Verlogene Verfolgungsstrategien

Unsere Friedensgemeinschaft wendet sich erneut an die Öffentlichkeit, um auf neue Übergriffe auf die Zivilbevölkerung, auf unsere Umwelt und auf unsere Friedensgemeinde hinzuweisen.

(Vorbemerkung der Übersetzung: Diese Mitteilungen aus San José beginnen mit zwei Einträgen, die auf März und Mai datiert sind und deren Aktualitätsbezug uns nicht klar ist. Wir fassen beide Einträge, die sich mit juristischen Auseinandersetzungen der Friedensgemeinde befassen, unter Auslassung zahlreicher Details zusammen. Auch später datierte, aktuelle und sehr lange Einträge kürzen wir in der Hoffnung, damit zur Lesbarkeit beizutragen.)

Es geht uns dabei um die folgenden Tatsachen:

(Der auf den 11. März 2022 datierte Eintrag befasst sich mit den bis ins Jahr 2004 zurückreichenden juristischen Auseinandersetzungen zwischen dem Jesuitenpater Javier Giraldo, einem alten Mitstreiter der Friedensgemeinde, und der Armee. Der Pater hatte in früheren Jahren gegen den mittlerweile nicht mehr aktiven General Rito Alejo del Rio wegen zahlreicher Übergriffe seiner Truppen – angefangen von Korruption über Verschwindenlassen bis zu Versuchen, die Friedensgemeinde zu vernichten – zahlreiche Klagen geführt. Neuerdings jedoch ist gegen den Pater ein Prozess eröffnet worden, und zwar von den Organen der Sondergerichtsbarkeit JEP (Jurisdicción Especial por la Paz), die 2016 im Zuge des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und der Farc-Guerrilla eingerichtet wurde. Die JEP verspricht den Übeltätern beider Seiten, sofern sie gestehen, milde Strafen und soll so zur Befriedung Kolumbiens vor allem im ländlichen Raum beitragen. Dass die JEP nun gegen den Pater vorgeht, ist dem Verfasser des Blogs Beleg dafür, dass auch die JEP genauso korrupt ist wie die reguläre Justiz Kolumbiens, über die sich die Friedensgemeinde seit Jahren enttäuscht zeigt.

Auch der zweite, auf den 6. Mai datierte Eintrag befasst sich mit der Gerichtsbarkeit. Nach Ansicht des Blogs lässt sich die Justiz von den falschen Geständnissen früherer Täter – in diesem Fall geht es um Ex-Farc-Leute – hinters Licht führen und behandelt sie deshalb viel zu milde.)

März 2022
Der Verfasser schildert einen Fall in dem auf Anordnung der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (GEP) ein Verfahren gegen Pater JAVIER GIRALDO, S.J., der Friedensgemeinde eingeleitet wurde, der aber– wie der selbst versichert – unschuldig ist. Ihm wird Paramilitarismus und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Hintergrund ist, dass er den Kriegsdienst verweigert hat und Nachforschungen zum Thema Korruption im kolumbianischen Justizsystem angestellt hat. (Übersetzt und zusammengefasst, die Übers.)

Dieses Vorkommnis zeigt, dass das GEP, (eine Organisation, die ihren Ursprung im Friedensabkommen von 2016 hat und die Erwartungen an eine Verringerung der Straflosigkeit geweckt hatte d. Übers.), in das gleiche Schema wie immer geraten ist, da sie nachsichtig gegenüber Kriminellen und feindselig und verfolgend gegenüber Whistleblowern und Opfern war.

Freitag 6. Mai 2022
Auch an diesem Tag findet wieder ein Gerichtsprozess statt, der sich nach Angaben des Blog Verfassers von Unterstellungen und falschen Zeugnissen gegen unschuldige Angeklagte wendet. (Übersetzt und zusammengefasst, die Übers. )

Am Dienstag, 26. Juli sprach ein bekannter Paramilitär aus der Gegend ein Mitglied unserer Friedensgemeinde an und drohte, dass die Friedensgemeinde früher oder später ausgerottet werde. Diese Ankündigung wurde in den letzten 25 Jahren unzählige Male wiederholt: Zuerst von den Mitgliedern der Armee, die in unseren Dörfern Verbrechen begingen, dann auch von den paramilitärischen Gruppen, die sich in der Gegend vermehrten, und in jüngerer Zeit auch von einem Vertreter von Fedecacao (dem Verband der Kakao-Farmer, Anm. d. Ü.) in der Region. (Der Beitrag an diesem Tag enthält weitere Schilderungen von Verleumdungen, Diebstahl, Bedrohungen gegen Mitglieder der Friedensgemeinde, Anm. d. Ü.)

