Der Para-Chef ist verhaftet, aber die Paras sind präsenter denn je

Einmal mehr sieht sich unsere Friedensgemeinde San José de Apartadó in der ethischen und moralischen Pflicht, über die jüngsten Ereignisse zu berichten. Generell haben wir feststellen müssen, dass unsere Existenz immer mehr von Institutionen, die auf regionaler Ebene agieren, in Frage gestellt wird. Und es hat sich erwiesen, dass deren Vorgehen gegen uns von den nationalen Führungen dieser Institutionen nicht nur unterstützt, sondern geradezu angeordnet und geplant  wird.

Die Rekrutierung und gewaltsame Unterwerfung durch die Paramilitärs ist etwas, von dem unsere Gegend nicht verschont bleibt. Die Folge ist ständiges Leid, dem die Bevölkerung ausgesetzt ist, und zwar im Interesse vieler Mächtiger, die sich illegaler Akteure wie der Paras bedienen, um ihre Ziele zu erreichen.

Die Regierung in Bogotá hat in den letzten Monaten nur versucht, ihr mangelndes Engagement für die breite Bevölkerung zu kaschieren – daher die Farce um die Festnahme des obersten paramilitärischen Anführers Dairo Úsuga alias „Otoniel“, die die Regierung als Beweis dafür ausgab, dass der Paramilitarismus am Ende ist.  Die Realität sieht jedoch anders aus, denn das flache Land lebt immer noch unter Terror, und es ist klar, dass die Verhaftung von „Otoniel“ diese Verhältnisse nicht verändert hat. Im Gegenteil, der Paramilitarismus hat seine Macht überall noch verstärkt.

Die Ortschaften von San José sind für die Paras ein Korridor, in dem sie in aller Ruhe und unter dem Schutz aller staatlichen Institutionen und Kräfte operieren konnten. Und die staatlichen Institutionen beschränken sich darauf, die Übergriffe der Paras einfach zu registrieren.

In letzter Zeit haben die Paramilitärs mehrere Jugendliche in der Gegend rekrutiert und sie in andere Dörfer des Bezirks gebracht. In vielen Fällen werden die Zwangsrekrutierten in andere Gebiete des Landes gebracht, wo bereits mehrere von ihnen getötet wurden, auch von den Sicherheitskräften. Diese jungen Menschen werden buchstäblich als Kanonenfutter für kriminelle Strategien missbraucht.

Heute wollen wir über die folgenden Fakten Bericht erstatten:

Am Freitag, den 29. Oktober 2021, wurde ein schwer bewaffnetes paramilitärisches Aufgebot in der Ortschaft Playa Larga gesichtet.

Am Samstag, den 30. Oktober 2021, wurden wir darüber informiert, dass zwei junge Männer aus dem Dorf La Unión von den Paramilitärs zwangsrekrutiert und offenbar in das Dorf Playa Larga in San José de Apartadó gebracht wurden, wo sie später gesehen wurden.

Am Sonntag, dem 31. Oktober 2021, wurde im Laufe des Tages bekannt, dass die Paramilitärs in der Region angeblich eine neue regionale Ordnung durchsetzen. Der Ankündigung zufolge enthält sie Drohungen gegen unsere Friedensgemeinde.

Zwischen dem 5. und 10. November 2021 erfuhren wir nach Informationen, die unsere Gemeinschaft erreichten, von einer Reihe von Erpressungen auf der Straße, die vom Stadtgebiet von Apartadó zum Dorf San José führt. Dort fordern bewaffnete Personen, offenbar Paramilitärs, von den Transporteuren von Lebensmitteln, Holz und anderen Produkten, die in Lastwagen transportiert werden, Beträge von mehr als 100.000 Pesos (Anm. d. Ü.: knapp 23 Euro).

Am Samstag, den 13. November 2021, wurden Drohungen gegen unsere Friedensgemeinde von  „Chiquito Malo“, dem angeblichen Chef der Paramilitärs in Urabá, ausgesprochen, der „Otoniel“ ersetzt. Berichten zufolge plant er Aktionen gegen unsere Friedensgemeinde.

Am Sonntag, den 14. November 2021, wurde uns mitgeteilt, dass das Kontingent der Armee, das seit mehr als einem Monat in der Ortschaft La Unión stationiert ist und angeblich mit einer humanitären Minenräumgruppe zusammenarbeitet, nicht einmal den Ort verlässt, an dem es stationiert ist – was beweist, dass es nicht zum Minenräumen da ist. Die ganze Zeit über sind die Soldaten auf dem Privatgrundstück der Bauern geblieben, ohne um Erlaubnis zu fragen. Die Menschen fragen sich: Wo sind die Ergebnisse der Minenräumung? Die gibt es offenbar nicht. Die Menschen in diesem Gebiet haben eher verstanden, dass die Strategie der 17. Heeresbrigade darin besteht, das Land zu besetzen. Ihre Angehörigen haben Privateigentum verletzt und Häuser gebaut, um unter der Zivilbevölkerung zu leben. Jetzt weiß die Bevölkerung nicht, wie sie sie dazu bringen soll, zu gehen, denn sie versteht, dass die „Minenräumung“ ein Schwindel war. Minenräumung sollte grundsätzlich von neutralen Experten durchgeführt werden und nicht von Kriegsakteuren, die ihre Interessen im Krieg hatten. Vielleicht hat die Unwissenheit mancher Menschen in den Dörfern die Militärs dorthin gebracht, wo sie für nichts nütze sind. Denn die Paramilitärs verbringen ihre Zeit dort ungestört mit Alkoholkonsum und in engem Zusammenleben mit den Militärs.

Am Freitag, dem 19. November 2021, fand  eine Sitzung der Junta de Acción Comunal (Anm. d. Ü.: Die Juntas de Acción Comunal, wörtlich Gemeinde-Aktionsausschüsse, sind von der Verfassung vorgesehene Mitbestimmungsgremien auf kommunaler Ebene, die in der Praxis jedoch oft von den örtlichen Machthabern  manipuliert sind) des Dorfes Mulatos Medio auf dem Schulgelände der Gemeinde statt. Den Informationen zufolge wurde dieses Treffen von einem paramilitärischen Politiker einberufen, der dort in Begleitung anderer Männer mit Funkgeräten eintraf. Offenbar war eines der zu besprechenden Themen unser Friedensdorf Aldea de Paz Luis Eduardo Guerra, ein Raum, in den die Paramilitärs seit mehreren Jahren eindringen wollten. Trotz zahlreicher Drohungen hat  unsere Friedensgemeinde jedoch immer die Legitimität unserer Siedlung an diesem Ort verteidigt, der mit dem Blut unseres Anführers Luis Eduardo Guerra und anderer Compañeros und Compañeras getränkt ist, die dort den Paras zum Opfer fielen.

