Die Pandemie, die tatsächlich in Urabá tötet

CdP de San José de Apartadó – Bericht vom 14.5.2020
Eingesandt von cdpsanjose el Jue, Übersetzung 28.5.2020/bfk/wk

Wieder wendet sich unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó an euch alle, um euch über die Vorkommnisse in unserem Gebiet und der Umgebung zu informieren. Immer wieder werden Menschenwürde oder verfassungsmäßige Prinzipien und Grundsätze der Menschenrechte verletzt.

Die globale Pandemiesituation, hat auch in San José zu drastischen Maßnahmen der Isolation und extremen Einschränkung der Mobilität und der sozialen Beziehungen geführt. Sie bedroht uns, obwohl es noch keine Todesfälle hier im Gebiet gibt und obwohl auch noch keine Ansteckungen gemeldet sind. Auch an die Dominanz des Paramilitarismus sind wir ja seit vielen Jahrzehnten gewöhnt aber nun ergibt sich eine zusätzliche Gelegenheit für sie – die ja sowohl die volle Unterstützung und den Schutz des Staates, als auch der führenden sozialen Schicht genießen – eine noch stärkere Kontrolle und territoriale Herrschaft auszuüben, als verlängerter Arm des Staates, der hier auch keinerlei Kontrollfunktion auszuüben scheint.

Während die Paramilitärs in San José die Mobilität der Bürger einschränken – z.B. Zutrittsverbote für Verwandte und Besucher – laufen sie selbst bewaffnet, manchmal in Tarnuniformen, manchmal in zivil durch das Gebiet und veranstalten Trinkgelage wohl wissend, dass ihnen keiner etwas anhaben kann.

Am 12. März urteilte die zuständige Kammer des Obersten Gerichts von Antioquia, die Ländereien der Farm La Nina im Dorf California de Turbo müssten an elf früher vertriebene Familien zurückgegeben werden.  Gleichzeitig ordnete das Gericht eine umfassende strafrechtliche Untersuchung der Menschenrechtsverstöße an, derer sich, wie das La-Nina-Verfahren ergab, die Unternehmen Bananeras de Urabá und Banacol schuldig gemacht haben. Beide Firmen haben jahrelang die Vertreibungen geplant und ausgeführt, wobei sie sich der von ihnen geförderten und finanzierten paramilitärischen Strukturen bedienten.  Dies offenbart die enge Beziehung des Bananenunternehmers Urabé mit dem organisierten Verbrechen.

Andererseits erklärte der Bischof von Apartadó Hugo Alberto Torres Maron in einem Interview mit der Zeitung El Espectador am 20. April (2020), dass er auf Seiten der nationalen Regierung keine Bereitschaft sehe, paramilitärische Strukturen zu kontrollieren, vor allem nicht die so genannten AGC oder „Clan del Golfo“ – wie die Regierung die Paramilitärs bezeichnet -, obwohl diese Truppe der wichtigste Gewaltakteur der Region ist. Der Bischof kennt die Hintergründe gut, da er bei dem Friedensprozess zwischen den Seiten vermittelt und bei der Umsetzung des Friedensvertrags unterstützt hat.

Die Bewertung der von der kolumbianischen Regierung getroffenen Maßnahmen in Zeiten der Pandemie fällt uns nicht leicht. Aber man merkt schon, dass die strikten Schutz- und Vorsorgemaßnahmen zur Eindämmung des Virus auf deutliche Art und Weise die Eindämmung der Welle sozialer Proteste bewirkt hat, die sich seit November 2019 stark aufgebaut hat.

