Eigentum der Friedensgemeinschaft zu identifizieren. So erklärte das der Verwalter des Hofs, der dem Paramilitär El Viejo gehört. Es heißt, sie wollten in das Gemeinschaftseigentum in Arenas Altas eindringen.

Am 2. März 2022 wurde unsere Friedensgemeinschaft in den Morgenstunden auf die Anwesenheit einer Gruppe von Militärangehörigen aufmerksam, die sich auf unserem Land in La Roncona aufhielten. Unsere Gemeinschaft begab sich vor Ort und forderte höflich den Rückzug des Militärs. Einige Minuten später sammelten die Soldaten ihre Sachen ein, zogen ab und sagten, sie hätten nicht gewusst, dass das Grundstück unserer Friedensgemeinschaft gehörte. Allerdings ist das Land durch Schilder und Zäune deutlich als unser Eigentum ausgewiesen.

Am Donnerstag, den 3. März 2022 gegen 10 Uhr, betrat ein Militärkontingent, willkürlich das Haus von Arley Tuberquia, Mitglied des Internen Rates unserer Friedensgemeinschaft, der sich zu diesem Zeitpunkt nicht im Haus befand.

Das Militärkontingent, das im Dorf La Unión stationiert ist und angeblich das Entminungsbataillon Nr. 6 der Armee schützt, führt eine undurchsichtige und umstrittene humanitäre Entminung durch. Das Haus wurde von den Militärs widerrechtlich fotografiert.  Sofort forderten die anwesenden Gemeindemitglieder die Soldaten auf, den Ort zu verlassen, das Haus nicht mehr zu fotografieren und die Aufnahmen zu löschen. Die Soldaten reagierten wütend und herrisch, bedrohten und beschimpften die Gemeinde und erklärten, sie würden zwar gehen, aber die Aufnahmen nicht löschen. Sie verließen langsam den Ort, aber nicht bevor sie Fotos von der Familie gemacht hatten. Bereits im Oktober 2021 war Tuberquia im Departement Boyacá eine Aktentasche mit wichtigen Dokumenten der Gemeinschaft abgenommen worden, ein Vorfall, der sich in die Liste der Angriffe einreiht, die verschiedene staatliche Institutionen gegen unseren Gemeinschaftsprozess unternehmen.

Am Donnerstag, den 25. März 2022 gegen 7 Uhr morgens, störte eine Gruppe von Angehörigen des Minenräumbataillons Nr. 6 der Armee die Gemeinschaftssiedlung im Friedensdorf Rigoberto Guzmán, Privatbesitz unserer Friedensgemeinschaft im Dorf La Unión.

In den letzten Wochen des März verbreiteten sich im Stadtzentrum von San José und in einigen Dörfern Gerüchte, dass die Paramilitärs planen, in die Friedensgemeinde einzudringen, und zwar sich als gewöhnliche Kriminelle ausgebend, sodass ihre Übergriffe nicht den Paramilitärs zugeschrieben würden. Auf diese Weise hätte die Justiz tausend Ausreden, um die Tat ungesühnt zu lassen, ohne die Paramilitärs auch nur zu erwähnen.

Rückschau auf ein Vierteljahrhundert

Am 23. März beging unsere Friedensgemeinschaft ihr 25-jähriges Bestehen. Am 23. März 1997 wurde in Anwesenheit und in Begleitung des Bischofs von Apartadó, Monsignore Tulio Duque Gutiérrez und von Mitgliedern des Europäischen Parlaments in der kleinen Schule von San José de Apartadó unsere „Öffentliche Erklärung der Friedensgemeinschaft“ verkündet. Ziel war es, dass der Staat und alle bewaffneten Akteure ihre Bemühungen einstellen, die Zivilbevölkerung in den Krieg zu verwickeln. Diese Strategie ist jedoch in den geheimen Instruktionen festgelegt, die der Staat seit den 1960er Jahren erstellt hat und die gegen alle internationalen Normen für bewaffnete Konflikte verstoßen.

Der Staat zog es vor, seinen kriminellen Weg zu gehen und bombardierte als Antwort auf unsere Erklärung 27 der 32 Dörfer von San José. Gleichzeitig bekamen die Paramilitärs den Befehl, alle noch bewohnten Dörfer aufzusuchen und die Bewohner darüber zu informieren, dass sie innerhalb von vier Tagen die Region verlassen müssen, wenn sie nicht sterben wollten.

