Blutiger Frieden

Die Aggressionen und Repressionen gegen unsere Friedensgemeinschaft San José de Apartadó und gegen die Bevölkerung in unserer Umgebung sind eine systematische und andauernde Bedrohung mit dem Ziel, die Menschen zu unterwerfen. Die Paramilitärs zirkulieren ungehindert durch unsere Territorien. Sie schüchtern die Bevölkerung ein, und sie ermorden gnadenlos jeden, den sie als Hindernis bei der Durchsetzung ihrer perversen Pläne ansehen.

In den letzten Tagen wurden unter obskuren Bedingungen Dokumente und sensible Informationen von unserer Friedensgemeinschaft und anderen gleichgesinnten Organisationen entwendet.

Einige Führer der Juntas de Acción Comunal (von der Verfassung vorgesehene lokale Mitbestimmungsgremien, in der Praxis häufig von den örtlichen Machthabern wie den Paramilitärs unterwandert, Anm. d. Ü.) von San José, die sich vielleicht jetzt den Paramilitärs beugen, unterstützen nicht mehr die Bauern, sondern sind nun auf Seiten derer, die die schlimmsten Verbrechen begangen haben. Sie behindern damit die Möglichkeit, dass die Wahrheit eines Tages bekannt wird.

Unsere Gemeinschaft wendet sich wieder den chronologischen Aufzeichnungen zu, dem einzigen Weg, der die Menschheit und die Geschichte dazu führt, diese Tatsachen eines Tages zu beurteilen.

Die neuen Fakten, auf die wir Sie aufmerksam machen, sind die folgenden:

  • Am Donnerstag, den 13. Oktober 2022, gegen 3:00 Uhr morgens, wurde die Stadt San José de Apartadó von Paramilitärs überschwemmt, die auf 25 Motorrädern auf der Straße von Apartadó nach San José unterwegs waren, der einzigen in der Gegend. Dort wurden sie von Paramilitärs aus der Gegend empfangen und zum Quellgebiet des Río San José gebracht. Die Paramilitärs kehrten gegen 15 Uhr zurück, durchquerten erneut die Stadt San José und fuhren in Richtung Apartadó davon. Die Paramilitärs zeigen diese Präsenz trotz des Polizeiquartiers und der Militärbasis in der Stadt San José – wir fragen uns, ob sich dies mit der Annäherung der Regierung an die paramilitärischen Gruppen erklärt. Oder ist es eher ein Ausdruck der Komplizenschaft zwischen den paramilitärischen Gruppen und der staatlichen Ordnungsmacht, die diese paramilitärische Präsenz einfach toleriert und koordiniert? – Vor dem Hintergrund von Tod, Bedrohung und Verfolgung, dem unsere Friedensgemeinschaft und die Bevölkerung um uns herum ausgesetzt sind, ist so eine Komplizenschaft äußerst ernst.
    (…)
    Am Sonntag, den 16. Oktober, gegen 21:40 Uhr wurde im Dorf La Unión, im Umland von San José, der leblose Körper des Bauern Gilberto Úsuga, eines Bewohners dieses Dorfes, gefunden. Offenbar wurde er in einem Wassergraben ertränkt. Gilberto war schon früher ein Opfer der Paramilitärs. Im Juli vergangenen Jahres wollten ihm mehrere Paramilitärs drei Hühner abkaufen, und als er sich weigerte, stahlen die Paras die Hühner. Darüber hinaus hatten ihm Anfang Oktober die Paramilitärs verboten, Nahrungsmittel anzubauen, eine Anordnung, die er nicht befolgte.
  • Am Freitag, den 21. Oktober, berichtete der Kommandant der Polizei von Urabá, Óscar Cortés, in mehreren Medien über die Festnahme von zwei bekannten Paramilitärs, alias El Burro und alias Chulo, letzterer namens Albeiro Cardona Borja (…). Nach Angaben des Polizeibeamten war Cardona seit 25 Jahren in paramilitärischen Gruppen und vorbestraft. Was der hochrangige Offizier jedoch nicht mitteilte: Die Eingliederung von Albeiro Cardona sowie seiner Brüder Ovidio und Lubín in den Paramilitarismus war das Werk der staatlichen öffentlichen Gewalt. Unsere Friedensgemeinde hat nicht vergessen, dass am 26. Dezember 2005 die drei Cardona-Brüder von der 17. Heeresbrigade dazu gebracht wurden, auf einer Weihnachtsfeier in La Cristalina sechs junge Menschen zu massakrieren. Das Verbrechen hatte damals auch das Ziel, den Brüdern den Seitenwechsel von der Farc zu den Paras zu erleichtern, die damals unter Führung der Armee standen. Es war allgemein bekannt, dass die Armee sie für ihre Teilnahme am Massaker von La Cristalina bezahlte. Für jeden Mord erhielten sie vier Millionen Pesos, ferner Tarnuniformen, Waffen und Fahrzeuge, um als Paramilitärs im Dienste der Armee zu fungieren.
    Die Brüder Cardona gingen so offen vor, dass ihre Taten allgemein bekannt wurden. Sie prahlten selbst öffentlich mit ihrer tödlichen Macht. Sie waren stolz darauf, mit Unterstützung des Staates über das Leben von Menschen bestimmen zu können.
    In vielen Akten, die jetzt archiviert sind, finden sich die falschen Anschuldigungen der Brüder, die sich gegen Mitglieder und Gefährten unserer Friedensgemeinde richten. Auf Druck der Brigade wurden wir beschuldigt, Kollaborateure der Guerilla zu sein, ohne dass dafür irgendein glaubhafter Beweis hätte vorgebracht werden können.
    Wir wissen nicht, ob die neue Polizeiführung mit der Festnahme von Chulo und El Burro womöglich eine Art Rehabilitation unserer Friedensgemeinde beabsichtigt hat. Jedenfalls sollte das nicht auf diese Weise geschehen. Nötig ist eine umfassende Aufklärung der zahllosen Verbrechen, die der Staat an unserer Friedensgemeinde begangen hat. (…)

