Unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó hat in den letzten Monaten eine ganz besondere Erfahrung gemacht. Seit letztem Jahr (2024) haben wir zugestimmt, in einen Verhandlungsprozess über eine einvernehmliche Lösung mit dem Staat einzutreten, unter Vermittlung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, ohne jedoch den Bruch mit dem Staat zu leugnen, da die Gründe und Motive für diese Entscheidung nach wie vor da sind, auch wenn sie 20 Jahre zurückliegen.
Die derzeitige Regierung von Präsident Petro hat es geschafft, einige Institutionen zu ändern, darunter die staatliche Rechtsverteidigungsagentur, die nicht mehr in erster Linie damit beschäftigt ist, jegliche Verantwortung von Staatsbediensteten bei Verbrechen zu leugnen, sondern diese in vorzeigbaren Fällen wie dem unserer Friedensgemeinschaft anerkennt.
Daher haben wir Wiedergutmachung für monumentale und konkrete Schäden gefordert, die von Staatsbediensteten begangen wurden, sofern sie nicht unmöglich zu reparieren sind, wie die Hunderte von Toten und Verschwundenen.
Wir haben aber nicht versucht, alle Schäden in Geldwerte umzurechnen, da die meisten unserer Werte keinen merkantilen Charakter haben und nicht in Geld ausgedrückt werden können.
Wir haben eine Überprüfung der schockierenden Handlungen der falschen und verdorbenen „Justiz“ gefordert, die seit Jahrzehnten in der Region tätig ist;
Wir haben die Wiederherstellung unseres guten Namens gefordert, der von den Massenmedien und dem verrotteten Justizapparat mit Füßen getreten wurde; wir haben die Anerkennung unserer Rechtstitel auf unser kollektives Land gefordert; wir haben gefordert, dass der Staat darauf verzichtet, uns, die Opfer, für die Verbrechen der Enteignung, der Vertreibung und der Massaker anzuklagen, die ja seine Agenten begangen haben, indem sie unsere verlassenen Ländereien mit Steuern in Millionenhöhe belegen.
Doch während der Prozess der gütlichen Einigung zufriedenstellend verläuft, werden wir von der anderen Seite des Staates weiterhin unerbittlich und schamlos verletzt.
Der Clan del Golfo, eine paramilitärische Struktur, die heute das Land, die Region Urabá und fast alle Dörfer von San José de Apartadó beherrscht, als eine echte De-facto-Regierung, mit der Duldung fast aller Institutionen (u.a. Armee, Polizei, Generalstaatsanwaltschaft), die sich gegenseitig heuchlerisch unterstützen, um diesen perversen Apparat aufrechtzuerhalten. …. Der Clan del Golfo verfügt über Kämpfer, deren Anhänger mit hohen Geldbeträgen bezahlt werden, was es ihnen ermöglicht hat, große Teile der demobilisierten ehemaligen FARC-Mitglieder, Teile der Gesellschaft, Politiker, Geschäftsleute und andere zu erobern. …
Die Komplizenschaft der Sicherheitskräfte mit der Herrschaft des Clans ist offensichtlich. Im März 2024 erklärte der Kommandeur der 17. Brigade gegenüber internationalen Besuchern ganz offen, dass sie sich nicht an die Anweisung von Präsident Petro halten würden, sich bei unserer Friedensgemeinschaft für die zahlreichen an uns begangenen Verbrechen zu entschuldigen. Doch im Februar 2025 sind sie zu weit gegangen, indem der Kommandeur der 17. Brigade, Oberst Luis Enrique Camargo Rodríguez, eine Tutela-Klage gegen eine hochrangige Beamtin der Regierung Petro, Dr. Gloria Cuartas, Leiterin der Abteilung für die Umsetzung des Friedensabkommens, einreichte. Es ging um ihre Äußerungen in ihrem sozialen Netzwerk X am 19. Februar 2025, die den guten Ruf und die Ehre des Militärs verletzt hätten.