Am Dienstag, den 30. November 2021, in den Morgenstunden, drangen zwei Personen auf den zu unserer Friedensgemeinde gehörenden Bauernhof La Roncona ein und behaupteten, Vermessungsingenieure der Firma Tovar zu sein. Während sie sich ohne Genehmigung auf unserem Grund und Boden aufhielten, erklärten sie, dass sie den Auftrag hätten, zwei Hektar des zu dem Gehöft gehörenden Landes zu vermessen.  Zu diesem Zeitpunkt wurden Mitglieder unserer Friedensgemeinde, die auf der Farm arbeiteten, auf die Landvermesser aufmerksam. Wir sagten den beiden, dass ein Prozess zur Eigentumsübertragung des Grundstücks im Gange sei, woraufhin sie antworteten, dass sie davon nichts wüssten und lediglich mit den Vermessungsarbeiten beauftragt worden seien. Diese beiden Personen wandten sich an ihren Vorgesetzten, der ihnen befahl, das Grundstück zu verlassen, aber nicht ohne ihnen mitzuteilen, dass sein Chef Herrn Martín Jaramillo kontaktieren wird – unseren Gegner in der Auseinandersetzung um das Land.

Zu diesen Vorfällen kommt noch die neue Kontrollregel hinzu, die die Paramilitärs jetzt umsetzen wollen: Sie verpflichten jede Person, sich bei den Juntas de Acción Comunal einzutragen, und sie drohen, dass sie bei Zuwiderhandlung Maßnahmen ergreifen werden. Sie haben auch bestimmt, dass jeder, der in das Gebiet kommen will, mit der entsprechenden Genehmigung oder in Begleitung von Bekannten kommen muss.

Als Friedensgemeinschaft werden wir all diese paramilitärischen Aktionen in unserer Region stets ablehnen und öffentlich machen. Wir wissen, dass das Gefahren mit sich bringt. Aber zu schweigen wäre noch schlimmer, vor allem in Anbetracht des erschreckenden Blutvergießens, das dies unter der Zivilbevölkerung in der Region verursacht.

Wir können nur all den Stimmen der Ermutigung danken, die wir täglich aus dem Land und der Welt als Gesten der Solidarität und der moralischen Stärke erhalten, auf die wir in all dieser Zeit gezählt haben.

Friedensgemeinde von San José de Apartadó, im Dezember 2021

Menschenleben auf der Müllhalde … bis zum Ende

Wieder einmal sieht sich unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó in der dringenden Notwendigkeit, vor dem Land und der Welt über neue Gräueltaten gegen uns und die Bevölkerung in unserer Nachbarschaft zu berichten.
Der soziale Protest hat sich in vielen Teilen Kolumbiens bemerkbar gemacht und er schlug sich auch im Wahlergebnis nieder, auch wenn Wahlen in Kolumbien stets von den Eliten manipuliert wurden. Dennoch ist die Stimme des Volkes bis zu einem gewissen Grad gehört worden (Anm. d. Ü.: Im Juni wurde Gustavo Petro, ein Wirtschaftswissenschaftler und früherer Guerrillero der 1990 aufgelösten M-19, zum ersten linken Präsidenten in der Geschichte Kolumbiens gewählt). Trotz dieser Entwicklungen ist die Region Urabá (in der San José liegt, Anm. d. Ü.) weiterhin der paramilitärischen Herrschaft unterworfen, die die Entscheidungsgewalt behält. Die Dörfer unseres Corregimiento (vergleichbar den deutschen Landkreisen, Anm. d. Ü.)  sind weiterhin in dieser katastrophalen Situation, und zwar mit der Duldung und dem Einverständnis aller staatlichen Institutionen.

Die Fakten, die wir dem Land und der Welt zur Kenntnis bringen, sind folgende:

Am Samstag, 4. Juni 2022, erfuhr unsere Friedensgemeinschaft von der Ermordung des Paramilitärs Wilfer Higuita. Er war mit einer der Familien unserer Gemeinschaft verwandt und hat seit vielen Jahren mit der Armee zusammengearbeitet. Er hat sich für die schmutzigsten und verabscheuungswürdigsten Aufgaben hergegeben, die im Zusammenhang mit dem nie verhohlenen Ziel des Militärs standen, unsere Friedensgemeinschaft durch Aktionen des Völkermords auszurotten.
Wir können zum Beispiel nicht vergessen, dass Wilfer am 17. Januar 2009 von Oberst Germán Rojas Díaz, dem späteren Kommandeur der 17. Heeresbrigade, benutzt wurde, um Renato Areiza, damals Mitglied unserer Gemeinschaft, zu erpressen. Wilfer forderte ihn auf, ihm bei der Zerschlagung der Friedensgemeinschaft zu helfen, und drohte, wenn er nicht kooperiere, dann würde er entweder als Guerillakämpfer oder als Drogenhändler verfolgt werden, wofür der Oberst die notwendigen falschen Zeugen zur Verfügung hatte. In den folgenden Jahren koordinierte Wilfer die Übernahme vieler Gebiete der Gemeinde durch die Paramilitärs, darunter auch das Dorf La Unión, das offenbar sein letztes Kommandogebiet war. Wie bei vielen anderen jungen Männern, die ihre Seele für verabscheuungswürdige Aufgaben verkauft haben, vor allem, wenn ihr Lebenslauf für Justizbeamte, die ausnahmsweise das Recht anwenden wollen, unhaltbar geworden ist, wurde Wilfer sicherlich „entlassen“, damit er der Armee nicht weiterhin juristische Probleme bereitet. Leider werden die Menschen als Putzlappen benutzt, und wenn sie zu sehr verschmutzt sind, werden sie weggeworfen. Wir verurteilen aufs Schärfste diese kriminelle Praxis des kolumbianischen Staates, mit der er seine Auffassung von Menschenwürde unter Beweis stellt.

In der Woche vom 3. bis 9. Juli 2022 war die Anwesenheit eines schwer bewaffneten paramilitärischen Kontingents in dem Dorf Buenos Aires im Bezirk San José de Apartadó zu beobachten.

Am Sonntag, den 10. Juli 2022, kam es gegen 20 Uhr zu einem Schusswechsel in der Nähe des Weilers La Unión, der zum selben Dorf gehört. Der Vorfall ereignete sich in der Nähe eines Grundstücks, das unserer Friedensgemeinschaft gehört. Dort ist ein militärisches Kontingent stationiert. Die angebliche Belästigung dauerte mehr als 15 Minuten. Mehrere Dorfbewohner äußerten sich besorgt über die Auswirkungen, die solche Schikanen haben könnten, zumal die Zivilbevölkerung im Zentrum der Auseinandersetzungen steht und die schlimmsten Folgen des Krieges zu tragen hat.