Am Freitag, 29. Juli, erfahren wir, dass ein bekannter Paramilitär-Führer der Region die Bevölkerung der Gemeinde La Unión unter Druck setzt, damit sie ihre Kinder in Schulen außerhalb der Friedensgemeinde schicken. Gleichzeitig werden die Erwachsenen aufgefordert, sich an den Juntas de Acción Comunal zu beteiligen (in der Verfassung vorgesehene Mitbestimmungsgremien auf lokaler Ebene, die jedoch in der Praxis oft von den örtlichen Machthabern kooptiert sind, weshalb die Friedensgemeinde nichts damit zu tun haben will, Anm. d. Ü.). Außerdem sind die Bauern verschiedener Dörfer der Gemeinde San José verzweifelt, weil die Paramilitärs ihnen verboten haben, Mais, Reis und andere Produkte anzubauen; bei Zuwiderhandlung drohen die Paras Geldbußen zwischen 5000 und 10 000 Pesos an (ein bzw. zwei Euro. Leider erwähnt der Blog die Hintergründe dieses Verbotes der Subsistenzlandwirtschaft nicht. Vermutlich sollen die Bauern cash crops, also vermarktungsfähige Produkte, anbauen und ihre Lebensmittel, statt sie selber anzubauen, kaufen; von beidem würden die Paras profitieren. Anm. d. Ü.).

An demselben Tag ist es im Dorf Alto Joaquín, in der Gemeinde Tierralta (Departement Córdoba) offenbar zu Kämpfen zwischen Truppen der Armee und Paramilitärs gekommen. Diese Konfrontation ereignete sich in der Nähe der Felder von Mitgliedern unserer Friedensgemeinschaft. Nach den Kampfhandlungen verboten das Militär und die Paramilitärs den umliegenden Bauernfamilien zwei Tage lang, ihre Häuser zu verlassen. Damit waren sie praktisch gefangen und konnten nicht auf den Feldern arbeiten, die einzige Lebensgrundlage der Familien.

Am Donnerstag, 4. August, haben wir erfahren, dass ein Mitglied des in unserer Gegend stationierten Minensuch-Bataillons immer wieder junge Mädchen aus dem Ortsteil La Unión zu verführen versucht. Der Soldat mit dem Spitznamen „Caballo“ (Pferd, Anm. d. Ü.) lockt die Heranwachsenden mit Geld oder Mobiltelefonen an und missbraucht sie.

Am Montag, 15. August, wurde der Leichnam von Cristobál Mesa mit Spuren schwerer Gewaltanwendung nahe dem Stadtzentrum von San José de Apartadó gefunden. Cristóbal, der unserer Friedensgemeinde nahestand, war zuvor schon häufig bedroht worden, sodass Schutz für ihn beantragt worden war. Die Stelle, an der er gefunden wurde, liegt in einer Gegend, die vollständig unter der Kontrolle der Paramilitärs steht, obwohl sich in der Nähe sowohl eine Militärbasis als auch eine Polizeiwache befindet. – Außerdem fällt auf, dass am selben Tag ein anderer junger Mann, Juan Camilo Higuita Usaga, ebenfalls aus dem Gebiet San José ertrunken aufgefunden wurde.
Am Samstag, 20. August, hat Staatspräsident Gustavo Petro (der im Juni als erster linker Politiker gewählt und Anfang August das höchste politische Amt Kolumbiens angetreten hatte, Anm. d. Ü.) formell das Kommando der Streitkräfte Kolumbiens übernommen. In seiner Antrittsrede kündigte Petro ein Bündnis zwischen den Streitkräften und der Bauernschaft an; die Armee könne beispielsweise Bewässerungssystem und Brücken bauen. Diese Idee löst allerdings in der Bevölkerung große Sorge aus, denn das würde eine ständige Präsenz der Streitkräfte auf dem Land bedeuten. Eine Allianz zwischen dem Militär und dem zivilen Sektor hat ja letztlich auch zum Paramilitarismus geführt, der laut den Abschlussberichten der Wahrheitskommission für 47% der Opfer des sozialen und bewaffneten Konflikts verantwortlich ist.

Wir als Friedensgemeinde bitten den neuen Präsidenten, diese falsche Strategie zu überprüfen. Sie ist fatal für die Zukunft unseres Landes, und sie ist ein bedauerlicher Missgriff unter all den sozialen Veränderungen, die sich die neue Regierung vorgenommen hat. (Gekürzt, Anm. d. Ü.)

Montag 22.August 2022
In den letzten Tagen wurden 2 Mitglieder unserer Friedensgemeinde ausgeraubt. Gestohlen wurden Dinge des täglichen Bedarfs, Werkzeuge und private Utensilien. Die Paramilitärs zeigen in dieser Gegend zur Zeit eine hohe permanente Präsenz , fahren die Straßen entlang nähern sich den zivilen Häusern. Sie sind mit Funkgeräten und Handfeuerwaffen ausgestattet und hinterlassen die geplünderten Häuser.
Alle diese Aufzeichnungen sollen unser Leiden dokumentieren, aber gleichzeitig auch unsere Hoffnung zeigen, denn wir sind überzeugt, dass die Erinnerung an unsere Brüder und Schwestern, die als Märtyrer gestorben sind, uns stärkt und dass ihr Opfer nicht umsonst war.

Friedensgemeinde San José de Apartadó, 25. August 2022