Dr. Cuartas hatte sich wie folgt geäußert: „Herr Präsident, ich hoffe, dass der neue Verteidigungsminister uns bei dem Problem mit der komplexen Beziehung, zwischen der 17. Brigade und der Polizei von Urabá gegen das autonome Friedensprojekt, dem ethischen Vorbild für die Welt, helfen wird. Ohne sie funktioniert der Clan del Golfo nicht
Die Richterin von Carepa, Ruth I. Betancur Henao, akzeptierte die tutela-Klage und dies, ohne überhaupt zu untersuchen, ob es wirklich eine komplexe Beziehung zwischen der 17. Brigade und dem Paramilitarismus in Urabá gab. Sie entschied zugunsten der Militärs und wies Dr. Cuartas an, ihre Aussagen innerhalb von 48 Stunden zu widerrufen. Allerdings blieb es nicht bei diesem Urteil, denn es wurde festgehalten, dass Dr. Gloria Cuartas nur ihre Pflichten erfüllte.
*Es folgt ein Rückblick auf Gerichtsverfahren, in denen es vor allem darum geht, den guten Namen und die Ehre des Militärs über deren Vergehen zu stellen und sie infolgedessen nicht öffentlich thematisieren zu dürfen.
Vom 12. Februar bis zum 8. April 2025 wurden die Mitglieder der Friedensgemeinde wieder durch verschiedene Aktionen der Nationalen Polizei, der Generalstaatsanwaltschaft und den Paras in Atem gehalten. Die Forderung nach Schutzgeldern durch die Paras mit entsprechender Gewaltandrohung verursacht Angst. Eine weitere Drohung bestand darin, alle Mitglieder der Friedensgemeinde zu ermorden – es gehe ihnen wie Nally und Edinson (ermordet am19. März 2024 d.Ü.), wenn sie im Friedensdorf Luis Eduardo Guerra in Mulato Medio übernachten. Hausfriedensbruch und unerlaubtes Betreten von Privatgrundstücken der Gemeinde sind weitere Mittel die Bevölkerung zu beunruhigen auch mit Vergewaltigung der Einwohnerinnen wird gedroht.
Aber positiv war, dass am 8. April mehrere internationale Organisationen in einer Geste der Solidarität mit der Bevölkerung, der Umwelt und der Gemeinschaft einen Appell an Präsident Petro richteten, um die Menschenrechtsverletzungen zu beenden, die sich systematisch wiederholen.
Am 15. April 2025 wird die Umsetzung eines Protokolls namens: „Zahlungen für Umweltdienstleistungen“ bekannt, das von der JEP (Jurisdiccion para la Paz, verantwortlich für die juristische Aufarbeitung der im Konflikt begangenen Verbrechen und für die Verurteilung und Bestrafung direkt oder indirekt beteiligter Akteure) und anderen Einrichtungen gefördert wird. In diesem Zusammenhang wird allerdings bedauert, dass zwar soziale Projekte durchgeführt aber Wahrheit und Gerechtigkeit auf der Strecke gelassen und mit Füßen getreten werden.
Bis zum 6. Mai 2025 folgen wieder Morddrohungen konkret mit Namensnennung des möglichen Mordopfers, illegaler Straßenbau mit anschließender Forderung von Maut, eine Straße wurde auf einem privaten Grundstück der Friedensgemeinde verlegt, dafür wurden Kakaobäume des Besitzers gefällt.
Während wir uns einem Szenario nähern, in dem der Staat die Ursachen versteht, die zum Bruch mit dem Staatsapparat geführt haben, wird uns das Vernichtungsprojekt gegen unser Lebensprojekt mit voller Wucht offenbart.
Unsere unumstößliche Überzeugung für das Leben gibt uns jedoch die Kraft, unser eigenes Leben noch einmal und so oft wie nötig zu verteidigen.
Im ehrenden Gedenken an unsere gefallenen Brüder und Schwesternwerden wir den mit ihnen begonnenen Widerstand fortsetzen.
Friedensgemeinde San José der Apartadó 6. Mai 2025
* Kursiv geschriebenes stellt eine Zusammenfassung von Ereignissen durch d. Ü dar.