Am Dienstag, den 12. Juli 2022, begab sich tagsüber eine Kommission unserer Friedensgemeinschaft an den Ort der Ereignisse vom Sonntag, den 10. Juli, und es wurde festgestellt, dass dort auf unserem Privatgrundstück das Militär der XVII. Brigade der Armee stationiert war, wir forderten sie auf, sich von unserem Grundstück zurückzuziehen und verlangten Respekt für die Gemeinschaftsräume, die als Privateigentum unserer Friedensgemeinschaft ausgewiesen sind, doch dieses Militärkontingent wollte sich nicht von unserem Privatgrundstück zurückziehen, gleichzeitig wurde festgestellt, dass sie bereits landwirtschaftliche Erzeugnisse, darunter Kakao, beschädigt hatten. Dieses Militärkontingent ist immer noch da.

Am Freitag, den 15. Juli 2022, wurden in den Morgenstunden mehrere Paramilitärs in der Nähe der Schule des Dorfes La Resbalosa gesehen.

Am Sonntag, den 17. Juli 2022, wurde unsere Friedensgemeinschaft über die Anwesenheit eines angeblichen Beamten der Fiscalía im Dorf La Unión informiert, dessen Arbeit darin bestand, Zeugenaussagen über die Art und Weise des Landerwerbs durch die Gemeinschaft zu sammeln. Er widmete sich auch dem Sammeln von Zeugenaussagen über mehrere Leichen, die auf dem Friedhof des Dorfes begraben sind und beschuldigte die Gemeinschaft, die Leichen von Guerillakämpfern illegal zu begraben. Eine Behauptung, die völlig unbegründet ist und die Empörung hervorruft, wenn man sie mit der systematischen Haltung der Staatsanwaltschaft und der Justiz im Allgemeinen kontrastiert, die sich nie für die mehr als tausend Verbrechen gegen die Menschlichkeit interessieren, die vom Staat und dem Parastaat gegen unsere Friedensgemeinschaft begangen wurden, und sie in absoluter Straflosigkeit belassen.

Am Dienstag, den 19. Juli 2022, waren nachmittags in dem Dorf La Antena, in dem seit mehreren Jahren ein Militärkontingent der XVII. Brigade der Armee stationiert ist, zahlreiche Gewehrschüsse zu hören.

Am Mittwoch, 20. Juli 2022, um 23.00 Uhr, waren im Zentrum von San José mehrere Schüsse zu hören.

Am selben Mittwoch, dem 20. Juni 2022, gaben in der Nacht mehrere Paramilitärs auf einem Motorrad zwischen San José und Apartadó mehrere Schüsse auf unser Privatgrundstück Finca La Roncona ab.

Am Sonntag, den 24. Juli 2022, wurden gegen 3.00 Uhr morgens im Dorf Salsipuesdes in der Gemeinde Apartadó fünf Menschen durch die Sicherheitskräfte getötet. Bei den Opfern handelt es sich offenbar um Mitglieder paramilitärischer Strukturen. Auch wenn es sich um Kriminelle handelt, vertritt unsere Friedensgemeinschaft kompromisslos die Auffassung, dass das Leben heilig ist und dass keine Justizpolitik es missachten darf. Es ist äußerst bedauerlich, dass Kolumbien seine Bürger weiterhin mit einer solchen Kaltblütigkeit ermordet und noch schlimmer, wenn es sie zuvor als
Instrumente seiner schmutzigen kriminellen Politik benutzt hat, die ihr Leben in den Abgründen der schlimmsten Kriminalität extrem erniedrigt hat.

Unser Dank gilt stets all jenen Menschen und Gemeinschaften, die uns aus entlegenen Teilen des Landes und der Welt mit ihrer Solidarität moralisch unterstützen

San José, 27. Juli 2022

Fast schon boshaft scheint sich die Ära Uriba/Duque nun zu verlängern

Und wieder wendet sich unsere Friedensgemeinde an unser Land und an die Welt, um von den letzten Angriffen zu berichten, unter denen wir als Gemeinschaft und in unserem sozialen Umfeld leiden. Die Kontrolle der Paras über die Zivilgesellschaft scheint kein Ende zu nehmen, im Gegenteil im Laufe der Zeit wird es immer schlimmer, sie werden von den staatlichen Sicherheitskräften geschützt. Wir überlassen es der Menschheit und der Geschichte diese Vorkommnisse zu beurteilen.

In den ersten Wochen im August 2022 trafen sich Ingenieure, Vermessungs- und andere Techniker um Planungen für Straßenbau in dem Gebiet von San José de Apartadó vorzunehmen. Sie versicherten, dass alles bereits abgesprochen sei, da ja diese Straßen dringend notwendig seien für den Kohleabbau und den Abbau anderer Mineralien in der Region, besonders in Serranía de Abibe (Dieses Gebiet gilt als die wichtigste klimaregulierende Reserve und die Hauptquelle der Wasserversorgung für die Region Urabá. Anm. d. Ü.)

Am Freitag den 26. August 2022 erhielt German Graciano, der Rechtsbeistand unserer Friedensgemeinde, einen Anruf eines Mitglieds der Junta de Acción Communal des Ortes La Unión. Dieses Mitglied bezeichnete diejenigen aus unserer Gemeinschaft, die Informationen über Menschenrechtsverletzungen und schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht durch Militärs und Paras weitergegeben haben als „Kröten“. Über unseren Rechtsbeistand ließ er uns wissen, dass wenn unsere Friedensgemeinde nicht aufhöre zu denunzieren, würde man das Ganze der Staatsanwaltschaft übergeben um klären zu lassen, ob die Führer unserer Gemeinschaft sich in der Vergangenheit mit den FARC Guerillas getroffen haben.

Wir nehmen diese Warnung als einen Versuch wahr, unsere Gemeinschaft mundtot zu machen und zu erpressen, damit wir aufhören, schwere Verletzungen unserer Rechte und der Zivilbevölkerung um uns herum anzuprangern.

All dies stellt einen unverständlichen Unsinn dar, der höchstwahrscheinlich von denen herbeigeführt wird, die jahrelang als Täter gehandelt haben und es nicht ertragen können, dass unsere Gemeinschaft und die Bewohner der Region weiterhin Gerechtigkeit fordern.

Der neue Vorwurf ist ziemlich unsensibel, wenn man an die unzähligen Opfer der FARC Guerilla (heute nicht mehr existent) auf unserer Seite denkt.

