In den 27 Jahren des Bestehens unserer Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó hatten wir es vor allem mit den Institutionen des kolumbianischen Staates zu tun, den paramilitärischen Strukturen, die als bewaffnete Gruppen von Zivilisten agieren und die die volle Unterstützung, Duldung und Toleranz des Staates und der politischen Eliten, die ihn tragen, genießen. Sie sind die schlimmsten Täter, denn sie genießen absolute Straffreiheit für all ihre Verbrechen.
Dieser Paramilitarismus hat verschiedene Namen angenommen, im Laufe des 21. Jahrhunderts nahm er unter anderem das Akronym „Autodefensas Gaitanistas de Colombia – AGC“ an, ein Akronym, das mit denen von „Clan del Golfo“, „Los Úsuga“ oder „Los Urabeños“ austauschbar ist. In einem Kommuniqué vom 30. März 2024 kündigten sie eine Namensänderung in „Ejército Gaitanista de Colombia“ an. Der Text dieses Kommuniqués könnte nicht verlogener sein, in dem Versuch, dem Land und der Welt ein tödliches Gift unter dem Etikett eines gesunden Heilmittels zu verkaufen.
Das Kommuniqué beginnt mit einer Einschätzung ihrer Größe, indem es sich auf Statistiken über ihre „Demobilisierung“ stützt, die zwischen 2003 und 2006 veröffentlicht wurden und sich auf mehr als 30.000 Personen beziehen.
Die einigermaßen informierten Menschen in Kolumbien wissen, dass all dies nachweislich falsch war; dass der ehemalige Friedenskommissar von Präsident Uribe, Luis Carlos Restrepo, wegen dieser Anhäufung von Täuschungen immer noch auf der Flucht vor der Justiz ist; dass viele Jugendliche und Kinder aus den Armenvierteln für die „Demobilisierung“ rekrutiert wurden, ohne jemals Paramilitärs gewesen zu sein, sondern gezwungen wurden, einen hohen Prozentsatz des Honorars, das sie von der Regierung für ihre falsche Demobilisierung erhielten, an einige wenige Anführer der sogenannten „Selbstverteidigungsgruppen“ weiterzugeben, und zwar inmitten riesiger Erpressungsszenarien. Das vom ehemaligen Präsidenten Uribe entworfene Gesetz 782 diente dazu, zu verhindern, dass die Paramilitärs vor Gericht gestellt wurden, da die nationale Staatsanwaltschaft ihre „Decknamen“ nicht registrieren ließ, die einzige Identität, unter der sie sich in ihrer illegalen Militanz zu erkennen gaben, und so konnten sie direkt von ihren kriminellen Praktiken zu den pseudo-legalen Strukturen übergehen, die Uribe für sie vorbereitet hatte, um in eine neue, nach seinen Worten „legale“ Phase des Paramilitarismus einzutreten: Die Netzwerke von Informanten und Mitarbeitern, die geschützten Unternehmen zur Aneignung von Land, wie Palmenplantagen, Kokaplantagen und viele andere, wo sie wiederum fälschlich legalisierte Waffen einsetzten.
Ausgehend von der Kontinuität sozialer Konflikte, unerfüllter Versprechen und offizieller Lügen versucht das Kommuniqué, sein bewaffnetes Fortbestehen und seine militärische Legitimation zu rechtfertigen, indem es sich auf schmutzigste Weise des Gedenkens an den tief verwurzelten sozialen Volksführer Jorge Eliécer Gaitán (weitere Informationen siehe Wikipedia-Eintrag zu Jorge Eliécer Gaitán, d. Ü.) bedient. Und das Schlimmste ist, dass sie vorgeben, Gaitáns Ruf „nach der moralischen Wiederherstellung der Republik“ aufzugreifen. Dass ein solcher Slogan von so hoher moralischer Bedeutung in die Hände einer solch kriminellen Gruppe fällt, ist ein Vergehen, das keinen Namen hat, weil es alle Schandtaten übertrifft. In der Definition ihrer jüngsten Etappe wagen sie es, sich als „eine Armee, die für die soziale Rechtfertigung und die Würde unseres Volkes kämpft“ zu präsentieren. Sie wollen als Kämpfer für die unterdrückten Klassen auftreten, die sich angeblich „gegen die Verfolgung und Ausrottung all derer, die seit der Ermordung von Jorge Eliécer Gaitán an die Versprechen des Friedens geglaubt haben, auflehnen“.
Aber diejenigen von uns, die ihre Anwesenheit in den Lagern erlebt haben, können sie nur mit denen gleichsetzen, die die Armen und Unangepassten verfolgen und ausrotten.
Das Kommuniqué versucht schließlich, ihre Identität als Paramilitärs oder Neo-Paramilitärs zu verwischen. Es fehlt aber an stichhaltigen Argumenten. Ihre Geschichte ist eindeutig von allen Merkmalen des Paramilitarismus geprägt, und es ist müßig, einige Festnahmen oder Auslieferungen zu zitieren, die von den letzten Regierungen beschlossen wurden, um zu beweisen, dass sie nicht immer im Einklang mit den Repressionsorganen des Staates und des Establishments gehandelt haben.
In der Region Urabá, herrschen sie heute ohne jegliche Opposition und unterwerfen die Bevölkerung. Sie sind bewaffnet und können sich das leisten, weil sie über gewaltigste Arsenale des Drogenhandels verfügen. Durch den finanzstarken Erlös aus dem Drogenhandel können sie auch Beamte, Sicherheitskräfte, demobilisierte Kämpfer, Führer von Gemeinschaftsaktionen und ungeschulte Informanten bestechen. Keinesfalls kann man akzeptieren, dass sie behaupten, eine Kraft zu sein, die für die unterdrückten Klassen kämpft. Ihre wirtschaftliche, politische und militärische Macht erlaubt es ihnen, ihr Territorium unter dem Terror ihrer Interessen zu kontrollieren, bis hin zum Vergießen des Blutes derjenigen, die ihren Befehlen nicht gehorchen, wie wir es gerade in unserer Friedensgemeinde auf dramatische Weise erlebt haben.