Die Maßnahmen gegen das Virus kaschieren die stark sinkende Popularität von Staatspräsident Iván Duque und die wachsende Ablehnung seiner Politik ebenso wie die Nichterfüllung des Friedensabkommens, die systematische Ermordung von sozialen Führungsfiguren und Demobilisierten. … Durch den Kampf gegen das Corona-Virus ist alles das aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verdrängt: Wahlbetrug und Korruption im Staat sind auf einem nie dagewesenen hohen Niveau, des Weiteren beobachten wir zerstörende Umweltpolitik, exorbitante Ausgaben für das Militär und die Sicherheit hoher Politiker, die in den vergangenen Wochen bekanntgewordene Bespitzelung einer Vielzahl von Personen und die Einmischung krimineller Regierungen in die Innenpolitik

und zur selben Zeit die Einmischung von Kolumbien in souveräne Entscheidungen anderer Staaten und Verstöße gegen zahlreiche internationale Verträge. Die Massenmedien haben stark zu diesen Verschleierungen beigetragen, um der Gefahr der Ansteckung eines biologischen Virus entgegenzutreten. Aber die Ansteckung durch ein Virus, das die Ethik und die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens zerstört, ist ihnen dabei egal.

Bei dieser Gelegenheit wollen wir Fakten veröffentlichen, die die Ausbreitung der paramilitärischen Macht in unserem Hoheitsgebiet zeigen:

Bewohner aus dem Dorf von San José de Apartadó berichten, dass in der Woche vom 12. bis zum 18 April 2020 mehrere Personen (mindestens 5) aus dem Weiler rekrutiert wurden. Es waren auch Minderjährige dabei und alle sollten in der Gemeinde Playa Larga in ein traditionelles Ausbildungszentrum der Paramilitärs geführt werden.

Spät am Mittwochabend, 15. April 2020, erschienen 3 Personen eine von ihnen war eine Frau, im Haus eines Bürgers der Gemeinde Las Nieves und ohne sich auszuweisen forderten sie bei ihm übernachten zu können.

Am Morgen des 18.April 2020, einem Samstag marschierten 2 Paramilitärs in zivil mit Funkgeräten und Pistolen durch das Friedensdorf Luis Eduardo Guerra in das Dorf Mulatos Medio. Am Nachmittag desselben Tages wurden noch 3 Paramilitärs gesehen auch in zivil aber mit Gewehren.

Ebenfalls am 18. April 2020, wurde ein Dorfbewohner in einer Polizeikontrolle bei der Ankunft in Las Colinas, am Ausgang von Apartadó, festgenommen, als er versuchte, seinen Geschäften nachzugehen. Die Polizisten wollten seine Durchreise blockieren, erlaubten sie ihm aber dann doch angesichts weiterzugehen.

An einer anderen Kontrollstelle ca 300 m weiter, wurde er von einem Paramilitär in zivil festgehalten, dort muss normalerweise für die Passage Geld bezahlt werden. Nachdem er erklärte, dass die Polizei ihm bereits erlaubt hatte zu passieren, machten sie klar, dass die Entscheidung der Polizei hier unerheblich sei und er bezahlen müsse, um weitergehen zu können. Genauso kontrollieren die Paramilitärs seit einigen Wochen den Zugang zur Gemeinde Salsipuedes, von San José de Apartadó und verlangen Geld für den Durchgang. Dies zeigt wieder genau wie Paramilitärs die Pandemie für ihre Ziele ausnutzen.

Am Sonntag, den 19. April 2020, konsumierten in La Union mehrere paramilitärische Führer die ganze Nacht von Sonntag, 19. bis Montag, den 20. April Schnaps in großen Mengen, hörten laute Musik ohne auf die nationalen Regeln der Isolierung wegen COVID 19 zu achten. Am Montag darauf zogen sie in ein benachbartes Anwesen, um weiterzufeiern.

Da der Gemeindevorstand den Konsum von Spirituosen in dieser Zeit der Isolierung verboten hatte, verhängte er eine Geldstrafe von 600.000 Pesos (etwa € 145) gegen den einen Barbesitzer. Der betroffene Barbesitzer verteidigte sich aber, er sei von den paramilitärischen Führern alias „Chuchito“, „Ramiro“ und „Huhn“ dazu gezwungen worden auszuschenken. Sie seien die Autorität vor Ort und nun müsse der Barbesitzer ihnen den Schnaps aushändigen.