Ich erinnere an die selektiven Todesfälle und Massaker an unseren Brüdern und Schwestern durch Guerillakommandeure wie Danis Daniel Sierra alias Samir, ehemaliger Kommandeur der fünften Front der FARC, der eine Kampagne der totalen Vernichtung gegen unseren Lebensprozess geführt hat, zuerst als Guerillakommandeur und dann als Wiedereinsteiger. Während dieser langen Jahre haben wir die gewalttätigen und rücksichtslosen Aktionen aufgezeichnet um sie für die Menschheit und die Geschichte festzuhalten. All diese rücksichtslosen uns gewalttätigen Aktionen, die Menschenleben kosteten, Folter, Verschwindenlassen und, Drohungen gegen unsere Gemeinschaft mit sich brachten Samir und einige ehemalige Mitglieder der FARC sind Unterzeichner der Friedensabkommen. Sie genießen heute rechtliche und wirtschaftliche Vorteile als Teil der paramilitärischen Strukturen. Die Liste der Verbrechen, die sich gegen unsere landwirtschaftliche Entwicklung richtet und gegen andere Opfer in der Region begangen wurden wächst, ohne dass die Wahrheit, Gerechtigkeit und ein Mindestmaß an Anerkennung der Verantwortung seitens der früheren FARC bisher bekannt sind.

In der Woche vom 23. bis 27. August 2022 konnte eine Kommission unserer Gemeinschaft, die von internationalen Organisationen begleitet wurde, bei einer Besichtigung mehrerer Dörfer des Corregimiento von San José: Buenos Aires, Las Nieves, Mulatos Cabecera, Mulatos Medio und La Resbalosa, die starke paramilitärische Präsenz in diesen Gebieten erkennen, die totale Kontrolle mit Waffen und Funkgeräten, getarnt durch dunkle Kleidung. Des Weiteren sahen die Gruppe wie die Paras in La Resbalosa Häuser ziviler Personen ohne Genehmigung der Eigentümer sowie andere strategische Punkte. besetzt hielten,

Am Donnerstag, den 25. August 2022 erlitt unser Nachbar, ALBEIRO GRACIANO im geschäftigen Sektor von La Navarra, im Stadtzentrum von Apartadó, einen schrecklichen Angriff, der ihn in Lebensgefahr brachte. Dieser Angriff erfolgte von bewaffneten Personen, die sich auf Motorrädern näherten. Wir wünschen Herrn Graciano baldige Genesung und bitten die Behörden um Gerechtigkeit, Schutz und Wiedergutmachung.

Am Freitag, den 26. August 2022 gegen 16 Uhr wurden mehrere Mitglieder unserer Friedensgemeinde von dem bekannten Para alias „El Gordito“ davor gewarnt ihren Getreideanbau vor allem für die Herstellung von Brot auszubauen, sie sollten ihn sofort komplett einstellen.

Am Dienstag, den 30. August 2022 erfuhr unsere Gemeinschaft, dass im Dorf La Unión nicht nur einige Militärs, sondern auch minderjährige Kinder mit Erlaubnis der Paras bewusstseinsverändernde Substanzen konsumierten.

Am Donnerstag, den 1. September 2022 erfuhren wir, dass einige Paras in der Ortschaft Arenas Altas den Bauern die Aussaat von Getreide für Brot verboten und für ein Zuwiderhandeln eine Strafe von 5 Millionen Pesos (ca €5000 Anm. d. Ü.) ankündigten, bzw. sich dem  getötet zu werden aussetzen.

Sowohl am Samstag, den 3. September 2022 als auch am Sonntag, den 4. September 2022 erhielten Bauern Morddrohungen der Paramilitärs.Es ist schon elend, wenn das Leben von der Gnade der Täter abhängt.

Am Mittwoch, den 7. September 2022 wurde der enthauptete Leichnam des jungen Juan Camilo Higuita Ùsaga, der am 15 August ermordet wurde (Siehe Übersetzung vom 25.8.2022 Anm. d. Ü.) seiner Familie übergeben mit dem Hinweis er sei ertrunken.

In den folgenden Tagen waren immer wieder bewaffnete Männer im Gebiet – auch dem der Friedensgemeinde – mit Drohgebärden unterwegs, die Unruhe und Unsicherheit verursachten.

Arley Tuberquia, Mitglied des Internen Rates unserer Friedensgemeinschaft wurde von Militärs beobachtet, sein Haus kurz belagert.

Auf die Anwesenheit von Kindern zwischen 10 und 12 Jahren wurde z.B. bei Hubschraubereinsätzen keine Rücksicht genommen. Ein wirklich skrupelloses und niederträchtiges Verhalten der Sicherheitskräfte.

Inmitten von Bedrohung Missbrauch und Lebensgefahr, halten wir an unseren Prinzipien fest und geben in unseren Überzeugungen überhaupt nicht nach, auch wenn es uns das Leben kostet.

Wieder einmal danken wir denjenigen aus vielen Teilen des Landes und der Welt, die unseren Widerstand in Gedanken begleiten.

Comunidad de Paz de San José de Apartado, 20. September 2022

Wie lange wird die paramilitärische Vorherrschaft in einem sich wandelnden Kolumbien noch andauern?

Die Barbarei des Todes kennt kein Ende: Paramilitärs ermorden einen jungen Bauern in San José. Die Ereignisse fanden am 23. September statt, ganz in der Nähe der Polizeistation und der Militärbasis. Das Opfer ist ein örtlicher Landwirt. Die Leiche lag am Tag nach der Tat immer noch am Fundort.

Unsere Friedensgemeinschaft wendet sich erneut an die nationale und internationale Gemeinschaft, um über die jüngsten Ereignisse zu berichten, die das Leben der Zivilbevölkerung in unserem Umfeld bedrohen und die sich gegen die Existenz unserer Friedensgemeinschaft richten. In unserem Gebiet herrscht weiterhin der Tod, da die Paramilitärs weiterhin ihre Waffen einsetzen, um ihre Botschaft zu verkünden: „Entweder ihr unterwerft euch oder ihr sterbt“.

Die Fakten, die wir der Öffentlichkeit zur Beurteilung zur Kenntnis geben, sind folgende:

Am Freitag, 16. September, traf eine Gruppe von Ingenieuren und Technikern auf dem Grundstück La Roncona unserer Friedensgemeinschaft ein. Sie sprachen mehrere Mitglieder von uns an und zeigten Dokumente vor, nach denen sie den Auftrag hätten, im Abschnitt zwischen Caracolí und San José das dortige Schwemmland des Flusses San José auf seinen geologischen Gehalt zu untersuchen. Die Papiere besagten, sie seien befugt, dieses Gebiet zu betreten, das jedoch Privatbesitz unserer Friedensgemeinschaft ist. Sie kündigten an, dass sie das Gebiet auf die Möglichkeit der Ausbeutung von Kohle in der Serranía de Abibe sowie von Kalkstein, Öl und Gold untersuchen wollten.

Diese Ankündigungen erfolgen vor dem Hintergrund der illegalen Ausbeutung des Schwemm-Materials des Flusses durch das Bürgermeisteramt und Privatpersonen, die es kommerziell verwerten. All dies entspricht einem offensichtlichen Entwicklungsplan, der bei einem kürzlichen Besuch einer anderen Delegation in der ersten Augustwoche 2022 angekündigt wurde, die in mehreren Dörfern der Gemeinde San José de Apartadó zugegen war.