Seit der drastischen Kritik der internationalen Gemeinschaft an den staatlichen Kräften haben sie aufgehört, diese bei ihren kriminellen Patrouillen am helllichten Tag zu begleiten, aber die Zusammenarbeit hat sich nicht geändert, zumal ihre Verbrechen ja weiterhin straffrei bleiben. Daher halten sie, jetzt als EGC, die Kontrolle dort aufrecht, wo sie die abartigste Sklaverei gegen die bäuerliche Bevölkerung ausüben, in den Diensten eines viehzüchterischen Raubbaus gemäß anti-agrarischen und anti-ökologischen Wirtschaftsmodellen.
Am Montag, 11. März 2024, fand im Büro des Bürgermeisters von Apartadó eine Sitzung statt, zu der einige Institutionen und Gemeindevorstände des Dorfes San José de Apartadó geladen waren. Eines der kontroversen Themen war eine Straße zu bauen, die wir aber aus fundamentalen Gründen wiederholt abgelehnt haben: Es droht, eine ökologische Zone von großem Wert umzuwandeln und zu zerstören; es hat sich nicht auf eine demokratische Planung gestützt und alle Verfahren umgangen, die in den Gesetzen für die Genehmigung solcher Arbeiten vorgesehen sind; seine Förderer kündigen an, es mit allen Mitteln durchzusetzen und auch Maschinen einsetzen werden, die Raubbau an der Natur betreiben. Es soll in den Dienst von ausländischen Kapitaleignern gestellt werden, die auf ein anti-agrarisches, anti-ökologisches, anti-gemeinschaftliches und anti-nationales Entwicklungsmodell bauen. Einige der Reden, die auf dieser Sitzung des Bürgermeisteramtes gehalten wurden, bestätigen unsere Befürchtungen. (Im Folgenden werden einige Redner mit ihren Aussagen zitiert. D.Ü.)
Bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung unter dem Richter Luis Guillermo Guerrero, ging es um die Konfrontation zwischen dem Recht auf Ehre und dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Dabei wurde ein offensichtlicher Widerspruch klar und es wurde die Wichtigkeit des Rechts auf militärische Ehre hervorgehoben. Nach vielen, auch internationalen Kontroversen, stellten dieselben Richter des Gerichtshofs, der im Dezember 2020 verhandelt hatte, eine Nichtigkeitserklärung aus. Die Konfrontation zwischen den Richtern und die Anzahl der Dokumente von Juristen und internationalen Organisationen, die sich für die Friedensgemeinschaft aussprachen, hinderten den Gerichtshof jedoch daran, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Anprangerung der Friedensgemeinschaft in irgendeiner Weise einzuschränken. (…)
Das überzeugendste Argument lieferte der Richter Jorge Enrique Ibañez Najar, der als erster Berichterstatter des Verfassungsgerichts die Legitimität der Tutela (Vormundschaft, d. Ü.) des Militärs zurückgewiesen hatte, indem er aufzeigte, dass für die Beantragung des Schutzes des Rechts auf Ehre ein untadeliges Verhalten erforderlich ist, was die Brigada XVII nicht aufweist.
Am Donnerstag, 18. März 2024, hat Präsident Gustavo Petro öffentlich auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass unsere Friedensgemeinschaft einen Akt der Vergebung für alle von staatlichen Institutionen begangenen Gräueltaten erhält und unsere Opfer mit Denkmälern zu ihrem Gedenken geehrt werden. Unsere Gemeinschaft meint, dass eine solche Anerkennung notwendig ist, dass sie aber von Maßnahmen begleitet werden muss, die unseren Fortbestand als Friedensgemeinschaft in dem Gebiet garantieren, denn im Moment wird sie von Prozessen bedrängt, die darauf abzielen, sie von dem Land zu enteignen, das sie im Laufe der Jahrzehnte rechtmäßig und legal erworben hat, und von kriminellen Strukturen, die weiterhin darauf bestehen, das Leben unserer Mitglieder zu zerstören, indem sie dafür sorgen, dass diese Verbrechen in vollem Umfang straffrei bleiben
(Im weiteren Verlauf des Blogs, werden wieder die typischen Störungen des Ablaufs durch die Paramilitärs oder ihnen nahestehende Leute beschrieben, dabei geht es um unerlaubtes Betreten des Gebiets bis hin zu Erpressung und Androhung von Tod. D. Ü.)
Am Donnerstag, 18. April 2024, wurde in den Morgenstunden der leblose Körper eines jungen Mannes in der Nähe der Straße gefunden, die von Apartado nach San José de Apartadó führt, in der Nähe des Dorfes La Balsa, in der Nähe des Dorfes San José de Apartadó.
Wir danken noch einmal allen Menschen und Gemeinschaften, die uns aus den verschiedensten Regionen des Landes und der Welt in diesen Monaten intensiven Schmerzes und Leidens geistig begleitet haben, Die große Zahl unserer Märtyrer hat sich wieder einmal vergrößert. Trotz aller konzentrierten und koordinierten Aggressionen, die sich zeitweise gegen unseren Prozess richten, bleiben wir unseren Prinzipien und Werten treu.
Comunidad de Paz San José de Apartadó, April 2024