Um 23 Uhr am Montag 20. April 2020, liefen drei vermummte Paramilitärs durch den Weiler La Unión. Am selben Tag aber tagsüber war dort schon der paramilitärische Spion, bekannt als „El Cochero“, in Begleitung von drei Männern durch die Gemeinde El Porvenir gegangen.

Am Donnerstag, den 23. April 2020, trafen Informationen in der Friedensgemeinde ein, wonach der als „El Burro“ bekannte Paramilitär in derselben Woche an den Ort „Chontalito“ gekommen war, um den paramilitärischen Alias „Pablo“ zu treffen, mit dem Ziel die Kontrollstrategien für das Gebiet der Vereda Mulatos und die umliegenden Gebiete zu koordinieren und dabei die Situation der Quarantäne zu nutzen, die der gesamten nationalen Bevölkerung auferlegt wurde.

Am Samstag, den 25. April 2020, wurden sieben Paramilitärs in zivil aber mit Gewehren gesehen, als sie von der Gemeinde La Cristalina in Richtung der Stadt San José de Apartadó zogen.

Am Montag, den 4. Mai 2020, gegen 19:00 Uhr, waren mehrere Schüsse in der Innenstadt von San Jose zu hören. Eine Anti-Guerilla-Polizeigruppe, hat angeblich mehrere Schusswaffen beschlagnahmt, deren Träger jedoch, allesamt Paramilitärs laufen lassen. Nach dem Vorfall schlugen einige Polizisten vor, ein Fußballspiel zwischen Polizei und Zivilisten zu organisieren, was offen gegen Quarantäneregeln verstößt. Angeblich sei es für sie kein Problem aber sie wollten sicherheitshalber noch die Paramilitärs dazu befragen, sagten sie. Wieder ein Beweis für die Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppen.

Am Abend des 12. Mai 2020, einem Dienstag, wurde in der Gemeinde Alto Bonito de San José de Apartadó in einem Viertel Caño Seco, der 19jährige RAFAEL ANTONIO GUERRA LÒPEZ, ein junger Mann von 19 Jahren getötet. Wie in weiteren vier vorangegangenen Fällen 2019 – 2020 musste Rafael sterben, weil er sich weigerte, den Befehlen der Paramilitärs zu gehorchen.

Das allgemeine Schweigen, das über dem Dorf lastet, offenbart die absolute Kontrolle, die die Paramilitärs in der Gegend ausüben Die Paramilitärs haben in diesem Fall wohl auch jegliches Bestattungsritual verboten. Keine Autorität, weder gerichtliche noch administrative, kümmerte sich um diesen Fall.

Alle Beweise für die paramilitärische Kontrolle in der Region  werden seit der Demobilisierung des FARC-EP im Anschluss an das Friedensabkommen von 2016  der Präsidentschaft der Republik immer wieder durch Eingaben zur Kenntnis gebracht, es wurden Analysen, die die Komplizenschaft der offiziellen Institutionen mit ihren Handlungen und Strategien belegen vorgelegt.

Dennoch, so muss man aus den Antworten auf die verschiedenen Fragen schleßen, wiederholt Präsident Duque die Fehler seiner Vorgänger, indem er einfach die Informationen an die militärischen Entscheidungsträger weitergibt und nicht seinen verfassungsgemäßen Pflichten als Garant der Grundrechte nachkommt.

Wir danken nochmals allen Menschen und Gemeinschaften in den verschiedenen Ländern der Welt für ihre ständige Solidarität mit unserer Friedensgemeinschaft, und gleichzeitig solidarisieren wir uns mit vielen von ihnen, die jetzt unter drastischer Isolation, starken Einschränkungen leiden und den Verlust einiger ihrer Angehörigen beklagen. Wir fühlen uns alle in moralischer Gemeinschaft verbunden.