Am Freitag, 23. September, fand tagsüber im Stadtzentrum von San José ein Betreuungstag für die Zivilbevölkerung statt, an dem u.a. eine Gesundheitsbrigade, Vertreter der Opferbetreuung und Standesbeamte teilnahmen (Die kolumbianische Justiz unterhält Teams von Anwälten und anderen juristisch gebildeten Personen, die sich der Betreuung von Opfern kriminieller Handlungen widmen (“Atención a Víctimas”). Dabei geht es vor allem auf dem Land darum, den Betroffenen den Zugang zur Justiz zu erleichtern, sie über ihre Rechte aufzuklären und sie zu unterstützen. – In vielen entlegenen Gegenden nicht nur Kolumbiens, sondern Südamerikas werden ambulante Standesämter herumgeschickt, um Eheschließungen, Todesfälle und Geburten zu registrieren, was unter anderem der erbrechtlichen Klarheit dient. Anm. d. Ü.) . Laut Zeugenaussagen waren mehrere Beamte aus dem Büro des Bürgermeisters anwesend. Diese sozialen Aktivitäten, die von staatlichen Stellen in Kolumbien durchgeführt werden, finden weiterhin inmitten der Präsenz bekannter Paramilitärs, Militärs und Polizisten statt. Das ist in diesem Gebiet Routine, aber wir finden es inakzeptabel.

Am selben Freitag wurden gegen 18 Uhr in der Nähe der Stadt San José mehrere Schüsse abgefeuert, die das Leben des jungen Bauern Jimmi Andrés Tuberquia, 18 Jahre alt, aus dem Dorf La Unión beendeten. Jimmi war am 10. Januar 2020 von den Paramilitärs im Dorf La Unión rekrutiert worden, hatte La Unión nach Todesdrohungen der Paramilitärs im Juli 2021 verlassen und war von Verwandten nach Medellín gebracht worden.

Am Samstag, 24. September, bildeten Mitglieder unserer Friedensgemeinschaft, nachdem sie vom Tod Jimmis erfahren hatten, eine Kommission und begaben sich zu der Stelle, an der am Vortag die Schüsse fielen. Sie fanden die Leiche des jungen Tuberquia am Ufer des Flusses San José. Stunden später trafen die zuständigen Behördenvertreter am Tatort ein und nahmen die Leiche mit. Trotz der Nähe zum Militärstützpunkt und zur örtlichen Polizeistation musste die Familie des Opfers mehr als 18 Stunden lang warten, bis der Leichnam freigegeben wurde.

Als Angehörige und Gemeindemitglieder den toten Jimmi schließlich wegtrugen, näherte sich ein bekannter Paramilitär, fotografierte die Szene und den toten Körper und verschwand danach.

Die digitale Zeitung “Alertapaisa” meldete am Samstag den Tod von Jimmi und schrieb, die Leiche sei nach Angaben der Behörden „drei Kilometer“ von San José entfernt aufgefunden worden. Weiter hieß es: „Die Behörden untersuchen die Hintergründe des Verbrechens und ob der junge Mann an dem Ort, an dem er gefunden wurde, ermordet wurde“. – Die Presse und die Behörden verzerren alles und versuchen, die Aufmerksamkeit von der Realität, unter der wir leiden, abzulenken.

Am Sonntag, 25. September, erfuhr unsere Gemeinde, dass ein unter dem Alias-Namen Franco bekannter Paramilitär, der in den Dörfern von San José operiert, durch einen neuen paramilitärischen Kommandanten ersetzt wurde, der in der Gegend angekommen ist, um die Kontrolle auszuüben. Dieser kündigte an, dass er eine Liste von Personen aus dem Stadtzentrum von San José und anderen Dörfern habe, die er töten wolle, und beschuldigte sie, Rebellen zu sein, wenn sie seine Befehle nicht befolgten. Darunter befindet sich auch die Friedensgemeinde. Er kündigte außerdem die Hinrichtung von angeblichen Dieben und Drogen-Konsumenten an – Substanzen, die von den Paramilitärs selbst geduldet, konsumiert und verkauft werden.

Am selben Sonntag verschwand nachts ein weiterer junger Mann aus dem Dorf San José und wurde mehr als 24 Stunden lang von den Paramilitärs festgehalten und gefoltert. (…)

Am Dienstag, 27. September, zeigt das Militär tagsüber im Stadtzentrum von San José de Apartadó starke Präsenz, ebenso an der Straße, die vom Stadtzentrum von Apartadó nach San José führt. Nach Angaben regionaler Medien handelte es sich dabei um eine Sicherheitsoperation. In Wahrheit hat die Anwesenheit der Sicherheitskräfte nur dazu gedient, die Paramilitärs zu schützen, die seit mehr als zwei Jahrzehnten zusammen mit den Sicherheitskräften Verbrechen in den Dörfern des Bezirks begehen.

Am Freitag, 30. September, waren gegen 19 Uhr in der Nähe des Stadtzentrums von San José de Apartadó mehrere Schüsse zu hören. und das  inmitten einer Sicherheitsoperation von Armee und Polizei im besiedelten Gebiet und am Stadtrand von San José.

Am Samstag, 1. Oktober, konnte man bei den Aktivitäten des Entminungsbataillons Nr. 6, bei denen der Hubschrauber auch außerhalb des Dorfes La Unión landete, beobachten, wie Kinder inmitten der Manöver dabei waren und dass das die Truppen einfach toleriert haben. Wir lehnen es nach wie vor ab, dass die Zivilbevölkerung, insbesondere Minderjährige, bei solchen Manövern, die in die unmittelbare Zuständigkeit der Militärbehörden fallen, dabei sein soll.

Angesichts der ständigen Rekrutierung von Kindern und Jugendlichen aus unserer Umgebung, die mit verschiedensten Versprechungen angelockt und so in den Krieg verwickelt werden, bekräftigen wir erneut, dass es unmenschlich ist, sie in das Rennen des Todes zu schicken. Der Traum von einem Leben ohne Krieg darf ihnen nicht verwehrt werden.

Am Montag, 3. Oktober, schlich sich ein Unbekannter nachts gegen drei Uhr heimlich in unsere Siedlung San Josesito, offenbar mit dem Ziel, unsere Mitglieder und die Wohnräume unserer Siedlung auszuspionieren.

Unser ständiger Dank gilt all jenen, die uns aus verschiedenen Regionen und Nationen mit ihrer solidarischen Unterstützung begleiten!