Im vergangenen Vierteljahrhundert haben wir mindestens 307 außergerichtliche Hinrichtungen in unserem Gebiet gezählt. Davon fanden 53 im Vorfeld der Gründung unserer Gemeinschaft statt. Weitere 194 Menschen starben in den ersten 21 Jahren des friedlichen Widerstands, von denen 138 formelle Mitglieder unserer Gemeinschaft waren und 56 aus dem familiären und sozialen Umfeld stammten. Die FARC-EP hat in diesem Zeitraum 46 Bauern aus der Region getötet, darunter 18 Mitglieder unserer Gemeinschaft und 28 aus unserem sozialen Umfeld. Über die übrigen 14 haben wir wegen des Terrors und der Vertreibungen nur unsichere Informationen.

Aber abgesehen von den zerstörten Leben hat unsere Gemeinschaft alle Arten von Gewalt und Demütigung erlitten, mehr als 1500 Taten, die die Juristen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnen, da sie nicht nur ihre individuellen Opfer verletzen, sondern sich gegen die Menschheit als solche richten: gewaltsames Verschwindenlassen, Folter, Vertreibungen, wahllose bewaffnete Angriffe,  Freiheitsberaubung, juristische Farcen, Zwangsumsiedlungen, Hungerbelagerungen, illegale Volkszählungen, Besetzung von Privatgrundstücken, Brandstiftung an Häusern und Ernten, Diebstahl und Zerstörung von Haustieren, Vieh und Lebensmitteln, sexueller Missbrauch, Leichenschändung, Verleumdung, Diffamierung, Stigmatisierung, Falschinformationen, Drohungen, Knebelung oder Versuche, Strafanzeigen durch verfassungswidrige juristische Schritte zu unterbinden.

Obwohl die Interamerikanische Kommission und der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte fast von Anfang auf Maßnahmen zu unserem Schutz gedrungen haben, sind Jahrzehnte vergangen, ohne dass der kolumbianische Staat ihren Anordnungen Folge geleistet hat. Auch das Verfassungsgericht wurde verhöhnt, indem drei seiner Urteile in der Sache und mehrere seiner Folgebeschlüsse missachtet wurden. Aber es scheint, dass sich das Gericht nicht um die Missachtung seiner eigenen Sprüche kümmert, was das schreckliche Chaos erklärt, das Kolumbien erlebt. Der Internationale Strafgerichtshof eröffnete 2006 die Akte über unsere Friedensgemeinschaft. Wir sind sicher, dass alle 1500 angezeigten Verbrechen die vom Römischen Statut geforderte Systematik und Schwere aufweisen (Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ist die vertragliche Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs mit Sitz in Den Haag, Anm. d. Ü.) und dass die mehr als 90 Dokumente, die wir den Staatschefs geschickt haben, die Verwicklung derjenigen aufzeigen, die nach unserer Verfassung für diese Verbrechen die Verantwortung tragen. Nun heißt es, dass diese Taten im Rahmen der Sondergerichtsbarkeit, die das Friedensabkommen von 2016 vorsieht, behandelt werden sollen. Das ist jedoch falsch, weil das Friedensabkommen Strafnachlass nur für jene Täter vorsieht, die gestehen und damit zur Aufklärung konkreter Verbrechen während des bewaffneten Konfliktes beitragen wollen. Worum es bei uns jedoch geht: Die Angriffe eines Bewaffneten gegen einen Unbewaffneten können unmöglich als Kampfhandlung des bewaffneten Konfliktes betrachtet werden – es sei denn aufgrund von schweren Manipulationen und üblen Absichten.

Wir haben 25 Jahre lang durchgehalten, wir werden bedroht, wir haben die bittere Erfahrung der  Vernichtungsmethoden gemacht, die der Staat in dieser Zeit gegen uns angewandt hat: die physische Ausrottung durch Ermordung; die ideologische Stigmatisierung, bei der uns selbst der Präsident Kolumbiens als „Guerilla-Hilfstruppen“ bezeichnete; die Herabwürdigung durch die Medien, sowohl Presse, Fernsehen als auch Radio; die biologische Ausrottung durch Hungerbelagerungen, die juristische Kriminalisierung, die Feldzüge des Justizapparats  mit falschen Beweisen und falschen Zeugen; die soziale Ausgrenzung, bei der der Gemeinschaft auch geringste Haushaltsmittel verweigert werden, auf die sie aufgrund ihres Steuer-Beitrags Anspruch hat; das Angebot geringfügiger Zahlungen an die Angehörigen von Verbrechensopfern, damit sie auf juristische Schritte verzichten.