    Am Samstag, den 22. Oktober, stellte Gildardo Tuberquía, ein bewährtes Mitglied unseres Führungszirkels, fest, dass auf seinem Land im Dorf La Unión zwei Bewohner des Dorfes Substanzen versprühten, ohne dass Tuberquía das gestattet hätte. Die Eindringlinge widersetzten sich der Aufforderung zu verschwinden, deshalb wurden ihnen die Schläuche ihrer Sprühgeräte durchgeschnitten.
    Der Vorfall zeigt erneut, dass unserer Friedensgemeinde so viel Land wie möglich weggenommen werden soll, um sie zu schwächen und um sie eines Tages zu vernichten.

Am Dienstag 1. November, gegen 19:40 Uhr, erhielt unsere Gemeinde einen Anruf, der uns über einen Plan informierte, dass Paramilitärs planten, in das Friedensdorf Luis Eduardo Guerra im Dorf Mulato Medio wenn notwendig gewaltsam einzudringen.
Am Mittwoch, 2. November, gegen 15:00 Uhr, erhielt unsere Gemeinde einen Anruf von einem Bewohner der Gemeinde San José, in dem die Absicht der Paramilitärs mitgeteilt wird, zwei Bewohner der Region zu ermorden.

Wir wiederholen, dass sie uns weder mit Gewehren noch mit anderen Vernichtungsstrategien zum Schweigen bringen werden. Unser Projekt geht weiter, und es orientiert sich weiterhin an den Werten des Lebens.

Wir halten die Erinnerung an unsere Märtyrer lebendig, die ihr Leben gegeben haben, um eine gerechtere Welt aufzubauen. Wir danken allen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, die uns mit ihrer moralischen Stärke für eine bessere Welt unterstützen.

Comunidad de Paz de San José de Apartadó 3. November 2022