Friedensgemeinschaft San José de Apartadó, 4. Oktober 2022

Blutiger Frieden

Die Aggressionen und Repressionen gegen unsere Friedensgemeinschaft San José de Apartadó und gegen die Bevölkerung in unserer Umgebung sind eine systematische und andauernde Bedrohung mit dem Ziel, die Menschen zu unterwerfen. Die Paramilitärs zirkulieren ungehindert durch unsere Territorien. Sie schüchtern die Bevölkerung ein, und sie ermorden gnadenlos jeden, den sie als Hindernis bei der Durchsetzung ihrer perversen Pläne ansehen.

In den letzten Tagen wurden unter obskuren Bedingungen Dokumente und sensible Informationen von unserer Friedensgemeinschaft und anderen gleichgesinnten Organisationen entwendet.

Einige Führer der Juntas de Acción Comunal (von der Verfassung vorgesehene lokale Mitbestimmungsgremien, in der Praxis häufig von den örtlichen Machthabern wie den Paramilitärs unterwandert, Anm. d. Ü.) von San José, die sich vielleicht jetzt den Paramilitärs beugen, unterstützen nicht mehr die Bauern, sondern sind nun auf Seiten derer, die die schlimmsten Verbrechen begangen haben. Sie behindern damit die Möglichkeit, dass die Wahrheit eines Tages bekannt wird.

Unsere Gemeinschaft wendet sich wieder den chronologischen Aufzeichnungen zu, dem einzigen Weg, der die Menschheit und die Geschichte dazu führt, diese Tatsachen eines Tages zu beurteilen.

Die neuen Fakten, auf die wir Sie aufmerksam machen, sind die folgenden:

  • Am Donnerstag, den 13. Oktober 2022, gegen 3:00 Uhr morgens, wurde die Stadt San José de Apartadó von Paramilitärs überschwemmt, die auf 25 Motorrädern auf der Straße von Apartadó nach San José unterwegs waren, der einzigen in der Gegend. Dort wurden sie von Paramilitärs aus der Gegend empfangen und zum Quellgebiet des Río San José gebracht. Die Paramilitärs kehrten gegen 15 Uhr zurück, durchquerten erneut die Stadt San José und fuhren in Richtung Apartadó davon. Die Paramilitärs zeigen diese Präsenz trotz des Polizeiquartiers und der Militärbasis in der Stadt San José – wir fragen uns, ob sich dies mit der Annäherung der Regierung an die paramilitärischen Gruppen erklärt. Oder ist es eher ein Ausdruck der Komplizenschaft zwischen den paramilitärischen Gruppen und der staatlichen Ordnungsmacht, die diese paramilitärische Präsenz einfach toleriert und koordiniert? – Vor dem Hintergrund von Tod, Bedrohung und Verfolgung, dem unsere Friedensgemeinschaft und die Bevölkerung um uns herum ausgesetzt sind, ist so eine Komplizenschaft äußerst ernst.
    (…)
    Am Sonntag, den 16. Oktober, gegen 21:40 Uhr wurde im Dorf La Unión, im Umland von San José, der leblose Körper des Bauern Gilberto Úsuga, eines Bewohners dieses Dorfes, gefunden. Offenbar wurde er in einem Wassergraben ertränkt. Gilberto war schon früher ein Opfer der Paramilitärs. Im Juli vergangenen Jahres wollten ihm mehrere Paramilitärs drei Hühner abkaufen, und als er sich weigerte, stahlen die Paras die Hühner. Darüber hinaus hatten ihm Anfang Oktober die Paramilitärs verboten, Nahrungsmittel anzubauen, eine Anordnung, die er nicht befolgte.
  • Am Freitag, den 21. Oktober, berichtete der Kommandant der Polizei von Urabá, Óscar Cortés, in mehreren Medien über die Festnahme von zwei bekannten Paramilitärs, alias El Burro und alias Chulo, letzterer namens Albeiro Cardona Borja (…). Nach Angaben des Polizeibeamten war Cardona seit 25 Jahren in paramilitärischen Gruppen und vorbestraft. Was der hochrangige Offizier jedoch nicht mitteilte: Die Eingliederung von Albeiro Cardona sowie seiner Brüder Ovidio und Lubín in den Paramilitarismus war das Werk der staatlichen öffentlichen Gewalt. Unsere Friedensgemeinde hat nicht vergessen, dass am 26. Dezember 2005 die drei Cardona-Brüder von der 17. Heeresbrigade dazu gebracht wurden, auf einer Weihnachtsfeier in La Cristalina sechs junge Menschen zu massakrieren. Das Verbrechen hatte damals auch das Ziel, den Brüdern den Seitenwechsel von der Farc zu den Paras zu erleichtern, die damals unter Führung der Armee standen. Es war allgemein bekannt, dass die Armee sie für ihre Teilnahme am Massaker von La Cristalina bezahlte. Für jeden Mord erhielten sie vier Millionen Pesos, ferner Tarnuniformen, Waffen und Fahrzeuge, um als Paramilitärs im Dienste der Armee zu fungieren.
    Die Brüder Cardona gingen so offen vor, dass ihre Taten allgemein bekannt wurden. Sie prahlten selbst öffentlich mit ihrer tödlichen Macht. Sie waren stolz darauf, mit Unterstützung des Staates über das Leben von Menschen bestimmen zu können.
    In vielen Akten, die jetzt archiviert sind, finden sich die falschen Anschuldigungen der Brüder, die sich gegen Mitglieder und Gefährten unserer Friedensgemeinde richten. Auf Druck der Brigade wurden wir beschuldigt, Kollaborateure der Guerilla zu sein, ohne dass dafür irgendein glaubhafter Beweis hätte vorgebracht werden können.
    Wir wissen nicht, ob die neue Polizeiführung mit der Festnahme von Chulo und El Burro womöglich eine Art Rehabilitation unserer Friedensgemeinde beabsichtigt hat. Jedenfalls sollte das nicht auf diese Weise geschehen. Nötig ist eine umfassende Aufklärung der zahllosen Verbrechen, die der Staat an unserer Friedensgemeinde begangen hat. (…)

    Am Samstag, den 22. Oktober, stellte Gildardo Tuberquía, ein bewährtes Mitglied unseres Führungszirkels, fest, dass auf seinem Land im Dorf La Unión zwei Bewohner des Dorfes Substanzen versprühten, ohne dass Tuberquía das gestattet hätte. Die Eindringlinge widersetzten sich der Aufforderung zu verschwinden, deshalb wurden ihnen die Schläuche ihrer Sprühgeräte durchgeschnitten.
    Der Vorfall zeigt erneut, dass unserer Friedensgemeinde so viel Land wie möglich weggenommen werden soll, um sie zu schwächen und um sie eines Tages zu vernichten.