Unser Festtag

Unser 25. Jahrestag war eine schlichte, eintägige Feier. Wir wurden von fünf Delegierten der diplomatischen Dienste in Kolumbien begleitet: Deutschland, Österreich, Belgien, Kanada und Schweden. Als sie ankamen, schlossen sie sich einem Marsch an, der von La Roncona ausging, von dem unsere Gemeinschaft in den letzten zwei Jahrzehnten einen großen Teil ihrer Nahrungsmittel gewonnen hat und das man uns nun mit absurden Interpretationen des Landgesetzes wegnehmen will. Dort erfreuten uns die Delegierten der Botschaften mit einer schönen Geste der Solidarität, indem sie einige Obst-Bäume pflanzten.  Dann wurde an dem Ort der Tragödie, an dem Paramilitärs aus dem Ortsteil San José mit Waffen eintrafen, um am 29. Dezember 2017 den Rechtsvertreter der Gemeinschaft und andere Mitglieder des Internen Rates zu ermorden, die Einleitung der vor 25 Jahren verkündeten Erklärung verlesen. Anschließend wurden im zentralen Gebäude von San Josecito einige Ausstellungen über unsere Geschichte und unsere Probleme gezeigt. Wir haben Botschaften von zahlreichen Gemeinden gehört, die das Ereignis von weit her verfolgten. Die 25 Geburtstagskuchen waren schnell aufgegessen, und wir haben das Fest ausführlich fotografisch dokumentiert.

Theater- und Musikgruppen und alte Freunde begleiteten uns an einem Tag, der Teil des Gedenkens an dieses Lebens- und Widerstandsprojekt ist. Wir haben nicht die Absicht aufzugeben, selbst unter Einsatz des Lebens. Wir harren aus, weil wir davon überzeugt sind, dass jede andere Alternative eine Preisgabe von Prinzipien bedeutet, die uns ihre Gültigkeit und ihre Wahrhaftigkeit bewiesen haben.

Mit erneuter Dankbarkeit, nachdem wir auf unsere Geschichte zurückgeblickt haben, grüßen wir all diejenigen, die uns aus den entferntesten Winkeln Kolumbiens und der Welt begleitet, ermutigt und unterstützt haben, ohne uns zögern zu lassen.

San José de Apartadó, 1. April 2022

San José de Apartado – Gedenktag

Der 21. Februar war ein schrecklicher Tag für San José de Apartadó und veränderte das Leben der Friedensgemeinde nachhaltig. Jedes Jahr gedenken sie dieses schicksalhaften Tages und wenden sich damit auch an die Öffentlichkeit an die Grausamkeiten  zu erinnern. Wir haben ihre Geschichte zusammengefasst aber wir verweisen auf den ausführlichen Bericht der pbi.

Der aktuelle Blog Eintrag beschäftigt sich mit dem Gedenktag an das Massaker am 21.Februar 2005. Das Massaker, dem 8 Einwohner der Friedensgemeinschaft zum Opfer fielen (4 Minderjährige, das jüngste Opfer 20 Monate alt). Unter den Opfern auch der Leiter und Gründer der Friedensgemeinschaft Luis Eduardo Guerra und der Koordiantor der humanitären Zone von La Resbalosa Alfonso Bolivcar Tuberquia Graciano samt ihrer Kernfamilien. Die Paramilitärs gemeinsam mit der 17. Heeresbrigade ermordeten und zerstückelten diese friedlichen Bauern und warfen sie in ein Massengrab. Diese Ereignisse, die den Widerstand der Friedensgemeinschaft nachhaltig prägten, zeigten die Niedertracht eines Krieges, der nicht die bewaffneten Rebellen bekämpft, sondern die Bauern, die inmitten von so viel Gewalt auf Frieden setzen.