Am Dienstag 1. November, gegen 19:40 Uhr, erhielt unsere Gemeinde einen Anruf, der uns über einen Plan informierte, dass Paramilitärs planten, in das Friedensdorf Luis Eduardo Guerra im Dorf Mulato Medio wenn notwendig gewaltsam einzudringen.
Am Mittwoch, 2. November, gegen 15:00 Uhr, erhielt unsere Gemeinde einen Anruf von einem Bewohner der Gemeinde San José, in dem die Absicht der Paramilitärs mitgeteilt wird, zwei Bewohner der Region zu ermorden.

Wir wiederholen, dass sie uns weder mit Gewehren noch mit anderen Vernichtungsstrategien zum Schweigen bringen werden. Unser Projekt geht weiter, und es orientiert sich weiterhin an den Werten des Lebens.

Wir halten die Erinnerung an unsere Märtyrer lebendig, die ihr Leben gegeben haben, um eine gerechtere Welt aufzubauen. Wir danken allen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, die uns mit ihrer moralischen Stärke für eine bessere Welt unterstützen.

Comunidad de Paz de San José de Apartadó 3. November 2022

Auch unter der neuen kolumbianischen Regierung gehen Unterdrückung und Verfolgung unvermindert weiter

San José de Apartadó, 30. Dezember 2022

Es sind nur noch zwei Tage, bis das Jahr zu Ende geht und ein neues beginnt. Zum Jahreswechsel müssen wir überrascht und erschreckt feststellen, dass der Paramilitarismus in unserer Region weiterhin heimlich erstarkt. Schamlos und komplizenhaft von diversen staatlichen Institutionen gefördert und unterstützt, kaufen die Paras Häuser und Farmen, sie bauen sich Villen, bewegen sich in luxuriösen Fahrzeugen, und das alles mit Geld, das aus dem organisierten Verbrechen stammt. Wo sind die staatlichen Institutionen? Sind sie Komplizen oder schon Teilhaber dieses ungezügelten und unkontrollierten kriminellen Apparats?

Wir wenden uns erneut an die Weltöffentlichkeit, um uns Gehör zu verschaffen und gleichzeitig vor der Geschichte Zeugnis abzulegen, damit sie eines Tages ein Urteil fällt.

Die neuesten Ereignisse sind;
Am Dienstag, den 8. November 2022, hat uns eine respektlose Behandlung durch das Zweite Zivilgericht des Kreises Apartadó perplex und ratlos zurückgelassen. Angesichts der Drohungen, uns unsere Farm La Roncona zu enteignen, die für unseren Lebensunterhalt unverzichtbar ist und sich seit 25 Jahren friedlich in unserem rechtmäßigen Besitz befindet, hatten wir einen Prozess zur endgültigen Klärung der Eigentumsverhältnisse angestrengt. Eine Anhörung war für den 26. Oktober angesetzt, wurde aber am selben Tag abgesagt, als die, die angehört werden sollten, bereits in der Stadt waren. Als Grund wurden zunächst technische Probleme angegeben, aber später wurde in einer offiziellen Mitteilung behauptet, dass der zuständige Richter vom 26. bis 28. Oktober im Urlaub war, eine Situation, die schon Tage vorher hätte bekannt sein müssen und unserer Gemeinschaft nicht mitgeteilt wurde. Es ist nicht das erste Mal, dass diese Anhörung abgesagt wird, jetzt  wurde sie auf den 8. Februar um 21 Uhr verschoben – nur dieses Gericht kann auf die Idee kommen, eine Anhörung auf 21 Uhr anzusetzen!

Am Mittwoch, den 9. November, erfuhr unsere Gemeinde, dass Lorena Otagri, Mitglied der Junta de Acción Comunal von La Victoria, von Paramilitärs über Nachrichten in sozialen Netzwerken und per Telefon bedroht wurde (Anm. d. Ü.: Die Juntas de Acción Columnal sind in der kolumbianischen Verfassung verankerte Mitbestimmungsgremien auf lokaler Ebene. In der Praxis sind die JAC oft von den örtlichen Machthabern beherrscht). Lorena wurde darin aufgefordert, an einem Ort nahe des Militärstützpunktes in der Stadt San Jose de Apartadó zu erscheinen.

Am Donnerstag, den 10. November, gaben zwei Personen auf Motorrädern kurz vor Mitternacht Schüsse mit Handfeuerwaffen auf der Straße nach San José ab, und zwar vor unserer Siedlung San Josecito, wo die Patronenhülsen zurückgelassen wurden. Es ist mittlerweile üblich, dass sich Paramilitärs in Kampfuniformen mit Waffen und Funkgeräten in verschiedenen Dörfern, auch in den Wohn- und Arbeitsbereichen unserer Friedensgemeinde bewegen und alles kontrollieren. Am Dienstag, den 15. November, wiederholte sich der Vorfall, diesmal gegen 22.32 Uhr.

Am Mittwoch, den 16., und Donnerstag, den 17. November, traten mehrere Siedler an unsere Gemeinschaft heran, um Genehmigungen für den Bau von Straßen auf unserem Land und in Richtungder Weiler von San José de Apartadó zu bitten. Sie erklärten, dass diese Arbeiten von den Sicherheitskräften durchgeführt würden, dass die aber die Bauern der Region gebeten haben, mit den Eigentümern der einzelnen Grundstücke zu verhandeln. – Wir haben schon wiederholt erklärt, dass wir diese Methode der Planung und territorialen Neuordnung verurteilen, die von den Militärs und Paramilitärs beschlossen und verfolgt wird. Denn es ist dabei völlig undurchsichtig, welchem
Modell von „Entwicklung“ oder „Anti-Entwicklung“ diese Pläne dienen, und es gibt keine demokratische Diskussion mit der bäuerlichen Bevölkerung darüber, was die Pläne für sie bedeuten. In der Woche vom 20. November haben uns mehrere Bauern über Versammlungen informiert, die von Paramilitärs in mehreren Dörfern des Kreises San José abgehalten wurden. Die Paramilitärs üben eine soziale und wirtschaftliche Kontrolle aus, indem sie den Bauern in unserem Gebiet unter Androhung von Geldstrafen von bis zu acht Millionen Pesos (Anm. d. Ü.: rund 1550 Euro) verbieten, landwirtschaftliche Arbeiten zu verrichten.

Am Dienstag, den 29. November, wurden morgens an einem Ort namens Partidas de Arenas, zwischen dem Dorf La Unión und dem Weiler San José, drei Unbekannte in dunklen Anzügen und mit Schusswaffen gesichtet, die eine so entspannte Haltung an den Tag legten, als wären sie die Herren der Region.

Am Freitag, den 2. Dezember, kamen mehrere Personen auf das Land des Friedensdorfes „Luis Eduardo Guerra“ im Dorf Mulatos Medio. Sie führten dort respektlos und ohne Genehmigung soziale und Freizeitaktivitäten durch. In den Tagen zuvor hatten die Paramilitärs und einige Bewohner des Dorfes bereits angekündigt, auf diesen Grund und Boden, der unserer Friedensgemeinschaft gehört, einzudringen.