Die Bearbeitung des dramatischen Vorfalls stellte nicht etwa die Schuldigen an den Pranger, sondern verwiesen die Schuld an die Guerillagruppe FARC, bzw.          unterstellten führenden Persönlichkeiten der Friedensgemeinschaft mit FARC Rebellen zusammengearbeitet zu haben. Auch 17 Jahre danach müssen Straflosigkeit, fehlende Beiträge zur Wahrheitsfindung und fehlende Entschädigung der Opfer konstatiert werden.

Zusammenfassung eines Artikels von pbi und eines Blogeintrags der Friedensgemeinde.

Ein trauriges Weihnachten. Erklärung der Friedensgemeinschaft zum Mord an Huber Velásquez

Als Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó sind wir an diesem Ort, an dem am vergangenen Freitag, dem 17. Dezember, der soziale Führer und Bürgerbeobachter HUBER VELASQUEZ von den bewaffneten Streitkräften, die unsere Region beherrschen, ermordet wurde. Unsere Anwesenheit ist ein Ausdruck des Protestes und der Verurteilung der kriminellen Strukturen, die die nationale Macht ausüben, geschützt durch absolute Straflosigkeit.

Unsere Gemeinschaft ist seit ihrer Gründung vor 25 Jahren Opfer derselben Verfolgungs- und Vernichtungsstrategie geworden, und wir mussten mehrere hundert unserer Mitglieder und Mitarbeiter unter Schmerzen begraben und vergeblich darauf warten, dass die Justiz wenigstens ein Urteil spricht und dieses Blutbad beendet.

Alle unsere Hoffnungen wurden enttäuscht und so mussten wir einen radikalen Bruch mit der Justizbehörde vollziehen, da wir von den obersten Gerichten nicht angehört wurden. Wir riefen sie ja an, um das erschreckende Ausmaß an Korruption zu untersuchen, das das Justizsystem in dieser Region schon immer geprägt hat.

Das Verbrechen, das Huber Velásquez das Leben kostete, ist ein weiterer Versuch die sozialen Basisbewegungen in Kolumbien zu zerschlagen. Mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens im Jahr 2016 begann eine bis dahin selten dagewesene Zunahme von Ermordungen sozialer Führungspersönlichkeiten sowie die Eliminierung von mehreren Hundert ehemaligen Kämpfern, die die Abkommen unterzeichnet hatten und in den Demobilisierungsprozess integriert worden waren. Die Unterdrückung der sozialen Proteste, die im April dieses Jahres begann, hat nicht nur die Verbrechen der Morde, des Verschwindenlassens, der Folter und der willkürlichen Freiheitsberaubung verstärkt, sondern auch ein erschreckendes Maß an Grausamkeit angewandt und zahlreiche verstümmelte und traumatisierte Opfer und zerstörte Familien hinterlassen.

Diese ganze Situation hat in der kolumbianischen Gesellschaft einen Zustand der Angst und des Terrors gefestigt, der durch Gesetzesentwürfe noch verstärkt wird. Sie verhindern den sozialen Protest zunehmend und begünstigen die Verzerrung von Informationen durch Medien, die seit vielen Jahrzehnten in hohem Maße manipuliert werden. Unsere Friedensgemeinschaft hat mit vielen Mitteln gegen das Verschweigen der Wahrheit gekämpft.

Die Erinnerung an all jene, die den Mut hatten,  inmitten der schrecklichen Repression für die Grundsätze der Gerechtigkeit und Solidarität einzutreten, hält unsere Motivation aufrecht, unseren Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit fortzusetzen.

Sowohl Huber als auch sein Bruder Iván, der am 2. Januar 2002 an dieser Stelle massakriert wurde, unterhielten, ohne formelle Mitglieder unserer Friedensgemeinschaft zu sein, freundschaftliche Beziehungen zu uns und unterstützten unser Lebensprojekt. Unsere Gemeinschaft möchte ihm ein ehrendes Andenken bewahren und gegenüber dem Land und der Welt nachdrücklich gegen seine abscheuliche Ermordung protestieren. Die offiziellen Institutionen haben bereits den üblichen Weg eingeschlagen, manipulierte Versionen des Verbrechens zu erfinden. Die Folge ist wieder die Straflosigkeit. Wir aber schließen uns all jenen an, die beharrlich Gerechtigkeit und Wahrheit fordern.

Comunidad de Paz San José de Apartadó, 23. Dezember 2021