Am Sonntag, den 4. Dezember, führte unsere Gemeinschaft einen informellen Dialog mit dem kolumbianischen Verteidigungsminister und dem Hohen Kommissar für Frieden, die das Treffen vorgeschlagen hatten. (Anm. d. Ü.: Der vom linken Präsidenten Gustavo Petro neu berufene Verteidigungsminister Iván Velásquez Gómez ist ein bekannter Jurist, der durch sein Eintreten gegen Korruption und gegen die Straflosigkeit internationales Renommee gewonnen hat. Vor allem sein Kampf gegen die Paramilitärs und deren oft stillschweigende oder offene Duldung durch Polizei und Armee hat ihm hohes Ansehen verschafft. – Auch Iván Danilo Rueda Redríguez, der neue Hohe Kommissar für Frieden, gilt als exzellente Wahl Petros. Der Menschenrechtsanwalt war an den offiziellen Untersuchungen einiger der furchtbarsten Übergriffe sowohl der Farc-Guerrilla als auch der Paramilitärs und Militärs beteiligt, er hat an den Friedensverhandlungen zwischen Staat und Farc in Kuba ebenso teilgenommen wie an den neueren Gesprächen zwischen Regierung und der Guerrilla ELN.)  Bei diesem Dialog legten wir Zeugnis ab von vielen Situationen, unter denen unsere Friedensgemeinschaft in mehr als 25 Jahren gelitten hat – Ereignisse, für die größtenteils die  staatlichen Institutionen die Verantwortung tragen, insbesondere bei den Sicherheitskräften und ihren illegalen zivilen Waffenbrüdern. Der Minister und der Friedenskommissar wurden auch daran erinnert, dass die Friedensgemeinschaft seit langem einen Bruch mit den staatlichen Institutionen
aufrechterhält und das auch weiterhin tun wird, solange nicht vier Bedingungen erfüllt sind, die die Gemeinschaft als Mindestbeweis für den guten Willen bei eventuellen Dialogen festgelegt hat. (Anm.d. Ü.: Leider führt der Blog nicht aus, welche diese vier Bedingungen sind).
Noch am selben Tag teilte der Verteidigungsminister auf seinem offiziellen Social-Media-Kanal mit, dass er sich den Schmerz der Vergangenheit der Friedensgemeinschaft angehört habe – obwohl die Zeugenaussagen auch vom Schmerz der Gegenwart sprachen. Und keine 30 Minuten nachdem der Verteidigungsminister unsere Gemeinde verlassen hatte, sahen wir bekannte Paramilitärs auf der Straße vor unserer Siedlung San Josecito vorbeiziehen: In völliger Ruhe und als einen weiteren Affront gegen unseren Lebensprozess, oder vielleicht, um die Botschaft zu hinterlassen, dass in diesem Gebiet ihre Kontrolle total und militärisch-paramilitärisch ist.

Am Montag, den 5. Dezember, machte die Senatorin María Fernanda Cabal (Anm. d. Ü.: Die Senatorin für Bogotá, die Donald Trump und Jair Bolsonaro als ihre politischen Vorbilder bezeichnet, gehört der rechtsextremen Partei Centro Democrático des früheren Präsidenten Álvaro Uribe an. Wie ihre Partei lehnt die Senatorin den 2016 geschlossenen Friedensvertrag mit der Guerrilla Farc strikt ab.) über die sozialen Netzwerke infame und unverantwortliche Bemerkungen, in denen sie unsere Friedensgemeinschaft und unseren Begleiter, Pater Javier Giraldo, als Guerilleros bezeichnete. In der kolumbianischen Gesellschaft ist ihre routinemäßige Praxis des Lügens, der Verleumdung, der
Verunglimpfung und der Äußerung von geballtem Hass ….bestens bekannt. Jeder weiß, dass sie dies tut, weil sie über eine Reihe von staatlichen Kontrollorganen verfügt, die sich durch eine systemische Straflosigkeit auszeichnen, die die elementarste Glaubwürdigkeit der Justiz diskreditiert und unterdrückt hat. Das macht jeden Versuch einer strafrechtlichen Verfolgung absolut nutzlos. In jedem Rechtsstaat würden ihre
Schandtaten strafrechtlich verfolgt. In Kolumbien jedoch ist das undenkbar, da die Senatorin zur erbärmlichen, aber unangreifbaren Elite gehört. (…)

Am Mittwoch, den 7. Dezember, waren zwei Personen in Zivilkleidung mit Handfeuerwaffen auf dem Landgut La Roncona, das unserer Friedensgemeinschaft gehört. Das ist nicht das erste Mal, es wiederholt sich immer wieder, trotz unserer Beschwerden, die wir an hochrangige Repräsentanten des kolumbianischen Staates herangetragen haben.Am selben Tag wurden in einem Ort in der Nähe der Stadt San José mehrere Paramilitärs auf Maultieren gesehen, die sich den Bewohnern der Region näherten und mit Notizbüchern in der Hand geheimnisvolle Berichte aufschrieben. Zu solchen Zählungen kam es in mehreren Dörfern der Gemeinde San Jose de Apartadó.

Am Donnerstag, den 15. Dezember, wurden Mitglieder unserer Gemeinschaft von einem bekannten Paramilitär der Region angesprochen, der erklärte, der Besuch des Verteidigungsministers in der Friedensgemeinschaft könnte uns teuer zu stehen kommen.

Am Sonntag, den 18. Dezember, drangen mehrere Rinder der Paramilitärs, die das benachbarte Grundstück erworben hatten, in das Land La Cumbre, das unserer Friedensgemeinschaft gehört, im Dorf Mulato ein. Diese Tiere schädigten die Bohnen- und andere Nahrungsmittelkulturen von Mitgliedern unserer Friedensgemeinschaft. (…)

Am Donnerstag, den 29. Dezember, drohte ein bekannter Paramilitär, unsere Friedensgemeinde werde ausgelöscht. Es gebe die Möglichkeit, ein oder zwei führende Persönlichkeiten unserer Gemeinschaft zu liquidieren, oder man könnte den Mitgliedern der Gemeinde Geld und Annehmlichkeiten anbieten, damit sie diesen Lebensprozess aufgeben.

Wir danken den Menschen und Gemeinschaften aus verschiedenen Ecken der Welt, die uns mit ihrer Großzügigkeit und ihren menschlichen Qualitäten stärken. Ungeachtet verschiedener kulturellen Realitäten geben sie uns die moralische Kraft und Ausdauer, ohne die wir unseren Weg nicht weiterbeschreiten könnten.

Comunidad de Paz de San José de Apartadó, 30. Dezember 2022